Pfütze Ich bin wie eine Pfütze, immer allein.
Keiner mag mich, ich bin fĂĽr alle nur ein Hindernis, eine Stolperfalle.
Wenn es regnet, werde ich zu einem Erdloch, in dem man versinken könnte.
Wenn es schneit, werde ich zur Rutschpartie und sorge fĂĽr Verletzungen.
Doch wenn ich im Regenwetter die glücklichen Kinder sehe, die in mir herumtollen und Spaß haben, erhält ihr Lachen wieder mein Leben.
Nach dem Regen spiegelt sich ein wunderschöner Regenbogen in mir. Vielen durstigen Tieren gebe ich Wasser.
In letzter Zeit regnet es öfter und immer mehr Pfützen bilden sich, ich bin nicht mehr allein.
Jetzt werden im Winter aus uns wundervolle Eisbahnen und fantastische Eiskunstläufer tänzeln über uns hinweg.
Viele Dinge geben meinem Leben jetzt wieder Freude.
1.Kapitel Meine Geschichte
Meine beste Freundin Mona hat meiner Familie und mir Freikarten fĂĽr den Movie-Park geschenkt, welche sie selbst gewonnen hatte. Ihre Eltern wollten aber nicht mit ihr dorthin fahren. Als wir am Freitag, heute ist Mittwoch, nach Bottrop fuhren, mussten wir ĂĽber die vereiste Autobahn.
Mein Dad fuhr vorsichtig und langsam, als es hinter uns krachte. Es ging alles so schnell. Meine Eltern, die beide vorne saĂźen, starben sofort, als ein weiteres Auto in die Windschutzscheibe krachte.
Mein Bruder, der rechts neben mir saĂź,
starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Meine beste Freundin, sie saĂź links von mir, riss sich den Hals am Sicherheitsgurt auf und erstickte neben mir auf dem Sitz.
Panisch versuchte ich ihr zu helfen, aber es war zu spät.
Noch einmal krachte es und auch ich spĂĽrte nur noch einen Schlag auf der Stirn. Ich knallte mit dem Kopf gegen den Vordersitz und zog mir ein Loch im Kopf und eine leichte GehirnerschĂĽtterung zu. Erst dachte ich, auch meine Zeit sei gekommen, aber so einfach wollte es mir das Schicksal nicht
machen!
Immer wenn ich an diesen Tag dachte, schossen mir die brennenden Tränen in die Augen, genau wie jetzt.
Das Wochenende verbrachte ich im Krankenhaus, genau wie Freitagnacht.
Später stellte sich noch heraus, dass ich mir auch das Schienbein und das linke Handgelenk gebrochen hatte.
Erst am Montag erlaubten mir die Ärzte, im Krankenhaus herumzulaufen. Eigentlich konnte man sich ja denken, wir es aussah. Und ich hätte nicht herumlaufen, sondern herumhumpeln schreiben
sollen!
Ich hatte keine Schmerzen, nur wenn ich daran dachte, dass ich die wichtigsten Menschen meines Lebens verloren hatte.
Wo sollte ich jetzt wohnen?
Bei meiner Oma nicht, denn sie lebte in einem Pflegeheim.
Sonst hatte ich keine Familie mehr.
Mein Patenonkel war letztes Jahr nach Italien ausgewandert und seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.
Das Jugendamt wollte mich nicht in ein Heim schicken, dafür wäre ich zu deprimiert. Sie wollten mich direkt in eine neue Familie stecken, am besten in Eine mit mehreren Kindern. Dann hätte
ich jemanden zum Reden. Aber wofĂĽr braucht man Geschwister? Zum Reden bestimmt nicht!
Mit meinem Bruder hatte ich auch ĂĽberhaupt nichts zu reden, die einzige Gemeinsamkeit, welche wir besaĂźen, war, dass wir dieselben Eltern hatten.
Eins stand fest, nie wieder wĂĽrde es so werden wie frĂĽher und das machte mir Angst.
Vielleicht würde ich nie wieder glücklich werden. Vielleicht könnte ich nie mehr lachen.
Aber wer konnte mir diese Fragen schon
beantworten?
Ich musste täglich eine halbe Stunde zu einem Pyscho-Therapeuten gehen, besser gesagt, eher humpeln, der mich wieder aufrichten sollte.
Er meinte ich wäre schon auf dem Weg der Besserung. Aber nur äußerlich, ich war eine sehr begabte Schauspielerin, ich fraß den ganzen Schmerz in mich hinein. Langsam hatte ich das Gefühl, immer leerer zu werden.
Nachdem die Krankenschwestern meine Geschichte gehört hatten, war ich der Liebling auf der Station.
Und alles drehte sich um mich „Das arme
Waisenkind!“
Wie ich es hasste, wenn die Leute so redeten. Jeder der mich so blöd ansah, erinnerte mich an den Unfall.
Irgendwann, nach ein paar Wochen oder so (denn im Krankenhaus vergisst man oft die Zeit) zeigte mir mein Therapeut den Zeitungsausschnitt:
Unfall auf der Fahrbahn bei Bottrop
In der Nacht von Freitag auf Samstag den 3. auf den 4. geriet ein Lastkraftwagen ins Schleudern und riss acht weitere Autos mit sich. Mehr als vierzehn Menschen kamen ums Leben, weitere neun wurden schwer verletzt. Zu den Überlebenden gehörte auch ein
13-Jährige, die bei dem Unfall Mutter, Vater und ihren Bruder sowie ihre Freundin verlor. Das Mädchen wurde in die Uniklinik eingeliefert.
Die Polizei ermittelt noch, wie es zu so einem tragischen Unfall kommen konnte.
Ich versuchte mich zusammenzureißen, aber ich konnte nicht mehr alles in mir anstauen. Ein Schluchzen, gefolgt von vielen Tränen ließ sich nicht vermeiden.
„Du brauchst dich wegen deiner Tränen nicht zu schämen!", sagte er ruhig, „Falls du Angst hast, dass ich das weiter sage, kann ich dich beruhigen, ich habe ärztliche Schweigepflicht!"
„Ich habe keine Angst!", versicherte ich
ihm, "Aber sie können sich gar nicht vorstellen, wie das ist, seine Familie zu verlieren. Und zu wissen, dass man selbst dran schuld ist!"
„Es ist ganz normal, dass du dir die Schuld gibst, dies ist aber nicht richtig!"
Verwundert schaute ich in seine Richtung, konnte ihm aber nicht in seine stechenden grĂĽnen Augen sehen. Die Augen waren zu grĂĽn, wahrscheinlich trug er Kontaktlinsen.
Ich wollte auch immer schon grĂĽne Augen haben, vielleicht konnte ich ihn ja fragen wo er ...
„Hatten Sie schon immer grüne Augen?", fragte ich vorsichtig.
„Gestern und vorgestern hatte ich
blaue!", er lächelte erleichtert, „Ich glaube du bist auf dem Weg der Besserung!"
„Danke!“, ich lächelte nett, wollte aber mehr wissen.
„Wissen sie, was jetzt passiert?“
„Nein, aber ich werde dafür sorgen, dass du nicht in ein Heim kommst!“, versprach er und hob die Hand, wie bei einem Schwur.
„Aber wo soll ich denn hin? Soll ich für immer hier bleiben? Und was ist mit der Schule?“, es wunderte mich, dass ich mit diesem Thema anfing.
„Deine Gesundheit geht vor!“, er schmunzelte.
„Ich werde noch mehr als ein halbes
Jahr rumhumpeln!“
„Ja, aber …“
Er wurde von einem Arzt unterbrochen, der hektisch den Raum betrat. Ich saß auf meinem Bett, es war ordentlich von meiner Lieblings-Krankenschwester gemacht worden. Mein „Nervenarzt“ saß mir gegenüber auf einem Schaukelstuhl.
„Oh, störe ich, ich wusste nicht, dass Sie hier sind, Dr. Plaught!“
„Nicht schlimm, was gibt´s denn?“
„Wir haben Neuigkeiten für dich, Leonie!“
„Ja!“, interessiert war ich nicht besonders, aber ich versuchte begeistert zu klingen.
Er hielt mir ein weiĂźes Blatt unter die
Nase, meine Augen waren von der ganzen Weinerei total angeschwollen. Immer wenn ich blinzeln wollte, tat das Auge so weh.
„Oh, tut mir leid, soll ich es dir vorlesen?“
„Ja, bitte!“
„Das hier ist ein Brief von deiner neuen Pflegefamilie. Sie wohnen im Kreis Köln. Sie haben auch einen Sohn, der auch … dazu gestoßen ist“, er zögerte, damit er nicht adoptiert sagen musste. „Sie freuen sich riesig, dich kennenzulernen. Die meisten Familien kommen erst, um sich die Kinder anzuschauen und um sie kennenzulernen, aber diese Familie
möchte dich so schnell wie möglich zu sich nach Hause holen. Es scheinen sehr sympathische Leute zu sein. Ein eigenes Haus besitzen sie auch!“
„Das ist mir egal! Ich will in unser altes Haus, mit meiner Familie, und bevor sie mir sagen, dass es nicht geht, sage ich, lassen sie mich wenigsten noch einmal dort hin, um meine Sachen zu holen!“
„Natürlich, eine Frau vom Jugendamt fährt morgen mit dir dorthin, dann hast du etwa Zeit, dich zu verabschieden, anschließend will sie dich dann zu deiner neuen Familie bringen!“
„Dann muss ich ja jetzt schon packen!“
„Du hast doch noch gar nicht richtig ausgepackt!“, meine Lieblingsschwester
stand in der Tür und lächelte.
Wir warteten, bis die beiden Ă„rzte das Zimmer verlassen hatten, dann stĂĽrmte sie auf mich zu und umarmte mich. Trotz meines gebrochenen Handgelenks erwiderte ich ihre Umarmung heftig.
„Ruf mich jedes Wochenende an, du hast ja meine Nummer!“
„Mach ich, ich werde dir auch schreiben, wenn meine Hand wieder ...“
Sie nickte stumm, dabei schaute sie mir tief in die Augen.
„Du bist das stärkste Mädchen, das ich je kennenlernte!“
„Hä?“
„Was du durchmachen musst, wünsche
ich niemanden, aber sonst hätten wir uns nie kennengelernt!“
Ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter, denn sie war mir richtig ans Herz gewachsen. Schließlich war sie in den letzten Tagen die einzige Frau, mit der ich richtig, von Mädchen zu Mädchen reden konnte, denn sie studierte noch.
„Dann müssen wir wohl jetzt Abschied nehmen!“
„Warum?“
„Du weißt doch, dass ich nur tagsüber hier bin!“
„Ja, stimmt!“, seufzte ich, „Weißt du, wann ich morgen abgeholt werde?“
„Ja, bereits um sechs!“, sie schluckte, „Und ich habe erst um Acht Uhr Schicht.
Leider fährt so früh kein Zug hierher, sonst wäre ich ja noch gekommen, aber …!“
„Danke!“
„Viel Glück, und ruf direkt an, hörst du?“
„Ja, ja.“
Der Abschied fiel mir schwer, jetzt verlor ich noch einen wichtigen Menschen fĂĽr mich.
Fortsetzung folgt
© Januar 2010Â