Sarah und Nathan hatten mittlerweile die Schule erreicht und neben dem Gebäude einen freien Parkplatz gefunden. Die beiden stiegen aus und versuchten fürs erste, sich einen Überblick zu verschaffen. Hier war immer noch die Hölle los. Etliche Polizisten bildeten einen Kreis. Die Vermutung lag nahe, dass sie über die Vorgehensweise diskutierten, Nathan fragte sich, ob das SEK schon informiert wurde und Sarah dachte wohl dasselbe. Sie blieb kurz stehen und zwang Nathan, das Gleiche zu tun.
„Kein SEK!“ stellte sie fest. „Und wenn ich den Typ da vorn schon sehe, frage ich
mich ehrlich, warum wir nicht schon längst die Erlaubnis bekommen haben, ihn zu erschießen!“
Nathan wusste erst gar nicht, was sie damit meinte, doch dann erblickte auch er den Polizisten. Phillip Leeman war gerade dabei, das Absperrband zu überqueren, in dem er ein Bein darüber schwang, doch es sah alles andere als elegant aus. Er konnte gerade so sein Gleichgewicht halten und schien auch noch stolz darauf zu sein, die Aktion mit Erfolg gemeistert zu haben. Lächelnd begrüßte er die Presseleute und schüttelte die Hand der jungen Dame, die ihm das Mikrofon schon entgegenstreckte.
Nathan wollte gerade etwas erwidern, als
ihm jemand ins Auge fiel. Vielleicht täuschte er sich, deswegen schaute er lieber zweimal hin. Aber nein. Er war es tatsächlich.
„Hey Rames!“ rief er.
Jonathan drehte sich wie auf Kommando um und nickte ihm zu. Jetzt erst realisierte Nathan, dass er mit jemandem telefonierte. Also wandte er sich wieder an Sarah. Er würde sich später mit ihm unterhalten.
„Also gut, lass uns den Quacksalber da wegholen, bevor er noch etwas von sich gibt, dass die Welt nicht wissen will.“
„Heute überlass ich dir das Reden, aber übertreib es nicht.“
Nathan nickte und sie setzten sich
gemeinsam in Bewegung.
„Wie Sie sehen, haben wir bereits Sicherhei...“ Doch weiter kam Phillip Leeman nicht, denn Sarahs Hand legte sich auf dessen Schulter. Mit leichtem Druck gab sie ihm zu verstehen mitzukommen. Er war noch nicht einmal überrascht als Sarah ihn förmlich von der Pressetante wegzog. Von ihr erntete sie eine bösen Blick, denn scheinbar hatte sie sich ein informatives Gespräch erhofft.
Leemans Blick wanderte zu Nathan, der jetzt dicht neben ihm herlief.
„Der Pressetermin ist verlegt. Wir haben wichtigere Sachen zu besprechen.“
Nathan grinste ihn an. Vielleicht wäre ein Schlag auf den Hinterkopf effektiver
gewesen. Gedanklich war das ein wirklich angenehmes Gefühl, aber Leeman zeigte keine Gegenwehr, also war es nicht nötig. Nathan liebte diese Provokation. Meist war es jedoch Sarah, die ihn glücklicherweise davon abhielt.
„Ich... ähm... weiß überhaupt nicht was ihr von mir wollt!“ stammelte er.
Die drei entfernten sich ein Stück von der Schule, bis sie schließlich in dem anliegenden Park die nötige Privatsphäre fanden. Sarah ließ ihren Blick vorsichtshalber noch einmal schweifen, aber niemand von der Presse schien ihnen gefolgt zu sein. Gut so.
„Für Sie ist der Fall hier beendet, Philipp. Gehen Sie nach Hause, begrüßen
Sie ihre Frau und verbringen Sie einen netten Abend zusammen!“
„Aber das geht nicht. Ich meine, wie stellt ihr euch das vor? Ich habe das Kommando übernommen seit Mason gegangen ist.“ Seine Stimme zitterte und Nathan spürte es deutlich.
Manchmal verstand er die Welt einfach nicht. Er hatte sich schon oft gefragt, wie Leeman in so einer Position agieren konnte. Er beherrschte noch nicht einmal den Umgang mit seinen Kollegen und obwohl er im Dienstgrad höher stand, ließ er sich herumkommandieren wie ein Hund. Den eigenen Willen durchsetzen, das hatte man ihm sicherlich nicht beigebracht, dabei war es eines der
wichtigste Dinge.
„In Ordnung, Phil. Ich weiß, dass Sie eigentlich ein sehr einsichtiger Mann sind. Also haben Sie entweder heute einen schlechten Tag erwischt oder Sie sind wirklich unheimlich dumm.
Ich hab Sie niemals für presse geil gehalten, aber so wie Sie vorhin auf die kleine Dunkelhaarige zu gestürmt sind, keine Ahnung, aber das macht mich stutzig, wissen Sie!?“
Auf Leemans Stirn brach Schweiß aus und sein Gesicht glühte richtig. Vielleicht waren das Worte, die er nicht unbedingt hören wollte.
„Ich habe es satt. Schert euch doch zum Teufel. Immer wen ihr auftaucht, bedeutet
das nichts Gutes.“
Leemans Stimmungswechsel beeindruckte Nathan und Sarah überhaupt nicht. Scheinbar hatte sich einiges bei ihm angestaut, dass jetzt an die Oberfläche wollte. Nur war dieser Zeitpunkt nicht unbedingt der günstigste.
Nathan zog seine Konsequenzen daraus.
Er trat näher an Leeman heran und berührte mit beiden Händen seine Schulter. Leeman hielt seinem Blick stand. Seine Augen funkelten vor Wut und dennoch wehrte er sich nicht. Warum auch immer.
Sarah wusste, was nun folgen würde, dafür kannte sie ihren Kollegen zu gut. Und jedes Mal bekam sie eine Gänsehaut.
Nathan übte so einen Einfluss auf seine Mitmenschen aus, dass es selbst ihr manchmal ein wenig Angst machte.
„Ich habe Sie nett darum gebeten, diesen Ort zu verlassen. Sie haben abgelehnt. Ich verstehe das nicht, wirklich. Ich meine, hätten Sie tatsächlich Eier in der Hose, dann würden Sie mich anschreien und mir eine verpassen. Aber hey, ich stehe noch hier und was ich Ihnen als nächstes erzähle, werden Sie sich zu Herzen nehmen, denn sonst kann ich ungemütlich werden, also hören Sie gut zu: Sie verschwinden hier und zwar plötzlich. Nehmen Sie sich ein paar Tage frei, verreisen Sie mit Ihrer Familie und stellen Sie keine Fragen, bis sich jemand
von uns meldet. Wenn Sie sich querstellen, dann werde ich irgendwann derjenige sein, der langsam aber sich beginnt, Ihr Leben zu zerstören. Und ich meine das ernst, verdammt ernst.“
Leeman starrte Nathan an und aus irgendeinem Grund fing er plötzlich an zu Lachen.
„Sagen Sie mir, welche Stelle Sie am witzigsten fanden?“ wollte Nathan wissen.
Leeman hatte sich wieder beruhigt, hustete ein paar Mal kurz und schenkte Nathan wieder volle Aufmerksamkeit.
„Du glaubst vielleicht, ich wäre unfähig, aber ich kenne dein Geheimnis, Nathan
McDavon.“
Aus Nathans Gesicht wich sämtliche Farbe. Damit hatte er nicht gerechnet.
Er packte Leeman am Kragen und wäre Sarah nicht anwesend gewesen, hätte er ihn gleich an Ort und Stelle umgebracht.