Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und auf dem alles entscheidenden
Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
Das Licht, das durch die Buntglasfenster der Kathedrale fiel, wurde heute nicht von Kerzenschein begleitet. Das große Kirschenschiff war vollkommen verlassen als Anehlas zwischen den Gebetsbänken hindurch trat. Lediglich an der Tür hatte sich einer seiner Leute postiert. Seine schweren Schritte hallten von den steinernen Wänden wieder, als er sich dem Mann am Altar näherte. Ovit hatte ihn bereits bemerkt, machte sich aber nicht die Mühe auch nur von seinen Schriftrollen aufzusehen. Drei weitere
Männer in Roben standen bei dem Hohepriester, die dieser jedoch mit einer Handbewegung wegschickte, als Anehlas näher kam. ,, Ihr seid entlassen.“ , meinte er und vertraute einem die Schriftrollen an. Dieser nahm sie an sich und verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung. Die Schriften der Kirche reichten Jahrhunderte zurück, auch wenn Anehlas nicht sicher sein konnte, wie viel davon stimmte. Er und der alternde Priester wussten vielleicht als einzige um die volle Tragweite der Wahrheit. Auch wenn Ovit sie sich schön zu reden schien. Vielleicht glaubte er auch bereits selbst, was er
predigte. Wie er die stumme Überheblichkeit dieses Mannes zweitweise verabscheute… Und es war noch schlimmer, wenn er den Mund öffnete, dachte Anehlas. Als Großmeister der Inquisition war es an ihm, das Schwert des Nox auf der Welt zu sein. Und selbst jetzt spürte er das dunkle Brodeln dicht unter der Oberfläche seines Geistes. Ein Gedanke reichte aus… Doch Ovits Begabungen lagen in einem anderen Bereich. Wenn der alternde Mann sprach, so schien es Anehlas manchmal, müsste er selbst einen Wilden Berglöwen einreden können, ein Schaf zu sein. Ein braves Schaf, das genau tat,
was der Bote des Lexis ihm einflüsterte. ,, Ihr habt über dreißig Gefangene Ketzer entkommen lassen.“ , meinte der Hohepriester betont langsam. Wenn er eine Entschuldigung oder gar Ausflüchte erwartete, hatte Ovit wieder einmal vergessen, mit wem er es zu tun hatte. ,, Der Wanderer war wichtiger.“ ,, Was soll uns ein alter Zauberer kümmern ?“ , erwiderte Ovit beinahe unbekümmert. ,, Unsere Truppen haben die Kal’ban bereits weit aus ihren einstigen Kernlanden zurückgetrieben. Von Ekklesia bis zu den Bergen hinter Lian kontrollieren wir jede große Stadt. Und was die paar Unbelehrbaren in den Dörfern angeht… wir werden sie
finden.“ Wenn Anehlas nicht gut genug gewusst hätte, das diese Worte darauf abzielten, er hätte sich einlullen lassen. Beschwichtigung. Beteuerungen, dass alles nach wie vor einem Plan folgte, dessen Fäden alle in Ovits Händen zusammenliefen. Ihre Armeen waren seit über einem Jahr ungeschlagen. ,, Grauer kümmert mich.“ , erwiderte er scharf. ,, Ach ja, eure… Fehde mit diesem Besessenen. Lehrt nicht schon der Prophet, dass es gegen die von den Numen gewollte Ordnung verstößt, sich mit Geistern einzulassen. Aber seine Seele auch noch mit einem vereinen… Er
ist nur ein weiterer Verdammter, der früher oder später Fallen wird.“ Heuchler, dachte Anehlas nur. ,, Ihr unterschätzt diesen Mann und zu was er fähig ist. Wie ihr die Erwählten immer unterschätzt. Wie ihr mehr als einmal unter Beweis gestellt hat.“ Anehlas sah auf und stellte zufrieden fest, das zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit in dessen Zügen auftauchte. Er wusste genau, wo er ohne ihn, wo er ohne das Schwert und das Blut der Inquisition wäre. Einer Elite, die Anehlas zu dem gemacht hatte, was sie war. ,, Aber auch der Zauberer ist euch entkommen.“ , konterte der Hohepriester und Griff damit seine Anschuldigung
gegen ihn wieder auf. ,, Noch dazu hat er einen große Zahl Inquisitoren getötet. Wie ist es möglich, dass ein solcher Mann unbemerkt diese Stadt betreten, sich in die Garnison eures Ordens schleichen und ein solches Chaos anrichten kann?“ Die Worte schienen ein eigenes Gewicht zu haben, als Ovit sprach. Normalerweise hätte Anehlas das Ganze mit einem Schulterzucken abgetan, aber zu sehr spürte er jetzt den verborgenen Sturm, der auch einen Teil des Wesens des Hohepriesters ausmachte. Doch darauf hatte er nur gewartet. ,, Dieser krieg ist bald vorbei und dann ist auch Grauer Geschichte.“ Anehlas
gab dem Mann an der Tür ein Zeichen, worauf dieser sie Aufzog und eine einzige Gestalt eintrat, die ebenfalls die Rüstung und Insignien der Inquisition trug. Allerdings war der Panzer des Soldaten, der nun bis an den Altar vortrat. ,, Die Herren.“ Er verbeugte sich kurz, bevor Anehlas wieder das Wort ergriff. ,, Ich habe euren ach so wertvollen… Gefangenen einige meiner Leute hinterhergeschickt. Leider sind viele dabei gestorben. Jedoch glaube ich zu wissen, wo sie hinwollten.“ Zeit seinen ersten Trumpf auszuspielen. ,, Ebenwald.“ Ovit schien ein Lachen unterdrücken zu
müssen. ,, Ebenwald ist ein dummes Gerücht in die Welt gesetzt von verzweifelten Ketzern. Die Kal’ban sind vernichtet, sie haben keine gemeinsame Zuflucht mehr, von der wir wüssten. “ ,, Seit ihr euch da so sicher ?“ Anehlas nickte dem Inquisitor zu. ,, Erzählt, was ihr gesehen habt.“ Der Mann sammelte sich kurz, bevor er begann. ,, Wir hatten die Flüchtigen bis in die Wälder des Kernlands verfolgt, fast bis auf Höhe von Lian. Als wir sie schon eingeholt hatten, wurden wir Angegriffen.“ ,, Von den Flüchtlingen ?“ , wollte Ovid wissen. ,, Verzweiflung lässt manche Menschen ungewohnt
handeln.“ Der Inquisitor schüttelte jedoch entschieden den Kopf. ,, Es war nur ein einzelner Mann, aber er hat mindestens acht meiner Brüder getötet. Aber bei ihm und den Flüchtlingen habe ich immer wieder einen Fuchs gesehen.“ Nun lachte der Hohepriester. ,, Ihr wart in einem Wald, wie ihr selbst erklärt habt.“ ,, Grauer.“ , erwiderte Anehlas nur. ,, Der Geist mit dem er sich Verbunden hat nimmt die Gestalt eines Fuchses an. Der alte Mann hätte seine Schäfchen nicht ohne Führung in die Wildnis geschickt. Und nicht ohne guten Grund.“ ,, Das sind nur annahmen.“ , sagte
Ovit. Anehlas gab ein weiteres Zeichen mit der Hand. ,, Und wenn ich recht habe, ist Ebenwald dort irgendwo.“ Erneut wurde die Tür zur Kathedrale kurz geöffnet und eine weitere Gestalt trat in Begleitung von zwei weiteren herein. Alle trugen sie gleichförmige, offene Gewänder, deren Ärmel und Saum mit Silberblech beschlagen war. Darunter zeichnete sich in dunklem Leder eine leichte Panzerung ab. Die Füße steckten in schweren Stiefeln und die Hände blieben in den Ärmeln der offenen Roben verborgen. Über der Schulter jedes der Männer ragte ein runder Schwertgriff, dessen Knauf in einem Schlangenkopf
endete. Alle hatten sie pechschwarze, wohl gefärbte, Haare. Ein Seltsamer Geruch wie von Räucherstäbchen ging von den Fremden aus. Nur der Mann in der Mitte der drei Unterschied sich in seiner Kleidung. Eine offenbar ebenfalls aus Silber bestehende Kette fiel ihm auf die Brust. Und darauf prangte ein Symbol, das Ovit seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Es war das Dreieckssymbol von Madrea. Diese Männer kamen direkt aus den Ruinen der heiligen Stadt, dem Ort an dem der Prophet lebte und starb. Wenn die Kirche den Pilgern gegenüber behauptete, die Insel sei heute komplett Unbewohnt, sprach sie damit nicht ganz
die Wahrheit. Die drei Männer vor Ovit waren mehr als Beweis genug davor. Sie waren die inoffiziellen Wächter des heiligen Orts. Madrekai. Selbst in den Reihen der Inquisition schimpfte man sie Fanatiker. Freilich nur, wenn kein Madrekai in der Nähe war. Etwas, dem man sich nie sicher sein konnte. Sie unterstanden weder der Oberhoheit der Kirche noch der Inquisition und handelten, wie sie sagten direkt nach der Stimme des Gottes Opes, die zu ihnen sprach. Ovit musste sich eingestehen, dass die meisten wohl schlicht verrückt waren. Außerhalb der zwei Pilgermonate war Madrea praktisch verlassen und simple
Einsamkeit hatte schon ganz andere in den Wahnsinn getrieben. Nur wie Anehlas das Kunststück fertig gebracht hatte, drei dieser seltsamen Gestalten für seine Zwecke zu Gewinnen… Selbst er war sich unsicher ob man einem Madrekai mit bloßen Worten von etwas überzeugen konnte. Vermutlich nur mit viel Glück, wenn die ewig Quälenden Stimmen in ihrem Verstand mit dem Gestellten Auftrag übereinstimmten. ,,Die Jünger des toten Gottes entsenden euch ihre Grüße.“ Der Mann in der Mitte der kleinen Delegation verbeugte sich flüchtig und Ovit konnte ein unheimliches Funkeln in den grauen
Augen des Fremden erkennen. Auf ihre Art, waren die Madrekai Häretiker. Götter starben nicht, doch für sie, war der Gott der Macht gestorben. Nur sein Flüstern suchte noch die Ruinen der einstigen Stadt wieder und damit auch seine dort lebenden Anhänger. Was für eine lächerliche Vorstellung… Und doch würde der Hohepriester nicht den Fehler machen, das dem Mann vor sich ins Gesicht zu sagen. Sie waren kein Teil der Kirche, den er kontrollierte. ,, Sie werden Ebenwald finden, wenn es dort ist.“ , meinte Anehlas düster. Wie zur Bestätigung nickten die drei beinahe zeitgleich. Unter anderen Umständen hätte die fließende Bewegung vielleicht
lächerlich gewirkt. So jedoch wirkte sie gefährlich. Schnell, wie das Zuhaken eines Raubvogels. ,, Ihr wisst, wo ihr zu suchen habt. Findet die Kal’ban. Dann erstattet mir Bericht.“ Die drei verbeugten sich erneut, bevor sie einer nach dem anderen die Kathedrale wieder verließen. Ovit konnte nicht anders, als ihnen mit Erleichterung nachsehen, als die Tür wieder hinter den drei Madrekai geschlossen wurde. ,, Was habt ihr getan um diese… Menschen…„ , der Hohepriester musste innehalten. Menschen. Nein, so waren sie ihm weniger vorgekommen. ,, auf eure Seite zu bringen?“ ,, Sie sind nicht auf unserer Seite.“ ,
erwiderte Anehlas kühl. ,, Aber so wahnsinnig einige von ihnen sein mögen… auch für sie gibt es Angebote, die sie nicht ablehnen können.“ ,, Was habt ihr ihnen geboten ?“ , fragte Ovit mit unterdrückter Wut. Was dachte Anehlas sich dabei, Häretikern einfach irgendwelche Versprechungen zu machen? Langsam musterte er den Großmeister der Inquisition von oben bis unten. Vielleicht waren die Jünger Madreas nicht die einzigen Wahnsinnigen in diesem Raum. So Ruhig Anehlas auch wirkte, unter der Oberfläche des Mannes brannte ein Feuer, das nicht durch bloßen Glauben genährt wurde. Zunehmend erschien es Ovit, das er die
Kontrolle über Anehlas verloren haben könnte. Und was hatte dieser Mann nicht für einen steilen Aufstieg in den Reihen der Inquisition hingelegt. Als er vor all diesen Jahren mehr aus dem nichts aufgetaucht war, aus einer toten Stadt, aber mit dem Segen eines Gottes gewappnet… Einer toten Stadt wie Madrea. Ovit zwang sich, sich zu sammeln. Seine Gedanken glitten ins Irrationale ab. Anehlas war Stratege, das war alles. ,, Ich bot ihnen Hoheitsrecht über ihre heilige Stadt. Madrea gehört Offiziell der Kirche, doch wenn wir Erfolg haben, werdet ihr den Grund an die Madrekai abtreten. Sobald der letzte Kal’ban tot ist
gehört ihnen die Insel.“ ,, Das ist eine Entscheidung, die ich und das Konzil der Geistlichen zu treffen haben nicht eure.“ , erwiderte er. Anehlas lachte. ,, Es ist nur ein Stück Ödland mit ein paar Ruinen darauf.“ Nur ein Stück Ödland… Auch Anehlas schien klar zu sein, das er damit möglicherweise zu weit gegangen war. Aber zeigte sich auch nur eine Spur von Besorgnis auf dem Gesicht des Großmeisters? Nicht einmal ein zucken, nur Unsicherheit, wie Ovit reagieren würde. War der Mann vielleicht zu schnell zu mächtig geworden? Er hatte den Großmeister nie gefürchtet. Einen
gesunden Respekt musste er vor dem Mann haben, dessen Geschick den Aufstieg der Kirche so gewaltig beschleunigt hatte. Aber es schien langsam genug des Respekts. Und fürchten würde er ihn nicht. Er war immer noch der Hohepriester der Numen-Kirche, der mächtigste Mann von hier bis zu den ersten Ausläufern der Falkenaug-Berge. Wenn Anehlas glaubte, so ohne seine Zustimmung verfahren zu können, hatte er seine Schuldigkeit vielleicht einfach getan. Er sollte ihn loswerden. Aber dazu brauchte er einen guten Grund… Ein paar entkommene Gefangene waren nichts. Und selbst die toten Inquisitoren
waren zwar ein Ärgernis, aber sie würden ersetzt werden. ,, Sicher. Ich werde das… mit dem Konzil besprechen.“ Irgendeinen Vorwand musste er finden. Und wenn nicht… Er musterte den in Stahl und dunkelblauen Stoff gekleideten Krieger. Anehlas konnte nicht ewig Siegreich bleiben. Selbst die Macht, die ihm die Götter verliehen hatten würde irgendwann einmal nicht ausreichen. ,, Ich werde mich entfernen. Ihr erhaltet als erstes Bescheid, wenn es etwas zu berichten gibt.“ Mit einer mehr angedeuteten Verbeugung entfernte sich der Großmeister. Sollte er sich in Sicherheit wiegen. Seine Macht würde
nicht ewig halten. Aber… was bedeutete das für seine eigene?
Kapitel 14 Madrekai
monalisa592107 lese schon vom ersten teil an diese geschichte voller spannung und freue mich über jede fortsetzung lg monika gern immer wieder einen Faforiten wert |
EagleWriter Vielen dank, motiviert doch sehr lg E:W |
EagleWriter Keiner. lg E:W |