Biografien & Erinnerungen
Beim Fotografen

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"Beim Fotografen"
Veröffentlicht am 10. September 2008, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Beim Fotografen

Beim Fotografen

Beschreibung

Die Jugendzeit, wer erinnert sich später nicht gern daran... wir hatten zwar wenig Geld, kein Auto... aber dafür sehr viele Träume... und auch so manch lustiges Erlebnis...

Es war in den Sechzigern, in einem kleinen Städtchen am Ende der Welt, wie meine Schwester immer zu sagen pflegte. Wir beide waren gerade im schönsten Teenageralter und eben daran, die Männerwelt zu entdecken. Samstag ging´s zum Tanz oder ins Kino oder einfach nur zum Tratsch in ein Kaffeehaus.
Sonntag Nachmittag drehten wir, wie alle anderen auch, endlose Runden in der Innenstadt  und wechselten dabei oft die Richtung,  je nachdem, wer vor uns oder hinter uns marschierte.
Wir gingen nicht zusammen, denn jede von uns hatte ihre eigene Clique, ihren eigenen Bekanntenkreis. Abends hatten wir uns immer viel zu erzählen, denn wir verstanden uns sehr gut.
Jeden Sonntagvormittag waren wir stundenlang damit beschäftigt, uns für den Nachmittag zurecht zu machen. Es wurde stundenlang gebadet, die Haare gewaschen und in Form gebracht, die Blusen gebügelt und die Schuhe geputzt. Zaghafte Schminkversuche folgten, kurzum wir hatten viel zu tun und meist noch viel mehr zu besprechen.

Und so passierte es eines Tages: Ich lag gemütlich in der Badewanne und meine Schwester war im Vorzimmer mit dem Bügeln ihrer Sachen beschäftigt, unterhalten haben wir uns durch die geschlossene Badezimmertür. Worum es im Einzelnen ging, weiß ich heute nicht mehr genau, es müssen aber ganz aufregende Geschichten gewesen sein, denn plötzlich stieß meine Schwester einen lauten Schrei aus.

Vor lauter Tratschen hatte sie auf ihr Bügeleisen vergessen und ein riesiger Brandfleck zierte nun die Vorderseite ihres neuen Pullovers.    

Heute wäre so etwas kaum ein Problem, damals war es aber eine kleine Katastrophe. Wir hatten ja nicht viel zum Anziehen. Ein dreiteiliger Kasten reichte für unsere gesamte Familie. Geld hatten wir kaum, ich war noch Lehrling und sie besuchte die Handelsschule.

Ausgerechnet dieser blaue Pullover, der als einziger zu ihrem fliederfarbenen Kostüm  - ihrer Sonntagsgarderobe – passte, sie war untröstlich.

Gemeinsam betrachteten wir lange den Schaden. Da war nichts mehr zu machen, der Fleck war braun und blieb braun, sogar ein kleines Loch war zu sehen.

Zu allem Überdruss hatten wir für nächsten Tag einen Termin mit einem Fotografen in Wien vereinbart, denn der Muttertag nahte und wir wollten unsere Mutter mit einer schönen Fotografie überraschen. Den Wunsch hat sie nämlich öfter geäußert, ein Foto von uns beiden, solange noch keine verheiratet ist.

Wir beratschlagten lange, doch wir fanden keine andere Lösung, als trotzdem zu fahren.

Sie in ihrem fliederfarbenen Kostüm, ich in einem hellblauen, so machten wir uns mit dem Autobus auf die Reise nach Wien.

Von ihrem Pullover sah man nur den Ausschnitt und der war in Ordnung, denn der Fleck saß tiefer. Niemand würde etwas merken.

Der Fotograf, ein Meister seines Faches, begutachtete uns lange, zupfte unsere Frisur zurecht und forderte uns schließlich auf, die Jacken auszuziehen. Natürlich weigerten wir uns, erfanden allerhand Einwände, doch er ließ nicht locker. Die Jacken mussten weg.

Daraufhin versuchte meine Schwester mit hochrotem Gesicht, sich unter allerlei Verrenkungen die Jacke auszuziehen, ohne den Fleck preiszugeben. Ich war ihr behilflich und versuchte sie abzuschirmen, so gut es eben ging.

Da stand sie nun, hilflos mit gesenktem Blick, die linke Hand fest auf ihren Bauch gepresst.

Verwundert sah der Fotograf ihre verkrampfte Haltung und forderte sie auf, sich etwas zu entspannen, sonst könne er kein gutes Bild machen.

Geistesgegenwärtig erklärte ich ihm jetzt, meine Schwester hätte sich erst kürzlich den Arm gebrochen und könne ihn daher nicht ausstrecken. Außerdem hätte ihr schon das Ausziehen große Schmerzen bereitet.

Jetzt war er voll des Mitleids und entschuldigte sich mehrmals recht wortreich. Sofort durften wir auf einer Bank Platz nehmen und die Fotos wurden nun im Sitzen gemacht.

Es wurden sehr gute Bilder, von der vorgehaltenen Hand war nichts zu merken.

Der Muttertag war gerettet.

Stolz überreichten wir unserer Mutter an ihrem Ehrentag ein großes Bild in einem silbernem Rahmen.

Als wir ihr dann noch die Geschichte vom Fotografen erzählten, kullerten ihr vor lauter Lachen die Tränen über die Wangen und auch Jahre später haben wir über diese Episode noch oft gelacht.
        

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ulla

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ulla Re: liebe ulla -
Zitat: (Original von derrainer am 13.05.2012 - 12:57 Uhr) dieses sind die erinnerungen , die immer wieder gern zutage kommen .
und manches mißgeschick ist der anlass dafür .
ich denke du hast beim verfassen dieser geschichte gelächelt und sie mit freuden niedergeschrieben .
es hat sich gelohnt , die schönsten geschichten schreibt das leben .

lieben gruß rainer


Du hast mir wohl über die Schulter geschaut, nicht nur beim Schreiben der Geschichte auch jetzt bei den Kommentaren kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, die Erinnerung lebt noch immer
danke fürs Lesen und noch einen schönen Restsonntag
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Am Ende der Welt, ... -
Zitat: (Original von pekaberlin am 13.05.2012 - 12:28 Uhr) ... Ulla? Ist das nicht da, wo sie auch anfängt?
Schön geschrieben! Ich hoffe doch, den Pullover gibt es noch.
Ich hab da noch ein Stück eingeschmolzenen Teppichs, in Form eines Bügeleisens, Ergebnis einer Testreihe meines Ältesten. Er wird 's zur Hochzeit bekommen!
Liebe Grüße Peter


Nein, der Pullover ist längst im Jenseits... lach, doch das Foto hüte ich wie meinen Augapfel (meine Mutter hatte es lange Jahre an der Wand des Schlafzimmers hängen) ...
das Hochzeitsgeschenk für deinen Sohn - du hast vielleicht Ideen :-)))
ja so alte Familiengeschichten sind es wirklich wert niedergeschrieben zu werden
noch einen netten Abend und liebe Grüße
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: ***** -
Zitat: (Original von erato am 13.05.2012 - 00:04 Uhr) Meisterin,
Gedankenflug durch Menschgeschichte -
der Muttertag ist eng dabei.
Ich liebe diese Erinnerungen...
GglG Thomas


Danke Thomas,
solche Tage bringen gerne so manche Erinnerung hoch, standen wir doch selbst einst mit klopfenden Herzen und einigen selbstgepflückten Blümchen vor unserer Mutter, bald darauf verwöhnten mich meine Kinder, und heute ist mein Enkel schon seit Wochen aufgeregt... das Leben kann so schön sein...
Danke fürs Lesen und noch einen netten Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Lach..... -
Zitat: (Original von KarinB am 12.05.2012 - 22:55 Uhr) da fühl ich mich ja noch richtig jung wenn ich bedenke dass ich 1966 auf die Welt kam :)

Also laut meiner Mama waren das gute Jahre :)

Schöne Geschichte

GLG Karin


Da hat deine Mama recht, denn in dieser Zeit hatten wir auch schon einige Blusen mehr, obwohl lange Hosen für Frauen noch immer verpönt waren... lach
danke fürs Lesen und noch einen netten Abend
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Beim Lesen kommen auch -
Zitat: (Original von baesta am 12.05.2012 - 22:34 Uhr) mir wieder alte Erinnerungen hoch. Mal sehen, ob es mir auch gelingt, sie so schön zu beschreiben, wie Du es getan hast.

Liebe Grüße
Bärbel


Ja Bärbel, man sollte so vieles festhalten, in dieser schnelllebigen Zeit ändert sich vieles und die alten Zeiten geraten schnell in Vergessenheit,
welches Kind läuft heute noch den Sommer über barfuß, außer im Schwimmbad....
danke fürs Lesen und noch einen schönen Restsonntag
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von Luap am 12.05.2012 - 22:12 Uhr) Herzhaft schön, diese Geschichte... ich lieben Erzählungen aus alten Zeiten...

Liebe Grüsse
Paul


Danke Paul,
vor allem für den Favo,
solche oder ähnliche Geschichten gibt es wahrscheinlich in jeder Familie, heute kann man sich vieles nicht mehr vorstellen, was damals eigentlich selbstverständlich war...
dir noch einen netten Abend
ulla

Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Schöne Erinnerungen! -
Zitat: (Original von Fuchs1957 am 12.05.2012 - 19:00 Uhr) Eine schöne Muttertagsgeschichte. Man hatte wenig und freute sich riesig!
Steffen


Es war eine ganz andere Zeit, wir hatten wirklich nicht viel, doch ich glaube so richtig merkten wir es nicht, denn es gab immer noch viel ärmere und man lernte zu teilen
danke fürs Lesen und noch einen schönen Restsonntag
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Weißt du, -
Zitat: (Original von kullerchen am 12.05.2012 - 18:59 Uhr) liebe Ulla, wenn an Gegenständen so tolle Geschichten hängen, kann ich mich selten von ihnen trennen und so passiert es, dass wir bei einem Familientreffen einfach mal herzhaft lachen, wenn ich einen dieser Gegenstände auf den Tisch bringe. Jeder hat meist was beizutragen und der Rest lacht einfach mit.

Langsam bräucht ich eine Scheune!

Eine tolle GEschichte, die zuerst ja eine Katastrophe war. Meine Oma sagte immer "Mädel, dumm kann man sein, aber man muss sich unbedingt zu helfen wissen!"

Viel später merkte ich das dieser Spruch eine Pointe enthielt. Wer sich zu helfen weiß, ist keinesfalls dumm.

Ha und ihr beide ward wirklich schlau. Dazu kommt, dass du gut erzählen kannst.

Eine tolle Geschichte, danke Simone!


Das Foto (längst aus dem Nachlaß meiner Mutter) hüte ich noch heute wie einen kostbaren Schatz,
und wie du schreibst, diese viele Kleinigkeiten, die sich so ansammeln, sie sind unser Leben, erzählen uns immer wieder ihre Geschichten...
danke fürs Lesen und glg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: -
Zitat: (Original von GerLINDE am 12.05.2012 - 18:52 Uhr) Hallo Ulla,

diese Geschichte war es wirklich wert, für uns hier bei myStorys niederzuschreiben. Sehr gern gelesen und mitgefühlt....Tolle Ausrede beim Fotografen gehabt, aber die Situation war gerettet !

Liebe Grüße
Gerlinde

Lang, lang ist's her, doch wir können noch heute darüber lachen... es war wirklich eine ulkige Situation
danke fürs Lesen und noch einen schönenSonntag
glg
ulla


Vor langer Zeit - Antworten
derrainer liebe ulla - dieses sind die erinnerungen , die immer wieder gern zutage kommen .
und manches mißgeschick ist der anlass dafür .
ich denke du hast beim verfassen dieser geschichte gelächelt und sie mit freuden niedergeschrieben .
es hat sich gelohnt , die schönsten geschichten schreibt das leben .

lieben gruß rainer
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