Titel
„Wie alt bist du?“, fragte der Kontrolleur den kleinen Mann.
„Sieben und ein halbes Jahr.“, antwortete der Junge.
„Dann musst du schon bezahlen, wenn du mit der Bahn fährst. Zeig mir doch bitte mal deinen Fahrschein.“
„Ich habe keinen.“
„Dann musst du an der nächsten Station aussteigen. Tut mir leid. Oder ich schreibe dich auf und deine Eltern müssen die Strafe zahlen, weil du ohne Fahrschein gefahren bist.“
„Bitte nicht. Ich möchte doch zu meinem Papi. Ich vermisse ihn doch so sehr.
Mami mag ihn nicht mehr. Die hat jetzt einen anderen. Deswegen kommt mein Papi mich nicht mehr besuchen. Er sagt, das er meine Mami ganz doll lieb hat und es ihm deswegen zu sehr weh tut, wenn sie ihn mit dem anderen Mann sieht. Und Mami erlaubt mir nicht, das ich Papi alleine besuchen gehe. Sie sagt, dafür bin ich noch viel zu klein. Aber mit mir zu ihm gehen, will sie auch nicht. Der andere Mann hat was dagegen.“
„Du bist also von zu Hause ausgerissen. Weiß dein Papi, das du ihn besuchen kommst?“
„Nein. Bitte schicken sie mich nicht wieder zurück. Mein Papi fehlt mir so
sehr. - Der andere Mann macht mir angst. Guckt mich immer so böse an.“
„Wo musst du denn aussteigen? An welcher Haltestelle musst du raus?“
„Ich weiß nicht, wie die Haltestelle heißt. Wenn ich an einem rosa Haus vorbeifahre, muss ich aussteigen. Deswegen gucke ich die ganze Zeit aus dem Fenster.“
„Ich ertrage das nicht länger.“, seufzte die Frau, die neben dem Jungen saß, „Bitte lassen sie mich für den Jungen aufkommen. Ich weiß aus eigenen Erfahrung, wie es ist, wenn sich die Eltern trennen. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Elternteil einen neuen Partner hat und nicht will, das man
seinen Vater sieht. Weil er die Trennung nicht verkraftet und den Schmerz in Alkohol ertränkt. Dann noch all die Bekannten, Verwandten, Kollegen...Schrecklich, wer so alles angeblich Bescheid weiß, wie es zur Trennung kam. Wie sich alle nur eine Meinung anhören und gegen den anderen hetzten. Meine Eltern wären bestimmt Freunde geblieben. Hätten es noch einmal versucht. Aber...Hier – nehmen sie. Die Fahrkarten gehen auf mich. Einmal hin und einmal zurück. Ich bringe den Jungen zu seinem Vater.“
„Stecken sie ihr Geld zurück. Ich sehe es ihnen an, das sie es selbst nötig haben. Die Fahrt geht auf meine Kosten.
Natürlich auch die Rückfahrt. Kontrolleur bin ich nur in zweiter Linie. In erster Hinsicht bin ich ein Mensch mit Herz.
Bringen sie den Jungen heil und gesund zu seinem Vater. Ich weiß, wie es ist, wenn man verlassen wird. Kenne den Schmerz zu gut. Die guten Ratschläge, auf die man gut und gern verzichten kann...Tut mir leid. - Da, das rosa Haus. Du musst aussteigen.“
„Danke, das sie mich mitfahren ließen. Das werde ich ihnen nie vergessen.“
„Schon gut. Grüß deinen Papi von mir.“
„Das mach ich. Er wird sich bestimmt darüber freuen.“