Titel
Nathan McDavon bestellte sich gerade sein Frühstück in einem Fast Food Restaurant, als sein Handy in der Hose zu vibrieren anfing. Nicht einmal das war ihm gegönnt, dachte er sich. Nur einen winzigen Bissen zwischen die Zähne zu bekommen, das war alles was er wollte. Eigentlich hatte er längst Feierabend, doch in diesem Job wurde das Wort nicht allzu groß geschrieben.
„Agent McDavon!?“ meldete er sich.
„Nathan, setz dich bitte in deinen Wagen und hol mich von zu Hause
ab!“
Eine klare Aussage, die er nicht ignorieren konnte.
Nathan übergab der Kassiererin einen Zwanzig Dollar Schein, schnappte sich die Tüte und drehte sich um, ohne auf das Wechselgeld zu warten.
„Vielen Dank, Sir. Einen schönen Tag noch!“ rief ihm die junge Blonde hinterher, doch das hörte er schon nicht mehr.
Auf dem Weg zum Auto klemmte er sich das Handy zwischen Schulter und Ohr.
„Du hörst dich an, als wäre etwas nicht in Ordnung, Sarah!“ sagte er er,
während er nach dem Schlüssel suchte. Immer dasselbe.
„Das kannst du laut sagen.“
„Okay, bevor ich dir wieder alles aus der Nase ziehen muss... ich bin in zehn Minuten bei dir. Alles weitere bereden wir später.“
Er wartete erst gar nicht Sarahs Antwort ab, sondern legte einfach auf.
Nathan sah schon von weitem, dass Sarah vor ihrem Haus wartete. Er bremste ab und kam neben ihr zum stehen.
„Sieht ganz so aus, als müssten wir eine Extraschicht einlegen“, lautete
die Begrüßung.Ihre müden Augen verrieten ihm, dass sie lieber im Bett geblieben wäre und dennoch schenkte sie ein Lächeln.
„Mein Gott, wie ich diesen Satz vermisst habe!“ Nathan ließ den Kopf nach hinten fallen und deutete auf den freien Platz neben ihm. „Steig schon ein, na los!“
„Wo geht’s denn hin!“ wollte er wissen, nachdem sich Sarah auf dem Sitz niedergelassen hatte.
„Gordy McDavon hat sich vor wenigen Minuten per e-Mail gemeldet.“
Nathan schüttelte den Kopf.
„Und soeben hast du es geschafft, mir
den Tag zu versauen, Agent Cole“, witzelte er, doch seine Kollegin machte ihm klar, dass das alles andere als spaßig war und somit landete ihr Ellenbogen in Nathans Seite. Der wiederum zuckte ein wenig zusammen.
„Hör auf damit!“ sagte sie ernst.
„Was!? Du willst mir doch nicht erzählen, dass Gordy dir schöne Grüße hinterlassen hat. Ich kenne meinen Vater und wenn er sich bei uns meldet, dann nur, weil irgendetwas überhaupt nicht nach Plan läuft.“
„Hast du von deinem Vater das schlaue Köpfchen,
hm?“
„Erspar's dir, Sarah! Also, wohin geht’s? Und vor allem: Um was geht es?“
Sarah atmete tief durch, dann begann sie:
„Okay. Unser Ziel ist die Schule, in der vor etwa einer Stunde eine Geiselnahme angefangen hat. Wir müssen das beenden und zwar schnell. Mason Jennings Sohn ist verschwunden und Erin Dexter erlaubt sich einen Spaß mit ihm. Dexter übertreibt es und Gordy hat Angst, dass er redet. Wir haben die Anweisung, das zu unterbinden, in dem wir uns diesen Kerl schnappen.
Schon allein wegen Mason und Tyler. Lina wird in der nächsten halben Stunde aus dem Verkehr gezogen, aber vorher wird dein Vater seinen Tod vortäuschen, damit die Sache ins Rollen kommt.“
„Moment, Moment!“ unterbrach Nathan sie. „Was heißt den hier ins Rollen bringen? Was meinst du damit?“
„Jetzt zähl doch einfach mal eins und eins zusammen!“
Es herrschte kurze Stille bis sich Nathan wieder zu Wort meldete.
„Sarah? Ich hab manchmal das Gefühl, dass wir beide zu viel wissen. Und mit zu viel meine ich auch zu
viel. Ist dir das schon mal aufgefallen!?“ sagte Nathan und wirkte plötzlich nachdenklich.
Einerseits liebte er seinen Beruf und genoss die Zusammenarbeit mit Sarah, aber manchmal fragte er sich tatsächlich, ob das alles richtig war, was er tat.
„Was willst du denn jetzt hören, Nate?
Wir sind nun mal dafür ausgebildet, um Dinge die schief gelaufen sind, wieder ins rechte Licht zu rücken. Und wenn das bedeutet, dass wir die Vergangenheit eines Menschen bis auf das kleinste Detail auseinander nehmen müssen, dann ist das eben
so. Warum hast du denn jetzt solche Zweifel?“
„Ich weiß auch nicht. Irgendwie hab ich zum ersten Mal kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Ich kenne Mason schon so lange, verstehst du!?“
„Ich weiß worauf du hinaus willst. Aber hör auf darüber nachzudenken. Es ist besser, wenn wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren.“
Sarah war immer diejenige gewesen, die es schaffte Jemanden wieder auf die richtige Route zu lenken, die Hintergedanken blieben jedoch.
Er hasste es, seine Frau jeden Tag aufs Neue belügen zu müssen. Und langsam aber sicher hatte er es satt,
seinem Kind zu erklären, dass er es nicht zur Nachtgeschichte schaffte.
Der Job stand nun mal an erster Stelle und das würde sich so schnell auch nicht ändern. Doch was wäre, wenn er eines Tages nicht mehr nach Hause kommen würde? Welche Ausrede würden sie sich einfallen lassen, nur damit niemand in seiner Familie erfahren musste, von was er wirklich jeden Tag umgeben war. Von Menschen, die ihn regelrecht anwiderten und in deren dunkle Abgründe er schon so oft schauen durfte. Es versetzte ihm immer wieder eine Gänsehaut. Die Probleme, die er hinterher hatte
konnte er nur mit Hilfe eines Psychologen lösen, sonst wäre er wohl schon längst vor die Hunde gegangen.
„Ich höre damit auf!“ Das war sein Versprechen gegenüber Anny. Wie lange war das her? Drei Jahre oder mehr? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Nathan wollte kein Lügner sein, doch es war wie eine Sucht, aus der es kein Entrinnen gab.
Irgendwann, hatte er sich geschworen, würde er damit aufhören. Irgendwann...