Manchmal gibt es auf dieser Welt Freundschaften, die des Wertes unbezahlbar sind !
Es war soweit. Louisa wurde von abgehenden Vierklässern der Grundschule mit Zaubershows, Tanzeinlagen und fröhlichen Gesängen gefeiert. Um ehrlich zu sein, wurde nicht nur sie gefeiert, sondern noch fünfzehn andere Kinder ihres Alters, die an diesem Tag ihre Einschulung genießen durften. Mit einer pinken Zuckertüte in den Händen, mit allerlei Süßkram darin, saß sie auf eine der draußen aufgestellten Holzbänke und freute sich mit all den anderen zukünftigen Schulkollegen über diesen
Willkommensgruß. Alle Kinder saßen somit beisammen. Deren Eltern standen mehr im Hintergrund, aßen Kuchen und tranken Kaffee, der mitten auf dem Schulhof angeboten wurde. Leider schaute nur Oma Edeltraut ihrer Enkelin bei der Einschulung zu. Louisas Bruder Daniel leistete der alten Dame Gesellschaft, während die Kinder auf den Bänken gefeiert wurden. Louisa war sieben Jahre alt und ein richtig hübsches Mädchen. Die feinlockigen, schulterlangen blonden Haare, die immer etwas rötlich wirkenden Wangen, das leicht rundliche Gesicht und die zart zierliche Figur,
ließen sie wie ein kleiner Engel aussehen, der auf der Erde zu Besuch war.
Daniel war neun und ging schon in die dritte Klasse.
Auf andere wirkte er oft wie ein Streber. Man musste zugeben, das er für sein Alter schon recht clever war.
Oma sagte immer, das er eines Tages an die Uni gehen wird. Denn er ging gern zur Schule und erledigte daheim nach dem Mittagessen direkt alle Hausaufgaben.
Die beiden Kinder hatten es nicht so einfach, wie andere ihres Alters. Ihre Eltern waren berufsbedingt immer fort und kamen erst spät Abends nach hause,
was auch bedeutete, das es erst am Abend eine warme Mahlzeit gab. Schon vom Kindergarten auf, mussten sie lernen, ihr Pausenbrot selbst zu machen, sowie die Tasche vernünftig zu packen. Vater arbeitete in einem Krankenhaus als Chirurg und musste sogar zur Arbeit, wenn er mal frei hatte. Einmal hatte er seine Kinder sogar im Kino zurück gelassen, weil er während des Filmes einen Notanruf bekam. Sie fanden es sehr enttäuschend, denn es war deren Wunsch gewesen, wenigstens einen Tag mal mit Papa verbringen zu können. Mutter arbeitete als Stewardess bei der
Lufthansa und war deshalb auch ewig fort. Manchmal blieb sie sogar die ganze Nacht weg. Je nach dem, wo der Flug hin ging.
Um das die Kinder wenigstens etwas unter Aufsicht standen, schaute Oma Edeltraut gelegentlich nach dem Rechten. Sie sorgte für etwas Ordnung und brachte ihnen mittags etwas zum Essen vorbei. Sie wohnte gleich drei Häuser weiter. Sie war die wichtigste Person in ihrem Leben, denn sogesehen, hatten sie nur ihre Oma als Ansprechpartner. Opa Heinz lebte leider nicht mehr. Letztes Jahr erlitt er einen schweren Verkehrsunfall und bei der Not – OP blieb sein Herz für immer stehen. Das war
ein Schock für die ganze Familie. Er war so herzlich und seine Wärme nahm keine Größen an. Er war ein liebenswerter Mensch, der die Natur und Tierwelt schätzte und Menschen akzeptierte er so, wie sie waren.
Er hielt nicht viel von Vorurteilen und abwertenden Äußerungen. Er schaute die Menschen hinter ihrer Fassade an.
Es dauerte eine Weile, bis der Direktor aus dem Schulgebäude kam. Er hielt ein Mikrofon in den Händen und sprach dadurch, das er nun um Aufmerksamkeit bittet. „Liebe Kinder,“ fing er an „es freut mich, das Ihr hier seid, um dass wir Euch
mit tollen Vorführungen feiern und begrüßen dürfen. Ich wünsche Euch eine schöne Zeit hier und das Ihr neben dem Lernen auch viele neue Freunde kennen lernt. Bitte bildet nun eine Zweierreihe, haltet euch an den Händen und dann folgt mir in die Schule hinein, damit ich Euch das Klassenzimmer zeigen kann!“ So stellten sich die Kinder auf und traten nacheinander in das Gebäude ein. Mit kleinen Tränen in den Augen und unendlichem Stolz winkte Edeltraut ihrer Enkelin zu, die schüchtern grinsend zurück winkte. „Och, meine kleine.“ grinste die Dame leicht. Nach etwa einer halben Stunde kamen die
Kinder wieder auf den Schulhof. Die Einschulungsparty war jetzt zu Ende und alle konnten nach hause gehen. „Ich bin so stolz auf dich!“ schwärmte Edeltraut als sie Louisa in ihren Armen nahm und sie zart an sich drückte. „Danke Oma!“ lächelte sie sie an. „Lass uns heim gehen und zur Krönung des Tages, werde ich einen ganz tollen Marmorkuchen backen. Den isst du doch so gerne!“ schlug die Dame vor. „Mit einem Kakao?“ mischte sich Daniel freudig ein. „Mit einer Tasse heißen Kakao mein Prinz!“ lächelte die Oma. Tatsächlich genossen sie einige Stunden später einen leckeren Kuchen, sowie
einen warmen Kakao.
Es vergingen einige Tage und Louisa fand an der Schule großen Gefallen. Auch die Hausaufgaben erledigte sie mit Freude. Aber wahrscheinlich lag das Gefallen eher daran, das sie als Hausaufgabe eher Dinge zum Ausmalen auf bekam. Es war zwischen dem Mädchen und Daniel mittlerweile zum Ritual geworden, nach den Hausaufgaben eben eine Schnitte Brot zu essen und dann draußen spielen zu gehen. Mal suchten sie den Spielplatz auf, der eine gute Viertelstunde von ihrem
Elternhaus entfernt war, oder sie besuchten Schulfreunde, oder spielten auf den Schulhof. Doch dieses Mal sollte es der nah liegende Wald sein. Er war recht groß und wenn man nicht merkte, wo man lang lief, konnte man sich darin sogar verlaufen. Aber die Kinder blieben stets immer auf dem Waldweg um das sie zurück finden konnten. Hin und wieder kamen sie jedoch vom Weg ab um auf Bäumen zu klettern oder fangen zu spielen. Sie behielten den Weg aber stets im Auge. „Sollen wir uns hier ein Geheimversteck bauen?“ fragte Daniel
plötzlich. „Wie wollen wir das denn machen?“ fragte Louisa. „Na mit Baumstämmen und Stöckern. Hier ist es so schön. Das wird bestimmt gut!“ antwortete ihr Bruder. „Aber wie wollen wir das denn anstellen?“ fragte Louisa. „Lass uns erst mal gucken ob wir einen geeigneten Platz finden und dann können wir uns etwas überlegen. Denk dran, es muss dann ganz geheim bleiben!“ erwiderte er. So gingen sie tief in den Wald hinein und fernab des Weges. Sie entdeckten nach einer Weile einen großen abgeholzten Platz, den die Kinder
nun als Möglichkeit für das Geheimversteck erachteten. Es fehlten hier zwar eine Menge Bäume, doch Gestrüpp, Äste und kleinere Baumstämme waren zu Genüge vorhanden. Die beiden einigten sich darauf, eine Art Iglu zu bauen und sammelten mir großer Freude eifrig einige Äste und andere Dinge zusammen. Louisa verschwand immer wieder zwischen den dicht bewachsenen Gebüschen und kam immer wieder mit allerlei Gerümpel wieder zum Vorschein. Doch plötzlich schien etwas nicht zu stimmen. Daniel bemerkte nach einer Weile, die lange Abwesenheit seiner
Schwester. Die ganze Zeit über, hatte er hin und wieder gesehen, das sie irgendwelche Dinge auf den Boden ablegte. Doch jetzt war sie verschwunden. Daniel versuchte ganz leise zu sein um sie anhand eines Geräusches irgendwie hören zu können. Doch er hörte nichts. Wenn mal ein Windzug durch die Luft streifte, hörte er allmählig das Rascheln irgendwelcher Blätter und das Knacken von Gehölzern. „Louisa?“ rief er. Doch es kam weder eine Antwort, noch ließ sie sich blicken. „Louisa?“ rief der Junge erneut und bekam Angst, das seiner Schwester etwas
passiert sein könnte. „Wenn du dich versteckst, finde ich das nicht lustig!“ rief er noch. Weil noch immer nichts von ihr zu hören war, lief er die Strecke ab, aus der seine Schwester bis vor einigen Minuten immer hin und her huschte. Langsam strich er durch die immer dichter wachsenden Gebüsche und rief in einigen Abständen immer wieder leise ihren Namen. Seine Stimme zitterte vor Angst. Daniel wollte sich grad Vorwürfe machen, wieso man als Kind überhaupt auf die Idee kommt, allein im Wald spielen zu wollen. Woher sollten sie auch wissen, das ein Wald voller Gefahren
steckt ? Es war nie jemand der Eltern daheim, die ihnen sagen würden, was richtig und falsch wäre. „Daniel?“ hörte der Junge plötzlich seinen Namen rufen. Es klang eindeutig nach Louisa und weil er heraus hörte, das sie am Geheimversteck war, eilte er so schnell er konnte zu seine Schwester, die dort tatsächlich auf ihn wartete. Er war so froh, sie heil wieder zu sehen und vor allem zu wissen, das sie sich nicht verlaufen hatte. Ihre Körperhaltung verriet, das sie etwas in den Händen hielt. „Wo warst du denn?“ schimpfte der
Junge und umarmte seine Schwester mit voller Erleichterung. „Ich habe etwas gefunden,“ erwiderte Louisa „hier, schau mal!“ In ihren Händen hielt sie eine kleine pechschwarze Krähe. „Was willst du denn mit diesem Vogel?“ fragte Daniel überrascht. „Ich habe sie beim Holzsuchen auf den Boden gefunden,“ fing das Mädchen an „sie hat sich überhaupt nicht bewegt und sie scheint noch ganz jung zu sein. Wahrscheinlich hat sie niemanden, der sich um sie kümmert.“ „Das klingt ganz nach uns.“ meinte Daniel traurig. „Kann ich sie mal anfassen?“ fragte er
dann neugierig. „Als ich sie angefasst habe, ist sie noch nicht mal davon geflogen. Sie schaute mich an und hüpfte auf mich zu.“ antwortete das Mädchen. Mit seinem kleinen zarten Finger, strich Daniel der kleinen Krähe nun sanft über den Kopf. Dabei schaute sie ihn interessiert an. „Du bist ja weich,“ sagte er mit ruhiger Stimme „du brauchst keine Angst haben. Wir tun dir nichts.“ „Der Vogel braucht bestimmt jemanden, der sich um ihn kümmert. Lass ihn uns mitnehmen.“ schlug Louisa plötzlich vor. „Und wie sollen wir das anstellen?“ fragte
Daniel.
„Wir haben doch im alten Gartenhaus einen großen Papageienkäfig stehen. Dort können wir ihn hinein geben und groß ziehen.“ meinte sie.
„Wir werden aber eine Menge Ärger bekommen.“ meinte Daniel.
„Von wem sollen wir denn Ärger bekommen, unsere Eltern sind praktisch nie zu hause.“ kämpfte Louisa.
Nach kurzer Überlegung willigte Daniel auf ihren Vorschlag ein und nun hatten sie anstellte des Waldes, einen kleinen Vogel als Geheimnis.
Vor wenigen Jahren holten die Eltern den Kindern einen Kakadu ins
Haus. Sie wollten damit erreichen, das sie sich nicht zu sehr alleine fühlen. Doch nach kurzer Zeit gaben sie ihn wieder ab, weil sie sich nicht ausreichend um ihn kümmern konnten. Es war ein Tier, von atemberaubender Schönheit. Sein hellrosanes Federkleid glänzte und die prächtige Haube ließ ihn riesengroß erscheinen, wenn er sie mal aufzog. Er war sogar handzahm. Sein Käfig stand nun unbewohnt im Gartenhäuschen.
Doch jetzt bekam er einen neuen Schützling. Bevor Louisa und Daniel die
Krähe in den Käfig setzten, legten sie dessen Boden mit etwas alter Zeitung aus und füllten Näpfe mit Wasser und Erdbeeren, die sie im Kühlschrank fanden. Der Vogel wehrte sich nicht und ließ es sich stets gefallen, von den Kindern in einem Unterschlupf gesetzt zu werden, in dem es kein Entkommen gab. Dieses war schon recht ungewöhnlich. Denn spätestens jetzt, würde ein Wildvogel nervös werden. Louisa befestigte die Näpfe an den Seiten des Käfigs und Daniel griff anschließend nach einer Erdbeere, um sie der Krähe vor den Schnabel zu halten. Doch sie sah den Jungen nur an.
Lediglich öffnete sie leicht den Schnabel. „Komm schon, du musst was fressen. Das ist lecker!“ meinte der Junge mit sanfter Stimme. So sehr er auch bemüht war, das die Krähe auch nur ein einziges Mal in die Beere pickte, war dieses stets vergebens. „Sie mag anscheinend keine Erdbeeren,“ überlegte Louisa laut „ich gehe noch mal in die Küche und schaue mal, was ich da finden kann. Irgendetwas wird sie ja mögen!“ Kurz darauf verließ sie das Gartenhäuschen und Daniel versuchte weiterhin sein Glück mit der Erdbeere. Bis zu Louisas Rückkehr, wurde die rote
Frucht nicht angerührt. Mit einem prall gefüllten Einkaufsbeutel stellte sie sich nun vor dem Käfig und bot der Krähe nacheinander allerlei Lebensmittel an. Mal ein Stück Banane, ein Stück Gurke, Tomate, Käse, ein Stück Apfel, Toastbrot, Chips, Flips und ein Stück Paprika. Doch nichts davon nahm das Tier an. Als sich Louisa nun etwas Zwiebelmett auf den Finger tat und dieses der Krähe präsentierte, geschah ein Wunder. Sie hatte etwas gefunden, was sie mochte. Trotz des äußerst spitzen Schnabels, nahm der Vogel regelrecht zärtlich das
Fleisch an. Immer wieder strich sich das Mädchen etwas Mett auf den Finger und reichte dem Vogel die Mahlzeit und fand langsam Freude daran, dem Tier etwas Gutes tun zu können. Daniel wollte nun auch mal, was seine Schwester auch zuließ. Während ihr Bruder nun die Fingerfütterung übernahm, entfernte Louisa die Erdbeeren aus dem Napf und füllte das restliche Mett darin ein. Als Daniel den Käfig dann zu schloss, kletterte die Krähe eifrig zu dem Napf und verschlang so viel Mett, das nur noch ein kleines Bisschen übrig blieb. Dabei beobachteten die Kinder ihn und
waren von seiner Eleganz verzaubert. Doch etwas stimmte nicht mit ihm. Wieso kletterte er und flog nicht ? Alles an ihm war so, wie es bei einer Krähe zu sein hatte. Zwei Füße, einen Schwanz und zwei Flügel. Doch der rechte Flügel hing nur zur Seite ab und im Gegensatz zu dem linken Flügel, hatte er ihn nicht einmal bewegt. Und der Rechte lag auch nicht so schon auf dem Rücken. Die Kinder sahen sich jetzt erst recht dazu gezwungen, ihm zu helfen.
In den nächst folgenden Tagen, entwickelte sich bei den Geschwistern ein
regelrechter Rhythmus. Nach der Schule wurde der Vogel gefüttert. Sie fanden sogar heraus, das er neben Mett, auch Fleischwurst annahm, weshalb sie ihm immer von beiden Sorten den Napf füllten. Von ihrem Taschengeld kauften sie alle zwei Tage seine beiden Lebensmittel ein. Denn auch Abends kurz bevor sie zu Bett gingen, wurde er noch einmal gefüttert. Sie hatten ihm sogar aus einer Zoohandlung ein Vogelbad besorgt, in dem er gern stieg um sich nass zu machen und irgendwie mit dem Wasser zu planschen und zu spielen. Es sah richtig lustig aus. Doch noch
immer konnte er nur den linken Flügel bewegen. Hin und wieder holten sie ihn aus dem Käfig heraus und setzten ihn in den Garten. Er flog niemals, sondern hüpfte bloß auf den Boden herum. Weil er immer hüpfte, tauften sie die Krähe auf den Namen Flip und das Tolle war, das der Vogel sogar handzahm war. Ein anderer Wildvogel würde noch nicht mal im Traum daran denken, sich anfassen, füttern oder gar in einen Käfig setzen zu lassen. Er setzte sich bei ihnen auf die Schulter und ließ sich durch den Garten laufen. Selbst wenn sie auf dem Spielplatz
waren, nahmen sie Flip mit.
Weil der Spielplatz eh meist leer war, setzten sie die Krähe immer auf die Schaukel und gingen dann klettern, rutschen und im Sandkasten spielen.
Flip wartete immer, bis sie ihn wieder abholten.
Waren dennoch mal andere Kinder am Spielplatz, versammelten sie sich neugierig um den Vogel und streichelten ihn.
Als Daniel und Louisa eines Abends Flip in den Käfig setzten und mit der Fütterung begonnen, öffnete sich plötzlich die Tür des Gartenhäuschens, die sonst wegen ihres Geheimnisses
immer geschlossen war. Erschrocken blickten sie zur Tür und sahen ihre Oma eintreten. „Sagt mal, was macht ihr hier,“ fragte sie besorgt „es ist schon ganz dunkel draußen!“ „Wir machen hier nix!“ zitterte Daniel mit seiner Stimme und beide Kinder stellten sich mit erschrockenem Blick vor dem Käfig und schauten ihre Oma ertappt an. „Was habt ihr denn da?“ fragte die alte Dame. „Nix!“ antwortete Louisa knapp. „Nun zeigt schon. Irgendetwas müsst ihr doch haben. Sonst würdet ihr mich nicht so überrascht angucken.“
„Aber du wirst schimpfen!“ jammerte Daniel. „Ach meine Mäuse, ich werde doch nicht schimpfen. Das irgendwas im Käfig ist, kann ich mir denken. Aber es ist kein Grund zu schimpfen!“ beruhigte die Dame die Kinder. Die Kinder sahen sich einmal an und offenbarten nun ihr Geheimnis. Widerwillig traten sie beiseite. „Habt ihr die etwa gefangen?“ fragte Edeltraut. „Nein, wir haben sie im Wald gefunden und sie braucht ganz dringend Hilfe. So haben wir sie zu uns genommen um das wir und um sie kümmern können.“ klärte
Louisa ihre Großmutter auf. „Aber dieser Vogel gehört nicht in einem Käfig. Das ist eine Krähe und sie gehört nach draußen. Sicherlich vermisst sie ihre Artgenossen um mit ihnen zusammen fliegen zu können.“ erklärte die Frau. „Wir wollen den Vogel auch nicht behalten. Er braucht Hilfe. Sieh nur ihren rechten Flügel an. Sie kann nicht fliegen!“ sagte Daniel. Als die Dame die Krähe betrachtete, stellte sie fest, das die Kinder Recht hatten und schmunzelte. „Habe ich euch beiden schon einmal gesagt, das ihr richtig tolle Menschen seid?“ fragte sie dann. In ihren Augen zeichneten sich plötzlich
kleine Tränen. „Ihr seid so gut zu anderen Lebewesen, wie euer verstorbener Opa. Er konnte es auch nicht haben, ein hilfloses Tier zurück zu lassen. Wie viele Tiere hat er damals nur angeschleppt. Füchse, Eulen, Dachse, Kaninchen und sogar einen Eichelhäher.“ fuhr sie fort und drückte ihre Enkel ganz fest an sich. „Bitte sag es nicht unseren Eltern.“ bat Daniel. „Ihr habt mein Wort,“ erwiderte sie „und wisst ihr was, ich werde euch unterstützen.“ „Wirklich?“ fragten die Kinder erfreut und schauten ihre Oma mit großen Augen an.
„Ihr beiden seid das Liebste was ich habe und wenn euch die Krähe so viel bedeutet, werde ich euch helfen!“ versprach sie und drückte dann jedem einen dicken Kuss auf den Mund. „Geht nun ins Bett. Morgen ist wieder Schule und macht euch keine Gedanken. Wir zusammen kriegen das schon hin!“ grinste sie. „Bevor wir ins Bett gehen, möchte ich dir noch etwas zeigen!“ meinte Louisa, öffnete den Käfig, holte die Krähe heraus und setzte sie ihrer Oma in die Hand. „Das ist Flip!“ sagte das Mädchen dann
noch.
Verwundert sah die Dame den Vogel an und strich ihm über den Kopf.
„Sie pickt mich gar nicht!“ meinte sie überrascht.
„Nein, sie pickt nicht. Flip ist ganz lieb!“ mischte sich Daniel ein.
Am nächsten Tag nach der Schule verbrachten sie wieder eine Menge Zeit mit ihrem gefiederten Freund, der mal wieder quer durch den Garten hüpfte. Oma Edeltraut gesellte sich wenig später zu ihnen. „Hört mal her Kinder,“ fing sie nach einer Weile an „ich kenne hier jemanden in der Nachbarschaft, der sich eure Krähe
gern mal anschauen möchte. Ihr kennt doch sicherlich Gottfried Klock oder?“ „Ja, den sehen wir fast jeden Morgen wenn wir zur Schule gehen. Jedes Mal ist er mit dem Fahrrad unterwegs!“ erinnerte sich Daniel. „Und genau dieser Mann ist Tierarzt. Ich habe ihn heute zufällig an der Supermarktkasse getroffen und er bietet sich an, den Flügel des Tieres zu untersuchen. Und vielleicht kann er Flip wieder gesund machen!“ erklärte die Dame. „Das hört sich gut an!“ sagte Louisa. „Wenn ihr wollt, können wir gleich zu ihm in seine Praxis gehen.“ grinste Oma
erfreut. „Das machen wir,“ meinte Daniel „immerhin wollen wir ja, das es Flip bald wieder gut geht und das er fliegen kann!“ Kurz darauf stolzierten sie gemeinsam zur Praxis von Doktor Klock und nahmen im Wartezimmer Platz. Sie mussten eine Weile warten bis sie dran waren, denn es waren zwei Leute vor ihnen. Ein Jugendlicher mit einem wirklich hässlichen Hund und eine Frau mit einem Kangal, der ein dickes Verband um seine Hüfte trug. Wahrscheinlich wurde er operiert und musste zur Kontrolle erscheinen. Dem hässlichen Hund konnte man keine
Behandlung ansehen. Anscheinend stand bei ihm eine Schönheits – OP an. Louisa, Daniel und ihre Oma sorgten mit der Krähe, die auf Daniels Schulter saß, jedenfalls für Aufsehen. Nach zehn Minuten trat eine recht hübsche junge Frau ins Wartezimmer. „Bei Ihrem Hund wird die Tollwut nachgeimpft, richtig?“ fragte diese den Jugendlichen. „Ja genau!“ antwortete er. „Dann kann die Behandlung auch direkt losgehen. Folgen Sie mir Bitte in den Behandlungsraum!“ forderte sie und lief voraus. Der Jugendliche folgte ihr. Weil sein der hässliche Hund nicht folgen
wollte und sich mit seinen Krallen förmlich wie ein Anker in den Boden feststanzte, musste er zwangsläufig getragen werden. Nach einer Zeit war der Kangal an der Reihe und betrat mit Frauchen lauthals bellend den Behandlungsraum. Dieses Bellen klang nicht sehr freundlich. Sicherlich bekam er erst einmal einen Maulkorb verpasst, bevor der Arzt irgendwelche Handlungen an ihm vornahm. Denn kurz nachdem er in dem Zimmer war, verstummte sein Gebell plötzlich. Doch man konnte ihn noch immer knurren hören. „Hoffentlich wird der Arzt nicht
gebissen!“ murmelte Louisa vor sich hin. „Nein liebes,“ grinste Edeltraut „Ärzte haben so ihre Tricks, wie sie auch das frechste Tier ruhig stellen können!“ Bestimmt vierzig Minuten mussten sie warten, bis sie endlich dran waren. „Na da ist ja euer Pflegefall!“ grinste der Arzt freundlich als er die Tür des Behandlungszimmers zu schloss. „Eure Oma hat mir von eurer Krähe erzählt und berichtet, wie toll ihr euch um sie kümmert!“ fügte er dann hinzu und stellte sich an den Behandlungstisch. „Ja, sie braucht uns!“ stimmte Louisa zu und griff nach ihr, die etwas widerwillig von Daniels Schulter wollte. Jetzt fing sie an, sich etwas zu wehren
und jetzt, sah man, das sie tatsächlich nur den linken Flügel bewegen konnte. Denn sie schlug kräftig mit ihm und versuchte zu fliegen. Anscheinend bekam sie es mit der Angst zu tun und schrie einen lauten Schrei aus. „Ganz ruhig Flip. Wir wollen dir nur helfen.“ beruhigte das Mädchen das Tier und als sie es in den Händen hielt, strich sie ihr mit den Fingern über den Kopf. „Alles wird gut. Psch!“ versprach sie mit liebevoller Stimme. Doch noch immer schrie der Vogel und seine großen Augen, verrieten, das er Panik hatte. „Ich glaube, ich werde ihn erst mal etwas müde machen!“ meinte der Arzt als
er selbst erkannte, das die Krähe wirklich Angst hatte. Er öffnete einen Schrank, holte eine Spritze und eine kleine Ampulle hervor und zog mit deren klaren Flüssigkeit die Spritze etwas auf. „Was machen Sie?“ fragte Daniel und stellte sich schützend vor seine Schwester. „Ich gebe dem Vogel eine Spritze,“ fing der Arzt an „es wird ihm nicht weh tun und macht ihn müde. In ein paar Minuten wird er dann wieder aufwachen und dann ist schon längst alles vorbei.“ „Welche Behandlung muss denn gemacht werden?“ mischte sich Edeltraut ein. „Ich sehe, das er seinen rechten Flügel
nicht bewegen kann. Zunächst muss ich ihn röntgen damit ich sehen kann, was da los ist. Und ohne eine Betäubung, ist es überhaupt nicht möglich. Er würde sich bewegen!“ „Habt ihr das verstanden Kinder,“ meine Edeltraut und schaute sie an „für ein Röntgenbild, muss Flip still halten. Ihr seht, das er Angst hat. Er kann ja nicht wissen, das wir ihm helfen wollen. Er denkt jetzt wahrscheinlich, das wir ihm etwas böses wollen. Deswegen muss eine Betäubung gemacht werden!“ Die Kinder nickten und ließen den Arzt nun gewähren. Während Louisa den Vogel in den Händen hielt, setzte er die Spritze in den
Rücken und ließ die Flüssigkeit in seinen Körper fließen. Ruck zuck schlief das Tier nun ein und konnte auf den Behandlungstisch gelegt werden. Mit vorsichtigem Druck fühlte der Arzt dann den Flügel ab. „Ich fühle, das mit dem Hauptgelenk etwas nicht stimmt,“ berichtete er dann „doch um genaue Angaben zu machen, werde ich ihn tatsächlich röntgen müssen!“ „Ich bitte euch, einen Augenblick hier zu warten!“ Er trug die Krähe in einen Hinterraum und kam etwa zehn Minuten später mit ihr zurück.
Mit dabei hatte er auch die Bilder, die er vors Fenster hielt um das sich eine weiße Zeichnung darauf abbildete. „Man kann gut sehen, dass der Flügel am Gelenk sprichwörtlich ausgekugelt ist. Ich gehe davon aus, dass der Vogel Schmerzen hat. So werde ich ihm den Flügel wieder einkugeln und ein Schmerzmittel spritzen. Dann werde ich ihm den Flügel verbinden. Dadurch erreichen wir, das er ruhig gehalten wird. In einer Woche kommt ihr dann noch einmal zur Kontrolle und mit etwas Glück, wird er gesund sein!“ erklärte er den Kindern dann. Mit gekonntem Griff, schaffte er es, den
Flügel wieder in das Gelenk zu setzen und tat anschließend dies, was er grade erklärt hatte. „Woher kommt das eigentlich das er den Flügel ausgekugelt hat?“ fragte Daniel interessiert, während der Arzt die Spritze gab. „Dieses Tier hier, ist noch sehr jung. Es kann sein, das sein erster Flugversuch daneben gegangen ist und das er beim Fallen auf einen harten Gegenstand so unglücklich gelandet ist, das so was passiert ist.“ berichtete der Arzt. „Das kann gut möglich sein. Ich habe Flip auf dem Boden gefunden. Er hat sich nicht gewehrt und hat nicht versucht vor mir zu fliehen!“ mischte sich Louisa
zustimmend ein. „Das ist ein natürlicher Instinkt gewesen. Manche Tiere warten nur darauf, von einem Fressfeind erhascht zu werden, wenn ihnen das Leben nicht mehr lebenswert erscheint. So werden sie vom Instinkt her, erlöst. Und ihr seid Flips Helden, denn ihr rettet ihm sein Leben!“ grinste der Mann zufrieden. Diese netten Worte zauberten ein Lächeln ins Gesicht der Kinder. Auch Oma Edeltraut lächelte. Sie war in diesem Moment so unendlich stolz auf ihre Enkel, so dass sie am liebsten die ganze Welt umarmen mochte. „Wollt ihr die Krähe eigentlich behalten wenn sie wieder gesund ist?“ fragte der
Arzt plötzlich.
„Nein, wir werden sie wieder frei lassen. Immerhin braucht sie ihre Familie!“ meinte Louisa.
Flip war nun verarztet und konnte die Praxis verlassen.
Die ersten drei Tage waren schlimm. Immer wieder versuchte Flip an den Verband zu kommen um ihn zu entfernen.
Er schien ihn richtig zu stören.
Doch der Arzt hatte den Verband so gesetzt, das Flip nicht mit seinem Schnabel da dran kommen konnte. Hin und wieder schrie er auf und versuche ausgiebig mit den Flügeln zu
schlagen. Weil der rechte Flügel nun mal fixiert war, konnte er nur den gesunden bewegen. Er ließ sich in dieser Zeit noch nicht einmal von den Kindern anfassen und verweigerte weitgehend sogar seine Nahrung. Doch dann legte sich sein negatives Verhalten wieder. Trotz des Schmerzmittels, schien ihm die Wunde weh zu tun und wahrscheinlich hatte der Schmerz jetzt endlich nachgelassen um das Flip wieder ganz die Alte war. Sie krabbelte wieder auf die Schulter, verschlang etwas Mett und hüpfte wie
sonst auch, wenn sie aus dem Käfig nach draußen gebracht wurde, auf den Boden herum. Das Vertrauen war wieder hergestellt. Louisa und Daniel konnten ihr voriges abwertendes Verhalten erst nicht verstehen. Doch als Oma sie aufklärte, das die Krähe Zeit braucht, gaben sie ihr die Zeit zum Abreagieren, die sie brauchte.
Sie erklärte ihnen auch, das Zeit und Verständnis, für ein wildes Tier oberste Präorität haben sollte.
Nach ein paar Tagen war die Woche der Ruhephase vorbei und die Nachkontrolle stand unmittelbar
bevor. Wiederholt musste Flip betäubt werden, um den Flügel röntgen zu können. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Das Gelenk war so gut verheilt, so dass Flip wieder Flugversuche machen durfte.
Es wurde sogar tierärztlich als Endbehandlung vorgeschrieben. Tatsächlich konnte der Vogel daheim nach dem Aufwachen nun beide Flügel bewegen. Drei Wochen übten die Kinder mit ihm im Garten zu fliegen. Sie setzten ihn auf den Boden oder auf den Käfig, stellten sich mit etwas mit den Händen vor ihm und gaben ihm die Leckerei erst, wenn er angeflogen
kam. Von Tag zu Tag klappte es besser und besser. Eines Tages, schwang sich der Vogel auf einen Baum und flog in den Himmel. Oma Edeltraut teilte mit ihren Enkeln den Moment, als Flip das erste Mal so richtig am Himmel entlang flog und große Runden drehte. Ab und zu landete er auf Bäumen, ruhte sich einen Moment aus und flog erneut einige Kreise. Mittlerweile waren vier Monate vergangen und Flip war jetzt eine kerngesunde, wohl ernährte und voll flugfähige Krähe.
Jeden Tag zog sie ihre Kreise und kehrte erst nach ein paar Stunden in ihren Käfig selbstständig zurück.
Die Zeit für ihre Freilassung war gekommen. Oma stieg an einem Freitag nach der Schule mit ihren Enkeln und der Krähe auf Louisas Schulter in ihrem alten Opel Kadett ein und fuhr mit ihnen eine gute Stunde von zu hause fort und hielt an einem verlassenen, jedoch mit Wiese bedecktem Acker an. Die Kinder wussten nun, was jetzt auf sie zukommen wird und sahen zunehmend trauriger aus. Louisa weinte bitterlich und obwohl Daniel ebenfalls weinte, drückte er seine
Schwester tröstend an sich.
Auch Oma traten kleine Tränen in den Augen. Dieser Anblick, ihrer weinenden Enkel auf der Rückbank, zerbrach ihr das Herz. Doch sie wusste, dass es sein musste.
Nach einer Weile stiegen sie aus dem Wagen und betraten das Ackerfeld, bis sie fast dessen Mitte erreichten.
Während des Weges, hielt Edeltraut die Kinder an den Händen fest.
Für Daniel und Louisa war es ein warmes Gefühl und es vermittelte ihnen, das Oma sie bei diesem schweren Schritt jetzt keinesfalls alleine ließ.
Louisa nahm Flip ein letztes Mal in ihren
Händen und strich ihr sanft über den Kopf. „Das was wir jetzt tun werden, ist nur zu deinem Besten. Such deine Familie und erzähle allen deinen Tanten, Onkeln, Brüdern und Schwestern, wie toll wir dich gepflegt und gesund gemacht haben,“ sagte sie dann mit dicken Tränen in den Augen „ich hab dich lieb!“ „Und erzähle ihnen auch, das du immer ganz leckeren Mett bekommen hast!“ weinte Daniel und strich ihr ebenfalls über den Kopf. Traurig sahen sie ihre Oma an. „Jetzt sind wir wieder allein, wenn sie fort ist!“ meinte Daniel. „Da irrst du dich,“ sagte die alte Dame
und legte eine Hand auf seine Schulter „wärt ihr nicht gewesen, wäre die Krähe bereits tot. Ihr habt ihr ein neues Leben geschenkt und das ist eine Meisterleistung. Auch wenn ihr euch manchmal alleine fühlt, gibt es auf der Welt immer jemanden, der euch braucht und der froh ist, das es euch gibt. Denn ohne euch, ist derjenige der Hilfe braucht, verloren. Vielleicht ist diese Krähe durch eine höhere Macht sogar euer Schicksal gewesen, um dieses zu erkennen!“ „Wird sie uns vergessen?“ fragte Louisa leise. „Gewiss nicht. Sie wird euch ewig in ihrem Herzen tragen, so lange, wie es
schlägt. Sie wird sich mit Sicherheit gern daran erinnern, wie toll ihr ihr geholfen habt.“ antwortete Oma und wischte sich die Tränen aus den Augen. Louisa sah noch einmal das Tier an, gab ihm einen Kuss auf den Kopf und schwang die Arme nach oben um die Krähe fliegen zu lassen. Zuerst folg sie nur kleine Kreise, die dann immer größer wurden. Irgendwann waren die Kreise so groß, das man sie am Himmel nicht mehr sehen konnte. Es war eine schöne Zeit mit diesem bildschönen Tier. Und manchmal dachten die Kinder an Flip zurück.
An manchen Tagen, an denen einige Krähen in den Bäumen ihres Gartens saßen und nach Leibeskraft um die Wette krächzten, waren sie manchmal ganz sicher, das Flip dabei war und genau hier seinen Artgenossen von seinem Leben berichtete und ihnen seinen Lebensraum zeigte. Sie antworteten bestimmt, das ihnen der Garten gefällt und das sie es große Klasse finden, wie toll sich zwei kleine Kinder die sich stets einsam fühlten, um das hilflose Tier gekümmert haben.