Manni, in Unterweltskreisen „The Ghost“ genannt, tippte gerade den Code ein, damit sich die schwere Eichentüre zu einer riesigen Villa öffnete. Nicht, dass Manni die Zahlen gewusst hätte. Ein Blaulichtgerät verriet ihm die zuvor eingetippte Zahlenkombination anhand der Abdrücke.
Klack, die Tür entriegelte sich und gleichzeitig auch der zugehörige Alarm.
Wie praktisch, lächelte the Ghost, der sich damit auskannte. Schnell wischte er lautlos herein. Eine große Tasche, um seine Schulter gehängt, behinderte ihn kaum. Manni war professionell geschickt als lautloser Einbrecher. Leise schlich er zielstrebig die breite Treppe nach oben in den ersten Stock. Die zweite Türe links führte in das Büro des
Hausherren.
Ein kurzer Trick mit dem Dietrich am Türschloss, schon war er drinnen. Der Raum war das übliche, protzige Terrain. Alles vertäfelt. Irgendein großes Gemälde, worin sich halbnackte, gut gepolsterte Mädels zusammen mit Gänsen, Häschen und in Olivenhainen räkelten, hing an der Stirnseite. Kitschiger Schwachsinn! Mittelalterliches Gekleckse, das nicht mal richtige Perspektive kannte. Nich' mal ordentlicher Sex war zu sehen.
Manni konzentrierte sich auf die Vertäfelung. Er fand keinen getarnten Schalter, trotz Ultraviolettlicht. Manni überlegte: „Er wird doch nicht so einfältig sein und...?“ Er nahm das große Bild von der getäfelten Wand.
"Ach guck, da war er ja!"
Ein niedlicher Schubladentresor.
Haswell stand dezent als Firmenname rechts in der Ecke.
Manni hatte einiges an schwerem Gerät in seiner Tasche dabei, aber da war sein Latein am Ende.
Die Firma war das non plus ultra im Safebau. Haswell Safes galten als die sichersten der Welt.
Klein war das Schnuckelchen. Er dürfte sogar noch unter 200 Kilo wiegen, schätzte er, aber öffnen, das war das Problem.
Manni, The Ghost, war immerhin der berühmteste Safeknacker. In seiner Werkstatt würde er ihn sicher nach einigem Zeitaufwand öffnen können, aber hier?
Da half nichts, er musste ihn mitnehmen. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Nach einer halben Stunde hatte er die Wand soweit aufgemeißelt, dass der Safe frei lag.
Er räumte die Werkzeugtasche wieder ein, unter Anderem den Hochleistungsbohrer und andere Utensilien. Jetzt war nur Muskelkraft gefragt.
Am Drehkreuz griffen seine Hände zu.
Er spannte seinen ganzen Körper an.
Es knirschte.
Er rüttelte.
Er musste Pause machen. Zum Glück schien das Ding nicht zusätzlich verankert. Der Safe hatte sich bewegt.
Schweiß rann ihm über die Schläfe. Wieder stemmte er. Plötzlich löste sich der Safe mit
einem Ruck aus der Wand heraus.
Manni fiel hin, der Safe ihm entgegen. Zum Glück hatte er sich noch schräg wegdrehen können, sonst hätte ihn der herunterpolternde Safe erschlagen.
So hatte ihm der Safe nur sämtliche Zehen am linken Fuß zerschmettert, trotz festem Schuhwerk.
Manni schrie, weinte, heulte, dann wimmerte er nur noch.
Beide lagen am Boden. Haswell und er. Der Safe war vom Fuß wie ein Würfel zu Seite gekippt, nachdem er die Zehen zermalmt hatte. Wenigstens war Manni frei. Der Fuß sah Scheiße aus. Die Schmerzen waren entsetzlich. Den Weg nach unten konnte er bewältigen, das traute er sich zu. Er konnte
zumindest kriechen, an gehen war nicht zu denken. Nicht einmal aufstehen konnte er. So, wie der Schmerz jagte, probierte er es erst gar nicht.
Und der Safe lag, vielleicht glückliche Fügung, auf einem Teppichläufer. Da überall im Haus Parkettboden ausgelegt war, der gebohnert glänzte, hatte er vielleicht eine Chance. Manni war nicht umsonst ein harter Kerl. Aus der Tasche neben ihm holte er ein Seil und knüpfte es wie ein Lasso. Die Tränen rannen, trotzdem warf er geschickt das Lasso über den Safe. Er zog. Erst rührte sich nichts, dann rutschte der Safe auf dem Teppich. Scheiße! So zog er den Safe nur von der Auflage herunter. Er robbte mit seiner Spezialschere auf den Teppich zu, biss die Zähne
zusammen, löste das Seil, schnitt eine Öse in den Teppich. Dann knüpfte er das Seil durch das Loch und band das andere Ende um seinen Bauch.
Um ziehen zu können brauchte er zwei freie Hände. Seine schwere Equipment-Tasche würde er sowieso zurück lassen müssen. Keine Chance!
Es ging los. Langsam, langsam, gewann er Zentimeter um Zentimeter. Der Teppich rutschte trotz dem gewaltigen Gewicht auf dem Floor.
Manni sah aus, wie ein Seerobbe an Land.
Dann patschte er sich abwechselnd mit beiden Händen vorwärts und mit dem einen, gesunden Bein unterstützte er den Zug so gut es ging.
Es ging schwer, so im Liegen. Es schien, als ob er Liegestützen machen wollte.
Der Schweiß rann in Strömen.
Das linke Bein schleppte er wie einen verfaulten Ast nach. Sollte er den Schuh ausziehen? Die Schwellung schrie. Manni biss auf die Lippen, bis sie bluteten.
Nicht daran denken!
Mit viel Zerren, Korrigieren hatte er schließlich sogar die Kurve zum Gang geschafft. Endlich war er oben an der Treppe angelangt.
Er blickte herunter.
Vor dem Treppenabsatz unten lag ebenfalls ein Läufer. Wenn der Safe da unten glücklich aufschlug, dann landete er genau auf dem Läufer unten. Dann konnte er es genauso
machen, wie bisher.
Manni lächelte schief, erschöpft, schmerzverzerrt. Er atmete schwer. Unten würde er zum Auto robben, das er ganz in der Nähe abgestellt hatte. Schon deshalb, weil er dann schnell die Flucht hätte ergreifen können, falls etwas schief gegangen wäre. Hinten, in seinem Sprinter, hatte er eine pneumatisch ausfahrbare Rampe und ein Stahlseil mit Elektrowinde. Autofahren konnte er bei der Automatik auch mit nur einem Fuß. Er würde es schaffen! Diese Aussicht war das einzige, das ihm noch die Kraft gab dem irrsinnigen Schmerz und seinem zerschundenen Körper Paroli zu bieten. Mit der Schulter schob er von hinten mit dem Rücken den Safe sacht zu Kante.
Langsam neigte sich Haswell und dann ging es los.
Im letzten Moment fiel ihm ein, dass er sich ja noch das Seil um seinen Bauch gebunden hatte.
Zu spät!
Er wurde mitgerissen.
Während der Safe mit unglaublicher Wucht nach unten stürmte, dabei Treppenbohlen zerbrach, polterte Manni hinterher. Ein Dielenzacken durchbohrte den rechten Arm. Der nächste Aufschlag kostete ihm das Schlüsselbein, das splitterte. Durch die Rollbewegung kam Manni dem rotierenden Safe immer näher, während er immer wieder auf die Absätze knallte. Aber bevor er unter
das Monstrum geriet, waren beide unten angekommen.
Da lag Manni. Er lebte noch. Eine Blutlache bildete sich und ruinierte den Läufer. Nach endlosen Minuten schlug Manni die Augen auf. In Reichweite stand ein zierliches Telefontischchen. Mit unmenschlicher Anstrengung streckte er den rechten Arm danach aus. Die Hüfte knarrte im gespaltenen Becken. Ein Stöhnen durchfuhr ihn, während ihm Blut von der Fleischwunde an der Stirn vor die Augen rannte. Sein Gebiss war erschreckend unvollständig.
Er rutschte mit dem rechten Arm weg, auch weil die Handwurzel an krümeliges Getreide erinnerte. Die Hand konnte sowieso nicht mehr greifen, weil sie einem unförmigen
Ballon glich.
Haswell lag teilnahmslos auf dem Läufer und wartete.
Manni ächzte, das Schränkchen kippte.
Das Telefon knallte zu Boden.
Aus!
"Hilfe", hauchte er in nahe gelegene, abgeworfene Muschel, dann wurde er gnädiger Weise ohnmächtig.
Tags drauf schüttelte Kommissar Friedrichs den Kopf.
„Wie oft habe ich Manni gesagt er soll die Finger von den Safes lassen. Er war doch schon oft genug im Knast!“
„Überlebt er überhaupt“, fragte sein Assistent.
„Sie kriegen ihn durch, aber es wird eine
strapaziöse Flickarbeit. Ohne den automatischen Alarmruf, der durch den Aufschlag des Telefons ausgelöst worden ist, wäre es aus gewesen.“
Der Assistent legte die Stirn in Falten.
„Da hat Manni alles ausbaldowert: Er überwindet Haustürschloss samt Alarmanlage, wusste wohl, dass die Villa leer stand, und wusste in welchem Zimmer der Safe war.“ Der Assistent machte eine Pause.
„..und dann lässt einen echten, ungesicherten Rubens stehen!“
„Tja“, murmelte der Inspektor.
„Das Bild ist Millionen wert. Manni hätte ausgesorgt gehabt und das Bild wäre wohl ohne viel Federlesens bei einem reichen Magnat verschwunden.“
Kommissar Friedrichs grinste.
„Wahrscheinlich in einem geheimen Safe.“