I
Die Sonne scheint durch das grosse Fenster in die Wohnstube. Da liegt sie in ihrer schönsten Pracht. Ich wage zu sagen, dass sie das schönste Tier der Welt ist.
Ihr kurzes, seidiges Fell schimmert in der Sonne; Rotweizen nennt man die Farbe. Auf der Brust trägt sie einen weissen Fleck in Form eines Hufeisens, ist das nicht ein Glückszeichen?!
Weiss sind auch ihre Pfoten, alle vier, fast so, als würde sie vier hübsche Sonntagsschuhe tragen.
Wir machen alles gemeinsam. Ferien am Meer, Kochen oder einfach mal gemütlich
Zuhause vor dem Kamin sitzen. Wir sind unzertrennlich, fast so wie Frau Sonne und Herr Schatten.
Sie ist mein Traumhund!
Mit 3 Monaten holte ich sie ab, weit weg von meinem Wohnort. Ich nannte sie Danuwa, was soviel wie "enger Freund" auf afrikanisch bedeutet. Der Name gefiel mir auf Anhieb. Wir besuchten stolz die Welpenspielgruppe, den Junghundekurs und schliesslich haben wir sogar unsere erste Begleithundeprüfung hinter uns gebracht.
Ich war noch nie so glücklich in meinem Leben, wünschte ich mir doch schon zeitlebens einen Freund an meiner Seite, den mir niemand klauen konnte. Nicht so
wie Charlie, Charlie die bockige Freibergerstute. Oder Mizi, die etwas in die Jahre gekommene Katzendame. Ach, wie ich sie liebte!
Damals war ich noch klein, viel zu klein um solche Dinge zu verarbeiten. Es hat furchtbar weh getan, mein junges Herz war abgrundtief traurig, jedes mal aufs Neue.
Wie sich Verlust anfühlte, lernte ich schon früh kennen und ich mochte das Gefühl nicht, verlassen zu werden. Egal von wem.
Ich schaue wieder in Danuwa's Augen, die wunderschön dunkelbraun funkeln und die mehr sagen als tausend Worte. Sie gehört mir und ich gehöre ihr. Wir sind die besten Freunde, niemand kann uns trennen!
II
Es regnet, Danuwa liegt schläfrig in ihrem Korb und schaut ab und zu aus dem Fenster. Die Tropfen werden grösser und stärker, Danuwa's Kopf fällt tiefer und tiefer in ihr gemütliches Bett. Regen gehört zu den wohl hässlichsten Dingen in ihrem Leben. Könnte sie sprechen, sie würde sich bestimmt als Sonnengöttin bezeichnen, Sonne und Wärme gehören zu ihr wie das Wasser zum Fisch.
Für mich ist es ganz anders, ich mag Regen. Ich ziehe mir immer voller Freude die Regenstiefel an, stülpe meine Regenjacke über und zu guter Letzt setze ich noch meine dunkelgrüne Mütze auf.
Dann bin ich bereit, bereit um dem Wetter zu trotzen.
So ziehen wir los, auch heute. Es fühlt sich so gut an, die Erde lebt. Es fallen mittlerweile so viele Regentropfen vom Himmel, dass es sich fast wie ein kleiner Wasserfall anfühlt, himmlisch!
Kein Mensch ist unterwegs, lediglich Schnecken und Würmer kreuzen unseren Weg.
Ruhig, nur der Regen singt und in mir drin ist es friedlich. Wir gehen weiter, ich denke an uns: ein unschlagbares Team!
Meinen Gedanken lasse ich freien Lauf, was wohl Danuwa denkt?!
Sie schnuppert hier und dort, aber sie
interessiert sich nur für das Später. Sie träumt von der warmen Stube. Sie läuft nicht wie sonst, sie trottet hinter mir her und freut sich auf's nach Hause kommen, abgerubbelt zu werden und wieder ihren Platz im kuscheligen Korb einzunehmen. Regen ist ihr Feind.
Wir spazieren dem Bach entlang, der mittlerweile braunes, schnelles Wasser führt und hie und da Schwemmholz mitschleppt.
Dann, von weitem sehen wir sie! Mein Herz wird schneller, meine Nervosität steigt. Ich versuche, gelassen zu wirken, das klappt leider eher schlecht als recht.
Also versuche ich, mir Mut zuzusprechen: “Fabienne, es kommt schon gut"!
Trotzdem, es macht mir Angst. Ich stecke fest, wie in einem schwarzen Dunst, der mich umgibt. Ich mittendrin. Sie kommen auf uns zu, immer näher.
Es ist der ältere Herr mit dem schwerfälligen Gang und der Mütze bis tief ins Gesicht gezogen. Heute in voller Regenmontur, fast so wie ich. Sein Begleiter, der kräftige schwarze Labrador kennt keine Leine, er macht was er will. Das ist Rex, Rex ist nicht unser Freund.
Ich rufe dem Mann zu. Er schaut nicht auf, sieht mich wohl nicht. Ich schreie lauter, bleibe stehen und will ihm verständlich
machen, dass er seinen Hund bitte an die Leine nehmen soll. Der Bach und der Regen, das alles verhilft mir nicht zu meinem Glück, im Gegenteil, der Mann sieht und hört uns nicht.
Rex sieht uns, er kommt auf uns zu. Immer näher, immer schneller. Er erinnert mich an einen grossen, schwarzen Stier mit immensen Hörnern. Panik steigt in mir auf.
Ich schicke ein kurzes Stossgebet zum Himmel.
Rex ist noch etwa zwei Meter von uns entfernt. Am liebsten würde ich die Augen schliessen oder besser noch, einfach davon laufen oder davonfliegen. Fliegen wie ein leichter, unbeschwerter Schmetterling.
Zu Spät, es passiert. Ich höre ein unheimliches Knurren. Zähne blitzen auf, und dann geht es los. Wie in einem Traum stehe ich daneben, will schreien, dem Ganzen ein Ende setzen. Ich habe keinen Stock, nichts womit ich helfen könnte, es ist furchtbar. Es kommt mir wie Minuten, ja, gar Stunden vor, dabei handelt es sich lediglich um Sekunden. Für mich bleibt die Zeit stehen.
Sehe ich da nicht Blut auf den Boden tropfen, oder sind das nur schwere Regentropfen, die sich gegen uns verbündet haben?
Es geht schnell, so wie ein Angriff auch sein sollte. Als hätte ein bösartiger Wirbelsturm neben mir getobt. Es ist vorbei!
Ein Winseln durchbricht die Stille. Ich bin den Tränen nahe. Sie hat ihn erwischt! Mein Traum ist zum Albtraum geworden.
Danuwa, mein bester Freund ist aggressiv!