Die Finger des Mannes huschten über die Tasten der Schreibmaschine und ließen die Schreibmaschine angenehm im Rhythmus der Finger mitsingen. Mit jeder gedrückten Taste wurde ein neuer Buchstabe auf das Blatt Papier gepresst und jeder einzelne Buchstabe ließ ein einzelnes Wort entstehen. Und jedes einzelne Wort ließ einen einzelnen Satz entstehen, der nur einer von vielen Sätzen war, die auf all den Seiten standen. Und jeder andere Satz sagte etwas anderes aus. Jeder Satz war auf seine Art und weise einzigartig. Sie alle wurden so gebildet, wie es der Mann, der diese Sätze niederschrieb, so wollte. Und aus all den Sätzen entsteht ein
großes ganzes, welches gelesen werden will, egal, wie gut es ist. Joe gähnte und streckte sich, womit er für einen kurzen Moment die Melodie der Schreibmaschine verstummen ließ. Er ließ sich Zeit beim Strecken, atmete einmal tief durch und schaute durch das kleine Fenster, vor dem sich sein Schreibtisch befand. Es war schon finstere Nacht draußen und alles, was er am Tage sehen konnte, wurde von der pechschwarzen Nacht verschluckt. Wolken bedeckten den Himmel und ließen den Mond fast komplett verschwinden. Joe konnte ganz schwach den Wind hören, der durch die finstere Nacht wehte und die Äste der Bäume zum
tanzen brachte. Er ließ sich in den Stuhl fallen und die Arme über der Lehne baumeln, während er auf das sah, was er heute erreicht hatte. Er hatte sein tägliches Pensum geschafft und sogar noch überboten. Von den eigentlichen 10 Seiten, die er pro Tag schreibt, hatte er 15 geschafft. Für den ein oder anderen mag das eine Menge sein, doch für ihn war es normal. Es gab Tage, da hatte er deutlich mehr geschrieben. Tage, wo die Kreativität größer und vielfältiger war als heute. An solchen Tagen musste er aufpassen, denn es konnte leicht passieren, dass er am frühen Vormittag mit der Arbeit begann und erst in den frühen Morgenstunden
aufhörte zu arbeiten, ohne den ganzen Tag was anderes zu machen. An manchen Tagen aber konnte es auch passieren, dass er den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer auf und ab bewegte und versuchte etwas aufs Papier zu bringen. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass er gar nichts zu Papier bringt. Heute war keiner dieser Tage. Es war ein gewöhnlicher Arbeitstag gewesen, der über den her verteilt war. Zwei Seiten am Morgen, zwei am Vormittag, drei am Nachmittag, fünf am frühen Abend, zwei am späten Abend und noch zwei in den frühen Morgenstunden. Joe beschloss, dass er für heute genug
gearbeitet hatte und morgen es etwas entspannter angeht. Vielleicht geht er am Abend mal wieder aus, zu dem Pub in der nähe, wo immer eine angenehme Stimmung herrschte. Bei diesen Gedanken, verspürte er die Lust auf einen Drink. Der Gedanke war verlockend und was kann es schöneres geben, als einen Drink nach getaner Arbeit? Die Füße hoch zulegen und einfach nur zu entspannen… Die Versuchung war groß, doch er wollte sich ihr nicht hingeben. Er wusste, was passieren wird, wenn er den Drink zu sich nähme. Nach dem ersten würde ein zweiter folgen, auf dem zweitem der dritte und nach dem dritten
folgt der nächste. Und das würde so weiter gehen, bis er um sechs Uhr morgens sich Richtung Bett bewegt und dann sofort einschläft und würde mit dickem Schädel erst am frühen Nachmittag aufwachen. Und mit einem Kater war es besonders schwer zu arbeiten, und dies würde nur bei seiner Arbeit stören. Und dies würde dazu führen, dass er schlechte Laune bekommt, welche sich ebenfalls auf seine Arbeit auswirken kann und so dafür sorgt, dass er kein Wort zu Papier bringen kann. Nein, heute genehmigt er sich keinen Drink. Morgen vielleicht, aber nicht heute. Dafür ist es auch zu spät. Lieber
ins Bett gehen und dann ausgeruht wieder an die Arbeit gehen, als mit Kater sich darüber zu ärgern, dass er nichts zu Stande bringt. Ein letztes Mal blickte er auf die Seiten, die er heute geschrieben hatte, dann schaltete er die Schreibtischlampe aus und ging zur Tür, die in den Flur führte. Auf halben Weg zum Schlafzimmer blieb Joe stehen und betrachte das Bild das an der Wand hing. Es war ein Bild aus glücklicheren Tagen, als alles noch sorgenloser war und er glaubte, er könnte seinen Traum nun verwirklichen. Es war eine drei Jahre alte Fotografie, die ein glückliches Paar am Strand
zeigte. Sie lachten in die Kamera hinein und umarmten sich. Sie sahen glücklich aus. Glücklich, dass sie einander hatten. Glücklich, dass sie bald den Bund der Ehe eingingen. Ja, ein Bild, das einen anderen Joe zeigte, einen fröhlicheren Joe. Einen Joe, der nicht ahnte, dass nur wenige Tage später sich sein ganzes Leben verändern würde und er die Person verlieren würde, die er am meisten geliebt hatte. Der ihr über zwei Jahre lang nach trauerte und sich dem Alkohol hingab, um den Schmerz des Verlustes zu entgehen. Doch je mehr er sich dem hingab, desto mehr und mehr verlor er und am Ende stand er kurz vor in das
dunkel Loch der Verzweifelung zu verschwinden. Er erkannte dies erst, als er sah, welches Leid er anderen Menschen durch sein handeln brachte. Und als er dies sah, beschloss er, was dagegen anzukämpfen. Jenes Ereignis, welches ihn zurück ins Leben zurückholen sollte, geschah vor zwei Jahren. Und jenes Ereignis wird er nie vergessen, genauso wie den Tod seiner Geliebten. Eine Innere Stimme in ihn meldete sich, vollkommen überraschend. Sie erinnerte ihn an die alten Tage. Tu es! Vergiss deine Sorgen und Schmerzen. Was macht es für einen Sinn, sich die Mühe zu machen, sich zu
ändern. Am Ende wirst du eh wieder alleine sein und volle Trauer. Dann wird dir nicht mal deine Entschlossenheit helfen… Du wirst eh wieder in das Loch fallen und dieses Mal, wirst du auf den Grund aufprallen… Also, was willst du tun? Weiterhin dich an dein Versprechen halten und all diese Bürden auf dich nehmen, um nur am Ende zu fallen? Oder nimmst du den einfachen Weg und tust das, was du am besten kannst? Es war jene Stimme, die so lange Zeit in seinem Kopf war und für ihn so etwas wie ein Freund wurde. Sie hatte ihn Dinge eingeflüstert, die für ihn eine Art Trost waren, doch letzten Endes den Schmerz nur noch unerträglicher
machten. Sie zwang ihn quasi dazu, das zu tun, was er einst tat. Wessen Stimme es genau war, konnte er nicht sagen. War es seine eigene Innere Stimme? Die Stimme seiner längst verstorbenen Freundin? Oder die seines Vaters, der ihn nie verstanden hatte? Er wusste es nicht. Er wusste nicht mal, ob er sie schon einmal gehört hatte. Vielleicht hat er sich die Stimme ja selbst ausgedacht? Es könnte sein, dass er sich aus Verzweiflung her sich eine Stimme in seinem Kopf ausgedacht hatte, die das sagt, was er hören will. Kann es vielleicht das die Erklärung sein? Kann das vielleicht die Antwort auf die Fragen sein, die er sich schon
seit Jahren stellt? Nein. Nein das kann einfach nicht sein. Und das wusste er selbst. Er machte sich einfach zu viele Gedanken. Er musste aufhören daran zu denken, denn sonst würde dies ebenfalls dafür sorgen, dass er in das Loch fallen könnte. Joe wendete sich vom Bild ab und ging abrupt Richtung Schlafzimmer. Er machte sich nicht mal die Mühe, das Licht anzumachen. Er zog sich bis auf die Unterhose komplett aus und ließ sich auf sein Bett fallen. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass der Schlaf über ihn fallen würde. Er wartete. Und wartete. Und während er wartete, wälzte er sich immer
wieder in seinem Bett hin und her, versuchte das vorhin gedachte zu vergessen und einfach nur in einen sanften Schlaf zu fallen. Doch es gelang ihn nicht. Stattdessen meldete sich die Stimme in seinem Kopf wieder. Wieso versuchst du es so zu vergessen? Ich meine, ist es denn nicht deutlich leichter, wenn du es tust. Wenn du endlich das Zeug wieder zu dir nehmen würdest, dass dir so lange Zeit beim vergessen half. Es hat doch funktioniert, oder etwa nicht? Willst du dir langsam mal nicht eingestehen, dass du es nicht ohne das Zeug schaffst? Du bist davon abhängig und das wird auch immer sein.
Man kann es sich einfach nicht abgewöhnen. Wenn man etwas einmal mit etwas angefangen hat, kann man es einfach nicht so einfach aufgeben. Du müsstest es doch besser wissen, oder? Joe schlug die Augen auf und sah als erstes die Decke seines Schlafzimmers. Die Müdigkeit, die ihn noch heimgesucht hatte, war wie fortgeblasen. Die Worte jener Stimme hallten immer noch durch seinen Kopf und gaben ihn keine Gelegenheit, jemals einzuschlafen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er von seinem Bett auf und ging ins Bad. Helles Licht durchflutete den Raum, als er den Lichtschalter betätigte, und ließen
ihn für eine kurze Zeit erblinden. Mit tastenden Händen bewegte er sich zum Waschbecken. Dort angekommen ließ er kaltes Wasser aufdrehen, welches er sich in Gesicht spritzte. Der Nebel aus Gedanken, der sich in seinem Kopf befand, lichtete sich ein wenig und er konnte ein wenig klarer denken. Er lehnte sich mit beiden Händen gegen das Waschbecken und schaute in den Spiegel, in das Gesicht eines Mannes, der deutlich gealtert war. Tiefe Falten hatten sich um seine Augen, die Augen selbst zeigten die Müdigkeit, die ihn plagte. Er schlief schon eine ganze Zeit lang nicht gut. Seit zwei Jahre lang raubt ihn die
Stimme in seinem Kopf den Schlaf. Und jedes Mal versucht sie, ihn wieder zu seinen alten Angewohnheiten zurück zu kehren. Der Schmerz saß tief, dass wusste Joe selbst, und am liebsten würde er sie vergessen. Doch er wusste auch, dass er das nicht konnte. Und das durfte er auch nicht. Denn wenn man den Schmerz, den man erlitten hatte, vergisst, dann begeht man Fehler, die man einst gemacht hat, ein weiters Mal, und Ereignisse, die auf einem Einfluss hatten, würden einfach nichts bedeuten. Sie würden nur dafür sorgen, dass man wegen ihnen die falschen Dinge tun. Dinge, die man sonst nie getan hätte. Ihnen sich
hinzugeben ist aber auch nicht richtig, und dies würde zu demselben Ergebnis wie beim Vergessen führen. Jeder muss auf seine Art und weise lernen, mit diesen Schmerzen umgehen. Und das so, dass für ihn und seine Umwelt nicht schädigend ist. Nachdem sich Joe’s Augen an das Licht gewöhnt hatten, stütze er sich vom Waschbecken ab und richtete sich auf. Eine Weile lang blieb er auch so stehen und betrachte sein Spiegelbild. Das Bild eines Mannes, der einst glücklich war, in das schwarze Loch fiel und nun den langen Aufstieg nach oben erlebte. Und dieser Aufstieg würde lange dauern, noch länger, wenn er einfach nur dasitzt
und wartet. Er verließ mit raschen Schritten das Badezimmer, zum Arbeitszimmer, wo er die Tischlampe einschaltete und ein neues Blatt Papier in die Schreibmaschine einlegte. Das Kribbeln in seinen Fingern war wieder da und dies war gut. Es war ein angenehmes Gefühl, welches ihn dem Verlangen gab zu schreiben. Und dieses Kribbeln kam gerade zur rechten Zeit. Denn gerade in diesen Moment, kam ihn eine Idee. Eine Idee, für einen Roman, den er schon lange schreiben wollte, es aber nicht konnte. Er würde mit dem jetzigen nicht aufhören, dafür war er zu weit gekommen. Doch wenn er den Moment
nicht sofort nutzt, müsste er wieder warten, bis sie wieder kam. Und dies wollte er nicht. Er legte die Finger auf die Tasten der Schreibmaschine und begann zu tippen. Erst ging es langsam voran und er überlegte sich jedes Wort, welches er aufschreiben wollte. Dann wurden seine Finger immer schneller und schneller, und die Worte flossen nur so aus den Fingern. Sie waren stärker als alles, was er je zuvor geschrieben hatte. Der Stil war besser als jemals zuvor und er wusste gleich sofort, dass dieser Roman großartig sein wird. Bis zu den frühen Morgenstunden schrieb er. Müde blickte Joe auf das, was
er geschafft hatte und lächelte. Er war stolz auf das, was er geschafft hatte. Eine inner Zufriedenheit erfüllte ihn und er begann zu erahnen, dass es der Roman ist, den er all jenen, die er geliebt hat, versprochen hatte. Mit diesen Gedanken, ging er zurück ins Schlafzimmer und legte sich wieder ins Bett. Und zum ersten Mal seit Monten schlief er sofort ein.