Kurzgeschichte
Sotschi - meine Liebe

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"Sotschi - meine Liebe"
Veröffentlicht am 14. Januar 2014, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Gunnar Assmy - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Sotschi - meine Liebe

Sotschi - meine Liebe

Sotschi meine Liebe

„Da strastwujet cholodnaja woina!“ „Es lebe der kalte Krieg!“

Na bitte, klappt doch noch nach so vielen Jahren.

Oder sollte ich besser statt „kalt“ „simnjaja“ schreiben, wie es uns jetzt in kyrillischen Buchstaben als Bandenwerbung bei jeder Wintersportveranstaltung entgegengrinst?  „Winterkrieg“ klingt auch nicht schlecht.

Viele Journalisten und Kommentatoren, unzählige Politiker wissen täglich aufs

Neue, wie Sotschi ist oder sein muss, sein müsste, wie die Russen sind im allgemeinen und wo der „Feind“ steht.

Und sie werden nicht zu den Olympischen Spielen reisen, natürlich nicht.

So wie der einstige Jugendpfarrer aus Rostock, der heute das höchste Amt im Staate begleitet.

Muss er ja auch nicht, es hat ihn schließlich niemand eingeladen.

Sicher wäre er auch damals, Mitte der 70er Jahre, nicht mit uns Rostocker Studenten mitgefahren, aber wir hätten ihn auch nicht mitgenommen. In der Beliebtheitsskala stand er nicht gerade an

vorderster Stelle.

So landeten wir eben mit einem unserer Professoren in Krasnodar und fuhren von dort aus weiter nach Sotschi.

Sascha, der eigentlich Aleksander hieß, fungierte als Dolmetscher, allerdings meist für den Prof, wir brauchten nach kurzer Eingewöhnung keinen Dolmetscher mehr.

Sascha war ein echter Russe, Deutschlehrer am Landwirtschaftlichen Institut, und charmemäßig unübertroffen. Er war es, der uns Sotschi, die Schöne am Schwarzen Meer, zeigte.

Architektonisch wunderbare weiße

Häuser, das Meer azurblau (woher rührt nur der Name „Schwarzes Meer“?), in der Ferne die gewaltigen Gipfel des Kaukasus, in der Stadt Palmen.

Ein cirka 5 Meter hohes Exemplar trug am oberen Ende weiße Glöckchenblüten. Nie zuvor hatten wir eine solche Pflanze gesehen, einfach beeindruckend. „Das ist eine Yucca“, klärte uns Sascha auf.

Der Bus ins Stadtzentrum konnte die Vielzahl der Passagiere kaum fassen, wir stapelten uns nahezu schichtweise ein, irgendwie klappte es.

In diesem Gedränge blickte mich plötzlich ein Mädchen an, sie schaute genauso ungläubig wie ich, sah ich doch

mein eigenes Spiegelbild vor mir. Warum habe ich sie nicht angesprochen? Ich war wohl zu schüchtern. Seiner Doppelgängerin begegnet man sicher nur einmal im Leben. Minutenlang musterten wir uns, dann rief Sascha zum Ausstieg. Das Mädchen schaute mir hinterher, meine beste Freundin blickte ebenfalls verdutzt auf mein zweites „ich“.

In Krasnodar und Sotschi lernte ich „meine“ Russen richtig kennen

Nein, ohne jemanden zu nahe treten zu wollen, jene Neureichen, die sich inzwischen den Urlaub in Griechenland oder Ägypten leisten und dort wie Heuschreckenschwärme über das Bufet

herfallen und am Pool herumgrölen, das sind nicht „meine“ Russen.

„Meine“ Russen rutschen im Zug ganz eng zusammen, damit alle sitzen können. Sie holen Unmengen an Gebackenem und Gebratenem aus Taschen und Koffern, kippen in ein Gurkenfass, in dessen trüber blassrosa Brühe 10 Beeren schwimmen (Kompott genannt) eine Flasche Wodka, da das Gebräu bereits zu gären anfängt. So, jetzt ist es wieder genießbar, nun wird spontan ein Fest gefeiert. Sie singen mit sonorer Stimme melancholische Lieder.

4 Stunden Zugfahrt, nicht eine Minute Langeweile.

Sie stellen sich schon mal auf die Straße und halten den nächsten Bus an, wenn man die richtige Haltestelle nicht kennt. Oder drücken dir das köstliche Sahneeis in die Hand, wenn du gerade keine Kopeke greifbar hast. Als Gast bist du immer und überall eingeladen und willkommen.

Die anderen gibt es hier wie in jedem Land, aber 143 Millionen sind schwer auf ein paar Scheihälse zu reduzieren.

Ich habe dieses Land lieben gelernt mit all seiner Schönheit und seinen warmherzigen Menschen.

Ich hoffe sehr, dass die jungen Sportler aus 80 Ländern wunderschöne

Wettkämpfe an diesem einzigartigen Fleckchen Erde erleben und dass sie vielleicht auch „meine“ Russen kennen lernen. Ich wünsche mir so sehr, dass die Sportler dem „Winterkrieg“ ein Ende bereiten.

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Über den Autor

Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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pekaberlin Jolka, polka, Christine!
Hätte ich nicht gedacht, dass hier jemand ganz offiziell seine Liebe und Hochachtung für "die Russen", das russische Volk zugibt. Molodjez!
Auch ich habe eine große Sympathie für diese Menschen. Ich lebte in Moskau. Und obwohl es '89, '90 sehr schwer war, weil es nichts gab und Gorbi sich nur um's Ausland kümmerte und sein Ansehen in der Welt, war es doch warm und herzlich!
Ja, und ihre Treue und Opferbereitschaft, die von einigen schamlos ausgenutzt wurde, war es, die Europa mehr als einmal von den großen Imperatoren befreite. Indem man sie heute kleinmacht, versteckt man seine damalige Mittäterschaft, Feigheit und Untätigkeit.
Liebe Grüße Peter
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Eine wunderbare Aussage hast Du hier erschaffen, mir gefallen solche Menschen auch besser, als diese neureichen Nichtdenker.. Aber Winterspiele und Sozschi passen meiner Meinung nach dennoch nicht recht zusammen. Hoffentlich geht alles gut.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
dieNiki wunderschön deine erzählung ,,
ich habs gerne gelesen christine
favo gewiss ,,
gruss dieNiki
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Liebe Christine,
Dein Text tut gut.
Ja, die Begriffe "Toleranz" und "Freiheit" müssen sehr viele Verzerrungen erdulden.
Wenn der Rote Platz eigentlich "Schön" heißt, könnte das Schwarze Meer vielleicht "Teuflisch" sein? Nur so ein Verdacht. Sicher findet Luanna noch hierher oder eine andere Spezialistin.
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Bei deinem warmherzigen Text geht mir das Herz auf! GENAUSO habe ich auch MEINE RUSSEN kennen gelernt! Und nicht nur in Sotschi, wo ich 1983 für eine Woche war... Anschließend ging's nach Pjatigorsk, von wo aus der Kaukasus erkundet wurde, und vor dem Rückflug folgten noch einige Tage in Kiew ... Auch nach 30 Jahren und dem Kennenlernen vieler anderer Länder hat diese wunderschöne und erlebnisreiche Reise einen festen Platz in meiner Erinnerung und wird ihn immer behalten!
Ich danke dir für diesen wunderbaren und guten Text und kann nur jedes Wort von dir unterschreiben! Sollen doch solche Hassprediger wie der doppelzüngige Pastor wegbleiben!

Liebe Grüße
fleur

Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Vielen, vielen Dank, du machst mich ganz glücklich mit deinen Worten.
Ich hoffe, es lassen sich recht viele überzeugen. Das Genöle und die Berichterstattung über Olympia sind einfach unerträglich. Dafür werden Spekulanten wie Herr Chodorchowski als Freiheitskämpfer behandelt. Nicht mal Rockefeller scharrte seine Milliareden in so kurzer Zeit zusammen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Das mit dem Oligarchen Chodorkowski sehe ich genauso. Er und seinesgleichen haben Russland damals schamlos ausgeplündert, sich für 'nen Appel und 'n Ei am Volksvermögen bereichert, während die ehrlichen Menschen bei den Inflationen alles verloren haben ...
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
merrillius Danke für den Einblick in eine für mich fremde Welt. Sehr schön beschrieben.
LG merrillius
Vor langer Zeit - Antworten
Rehkitz Ja, ich hoffe auch das Sport die Menschen, auch in Russland, ein bischen näher rücken lässt. Ein wundersches Erlebnis hast Du hier niedergeschrieben.
Mit lieben Grüßen Theresia
Vor langer Zeit - Antworten
Montag Ich habe 1988 3 Wochen in Sotschi Urlaub gemacht. Es war mein erster Urlaub mit Flugreise, der Aeroflot von Düsseldorf aus. Mir hat Sotschi sehr gefallen, das Meer, die Berge, wir machten Ausflüge in das Kaukasusgebirge mit Hubschraubern hin und mit Taxis zurück, zu Teeplantagen und auf das Meer. Als ich zu Hause im Freundeskreis Fotos von dem Palmengarten gezeigt habe, waren viele überrascht, sie konnten sich Russland nur als Schneelandschaft vorstellen.
Dein Buch gefällt mir. LG Montag
Vor langer Zeit - Antworten
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