Salento
So nennt sich eine atemberaubende, 100 km lange und 40 km breite Region im untersten „Absatz" des italienischen „Stiefels“, in der Region Apulien oder Puglia wie die Italiener es nennen. Es ist eine Landschaft voller Gegensätze, die genauso wie die Gegensätze der Generationen in diesem Landesteil sind.
Mein erster Trip nach Apulien
Vor etwa 10 Jahren trat ich das erste Mal meine Reise, in das vom Ruhrgebiet ca.2000 km entfernte Salento an. Die Fahrt bis zur Schweizer Grenze, war mir ja schon aus mehreren anderen Urlauben bekannt. Ich war allerdings noch nie tiefer in der Schweiz, als kurz hinter der Grenze. Auch die ersten Hundert Schweizer Kilometer, waren nichts besonderes.
Plötzlich fuhren wir vorbei an wunderschönen Seen, durch Schluchten, vorbei an traumhaften Berghängen, an denen sich kleine Wasserfälle ins Tal stürzten. Das Sonnenlicht ließ das Grün um uns herum noch kräftiger wirken, und die schneebedeckten Bergkuppen, zauberten mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich war beeindruckt von der Schönheit der Natur. Die Temperaturen waren angenehm warm und ich genoss die Eindrücke um mich herum.
>
Dann standen wir vor der Ampel zur Einfahrt des Gotthard-Strassentunnes. San Gottardo ist mit 16,9 Kilometern Länge, der drittlängste Strassentunnel der Welt und der längste Strassentunnel in den Alpen. Oh mein Gott..... schon nach einem Kilometer, hatte ich das Gefühl "genau jetzt" zur Toilette zu müssen. Tja, Pustekuchen...
Wir hatten noch gute 16 Kilometer ohne Rastmöglichkeit vor uns. Ich zählte jede 100 Meter mit, und meine Psyche lachte sich ins Fäustchen, und malte mir die
tollsten Szenarien ins Hirn,
was in diesem Tunnel so alles passieren könnte.
Irgendwann, nach gefühlten Stunden, ich war schon nass geschwitzt, sah ich am Ende des Tunnels trübes Tageslicht aufleuchten. Endlich draußen, Puhhh. Fenster auf, und erst einmal Luft tanken.
Es fing schon an zu dämmern, und wir steuerten den nächsten Rastplatz an.
Bis zur italienischen Grenze war es auch nicht mehr weit, und den Grenzübergang, konnten wir dann auch ganz problemlos durchfahren. Nun hatten wir schon Temperaturen, die ich mal so gar nicht gewohnt war. Zwischen Milano und Bologna machten wir erneut Rast und wollten ein wenig schlafen. Was bei ca. 30°C Außentemperatur und geschlossenen Fenstern leider gar nicht so einfach ist.
Da die Klimaanlage nicht lief, öffnete ich die Fenster, damit wenigstens etwas an Sauerstoff ins Fahrzeug dringen konnte und drehte mich auf die Seite. Meine bessere Hälfte öffnete die Augen, sah mich völlig fassungslos an und meinte: " Du weißt schon das wir in Italien sind, oder? Hääh? Na klar weiß ich das... Tz tz tz was für eine Frage? Und was bitte, willst du mir damit sagen? Ratz, fatz erfolgte eine Erklärung über Diebe, Straßenräuber etc. Ok, ok, ich schließ das Fenster ja schon wieder. Etwas mehr als zwei Stunden, versuchten wir vergeblich
einzuschlafen.
Beine aufs Armaturenbrett, wieder runter, nach rechts drehen, nach links drehen. Fenster auf, Fenster zu. Ne mir reicht`s. Wir stiegen aus, streckten unsere Glieder, sahen uns an, und waren uns einig weiter zu fahren. Ich trinke noch einen doppelten Espresso, und übernehme die erste Tour,
während meine bessere Hälfte, nach ein paar Minuten Fahrt eingenickt ist. Abwechselnd legen wir die restlichen ca. 800 Kilometer zurück.
>
Nach etlichen weiter gefahrenen Kilometern, lese ich Riccione. Das war ja vor Jahren des Deutschen liebstes Urlaubsziel und liegt nun zu unserer linken Seite. Das Meer, ich kann es sehen und riechen. Hellblau mit kleinen weißen Schaumkrönchen. Ein Traum !!! Dann geht es durch eine eher bergige Region mit satter grüner Vegetation. Später dann, ist die Autobahn gesäumt, von riesigen rosa und weißen Oleanderbüschen. Wir fahren vorbei an hunderten Weinreben, Olivenplantagen und riesigen Kakteen, mit roten und gelben Früchten. Ich bin
beeindruckt. Je weiter wir gen Süden kommen, umso heißer wird es. Die Klimaanlage leistet Schwerstarbeit. Hier und dort, sind die Oleanderbüsche dem Feuer zum Opfer gefallen.
Braune Äste und verbrannte Seitenstreifen tauchen nun immer wieder auf. Die Natur ächzt unter der Hitze. Das Bild der Landschaft hat sich gewandelt.Ich wäre lieber in den Abruzzen geblieben. Immer öfter sieht man nun Abfall an den Straßenrändern, verlassene Bauernhöfe und eine vertrocknete Landschaft. Es ist irre heiß. Ich sehe auf`s Außenthermometer
42°C. Willkommen in der Hölle denke ich...
Die Einheimischen verbrennen den Reisig und das Gras zwischen Olivenbäumen erklärt meine bessere Hälfte. Also ich finde das sehr gefährlich denn wie schnell kann es sich bei so einer Dürre ausbreiten.
Dieser Duft von verbrennenden Olivenbaumästen und Blättern, hat allerdings was. Das ist ein einzigartiger Duft, der mir gefällt.
>
>
Nun ist kein Meer mehr zu sehen, es geht durch kleine Dörfer die teilweis armselig wirken.
Ich bin irgendwie enttäuscht, lass es mir aber nicht anmerken.
Endlich sind wir da. Müde, hungrig und verschwitzt steigen wir aus dem Auto. Die anschließende herzliche Begrüßung lässt mich meine Enttäuschung dann aber schnell vergessen. Es duftet nach Tomatensoße, eigentlich mag ich keine Tomatensoße. Ich denke:" Der Hunger treib`s hinein. Die ganze Familie ist zum Essen zusammen gekommen. Ich werde vorgestellt, umarmt, geküsst.... und verstehe kein Wort. Aber nett sind sie. In der Garage werden Tische aufgestellt, mit Tischdecken und Geschirr eingedeckt.
Getränke und Eiswürfel haben sich auch dazu gesellt, und dann wird das Essen aufgetischt. Spagetti mit Tomatensoße und Parmesan. Ich denke noch:" Ok, runter damit. Plötzlich erlebe ich eine Explosion meiner Geschmacksnerven. WOW, diese Tomatensoße ist der Hammer. Ich gebe 5 Sterne. Das wird mein neues Lieblingsgericht.
Als wir anschließend zu unseren Zimmern begleitet werden, denke ich, eine Zeitreise unternommen zu haben. Back to the seventies. Einrichtungstechnisch, ist hier die Zeit stehen geblieben. Alles sehr sauber und gepflegt, aber so ganz anders als zu Hause. Im Laufe dieses Urlaubs wird mir klar, dass hier andere Werte geschätzt werden als wir es gewohnt sind. Das Leben spielt sich in der Wohnküche ab, und die Wohnzimmer sind nur zum ansehen.
Es gibt fast überall 2 Küchen, eine zum kochen und eine zum anschauen. Die alten Leute sitzen wegen der Temperaturen, bis mitten in die Nacht, vor ihren Häusern auf der Straße. Alte Männer und in schwarz gekleidete Frauen, mit von der Sonne gegerbten Gesichtern, die einem ein buona sera zurufen, um anschließend zu tratschen, wer ich wohl sein mag, und zu wem ich gehöre.
Ich denke an meine
Oma zu Hause. Sie hat um diese Uhrzeit schon den halben Schlaf um. Hier wird noch nach Traditionen gelebt, zumindest bei den Alten ist das so. Erzkatholisch wird hier jede Prozession mitgemacht, und in der Kirche sonntäglich das Ave Maria gebetet.
Mariä Himmelfahrt . Ferragosto
Die Jugend ist da allerdings ganz anders gepolt. Aufgemotzte Autos, Motorräder an denen der Auspuff abgeflext wurde, damit sie schön laut sind. Die neuesten Modetrends in Sachen Kleidung, Sonnenbrillen von Gucci, Dolce & Gabbana und die neuesten Smartphones sind einfach Pflicht. Selbst nach Mitternacht noch, fahren Mütter mit Kinderwagen und Kleinkinder auf ihren Dreirädern durch den Park. Ich bin geschockt. Naja, ich bin ja auch Deutsche.
Kinder gehören zeitig ins Bett, zumindest wurde uns dass so beigebracht und bei meinem war es dann auch so. Nach unserem ersten Rundgang durchs Dorf geht's dann nach Hause. Bitte, ich will nur noch ins Bett. Schlafzimmertemperatur 30°C und keine Klimaanlage, stöhn...
Kaum eingeschlafen, werde ich von Geräuschen aus dem Schlaf gerissen. Ich traue meinen Ohren nicht. Da klopft doch tatsächlich jemand um diese Uhrzeit seine Teppiche aus.
Es ist ein Uhr Nachts !!! Ich schimpfe leise vor mich hin,
und meine bessere Hälfte gibt ein glucksendes Lachen von sich, dreht sich auf die Seite und schläft weiter. Genau eine Stunde später werde ich wieder geweckt. " Ein krächzendes KIKERIKI. Das Vieh gibt Laute von sich, als steht es vor der letzten Ölung. Immer und immer wieder. Ich werde langsam aggressiv. Das müssen die
Temperaturen hier sein, alles spielt verrückt. Nach endlosen 5 Minuten KIKERIKI, hat dieses krächzende Hähnchen alles was an Hähnen in der Nachbarschaft ist, geweckt. Und was passiert? Natürlich... alle antworten abwechselnd. Ich könnte heulen. Ich bin sooo müde. Irgendwann muss ich dann aber doch eingeschlafen sein. Plötzlich erschallt eine Lautsprecherdurchsage, Signoraaaaa nuovo materasso per il letto, materassi per la matrimonio, materassi per l`amore (Matratzen, fürs Bett, für die Hochzeit, für die Liebe)
Ich glaub mich laust der Affe, solche Laute hab ich zuletzt vor über 30 Jahren in meiner Kindheit gehört, wenn der Obstmann durch unsere Straßen fuhr. Dann, ein paar Minuten später, werde ich von aromatischem Espressoduft komplett geweckt. Meine Laune steigt, ich summe:" Der Kaffee ist fertig, la la la la la la la. Die Älteren werden diese Melodie sicher noch aus der alten Jacobs
Werbung kennen.
Es gibt wunderbar, leckere Brötchen ( Panini) von Antonios Supermercado, die wurden extra für mich geholt. Hier gibt's zum Frühstück nämlich ansonsten nur Biscotti mit Milchkaffee. Die Brötchen sind genauso klasse wie die Tomatensoße. Genauso hab ich mir als Kind die Brötchen vorgestellt, die Heidi aus der Stadt mit zum Alm Öhi nehmen wollte. Ich lächle vor mich hin.
Ich lerne Antenore, den Freund meines Mannes und seine Frau Antonella kennen. Die Beiden sind mir auf Anhieb sympathisch,
noch mehr sogar als Antonella mich mit Schweizer Dialekt auf Deutsch fragt, ob ich auch italienisch spreche. Ich bin überglücklich hier jemanden gefunden zu haben, der ebenfalls meine Sprache spricht. Ich glaube wir können Freunde werden. Antonella und Antenore, der sich nun auch abmüht, ein wenig deutsch zu sprechen, sind mir nun noch sympathischer als vorhin, und wir verabreden uns, gemeinsam mit den Kindern ans Meer zu fahren.
Heute geht es das erste Mal ans Meer. Meine bessere Hälfte sagt, es ist ca. 6 Kilometer von uns entfernt. Dort angekommen, möchte ich vor soviel Schönheit niederknien. Dieses Meer hat so viele Farben. Es ist der Wahnsinn. Von tiefen Dunkelblau bis zum ganz hellen Türkis. Man kann bis auf den Grund sehen, so sauber ist es. Schneeweißer Pudersand säumt den langen Strand. Zwischen den einzelnen Stränden, sind immer wieder mehrere meterhohe Klippen, die über die Jahrhunderte von der Kraft des Meeres geformt wurden.
Hier und dort tauchen Palmen und duftende Eukalyptusbäume auf. Aus den Pinienwäldern hört man das zirpen der Zikaden. Nichts erinnert mehr an den armseligen Eindruck, den ich noch gestern wahrgenommen habe. Ich glaube das wird doch ein schöner Urlaub. Diese Landschaft übt einen ganz eigenartigen Reiz auf mich aus, und hat sich ganz schnell einen festen Platz in meinem Herzen erobert.
Lu sule , lu mare, lu iento
Salento
Die Sonne, der Wind, das Meer....Salento