Drachenfeuer
Beitrag zum Forumsbattle 30
Kurzgeschichte,
Thema: Mobbing
Cover: eigenes Foto
Autor: fleur 11.02.2014
Pflichtwörter:
Katzenauge, Läufer
Fingerhut, Schmutz
Nähmaschine, Luft
Geld, Egoismus
Tafel, Computer
hinterhältig (Joker)
Vorbemerkung
Der Bär Grischa ist eigentlich Gregor, ein Mensch, der von der „Herrin der Tiere“ des Zwischenreiches zum Schamanen auserkoren und mit einer tiermenschlichen Doppelnatur ausgestattet worden war… Um den sich häufenden Verwandlungen in einen Bären ein Ende zu bereiten, hatte er den sibirischen Schamanen Awdeijitsch in der Region Burjatien, am Baikalsee, um Hilfe aufgesucht und sich in dessen Tochter Daarsuren verliebt. Obwohl diese seine Liebe zutiefst erwiderte, hatte Awdeijitsch in seinem Zorn das Liebespaar als Sternbilder Großer und Kleiner Bär in den Himmel geschossen …
Drachenfeuer
Auf der Nordhalbkugel der Erde lag der Winter in den letzten Zügen, in Europa war gerade Nacht. Still für sich hing Grischa seinen Gedanken nach. Wie gern würde er mit seiner Taigablume, wie er Daarsuren liebevoll nannte, wieder auf der Erde weilen, ihr sein Heimatland und auch andere schöne Orte zeigen. Mit ihren 27 Jahren war sie noch nie aus Sibirien herausgekommen...
Bevor er sich allzu sehr in seinen Erinnerungen an die weiche Frühlingsluft der Provence, das Licht der Toskana und Spaniens wilde Mittelmeerküste verlor, wandte er sich ihr, seiner kleinen Bärin,
wieder zu. Das früher so fröhliche, anmutige Burjatenmädchen wirkte in letzter Zeit oft traurig und in sich gekehrt, so dass er mit ihr litt. Bisweilen spürte er in ihr auch eine Ängstlichkeit und Unruhe, die er sich nicht erklären konnte.
„Liebster, siehst du diesen leuchtenden Fleck in der Nähe des Drachenkopfes? Mir scheint, er wechselt seine Farbe“, schaltete sich Daarsuren in diesem Moment in seine Gedanken ein. So war es ihnen möglich, sich ohne zu sprechen miteinander zu verständigen.
„Bei einem Sternennebel ist das vielleicht normal. Möglicherweise haucht dort ein Stern sein Leben aus?“ versuchte er sie zu beruhigen.
„Das ist der berühmte Katzenaugennebel“, erklärte sie, „er gehört zum Sternbild Drache. Früher habe ich mir im Computer einmal Bilder von ihm angeschaut.“
„Er sieht eigentlich wunderschön aus“, sinnierte er, „obwohl ich diesen Drachen insgesamt hasse, weil er genau zwischen uns steht!“
„Ja, mein Vater hat trotz des Wodkas gut gezielt, als er uns hier herauf schoss! Anfangs schien mir der Drache tot zu sein, er störte mich nicht. Doch seit Weihnachten hat er sich verändert. Manchmal habe ich das Gefühl, er bewegt sich, flackert mit den Augen und würde am liebsten Feuer gegen mich speien, Schmutz nach mir werfen …“
„Wieso gerade seit Weihnachten?“ wollte er
wissen.
„Weil da die ganzen Hexen, Teufel und Drachen von der Erde verbannt wurden. Erinnerst du dich nicht, wie sie hier vorbeigeflogen sind und verglühten? Da habe ich ihn laut fauchen gehört und sah Flammen aus seinem Maul schlagen. Er muss mit den anderen von der Erde gekommen sein und macht mir Angst.“
„Aber nein, er war doch schon hier, als wir kamen“, gab er zu bedenken.
„Das spielt keine Rolle, die Sternbilder Großer und Kleiner Bär waren ja auch schon vor uns hier …“
„Das stimmt allerdings. Mag sein, er ist wirklich von der Erde gekommen. Aber was soll er dir tun? Er kann aus seinem Sternbild
ebenso wenig heraus, wie wir!“ versuchte er sie endgültig zu beschwichtigen.
„Vielleicht sehe ich auch Gespenster“, gab sie zu, „ich muss in letzter Zeit oft an meine Stiefmutter Marfa denken, obwohl mein Vater sich wegen ihrer Bösartigkeit schon vor vielen Jahren von ihr getrennt und sie samt ihrer Tochter Doska aus dem Haus geworfen hat. Ich kenne niemanden, der so hinterhältig ist wie sie!
Mir war neulich so, als hörte ich sie hier nach Doska rufen, habe ihre Stimme sogar noch im Ohr..."
Erstaunt und zutiefst schmerzlich berührt vernahm Grischa nun Daarsurens traurige Geschichte, wie sie jahrelang von ihrer
Stiefmutter und der Stiefschwester regelrecht gemobbt worden war.
Von einer versehentlich abgebrochenen Nähmaschinennadel war die Rede, mit der alles begonnen hatte, von einem Wachsfleck auf dem Tischläufer, von den falschen Bezichtigungen, sie hätte der Stiefmutter fünfzig Rubel sowie einen goldenen Fingerhut gestohlen, den in Wirklichkeit eine diebische Elster von der Veranda stibitzt hatte. Und das Geld war ihr mit Sicherheit von der eigenen Tochter entwendet worden, die in ihrem Egoismus und in ihrer Putzsucht nie genug an schönen Kleidern bekommen konnte, während sie, Daarsuren - der „Burjatentölpel“, kaum mal ein neues Kleidungsstück erhielt und die abgelegten
von der zwei Jahre älteren Doska auftragen musste …
Hier unterbrach sie ihren Bericht mit einem schadenfrohen, lautlosen Lachen.
„Du weißt sicher, dass Doska auf Russisch Brett oder Tafel heißt. Diesen Namen hat sie ihrer dämlichen Mutter zu verdanken, die sie hochtrabend Tosca nennen wollte, jedoch den Namen nicht mal richtig schreiben konnte!“
Auch Grischa musste grinsen, was ihm jedoch sofort verging, als er von den drakonischen Strafen hörte, mit denen sie immer wieder belegt worden war.
„Moment mal, bitte“, unterbrach er sie schließlich zornig, „und wieso ist dein Vater da
nicht eingeschritten?“
„Ach, Lieber, als ich noch klein war, hatte sie mir angedroht, mich zu vergiften, wenn ich ihm was sagen würde … Und außerdem war er viel unterwegs, hat also das meiste tatsächlich nicht mitbekommen. Als er es eines Tages merkte, war er total entsetzt und hat sie beide sofort rausgeschmissen.“
Wie gern hätte Grischa seine Taigablume tröstend in den Arm genommen … Aber wie?
Er war von einer unglaublichen Wut erfüllt. Was auch immer die gehässige Stiefmutter seiner Liebsten jahrelang angetan hatte, die grausame Untat des Vaters stand dazu in keinem Vergleich, dafür würde es niemals eine Entschuldigung geben! Wie konnte
Awdeijitsch nur seine eigene Tochter mit ihm in den Himmel schießen!
Die böse Marfa ging ihm nicht aus dem Kopf, so dass er sich um Kontakt zu anderen vertrauenswürdigen Sternbildern bemühte, um Erkundigungen über den Drachen einzuholen.
Kurze Zeit später erhielt Grischa eine Botschaft vom Schwan, der Darsurens Vermutung bestätigte. Auch er, der Krebs und der Löwe hatten gehört, wie das böse Weib vom Drachen her nach ihrer missratenen Tochter rief, die in der vielköpfigen Hydra - der Wasserschlange – einem Sternbild in der Nähe von Krebs, Löwe und Jungfrau,
steckte.
Offenbar waren die beiden in der Weihnachtsnacht mit dem Drachengeschwader gekommen und hatten sich heimlich in den Sternbildern eingenistet, anstatt mit den anderen zu verglühen.
Kurzerhand hatten die Sternbilder daraufhin beschlossen, dass In der nächsten Vollmondnacht außerplanmäßige Meteorströme gestartet werden sollten. Die Leoniden, aus dem Sternbild Löwe, hin zur Wasserschlange, und die Draconiden, direkt aus dem Kopf des Drachen, der ihn restlos ausbrennen würde... Damit würde den beiden Ungeheuern endgültig die Macht genommen sein, weiteres Unheil
anzurichten.
Diese Nachrichten von der Solidarität der Sterne wärmten Grischa das Herz und würden Daarsuren die Angst nehmen.
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© fleur 2014