Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und auf dem alles entscheidenden
Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
Anshale waren die Fackeln bereits am Abend aufgefallen, als Celcine zurückgekommen war. Anfangs hatte er die unsteten Lichter noch für Täuschungen seiner Übermüdeten Augen gehalten. Nun jedoch gab es keinerlei Zweifel mehr. Celcine hatte sie von den offenen Hügellandschaften der Küste weggeführt in die dichten Nadelwälder des Kernlandes. Standen die Bäume anfangs noch weit
auseinander und ließen viel Licht auf den mit Blättern und Nadeln übersäten Boden dringen so wurde es mit jedem Schritt düsterer, bis Anshale grade noch erkennen konnte, wer neben ihm ging. Die Dunkelheit und die kühlen Schatten machten ihm jedoch wenig aus. Während er die Nervosität in den Gesichtern der anderen erkennen konnte, fühlte er unter den Zweigen der umstehenden Nadelbäume eine Ruhe, die ihm unvertraut war. Doch im Zwielicht des Walds vielen ihm auch die Lichter, die den Flüchtlingen in einiger Entfernung folgten sofort auf. Es waren gut zwei Dutzend, die sich in einer Linie auf sie zu bewegten.
Es konnte auch nicht sonderlich schwer sein, ihnen zu Folgen. Dreißig ausgehungerte und erschöpfte Menschen hinterließen im Unterholz eine Spur, der selbst ein Blinder hätte folgen können Celcine blieb stehen, als sie bemerkte, das Anshale langsamer wurde. ,, Was ist ?“ Gwenth und Lina schlossen zu ihnen auf, während sich auch die befreiten Gefangenen langsam um Anshale und den Geist scharrten. Der Priester nahm derweil angesteckt durch die allgemeine Nervosität den Bogen von der Schulter und einen seiner improvisierten Pfeile zur
Hand. Zu Anshales Verwunderung hatte es Gwenth tatsächlich geschafft, in den letzten zwei Tagen vier Rehe zu erlegen, was ihre praktisch nicht vorhandenen Vorräte zumindest etwas Aufstockte. Aber ob der Mann die Waffe auch gegen einen Menschen gebrauchen würde, wenn es nötig war… ,, Wir werden verfolgt.“ Anshale sah noch einen Moment zurück ins Halbdunkel. ,, Und das fällt dir jetzt auf ? Wir
werden verfolgt, seit wir Ekklesia verlassen haben.“ , erwiderte Celcine. ,, Sag bloß, du hättest nicht damit gerechnet ?“ ,, Nein, aber die sind mir schon viel zu nah. Wie weit ist es noch bis Ebenwald?“ ,, Wenn ich das richtig sehe, sind wir in der Nähe von Lian.“ , sagte Gwenth. Anshale kam der Name bekannt vor. Endlich erinnerte er sich zumindest immer mehr an Allgemeine Dinge. Die Stadt lag am Ufer des Gleichnamigen Lian-Sees, mehr ein Tümpel, in dem sich aber genug Fische hielten, um einen Teil des Wohlstands der Siedlung zu stellen. Aber noch wichtiger, die Stadt stellte die Grenze zum schon sicher von den Numen
beherrschten Gebiet dar. Dahinter gab es noch freie Siedlungen und Städte, in denen die Kirche noch keinen festen Stand hatte selbst wenn der bewaffnete Wiederstand so gut wie gebrochen war. Und weiter dahinter… die gewaltigen Berge und Höhen des Falkenaug-Gebirges. Dahinter mochte es noch freie Länder geben, aber nur wenige würden sich über die Pässe und Steilhänge wagen und noch weniger ihren Mut überleben. Wie dem auch sei, sie waren der Grenze nahe. Und das hieß… ,, Es ist nicht mehr weit“ , erklärte Celcine. ,, Wir können es schaffen, bevor sie uns
einholen.“ ,, Dann sollten wir uns aber beeilen.“ , sagte Gwenth. Anshale nickte lediglich, bevor er die Leute zum Weiterlaufen antrieb. ,, Okay, Bewegung jetzt, das gilt für alle.“ Er selbst sah erneut zurück zu den Lichtern. Mittlerweile waren ihre Verfolger nahe genug, das er gelegentlich Wappenröcke und Stahl zwischen den Bäumen hindurch schimmern sah. ,, Wenn die Inquisitoren zu nahe kommen, müssen wir diesen Leuten den Rücken freihalten.“ , sagte er an Gwenth gewandt. ,, Ich will aber, das ihr euch aus dem Nahkampf raushaltet, wenn es
so weit kommt.“ Anshale bezweifelte zwar ohnehin, das die selbstgemachten Peile des Priesters viel gegen die Rüstungen ihrer Gegner ausrichten würden, aber so könnte ihm wenigstens jemand den Rücken freihalten. ,, Kann es sein, das du wirklich einfach nur Versuchst möglichst jung zu sterben ?“ , fragte Celcine. Anshale antwortete nur mit einem dunklen grinsen. ,, Kann ich mich auf euch verlassen ?“ Gwenth sah unsicher zu Boden. Lina war es, die schließlich für ihn antwortete: ,, Er darf nicht töten.“ ,, Und ich will es auch nicht.“ ,
erwiderte der Priester. ,, Tiere sind eine Sache, aber das…“ ,, Nun, das ist der Inquisition aber reichlich egal.“ , gab Celcine zu bedenken. ,, Schon gut. Erst mal müssen sie uns einholen und wenn das passiert…“ Er wollte lieber nicht darüber nachdenken. In Barsai hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite und in der Garnison den Platz. Hier hingegen, so unwegsam die Wälder auch sein mochten, würde ihn nichts Schützen. Gwenth keuchte, als er beinahe über
einen umgestürzten Baumstamm gestolpert wäre. Er konnte kaum sehen, wohin er lief und ohnehin nicht die Zeit sich zu orientieren. Lediglich der rote Pelz des Fuchses blitzte ab und an aus dem Halbdunkel auf und zeigte ihm so, dass er und die übrigen Flüchtlinge noch auf dem richtigen Weg waren. An der einen Hand hielt er Lina in der anderen den Bogen und zwei Pfeile. Sein Vater hatte ihm gezeigt wie man über die Pfeilspitzen zielen musste, um ein Ziel zu treffen und wie er die Entfernungen am besten Einzuschätzen lernte. Heute jedoch war das kein Spiel, kein Zeitvertreib. Zum ersten Mal sah er
das schlichte Stück geschliffenen Holzes in seiner Hand als wirkliche Waffe an. Gwenth konnte die schweren Schritte im Unterholz hinter sich bereits hören. Ein Mann wie ein Baum brach aus ein paar Büschen hervor und stellte sich ihm in den Weg. Die silberne Rüstung des Inquisitors und zahlreiche scharlachrote Schärpen zeichneten ihn als einen hochrangigen Offizier aus. Vielleicht sogar der Anführer der Soldaten, die sie jagten. Mochten die Geister wissen, wie der Mann darin laufen konnte. Die goldgestickten Insignien der Kirche glänzten in den wenigen Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch die dichten Nadeln
der Bäume fanden. Zögernd wich Gwenth zurück, als sein Gegner mit einem schweren Streitkolben nach ihm ausholte. Die Waffe sauste durch die Luft, traf aber nur einen nahegelegenen Stamm, der unter der Wucht des Aufpralls erzitterte. Jetzt jedoch hatte der Inquisitor Mühe, die Dornen der Waffe wieder aus dem Holz zu befreien. Gwenth schubste Lina hinter sich, während er langsam den Bogen hob und einen Pfeil auf die Sehne legte. Den halben Tag lang hatten sie es geschafft, ihren Verfolgern noch auszuweichen, doch trotz Celcines Beteuerung, bald am Ziel zu sein gab es
nach wie vor kein Zeichen, das sie sich irgendeinem bewohnten Ort näherten. Und jetzt hatte sie die Inquisition endgültig eingeholt… Waren die Flüchtlinge vorher wenigstens halbwegs geordnet ihnen gefolgt, brach spätestens jetzt das reine Chaos aus. Gwenth hatte im Zwielicht Probleme überhaupt noch zu unterschieden wo ihre Leute waren und wo sich die Inquisition befand. Manche der befreiten Gefangenen hatten es offenbar auch Aufgegeben, Celcine zu folgen, sondern versuchten sich in alle Richtungen abzusetzen. Anshale hingegen war irgendwo hinter ihm und lieferte sich ein Katz und Maus Spiel
mit ihren Verfolgern. Gwenth war mehr als einmal über die Leichen getöteter Inquisitoren gestolpert. Doch das alles interessierte Gwenth für den Moment nicht mehr. Was wichtig war, war der Bewaffnete Ritter vor ihm. Er bezweifelte zwar, das ein normaler Pfeil den Stahl der Panzerung seines Gegners durchschlagen würde, aber viel blieb ihm ohnehin nicht übrig. In seinem Rücken lauerten lediglich noch mehr Inquisitoren und der vor ihm versperrte ihm den Weg. ,, Lauf, sobald er abgelenkt ist „ , sagte er zu Lina. ,, Ich werde nicht weglaufen…“ Gwenth seufzte. Er hatte kaum Zeit jetzt
zu streiten. ,, Das war keine bitte.“ , sagte er lediglich Ernst und spannte den Bogen. Der Inquisitor hatte es mittlerweile geschafft, seine Waffe aus dem Holz zu befreien und kam deutlich zu langsam auf ihn zu. Vermutlich wusste er, das Gwenth ihm kaum gefährlich werden konnte. Trotzdem konzentrierte der Priester sich weiter auf sein Ziel. Der Pfeil würde wirkungslos abprallen. Aber an der Schulter überlappten sich zwei Stahlplatten bei jeder Bewegung seines Gegners. Wenn er den richtigen Zeitpunkt abpasste… Der Inquisitor war mittlerweile schon
gefährlich nah und holte erneut mit dem Streitkolben aus. Gwenth zielte und ließ die Sehne los. Bereits, als der Pfeil von der Sehne schnellte, wusste er, dass er sich verschätzt hatte. Der Pfeil würde ein gutes Stück neben der Lücke in der Panzerung aufkommen und so nah wie sein Gegner jetzt war… Plötzlich erstarrte dieser jedoch, als die Messerklinge an der Spitze des Projektils seine Schulter durchschlug Er musste eine Schwachstelle in der Rüstung getroffen haben oder die Rüstung des Inquisitors war allgemein schwächer als sie aussah. Jedenfalls hatte der Pfeil das Metall mühelos
durchschlagen. Der Mann stolperte zurück. Als Gwenth Lina neben sich leise Lachen hörte, wusste er jedoch, dass er nicht nur Glück gehabt hatte. Was hatte Celcine gesagt… Es war unheimlich wenn Menschen Magie nutzen. Für einen Moment konnte er dem nur zustimmen. Selbst wenn die Magie der Kal’ban und ihrer Geister am Erlöschen war, in Lina schiene in Teil davon erhalten, der selbst ihm Angst machte. Es war nichts, verglichen mit der Macht, die er bei Grauer gesehen hatte, aber das ein Kind so etwas tun konnte… Ein schwacher Windhauch ließ einen Moment einige Tannennadeln
aufwirbeln, die in seinen Augen die Form eines Kolibri annahmen. Aus der Schulterwunde des Inquisitors stieg jetzt rauch auf und mit einem Aufschrei versuchte der Mann, den Pfeil aus seiner Schulter zu ziehen, der sich glühend durch sein Fleisch fraß. Die schmerzerfüllten Schreie des Ritters waren Lina offenbar zu viel. Schweißperlen standen dem Mädchen auf der Stirn. Der Rauch verflog und damit offenbar auch das Feuer, das den Mann verbrannt hatte. Schwerfällig richtete sich dieser nun wieder auf und fasste voller Hass Gwenth ins Auge. Offenbar hielt er ihn für den Zauber verantwortlich. Der
Priester konnte die Augen des Inquisitors hinter dessen Visier glitzern sehen. Im nächsten Moment stürzte jedoch eine weitere Gestalt aus den Schatten, ein Schwert in der Hand und stellte sich ihrem Gegner in den Weg. Anshale sah alles andere als gut aus. Er war offenbar nur knapp einem Schwertstreich entkommen, der seinen Mantel zerfetzt hatte und aus zwei Oberflächlichen Wunden an seinem Rücken und dem linken Arm sickerte Blut, das den Stoff von Blau zu fast violett färbte. Beinahe beiläufig stieß Anshale dem Inquisitor das Schwert in die Wunde an der Schulter, drehte die Klinge herum und schlug dann noch einmal zu. Das
Schwert drang direkt in den Übergang zwischen Helm und Nackenpanzer und drang tief in den Hals des Mannes. Dieser hielt sich nur noch einen kurzen Augenblick aufrecht, bevor er zur Seite kippte und schwer auf dem Boden aufschlug. ,, Alles in Ordnung bei euch zwei ?“ , fragte Anshale, während er rasch die Klinge an den Schärpen des gefallenen Inquisitors säuberte. ,, Ich glaube schon.“ , entgegnete Gwenth. ,, Das war verflucht knapp.“ Lina nickte nur zustimmend und wirkte erschöpft. ,, Und es wird nicht besser.“ , antwortete Anshale. ,, Ich habe ein paar
erwischt, aber der Rest ist keine fünf Minuten hinter mir.“ Ohne lange zu zögern liefen sie nun zu dritt weiter. Trotzdem schloss die Inquisition langsam zu ihnen auf. Immer näher konnte Gwenth die gepanzerten Gestalten zwischen den Bäumen sehen. Den zweiten Pfeil, den er noch von dem Kampf mit dem Offizier übrig behalten hatte, schickte er wenig gezielt gegen einen weniger gut Gerüsteten Söldner, der zu nahe kam. Das Projektil traf ihn ins Bein und er stolperte. Gwenth grinste, als er den verdutzten Ausdruck des Gefallenen sah. Er wollte nicht töten. Das Leben schwer machen konnte er den Inquisitoren aber
jederzeit. Als sie eine kleine Lichtung zwischen den Bäumen erreichten, sah Gwenth jedoch, das Anshale stehen geblieben war. Einer nach dem anderen traten ihre Verfolger zwischen den Baumstämme hervor und bildeten einen kleinen Halbkreis. ,, Wir müssen weiter, jetzt.“ , rief Gwenth, aber Lina zog ihm lediglich am Ärmel seiner Robe. ,, Lass ihn.“ ,, Was ?“ Der Priester konnte lediglich entsetzt zusehen, wie Anshale nur dort stand und scheinbar… nichts tat. Eine Hand ruhte ruhig auf dem Heft seines
Schwerts, die andere hatte er angewinkelt. Was sollte das nur werden…
Langsam trat Anshale den Inquisitoren entgegen, die ihren Gegner ebenfalls abfällig musterten, als sei dieser schlicht Verrückt geworden. Als kaum mehr zehn Schritte zwischen ihm und den Soldaten lagen, flüsterte Anshale zwei Worte. Worte allerdings, welche der unsicheren Stille ein Ende machten.
,, Seit Asche.“
Die Welt um den einzelnen Krieger verschwand in einer Welle aus Dunkelheit, die alles mit sich riss.
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