Fantasy & Horror
Die Dunkle Königin - Kapitel 3: Die Abrechnung

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"Die Dunkle Königin - Kapitel 3: Die Abrechnung"
Veröffentlicht am 09. Januar 2014, 48 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich heiße Jannika, und ich lebe für die Geschichten. Eines Tages kann ich vielleicht von ihnen leben. Bis dahin lese ich jedes Buch, was mir in die Finger kommt :)
Die Dunkle Königin - Kapitel 3: Die Abrechnung

Die Dunkle Königin - Kapitel 3: Die Abrechnung

Kapitel 3: Die Abrechnung

Yanus tupfte sich den Mund ab und verzog missmutig die Lippen. Der Brandwein war billig und sauer und brannte ihm in der Kehle. Aber das Zeug war auch stark, floss schnell durch seine Adern und versprach ihm süßes Vergessen.


Er trank es in einem Zug aus und verspritzte einen Teil auf seinem Gewand aus Silberbrokat. Fluchend versuchte er, die roten Tropfen mit seinem Taschentuch abzuwischen, doch die Flecken blieben, dunkel wie getrocknetes Blut. 


Mit einem letzten wütenden Schnauben stellte er die Flasche zurück auf den Tisch und beobachtete seine Umgebung. Es war schon spät, und die Männer, die er erwartete, waren immer noch nicht aufgetaucht. Die Taverne war ein düsteres Etablissement, schlecht beleuchtet, dreckig und zudem stank sie. Im Schankraum schwelte der Duft von günstigem Bier, Männerschweiß und ranzigem Tierfett, der ihm die Kehle zuschnürte.


Er hätte den Geruch mit einem Saustall

verglichen, doch Yanus hatte noch nie einen Fuß in einen Stall gesetzt. Schweine waren etwas für Leibeigene, und durch seine Adern floss blaues Blut. Er war als Fürst geboren worden.


Ich bin immer noch ein Mann von Stand, dachte er säuerlich. Ein Fürst ohne Land und Lehen. Yanus Sturmschild, der Mittellose. Und wenn er heute Abend keinen Erfolg hatte, dann würde es keinen Menschen mit dem Namen Sturmschild mehr geben. Die Zeit rannte ihm davon... und er brauchte das Geld. Yanus, der Hoffnungslose. Wenn seine

Ahnen ihn heute sehen könnten, würden sie sich vor Scham im Grab umdrehen. Zu tief war er gesunken … Doch es war nicht immer so gewesen. 


Der Name Sturmschild hatte viel Gewicht getragen, als sein Vater noch im hohen Rat gesessen hatte. Seine Familie war so alt wie die Gründung des Reiches, und besaß die großen Marschen Weil seine Mutter eine Cousine des Königs persönlich war, waren sie fast wöchentlich zu Hofe eingeladen worden. Yanus war unter den reichsten jungen Männern des Herzlandes aufgewachsen. Er erinnerte sich noch an Malakas, einen

dünnen Jungen, der fast nur aus Knien und Ellbogen bestand und mit seinen dummen Freunden kicherte. 


Der Kronprinz hatte auch eine Schwester, doch seine Erinnerung an sie war schwach, denn sie war sehr still gewesen, hatte lediglich alles mit großen Augen angestarrt. Doch es war Prinz Malakas, der ihn geärgert hatte, dieser schwächliche Pferdenarr. 


Sein sandfarbenes Haar war stets vom Wind verstrubbelt gewesen, was ihm dieses abenteuerliche Aussehen verlieh, das die jungen Damen in seiner Anwesenheit kichern und seufzen ließ. 


Sein Kopf war voller Stroh gewesen, während links und rechts Höflinge in seine Ohren flüsterten. So gutaussehend Malakas auch war, er war ein Trottel, der nie etwas bemerkt hatte. Und er würde eines Tages König sein, nicht wahr? Und über alle Sterblichen richten? Wie lächerlich. Zwielichte Gestalten trieben sich an der Bar herum, vermummte und kapuzierte Fremde, die lange Messer an ihren Gürteln trugen und in ihm gänzlich unbekannten Sprachen stritten. Dort war ein stämmiger Söldner, der grimmig in sein Glas starrte, sein Speer an die

Theke gelehnt. 


Neben ihm trank ein Rudel ungewaschener, übel aussehender Kerle, deren große Krüge in ihren gewaltigen Fäusten verschwinden zu schienen. Von allen Orten dieser Welt war der „Backstein“ der letzte, von dem Yanus gedacht hatte, dass er ihn einmal betreten wurde. Einst war er ein Fürst gewesen... er erinnerte sich an lange Stunden der Jagd, den Wind in seinem Nacken, das Knacken der Äste unter der Hufe seines Pferdes. Die Schreie seines Falken, der Triumph, der durch seine Adern floss,

wenn er etwas erlegt hatte. Die langen Abende danach, trunken und verschwommen, gefüllt mit der Wärme von altem, exzellenten Wein. Die Blicke der Diener, voller Angst und Ehrfurcht, weil er binnen eines Augenblicks ihr Leben verändern konnte. Doch seit die Gesundheit seines Vaters versagt hatte, waren die Dinge steil bergab gegangen. Das Alter hatte ihm langsam das Leben ausgesaugt und ihn stur und töricht gemacht. 


Vorher hatte der hohe Rat alle Energie und Hingabe seines Vaters für sich beansprucht, doch nachdem seine

Gebrechlichkeit ihn ans Bett fesselte, richtete sich sein wachsames Auge auf Yanus ... seinen einzigen Sohn, seinen Erben. 

Zuerst hatte er angefangen, an seiner Trunkenheit herumzunörgeln, dann an seinen Freunden und seinem mangelnden Interesse für Politik. Ein schrecklicher Streit endete damit, dass seine Trinkkumpane von den Ländereien und Burg Grafenstein verbannt wurden und sein Jagdfalke verkauft wurde. 


Ein Meister hatte ihn an diesem Morgen geweckt und ihm die Geschäftsbücher des Lehens vor die Nase gehalten. Sein

Vater hatte sich gewünscht, dass er wie ein braver Schuljunge auf die Bank hocken würde, um den Rest seiner Tage damit zu verbringen, über verstaubtem Pergament zu katzbuckeln, genau, wie er es selbst getan hatte.

Wütend hatte Yanus seinen Vater angebrüllt, dass er ihm sein altes Leben zurückgeben, und dass er doch ohne weitere Einmischungen endlich tot umfallen möge.


Doch der alte Trottel hatte sich mit grimmiger Entschlossenheit ans Leben geklammert und getan, was er nur konnte, um ihn einzusperren und all

seine Hoffnungen auf Ruhm und Ehre zunichte zu machen. Doch mit jeder Sonne, die aufging, wurde sein Vater schwächer, während Yanus immer stärker wurde, und der Haushalt begann, sich für Befehle an ihn zu wenden, den jungen Fürst Sturmschild. Ihre Zukunft. 


Er war überzeugt davon, dass er gewonnen hatte, und so suhlte er sich in seinem Sieg, nur um bald herauszufinden, dass der alte Mann noch nicht aufgegeben hatte. Von seiner Mutter, dieser umherschleichenden, gebeugten Verräterin am Leben erhalten, hatte er ei im Stillen Rache geübt.


In tiefster Nacht hatte er Stimmen aus dem Schlafzimmer seines Vaters gehört und ihn dort vorgefunden, aufrecht sitzend und nicht, wie erhofft, tot. Ein grimmiges Lächeln war auf seinem runzligen Gesicht erschienen, als er Yanus sah, und seine schwachen, zittrigen Finger hielten einen Briefumschlag umklammert. Neben ihm stand ein Meister und strich sich über den schwarzen Bart, während seine Käferaugen ihn, den Fürstensohn, voller Mitleid anschauten. „Was hast du nun angestellt?“, hatte Yanus ihn zornig angefahren, die Fäuste geballt. Und der Narr war so von sich

selbst überzeugt gewesen, dass er ihm das Dokument gereicht hatte. Schwarze Tinte wand sich in makelloser Schrift über das Pergament. Ein blutrotes Hoheitssiegel pulsierte unter der geschwungenen Unterschrift seines Vaters. 


Und dieses bloße Stück Papier erklärte alle Ländereien der Sturmschilds zum Eigentum der Krone. Ein Stück Papier, das unter seinen Fingern knisterte, würde ihn zum Bettler machen. Es war schlimmer als ein Schlag ins Gesicht; Es bedeutete, dass diese miese Kreatur, die sich sein Vater nannte, lieber sein Haus dem Untergang geweiht hatte, als seinem

eigenen Sohn das Fürstenzepter zu überlassen.


Er war jetzt ein Niemand, ein hohles Gesicht in der Masse des Pöbels, ärmer als der ärmste Bauer. Und als der alte Mann ihn mit Verachtung in den eingesunkenen grauen Augen anschaute, in dem vollen Bewusstsein, das er sein Leben vergiftet hatte, kochte heiße Wut in Yanus auf, eine Wut, die keine Grenzen kannte. Ohne zu zögern hatte er das Pergament in Stücke gerissen und ins Feuer geworfen. 


In diesem Augenblick war das Lächeln aus dem verrunzelten Gesicht verblasst.

Der Meister hatte ihn mit weit geöffnetem Mund erstaunt angegafft. Und Yanus hatte gewusst, dass er leben wollte, und dass er diesen Wahnsinnigen aufhalten musste, diesen Haufen Knochen, der sich weigerte, seinen Platz im Grab einzunehmen. 


„Dafür wirst du bezahlen“, hatte sein Vater ihm gedroht, den knochigen Finger hoch erhoben. „Du bist nicht mein Sohn. Du bist ein Parasit. Niemals wirst du Grafenstein bekommen“. Die Worte entfachten einen Funken, der lange in seinem Inneren gelauert hatte, bis er lichterloh brannte vor Zorn. Noch

nie hatte er sein Schwert gegen einen anderen Menschen gewandt, doch es fühlte sich an, als ob es eine andere Hand war, die den Griff hielt, ein anderer Mann, der es in die Brust seines Vaters rammte. 


Manchmal meinte er immer noch, den Meister in seinen Träumen schreien zu hören, während warmes Blut ihn bespritzte. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, als er begriff, was er getan hatte. 


Er war ein Mörder, ein Verräter seines Blutes, ein Fall für den königlichen Richtshof. Arbeit für den Henker, wenn

die Wahrheit ans Licht kam. Er war frei, frei von den Klauen seines lästigen Vaters, doch er fühlte sich beschmutzt und missbraucht. Seine Kleidung, seine Waffe, alles war blutverschmiert. Es war, als ob er aus einem Albtraum erwacht wäre, nur um festzustellen, dass er nicht geträumt hatte. Erst dann hörte er das Wimmern des Meisters. 


Dieser Mann, der einzige Zeuge des Geschehens, die letzte Stimme, die sein Schicksal besiegeln konnte, begann um sein Leben zu betteln. Sein dünner Körper zitterte wie Espenlaub. 


Yanus hatte gewusst, dass die einzige vernünftige Lösung seines Problems darin bestand, dem Mann ein sauberes Ende zu bereiten. Sein Herz zu durchbohren und die Angelegenheit zu begraben.


Doch die schwelende Wut, die zuvor seine Hand gelenkt hatte, war aus ihm entwichen wie heißer Dampf. Nichts blieb zurück außer einer Stille voller Entsetzen.


Er war zu einem Schwächling geworden, dessen Schwert in seinem Griff zitterte. Und er konnte es nicht

über sich bringen, das zu beenden, was er begonnen hatte. „Bitte, mein Fürst“, flüsterte der Meister schwach. „Ich werde niemals davon sprechen, ich schwöre es“. Er hatte die Klinge sanft an die Kehle des Mannes gehalten, seinen Puls gespürt, schneller als ein galoppierendes Pferd. Und während er sich auf den letzten Stoß vorbereitete, erinnerte er sich an das Gefühl, durch Fleisch zu schneiden. Er beugte sich vor und übergab sich, während das Schwert klappernd zu Boden fiel. Der Meister hatte ihn mit seinen großen,

dunklen Augen angestarrt, während er vor ihm kauerte. Tränen liefen über seine Wangen. Yanus hatte seinen Vater mit den Leinen seines Krankenbettes spärlich bedeckt. “Er ist in seinem Schlaf gestorben, verstanden?”, hatte Yanus ihn angeschrien, während er mit seinem Schwert herumfuchtelte wie mit einen nutzlosen Stock. 


Der Mann hatte fieberhaft genickt, blass wie ein Toter. Als sie das Bett und den Leichnam hergerichtet hatten, hatte er die Laken verbrannt und die Wachen gerufen. Und er hatte den Meister einkerkern lassen, den zittrigen alten Mann.

Eine junge Frau war kurz darauf zu ihm gekommen, um um das Leben ihres Vaters zu flehen, doch er hatte den weinenden Narr hinter Gitter gelassen. Er war ein Vogel, der in ein falsches Ohr zwitschern konnte. 


Hier, in seinen eigenen Mauern, war Yanus' Wort Gesetz, doch dort draußen hätte ein Wort des alten Mannes ihn zugrunde richten können. Der Meister war bald in der kläglichen Zelle gestorben. Doch sein Tod war nur ein kleiner Moment der Erleichterung gewesen, denn obwohl er nun Erbe und

Herr von Grafenstein war, folgte ihm seit jenem Tage das Unglück auf Schritt und Tritt. Seine Spiele brachten ihm nur noch Schulden, und seine vermeintlichen Freunde waren aufgescheucht fortgeflogen wie eine Schar erschreckter Krähen. Und kein Wein der Welt konnte ihn vergessen lassen, das er ein Feigling war. Ein nutzloser Feigling, ein Vatermörder, der es nicht übers Herz gebracht hatte, einem Großväterchen einen sauberen Tod zu bereiten. Und das verfluchte, verruchte Gold war gekommen, um seinen Tribut zu fordern.

Vor einem Mond waren seine Gläubiger aufgekreuzt, um ihn auszunehmen wie einen toten Hasen, und er hatte sein Lehen verkaufen müssen, die Rüstung seines Vaters und alle ihre Pferde. 


Doch es war nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen, denn die Summe, die noch ausblieb, war stolzer als Grafenstein in seiner ganzen Blüte. Und das, was ihm noch blieb, war gerade genug, um ihn nicht verhungern zu lassen. Sie waren wie die Blutegel, mit denen die Meister versucht hatten, seinen Vater zu kurieren, gierig saugten sie ihm sein Leben aus und wurden niemals satt. 


Er besaß nichts mehr außer dem wein-bespritzten Gewand, was er trug, und seinem Namen. Yanus Sturmschild... doch die Männer, mit denen er verabredet war, kannten ihn nur als „den Lord“.


Er hatte versucht, die cremefarbenen, eleganten Briefe zu vermeiden, die ihn regelmäßig aufsuchten, versucht, zu vergessen, was ihm schon dunkel schwante, doch die Bank von Kharvahal eigenen Wege und Mittel, sicherzustellen, das ihre Kunden zurückzahlten.

Sein atemberaubender Schuldenberg hatte einen verfluchten Rhaedar an seine Türschwelle gebracht, der ihn höflich aufklärte, dass falls er nicht bald den halben Betrag überwies, ein Priester des Elokan ihn aufsuchen würde. Dieser würde die gerechte Strafe über ihn verhängen, die jeden armen Schlucker erwartete, der mit Blut unterschrieben hatte und seine Schulden nicht zurückzahlen konnte. 


Grafenstein würde ihm aberkannt werden, er müsste wie ein Bettler nackt durch die Straßen ziehen, in einer

festlichen Parade bis zu dem Hügel der Verräter, wo sie ihn für seine Sünden hängen würden wie einen tollwütigen Köter. Sein Leben, sein Fürstentum und das Schicksal seines Hauses hingen am seidenen Faden. Er war verzweifelt, verzweifelt genug, um sich nicht mehr darum zu scheren, mit wem er Geschäfte machte. Und weil keine Bank, die etwas auf sich hielt, ihm noch einen blanken Heller leihen wollte, egal wie sehr er drohte, bettelte und um sich spuckte, war er in anderen, düsteren Gefilden gelandet. 


Die letzte stattliche Summe hatte er von der schwarzen Hand geliehen und sie hatten sich bereit erklärt, ihm einen Monat Aufschub zu gewähren. Wenn das Treffen heute gelang, hoffte er, sich genug Zeit zu erkaufen, dass Kharvahal ihn vergaß. 


Und so war er an diesem gottverlassenen Ort gelandet, und hatte ohne Erfolg versucht, seine wachsende Angst in dem widerlichen Gebräu zu ertränken, den sie hier als Wein verkauften. Die Tür der Taverne öffnete sich, und ein Windstoß trug den Staub der Straße hinein. Schwere Fußstapfen ließen den

Holzboden aufquietschen und Yanus spähte nervös über seine Schulter.


Die Neuankömmlinge waren zwei breit gebaute Männer mit geschwärzten Zähnen, die ihn an die Banditengeschichten erinnerten, die der Pöbel so gern erzählte. Ihre Gesichter waren schmutzig, umrahmt von wild wuchernden Bärten und hohlen Wangen, die nichts mit den rosigen Wangen der anderen, betrunkenen Gäste gemein hatten. 


Das und ihre wachsamen, kalten Augen machten es mehr als deutlich, dass sie nicht zum Spaß in den „Backstein“

marschiert waren. Sie hatten etwas vor, und Yanus befürchtete, dass sie etwas mit ihm Dvorhatten. Er rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und versuchte, ihre stechenden Blicke zu vermeiden, während sie sich durch die Menge drängten. Sie kamen auf ihn zu, und er biss sich auf die Lippen und stand auf. „Meine Herren...“ begann er. 


Ich bin sicher, wir können diese Angelegenheit regeln, ohne das ihr mir alle Knochen brecht? Er brach mitten im Satz ab. 


Die Schläger hatten sich von ihm

abgewandt und sich über die Theke gebeugt, um ein gemurmeltes Gespräch mit dem Wirt anzufangen. Langsam wagte er es wieder, zu atmen, und ließ sich von einem grau gewandten Diener seinen Weinkrug neu auffüllen. 


Der Mann verbeugte sich und stellte den Krug beiseite, um sich neben ihm niederzulassen. „Fürst Sturmschild. Es ist mir eine Freude und eine Ehre, euch kennenzulernen“. Erst dann wurde Yanus bewusst, dass ein Drecksloch wie der „Backstein“ keine Diener beschäftigte. Mit Augen groß wie Silbertellern starrte er den

Fremden an. 


Der vermeintliche Diener sah seltsam unauffällig aus, wie ein verschwommenes Gemälde mit seinen weichen, gewöhnlichen Zügen, dünnen Lippen und fliehendem Kinn. Doch als sein Mund sich zu einem Lächeln verzog, strahlte es eine solche Überheblichkeit aus, dass es ihn kurz die Sprache verschlug. 


Wie auch immer, er ist immer noch ein schmutziger Verbrecher, erinnerte er sich selbst. „Wer seid ihr?“, forderte Yanus ihn heraus, verärgert über sein eigenes Zögern. Der Mann lehnte sich

auf den Tisch und wischte sich etwas Ale von den Lippen. „Ihr seid nicht so schnell von Begriff, was, Mylord?“, fragte der Fremde ihn spöttisch. „Denkt nach. Ihr hattet eine Verabredung mit der schwarzen Hand... erinnert ihr euch jetzt?“. Yanus rang nach Luft, während die arrogante Maske, die er sich aufgesetzt hatte, ihn hundert Stücke zerbrach. Natürlich erinnerte er sich. Doch er hatte mit einem Haufen dummer, ungewaschener Schläger gerechnet... und auch wenn er erleichtert sein sollte, jagte ihm dieser schneidige, wortgewandte Geselle um einiges mehr

Angst ein. 


Die Zähne des Mannes waren perfekt, regelmäßig und hatten etwas wölfisches an sich, als der Mann ihn angrinste. „Natürlich... natürlich“, antwortete er und befeuchtete seine Lippen. „Wunderbar“, sagte der andere Mann gleichgültig, während er die Überbleibsel von Yanus' Wein mit betrachtete. „Dann lasst mich euch das Geschäft erklären. Wir haben euch Geld angeboten. Aber die Umstände haben sich geändert. Wie ihr sicherlich gehört habt, ist Prinz Malakas tot“. Malakas tot! Er hatte den Prinzen nie

gemocht. Es geschah ihm recht, diesem verwöhnten Jüngling, der leicht und unbeschwert durchs Leben galoppiert war. Bestimmt war er von einem seiner pickfeinen Pferde totgetrampelt worden. Tot... das machte ihn zum Siebten in der Erbfolge. 


Nicht, dass er irgendeine Chance hätte, jemals König zu werden. Wer würde einen Neffen zweiten Grades auf den Thron setzen? Die Blutlinien der Windgeborenen waren uralt, und niemand außer ihnen durfte sich eine Krone aufsetzen. Wenn ihre Ära nun vorbei war, würde sich der Rat alles schnappen, was nicht niet- und nagelfest war. Er

lächelte grimmig. „Nein, das wusste ich nicht“. Der Mann machte eine ausladende Geste mit seiner Hand und beugte sich nach vorne. „Wir haben eine... lasst uns sagen... Unstimmigkeit mit dem Rat. Insbesondere mit Lord Archenses. Zu lange hat er uns nachspioniert. Und jetzt, wo der Prinz begraben ist, wird der Rat bald das ganze Herzland in Beschlag nehmen. Wir wollen nicht, dass Archenses uns belästigt, und nun ist der Augenblick gekommen, ihn zu beseitigen“. Der Mann senkte seine Stimme zu einem

Flüstern. „Die Abdankungszeremonie der kleinen Altaria ist in sieben Tagen. Du, der du von blauem Blut bist, wirst sicherlich dazu eingeladen, nicht so wie wir Gewöhnliche“. Er spuckte das Wort fast aus. „Wir würden uns hindurchkämpfen müssen, aber wir wollen ja nicht, das jemand verletzt wird“. Der Mann grinste freudlos, und Yanus begann zu zittern, als er begriff, welche Richtung diese Konversation eingeschlagen hatte. Sie sind nur ein Haufen Banditen... was haben sie mit dem hohen Rat zu schaffen? Das ist lächerlich... sie würden ihn nicht

ermorden wollen, oder? 


„Wir werden eine Menge Lärm und Verwirrung stiften“, fuhr der Mann fort. „Niemand würde euch bemerken. Der Tod des Lord Archenses würde ein Rätsel bleiben“. Yanus schaute in sein leeres Glas, seine Stimme schrill vor Panik. „Ich... Ich verstehe nicht, was ihr meint!“, protestierte er, obwohl er genau wusste, was von ihm verlangt wurde. Ich hätte es wissen müssen... die Schwarze Hand ist ein Bund aus Mördern. Doch ihr Einfluss reicht weiter, als ich je gedacht hätte. Was

mache ich jetzt? Sie können mich nicht zwingen, irgendetwas zu tun, nicht mich – Ich bin immer noch ein Fürst, nicht wahr? Sie können doch nicht erwarten, das ich einfach ein Mitglied des hohen Rates umbringe... Der Mann begann, in seinen Taschen zu wühlen, und holte einen winzigen, filigranen Dolch hervor. Yanus schaute sich ängstlich um und fragte sich, wie viele Gäste das verräterische Aufblitzen der Klinge bemerkt hatten. Die zwei großen Schlägertypen hingen immer noch über der Theke und diskutierten lautstark. 


Der Mann folgte seinem Blick und griff energisch seine Schulter. „Habt ihr Angst, dass uns jemand bemerkt? Die braucht ihr nicht haben. Alle stehen treu zur schwarzen Hand... in diesen Gefilden“. Der Mann deutete auf die zwei Ungetüme, einen kleinen, mit Jagdbogen bewaffneten Mann in der Ecke und einen ausgemergelten Jungen. „Die habe ich mitgebracht. Nicht, dass ich ihre Hilfe bräuchte“. Der Gedanke, dass er von den Lakaien dieses Schurken umzingelt war, beunruhigte ihn nur noch mehr. Yanus beäugte den Dolch mit der Vorsicht eines Mannes, der sich einer giftigen Schlange

nähert. Es war hochwertiges Material, und die Klinge schimmerte tödlich scharf. Das Werkzeug eines Berufsmörders. „Du findest nirgendwo eine bessere Waffe... außer, du krallst dir eine Rhaedarklinge, und die kosten dich ein Vermögen“, erklärte der Mann ihm selbstzufrieden. Als Yanus seine Finger danach ausstreckte, schnappte sein Gläubiger sie ihm weg und hüllte sie in ein kleines Tuch. „Nicht anfassen. Die ist mit dem Saft der Dämmerblüten vollgeschmiert... wenn das in deinen Blutkreislauf gelangt, bist du tot, bevor du schreien kannst. Alles, was es braucht, ist ein winziger

Schnitt...“. Der Mann zog sich theatralisch seinen Finger über die Kehle, „und die Arbeit ist vollbracht. Weißt du, was du zu tun hast?“. Yanus schüttelte frenetisch den Kopf. „Ich will... ich will nichts mit dieser Sache zu tun haben!“. Der Mann seufzte leise und verdrehte die Augen. Dann drückte er Yanus' Schulter so fest, dass er vor Schmerz aufheulte. Einige Augen richteten sich auf ihn, doch niemand rührte sich, und niemand versuchte, ihm zu helfen. Oh Gott, ist der stark, dachte er mit nicht geringer Selbstverachtung. Wäre ich ein wahrer Fürst, dann würde ich ihn jetzt bewusstlos prügeln dafür,

dass er es gewagt hat, mich anzufassen... Doch er verzog nur das Gesicht und rührte sich nicht. „Ihr werdet euren Platz neben Archenses einnehmen. Wenn meine Männer die Zeremonie stören, werden alle abgelenkt sein. Ihr werdet diesen Dolch nehmen und ihn töten. Das ist die Gefälligkeit, die ihr uns schuldet. Ein Leben... für euer Leben“. Der Mann sagte es klar und unbarmherzig, Worte, die seine Zukunft in Stein meißelten. In einen Grabstein. Yanus dachte an das schreckliche Ende seines Vaters und sah es vor seinem

inneren Auge, als wäre es gestern gewesen. Sah seine Schwäche, sah das Blut und das Schwert auf dem Boden liegen... Es wird genau so sein wie damals. Ich kann es nicht tun. Ich bin ein Feigling und... ich hasse es, zu töten. Ich hasse es so sehr. Mit der letzten Würde, die ihm noch blieb, blickte er dem Fremden ins Gesicht. „Ich bin kein Mörder“, log er. Ihr seid nur eine dreckige Diebesbande mit größeren Messern. Ihr könnt mir das nicht antun. Ich bin Yanus Sturmschild. Ich werde andere Wege finden, euch

fernzuhalten... „Ich werde es nicht tun. Ihr könnt mich nicht zwingen“. Der Mann lehnte sich auf seinem Sitz zurück und erwiderte seinen Blick mit den kalten, humorlosen Augen eines Geiers. „Ihr schuldet uns fünfhunderttausend Goldttaler. Ihr gehört uns mit Leib und Seele, wie ein Sklave haben wir euch gekauft. Ihr habt keine Wahl“. Yanus biss sich auf die Lippen und deutete auf die Schlägertypen. „Werdet ihr sie rufen, um mich grün und blau zu schlagen? Es wird euch nicht viel helfen, ihr würdet auf dem Hügel

gehängt, ehe ihr zum Schlag ausholt! Ich kann jederzeit gehen! Ich bin Fürst von Grafenstein!“. Er war lauter geworden, als er beabsichtigt hatte, und eine Totenstille folgte. Alle Männer beobachteten ihn mit scharfen Blicken, und er fühlte sich wie jemand, der in ein Nest von Klapperschlangen getreten war, doch der Botschafter der schwarzen Hand lachte nur laut auf. „Sehr wohl, Mylord, geht nur! Doch wisset... der Wein, den ihr getrunken habt? Mir ist wohl die Hand darüber ausgerutscht... wie dumm von mir“. Er

hielt ein kleines Flässchen hoch. Yanus starrte auf den Dolch, fasste sich an den Bauch und fragte sich, ob er gleich zusammenbrechen würde. Der Mann lächelte schwach. „Nein, das ist kein Saft der Dämmerblüten, sonst wärt ihr nicht am Leben, um euch zu empören. Unser Freund Thommen hier“, er deutete auf den Wirt, „hat euch ein wenig Allamanda verabreicht. Es schmeckt ein wenig rostig und sauer, aber es wirkt langsam. Ihr habt sieben Tage bis zur Zeremonie der kleinen Altaria... sieben Tage, bis ihr euch am Anblick euer eigenen Innereien erfreuen dürft. Lang genug, denke ich, um unser

Geschäft zu beenden. Wenn ihr uns unser Geld zurückzahlt oder, noch besser, Archenses beseitigt, werdet ihr das Gegengift erhalten. Falls ihr das nicht tut... bin ich für meinen Teil trotzdem zufrieden“. Er lächelte, ein Lächeln scharf wie die Schneide seiner Waffe, und deutete auf die Tür. „Mein Fürst, eure Schulden sind fällig“.

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Tianshij
Ich heiße Jannika, und ich lebe für die Geschichten. Eines Tages kann ich vielleicht von ihnen leben. Bis dahin lese ich jedes Buch, was mir in die Finger kommt :)

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