Wir waren gerade mal zehn Minuten mit dem Auto unterwegs und Lina gab mir bereits jetzt das Gefühl, nie wieder glücklich zu werden, wenn ich nicht unseren Sohn wohlbehalten zurück brachte.
Ich wusste immer noch nicht , in wie weit ich ihr vertrauen konnte.
Jonathan gab mir ebenfalls Rätsel auf. Zum einen hatte er mit Gordy McDavon geredet und zwar über die Sache, die wir beide mit ins Grab nehmen wollten. Aber dieser Schwur war hinfällig. Ich zweifelte an seiner Freundschaft und das machte mir zu schaffen. Wenn er mir wirklich etwas verheimlichen würde, dann würde ich nur schwer damit umgehen können.
Zumal Lina ihn in ein Licht stellte, dass ganz und gar nicht zu ihm passte.
Etwas hatte sich geändert und ich war bereit, herauszufinden, was es war.
Obwohl mein Kopf mit all den Gedanken langsam aber sicher zu platzen schien, gab ich mir die größte Mühe, nicht durch zu drehen. Eines war klar. Ich hatte Fragen und darauf wollte ich die passenden Antworten.
„Wohin fahren wir eigentlich?“ fragte ich Lina.
„Central Park. Ich möchte mich nicht mit Jonathan allein treffen.“
„Hey, es ist Jonathan, nicht irgendein Spinner, okay!?“
„Wenn du dich da mal nicht irrst!“ hörte
ich sie murmeln.
„Ich muss dich etwas fragen, Lina.“
„Ich bin ganz Ohr.“
„Du weißt Bescheid. Ich meine, über Jonathan und mich.“
„Das war keine Frage, Mason!“
Man konnte ihr deutlich anhören, dass sie überhaupt keine Lust auf dieses Thema hatte, doch ich musste weiter nachhaken.
„Komm schon, Lina. Was weißt du? Wir sind beide Polizisten. Meinst du wirklich, mich kann noch irgendetwas schocken?“
Es folgte eine kurze Pause.
„Gott Mason ich kann nicht darüber reden!“ sagte sie schließlich.
Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wusste also mehr.
„Glaub mir, das war alles nicht so geplant!“
„Nicht geplant? Vielleicht solltest du endlich aufhören, mir Informationen vorzuenthalten.“
Lina reagierte nicht und ihr Blick ging weiter starr gerade aus. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad und sie trat das Gaspedal noch etwas tiefer.
„Lina! Ich möchte Tyler genauso schnell zurück wie du. Aber so funktioniert es nicht.“
„Es ist besser, wenn du nichts weißt, Mason. Und jetzt Schluss damit!“
Sie hatte soeben ihren Eispanzer angelegt, was für mich bedeutete, dass ich die
emotionale Schiene, die ich gerade fuhr, vergessen konnte. Ich schüttelte nur noch mit dem Kopf.
„Vor ein paar Minuten war ich wirklich der festen Überzeugung, dass ich dir trauen könnte.“
Ein letzter Versuch von meiner Seite sie umzustimmen scheiterte kläglich.
Den ganzen Weg bis hin zum Central Park bestrafte sie mich mit Schweigen.
Lina parkte den Wagen direkt vor einem der vielen Eingänge des Parks.
„Es geht los! Du solltest dich auf deinen Instinkt verlassen!“ sagte sie, während sie ausstieg.
Inzwischen hatte ich mir die Waffe in den
Hosenbund gesteckt und zog die Jacke darüber.
Wir liefen ein paar Meter Richtung Westen und ich erkannte Jonathan schon von Weitem.
Mit einer aufgeschlagenen Zeitung saß er auf einer der Bänke.
„Hallo Jonathan!“ sagte Lina, als wir schließlich vor ihm standen.
Er legte die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. Ich war mir nicht ganz sicher, aber Jonathan schien überrascht, mich hier zu sehen.
„Du hast gesagt, du kommst allein!“ wandte er sich nun an Lina. Die zuckte nur mit den Schultern.
„Ist das wichtig für dich?“ entgegnete sie
ihm.
Jonathan überlegte kurz, dann stand er auf.
„Wollen wir nicht ein Stück gehen?“
Für mich kam die Frage genauso überraschend wie für Lina. Ich hielt mich jedoch noch ein wenig zurück.
Lina bewegte sich keinen Millimeter und sie machte auch nicht den Eindruck, einem Spaziergang zuzustimmen. Stattdessen fragte sie:
„Was ist? Willst du nicht wissen, warum ich noch am Leben bin? Oder wie Mason es geschafft hat, der Untersuchungshaft zu entgehen? Sollten nicht eigentlich das genau deine Fragen sein?“
Jonathan lachte kurz, dann wurde er
wieder ernst. Er fixierte Lina, so als ob ich gar nicht da wäre.
„Du lehnst dich viel zu weit aus dem Fenster, Darling!
Natürlich war ich verwundert, dass du noch lebst. Und dass du Mason da raus geholt hast, beeindruckt mich kein Stück. Ich will noch nicht mal wissen, wie, Schätzchen.
Mason hat mit Sicherheit genauso viele Fragen an dich wie ich.
Aber so wie ich dich kenne, erwartest du einen theatralischen Auftritt!? Vielleicht denkst du, dass sich jemand hier im Park versteckt und über dich herfällt, nur damit Mason einen Grund hat mich mit der Waffe, die du ihm gegeben hast, zu
erschießen!?
Ich kenne dich, Lina. Dich und jeden einzelnen deiner beschissenen Gedanken. Ich bin dir immer einen Schritt voraus und das ist dein verdammtes Problem. Mason kannst du vielleicht hinhalten und all deine Untertanen, die dir immer noch treu folgen. Aber nicht mich, hast du das verstanden?“
Fassungslos starrte ich erst Jonathan, dann Lina an. Hin und hergerissen zwischen Wahrheit und Lüge, versuchte ich den Überblick zu behalten.
Das war der Jonathan, den ich kannte. Nichts in seinen Worten hörte sich falsch an und das machte mir Angst. Kannte ich Lina
überhaupt?
„Bist du fertig?“ fragte Lina.
Mit verschränkten Armen stand sie da. Sie war mir von einer Sekunde auf die andere fremd geworden, das musste ich als erstes feststellen.
„Sie wird dir Lügen über mich erzählen, Mason. Vielleicht hat sie schon angedeutete, warum ausgerechnet du leiden musst. Warum dein Sohn entführt wurde, obwohl ich eigentlich derjenige sein sollte, der bestraft gehört.“
„Woher zum Teufel weißt du das alles?“ fragte ich ihn. Ich hatte es satt, ständig vor neue Rätsel gestellt zu werden.
„Ich sagte doch, ich bin ihr immer einen Schritt voraus. Und wenn du schlau bist,
dann kommst du jetzt mit mir.“
Ich spürte, wie mich Lina von der Seite musterte.
„Das kannst du vergessen!“ gab Lina ärgerlich zurück.
„Dann wirst du wohl nie erfahren, wo dein Sohn ist.“
Genau diese Reaktion löste bei ihr eine Kurzschlussreaktion aus. Sie stürzte sich auf Jon und riss ihn zu Boden. Über die Konsequenzen machte sie sich im ersten Moment keine Gedanken. Ich hielt Ausschau nach den Passanten, aber keinen schien es so richtig zu interessieren.
Jonathan hatte nun Linas Waffe im Gesicht.
„Wenn du mich umbringst, dann wirst du
nie erfahren, wo er ist, Lina!“ presste er hervor.
Lina drückte den Lauf der Waffe noch fester gegen seine Wange.
„Wo ist er?“
Jonathans Augen wanderten zu mir nach oben und urplötzlich ließ sie von ihm ab und half ihm hoch.
„Ihr habt zwanzig Min...“, doch weiter kam sie nicht, den der Schuss, der sie mitten durchs Auge traf, ließ sie zusammen sinken...