Warum tut ihr mir das an
Beitrag zum Forumbattle 30
Verwendete Pflichtwörter:
Katzenauge
Läufer
Fingerhut
Schmutz
Nähmaschine
Luft
Geld
Egoismus
Tafel
Computer
Es sind inzwischen viele Jahre vergangen, um genau zu sein, fast fünfzig Jahre. Das es Mobbing war, was man mit mir anstellte, wurde mir erst sehr viel später klar. Zum Zeitpunkt des Geschehens war ich nur unheimlich traurig und musste viel weinen, da ich die Welt nicht mehr verstand. Was hatte ich nur getan, warum konnte mich keiner leiden? Ich wollte doch nur gut arbeiten. Mit meinen sechzehn Jahren war ich da total überfordert. Aber der Reihe nach.
Meine Mutti hatte mir einen Ferienjob besorgt. Leichte Arbeit in einer
Füllhalterfabrik. Später wollte ich mit Freunden an die Ostsee zum Zelten fahren. Da mir meine Eltern das nötige GELD nicht geben konnten, musste ich mir diese Fahrt selbst finanzieren. Aber das würde bestimmt auch Spaß machen,da war ich mir sicher. Dann kam der erste Tag im neuen Job. Pünktlich war ich im Personalbüro des Betriebes. Ich freute mich schon auf diesen ersten Tag. Die zuständige Mitarbeiterin ging mit mir in den Bereich, wo ich als erstes eingesetzt war. Sie stellte mich den Frauen vor, mit denen ich die nächsten Wochen arbeiten würde. Freundlich wurde ich begrüßt. Eine nette, junge Frau brachte mich an den Arbeitsplatz
und erklärte mir, was ich machen musste. COMPUTER gab es damals noch nicht, alles geschah perHandarbeit. Es waren einige Arbeitsgänge zum bearbeiten der zukünftigen Füllerkappen. Die Tätigkeit war leicht und angenehm, die Bezahlung sollte nach Leistung erfolgen. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand und Freude bereitete es auch. Ich machte nur die vorgeschriebenen Pausen und beteiligte mich auch kaum an den zahlreichen Gesprächen meiner Kolleginnen. Der Feierabend kam schneller als gedacht und zu Haus hatte ich viel zu erzählen. Es hatte mir auch wirklich Freude gemacht. Am nächsten Morgen bekam
jede Mitarbeiterin einen Leistungszettel, in dem die Zahlen vom Vortag bekannt gegeben wurden. Einige wurden gelobt, andere nicht so und was mich total happy machte, war das Lob, was ich bekam. Super Leistung für den ersten Tag. Ich war total stolz auf mich.
So ging es mehrere Tage, aber etwas war anders geworden. Mit mir wurde nur das Nötigste gesprochen und wenn ich mich zu einer Kollegin setzte, war ich luftiger als Luft. Langsam wurde ich unsicher, weil ich überhaupt nicht begreifen konnte, was hier los war. Eine Kollegin trieb es am schlimmsten. Immer hatte sie dumme Sprüche drauf, warf „aus
Versehen“ meine Werkstücke durcheinander und manches Mal zuckte ich zusammen, weil ich fühlte, dass sie mich mit ihren KATZENAUGEN starr ansah. Die Ausnahme bildete eine ältere Kollegin. Sie sprach mich öfter freundlich an und setzte sich auch mal zu mir, wenn ich auf einer Bank des Hofes, meine Stulle aß. So war es auch heute. Dann fragte sie mich, wie es mir hier so gefiel. Nach einigem Rumdruxen schüttete ich ihr mein Herz aus. Tränen liefen, als ich ihr erzählte, dass fast alle unfreundlich zu mir seien. Auch meine Tasche hatte man mal versteckt und ich musste sie suchen. Mein Bus war inzwischen weg. Sie hörte mich geduldig
an und riet mir, etwas weniger zu arbeiten. Die Frauen wären sicher sauer, weil ich so schnell arbeiten würde. Ich wollte noch so viel wissen, aber sie hatte es plötzlich sehr eilig. Auch ich eilte an meinen Arbeitsplatz. Beim Betreten des Raumes spürte ich gleich, dass hier dicke LUFT herrschte. Auf meinem Tisch lag ein großer Zettel. Darauf stand: „Hau ab, Normbrecher brauchen wir hier nicht!“ Jetzt war es um meine Fassung geschehen.Das war zu viel. Ich nahm meine Tasche und rannte aus dem Betrieb. Einige Frauen sandten mir noch laute Buh-Rufe nach, aber ich rannte nur. Am Abend erzählte ich alles meiner Mutter und teilte ihr meinen
Entschluss mit, nicht wieder in den Füllhalterbetrieb zu gehen.
Am nächsten Morgen weckte sie mich. Mir war schlecht und in meinem Kopf surrte es, als wäre er eine NÄHMASCHINE. Mutti bat mich, sie nach Wernigerode zu begleiten. Ich wollte nicht, aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. Mir blieb weiter nichts über, als ihrem Wunsch zu folgen.
Meine Mutter arbeitete bei der Gewerkschaft als Kreissekretärin. Ihre Chefin fragte mich nach Einzelheiten und ich erzählte ihr alles. Nun ja, zwischenzeitlich glühte das Telefon
schon und dann gingen wir zum Betrieb, der sich genau gegenüber befand. Man sagte mir, dass man schon mit allen Kolleginnen gesprochen habe und jetzt alles in Ordnung sei. Aber so ganz geheuer war mir nicht dabei.
Ein paar Tage gingen ins Land, aber geändert hatte sich praktisch nichts. Die ältere Kollegin hatte man mir als Patin zur Seite gestellt. Mit allen Problemen sollte ich mich an sie wenden. Für alle anderen Kolleginnen war ich weiterhin Luft. Keine sprach mit mir. Ich war nicht sehr sportlich, aber zum Feierabend wurde ich zum schnellsten LÄUFER. Bloß raus aus dem Betrieb! Es
war, als rutsche mir eine Bleijacke vom Körper, wenn ich endlich den Betrieb verlassen konnte. Arbeitsmäßig schraubte ich mich etwas zurück, aber das besserte meinen Zustand auch nicht. Betrat ich den Betrieb, fingen meine Hände an zu zittern, ich hatte keinen Einfluss darauf. Aber ich wollte auch nicht klein bei geben, denn ich war mir keiner Schuld bewusst. Eine hatte mal zu mir gesagt, EGOISMUS wäre mein zweiter Name. Das konnte und wollte ich nicht verstehen. Erwartete man nicht von jedem Arbeiter Fleiß und ordentliches Arbeiten? Zumindest hatten wir das in der Schule gelernt. Beim Betreten des Betriebes wurde man auf
eine große TAFEL aufmerksam. Hier waren die Fotos der fleißigsten Frauen des Betriebes ausgehängt. Also erwartete man doch Fleiß. Warum goss man dann SCHMUTZ über mich?
Am Abend wollte ich mir noch einen Knopf an die Bluse nähen. Aber meine Finger wollten nicht gehorchen, sie zitterten so, dass ich mir trotz FINGERHUT in die Hand stach. Es war zum verrückt werden.
Meine Mutter schüttelte den Kopf. Weitere Fragen ihrerseits beantwortete ich nicht mehr und ging zu Bett. Mein Kopf schmerzte zum Zerspringen.
Am nächsten Morgen wurde ich in das
Betriebsbüro gerufen. Ein netter Mann stellte mir viele Fragen. Ich sollte sagen, wer es am Schlimmsten mit mir trieb und was sie alles zu mir sagen würden. Da ich sechs Brüder hatte, wusste ich, das petzen das Schlimmste war, darum ließ ich mich auch nicht weiter ausfragen. Er bot mir an, hier weiter zu arbeiten. Wenn ich wieder Ärger haben sollte, könne ich mich jederzeit an ihn wenden. Dieser Mensch war mir sehr unsymphatisch und ich hatte auch die Nase voll, von dem Ganzen hier. Da ich noch eine Woche Arbeit vor mir hatte, sollte ich so lange in einem anderen Betriebsteil arbeiten. Dieser Betriebsteil lag in einem anderen
Teil der Stadt und dort arbeiteten nur Männer. Ich war einverstanden. Meine Kolleginnen wussten wohl schon von dem Wechsel. Einige schauten sehr verlegen und einige lächelten mich sogar an. Die Kollegin, die am Anfang so nett zu mir war, hielt mir einen Blumenstrauß hin. Ich war entsetzt! Wie konnte man nur so HINTERHÄLTIG sein? Ohne auch nur ein Wort zu sagen und ohne die Blumen zu nehmen, drehte ich mich um und ging.
P. Lieske
01/ 14