Der lebendige Teig
Es war kurz nach Weihnachten. Die Bäckerei, in der die kleinen Helferlein des Weihnachtsmannes und die Engel normalerweise die feinen Weihnachtsplätzchen backen, war schon lange verlassen. Die kleinen Zwerge hatten alles sauber gemacht. Doch dieses Jahr war etwas ein kleines bisschen anders als sonst. Die Zwerge, die in dieser Bäckerei sauber machten, hatten das erste Mal seit Jahrtausenden etwas übersehen. Die Bäckerei war vollkommen leer und sauber, nur in einer Ecke, ganz versteckt zwischen Backofen und Wand,
lag ein Stück Teig. Und wie das nun mal so ist, der Teig in der Weihnachtsbäckerei ist anders als der Teig, den Menschen verwenden. Im Teig der Weihnachtsbäckerei sind so viele Gefühle und Gedanken mit eingearbeitet, dass der Teig selbst auch sprechen und denken kann. Der Teig dachte: „Ich fühle mich so einsam. Alle sind weg.“ Der Teig versank immer mehr in seiner Traurigkeit.
Als der Schnee zu schmelzen begann, entdeckten ein paar spielende Kinder plötzlich die verlassene Bäckerei durch die offen stehende Tür. Wie das nun mal so ist, sie entdeckten auch den Teig, der
natürlich erst einmal nichts sagte, schließlich wollte er die Kinder nicht erschrecken, und er wusste dass ein sprechender Teig von den Menschen als seltsam und erschreckend angesehen werden würde. Es waren eine ganze Menge Kinder, die da in der Bäckerei umher liefen. Leon nahm den Teig und formte ein Pferdchen. Der Teig dachte bei sich: „Oh nein, ich will doch kein Pferdchen sein.“ Wieder eine weile später kam Chantal. Chantal formte den Teig zu einer Puppe, und wieder dachte der Teig: „Nein, ich will keine Puppe sein.“ Dann kam Alexander, und Alexander formte den Teig zu einem Ball und warf ihn immer wieder hoch, runter,
hoch, runter. Dem Teig wurde ganz schwindelig, doch er hielt durch und sagte nichts davon, dass er ein besonderer Teig war. So ging es über eine sehr lange Zeit. Die Kinder ernährten sich in dieser Zeit von den übriggelassenen Teigstückchen. Irgendwann gingen die Kinder wieder nach Hause und der Teig dachte: „Endlich hab ich meine Ruhe.“ Doch falsch gedacht. Chantal nahm den Teig und steckte ihn in die Tasche. Der Teig musste husten, weil es in der Tasche so stickig war. Doch Chantal schien nichts davon gehört zu haben. Zuhause angekommen sagte ihre Mutter, sie solle doch die Tasche auspacken. Als sie den
Teig fand, schrie sie nur: „Iiiiiiih, was ist das denn?“ Chantal sagte: „Das ist ein ganz lieber Teig, ich hab ihn gefunden.“ Die Mutter lachte und verstand es nicht und sagte: „Hör auf mit dem Blödsinn. Ein Teig kann nicht lieb sein. Das ist doch nur zusammengemischtes Mehl, Zucker usw. Tja, Chantal hatte eben noch die Gabe zu spüren, wann etwas Besonders war. Ihre Mutter schien das schon lange verlernt zu haben.
Obwohl Chantal Zeter und Mordio schrie, auf die Mutter klopfte und schrie: „Maaaama, mein Teig, mein Teig, ich brauche ihn“, doch ihre Mutter ließ sich nicht erweichen und schmiss den Teig in
den Mülleimer. Chantal ließ das ganze nicht in Ruhe, und als sie nachts dann auch noch ein leises „Rette mich, rette mich“ aus dem Küchenmülleimer hörte, schlich sich Chantal in die Küche und grub den Teig zwischen Bananenschalen und andren Küchenabfällen wieder aus. Chantal war zwar schon etwas verwundert, dass ein Teig mit ihr sprach, doch sie wusste es noch, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als man es sich normalerweise vorstellen kann.
Der Teig bat Chantal, ihn zurück zu bringen zu der Bäckerei, ihn zu einem Dambedei zu formen und in den Ofen zu
stecken. Chantal tat dem Teig den Gefallen, und der Teig war so dankbar, dass er nun endlich das werden durfte, als was er sich fühlte, und nicht mehr das sein musste, was andere aus ihm machen wollten.
Chantal ging nach Hause, und jedes Jahr, wenn sie Weihnachtsplätzchen aß, musste sie an den Teig denken und daran, ob er wohl noch Brüder und Schwestern hatte. Vielleicht sogar unter den Menschen?
P.S. Wer wissen will was ein Dambedei ist, dem hilft das WWW, und wenn nicht, der darf auch mir schreiben.