Nicht alle Männer, die Kinder haben, sind auch Väter
Ein treusorgender Ehemann und Vater war der Erzeuger meiner Kinder eigentlich nie. Trotzdem gibt es da so einige Situationen, die mir echt die Sprache verschlagen haben. Wenn ich beispielsweise daran denke, wie ich morgens in aller Herrgottsfrühe das Haus verließ, um an einer Fortbildung teilzunehmen und ihn dann mit meinem damals zweijährigen Sohn Dirk allein lassen musste, dann stehen mir noch heute die Haare zu Berge. Benjamin, der ältere war Gott sei Dank im Kindergarten. Mit der Steno- und Schreibmaschinenlehrerin aus dieser Fortbildung verstand ich mich so gut, dass sie mir vorschlug, mich nach Hause zu fahren. Nur zu gern nahm ich dieses Angebot an. Als Dank lud ich sie zu einer Tasse Kaffee ein. Als wir dann aber das Haus betraten, traf mich echt der Schlag: Rolf hatte sich zum Abhalten einer Mittagsstunde in das Schlafzimmer zurückgezogen. Dirk saß mitten im Wohnzimmer, nur mit einer Windel bekleidet, die eigentlich schon längst hätte gewechselt werden müssen. Was das Schlimmste an dieser Situation war, dass Dirk meinen Nähkasten ausgeräumt hatte. Das saß nun also mein kleines Kind auf dem Teppichboden im Wohnzimmer und steckte sich abwechselnd Stecknadeln Nähnadeln oder Knöpfe in den Mund, kaute darauf herum, nahm sie in seine kleinen Babyhände, betrachtete sie und warf sie mit der offensichtlichen Feststellung, dass die doch nicht so gut schmecken, im hohen Bogen im Wohnzimmer umher.
Ich stand für einen kurzen Moment schreckensbleich in der Wohnzimmertür, nahm mein Kind auf den Arm, ging mit ihm in das Kinderzimmer, wo ich als nächstes die Windel wechselte und ihn anzog. Dann drückte ich ihm für Kinder in dem Alter geeignetes Spielzeug in die Hand und begab mich zurück zum Wohnzimmer, wo meine Lehrerin schon kopfschüttelnd damit beschäftigt war, den Nähkasten wieder einzuräumen. Es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis ich endlich den versprochenen Kaffee aufsetzen konnte. In all der Zeit sprachen wir diese Situation nicht an. Es kam an diesem Tage sowieso kein rechtes Gespräch auf, weil jeder von uns seinen Gedanken nachhing. Bis heute wundere ich mich darüber, dass Dirk keinen größeren Schaden davongetragen hat. Allerdings sprach ich an diesem Tag auch mit dem Erzeuger meiner Kinder kein Wort mehr, sondern zeigte nur auf den Nähkasten. Oh, war ich sauer.
Einige Tage später hatte sich direkt über unserem Haus ein heftiges Gewitter zusammengebraut. Meine Söhne waren sehr verängstigt. Es erstaunte mich, als ich sah, dass der Vater sich einen Sessel in die Nähe des Fensters schob, seine Söhne auf den Schoß nahm, in den wolkenverhangenen Himmel zeigte und sagte: „Ach, wisst ihr, vor Gewitter braucht ihr wirklich keine Angst zu haben, denn die Blitze suchen sich immer die höchsten Punkte aus, in die sie einschlagen. Wenn also hier in der Nähe ein Blitz einschlagen sollte, dann wird er wahrscheinlich eher in den Funkmast dort oder in die hohen Bäumen dahinten einschlagen. Sollte aber doch ein Blitz in unser Haus einschlagen, dann sind wie eh alle gleich tot.“
Völlig geschockt stand ich da mit offenem Mund und einfach nur sprachlos. Wie kann man kleinen Kindern so die Angst vor Gewitter nehmen? Mir fiel da wirklich nichts mehr zu ein.
Aber vielleicht lässt sich daraus erklären, dass Dirk einige Wochen später, als er wieder einmal Blödsinn gemacht hatte und ich ihm sagte: „Hör jetzt auf, Dirk sonst gibt es gleich ein Donnerwetter.“ Nur antwortete: „Vor Donnerwetter habe ich keine Angst, Mama, nur vor Blitz.“
Es gibt da allerdings eine Geschichte, die mich so wütend macht, dass ich noch heute spüre, wie mein Puls ansteigt und ich richtig wütend werde, wenn ich daran denke.
Swea war damals gerade ein Jahr alt. Eine unserer Babysitterinnen, Wenke, damals gerade 15 Jahre alt, wollte mit Swea eine Fahrradtour machen. Damit mein Kind sicher auf ihrem Fahrrad mitfahren konnte, befestigten wir ein Weidenkörbchen am Lenker, setzten meine Tochter hinein und drückten Sweas Füßchen in die dafür vorgesehenen Schalen dieses Stühlchens. Aber schon nach wenigen Minuten erschien Wenke mit Tränen in den Augen wieder auf unserer Auffahrt: „ Es ist etwas Schreckliches passiert, Swea ist mit ihrem Beinchen in die Speichen gekommen.“ Wenke weinte vor Schuldgefühl und Swea schrie durchdringend. Ich wollte sofort mit Swea zum Arzt, wurde aber von Rolf zurückgehalten: „Deshalb musst du nicht gleich mit dem Kind zum Arzt, es wird schon nichts sein. Gebe ihr ein wenig Zeit, dann hört sie bestimmt auf zu weinen.“ Ich hörte aber nicht auf ihn, packte Wenke und Swea ins Auto und fuhr zum Krankenhaus. Dort wurde dann festgestellt, dass sich meine Tochter das Schienbein gebrochen hatte. Eigentlich wollten sie Swea stationär aufnehmen, ließen sich aber mühevoll von mir dazu überreden, sie wieder mit nach Hause zu nehmen. Auslöser war wahrscheinlich, dass ich mein Kind 11 Monate lang gestillt hatte und die Bindung zwischen uns einfach zu intensiv war. Ich konnte mein Kind nicht allein im Krankenhaus lassen, ich konnte aber auch ihre Brüder nicht allein Zuhause lassen. Also durfte Swea mit nach Hause unter der Bedingung, dass wir am nächsten Tag einen Arzt aufsuchen würden und am Montag zu einem niedergelassenen Chirurgen fahren würden. Alle Ärzte bestärkten mich in meiner Entscheidung, mein Kind nicht im Krankenhaus zu lassen. Der Chirurg erklärte allerdings auf meine erstaunte Frage, aus welchem Grunde so ein Kind stationär aufgenommen werden sollte: „Ach wissen Sie, es gibt Eltern, die nicht zu den vorgeschriebenen Untersuchungen gehen, sondern einfach nach einer gewissen Zeit den Gips selbst abnehmen und denken, das reicht.“
Hätte ich nicht selbst so ein Exemplar Zuhause, ich hätte diesem Arzt die Aussage sicher nicht geglaubt.
Nicht alle Männer, die Kinder haben, sind auch Väter.