Ein ganzes Jahr war vergangen. Er konnte es nicht noch länger hinauszögern. Musste sich dem stellen. Obwohl er sie auf alles vorbereitet hatte, war ihm nicht wohl dabei. Hatte Angst, das sie ihn verließ. Verstehen konnte er es. Aber wollen, tat er es nicht. Ihr Intellekt war weit über dem Durchschnitt. Intelligenter Humor. Höflichkeit. Sie sprachen sich nicht mit du, sondern nur mit sie an. Abheben von den anderen. Zeigen, das man Respekt vor dem Gegenüber hat. Das man Höflichkeit gelernt hat und auch besitzt. Sie hatte ihn verändert. Vom Schludrian,
der nicht genau wusste, in welche Richtung er gehen sollte, zu einem Menschen, der sich Ziele setzte, sie klar vor Augen hatte und sie erreichte. Sie zeigte ihm, wie es ging und er war überaus Dankbar dafür. Solange sie an seiner Seite war, wusste er, was er wollte. Sein Ziel war es, an ihrer Seite zu bleiben. Ihr zu zeigen, was in ihm steckte. Sie glücklich zu machen. Er atmete noch einmal ganz tief durch, dann klingelte er an der Tür seiner Großmutter. Es war ihr siebzigster Geburtstag. Aber ganz egal, wie groß und rund er auch war, er würde genauso ablaufen, wie immer. Saufen und streiten. Nur auf Wunsch seiner
Großmutter, war er hier. Er stand ihr sehr Nahe, da er den größten Teil seiner Kindheit und Jugend bei ihr verbracht hatte. Seit dem er mit seiner Freundin zusammen war, hatten sie nur telefonischen Kontakt miteinander gehabt. Nun sah sie ihn wieder. Ein ungewohnter Anblick. Sie kannte ihn nicht in Anzug und Krawatte. Hatte ihn so nie gesehen. Auch trug er einen ganz anderen Haarschnitt, als sonst. Seine Freundin sah sie auch zum ersten mal. Daher erkannte sie ihn nicht gleich wieder. „Liz, darf ich ihnen meine Großmutter, väterlicherseits, vorstellen?“ „Sehr angenehm. Ich möchte die
Gelegenheit nutzen und ihnen sehr herzlichst zu ihrem Geburtstag gratulieren. Als kleine Aufmerksamkeit, haben wir ihnen einen üppigen Blumenstrauß mitgebracht. Ihr Enkel wusste nicht, welches ihre Lieblingsblume ist, daher haben wir uns gedacht, wir nehmen von jedem etwas.“ Seine Großmutter stand da. Sprachlos. Nicht nur wegen des gigantischen Blumenstraußes, sondern weil ihr Enkel sich so sehr verändert hat und er seine Freundin siezte. „Dankeschön.“, konnte sie endlich sagen und trat zur Seite. Sie wurden angesehen, als wären sie ein Weltwunder. Sein Blick fiel auf den
Tisch. Auf die Bierflaschen. Kurz vorm Kaffeetrinken. Früher war es ein gewohnter Anblick gewesen. Heute sah er es mit anderen Augen. Ihm wurde übel, bei dem Anblick. War das wirklich seine Familie? Höflich grüßte sie jeden mit der Hand. Dabei ging sie vom Ältesten, zum jüngsten Mitglied. Er sah, das sie angewidert war. Vom Anblick der Flaschen und von den Gerüchen. Verstand seine Großeltern nicht, das sie erlaubten, das in ihrer Wohnung geraucht wurde. Schließlich waren sie beide Nichtraucher. Außerdem waren auch Kinder anwesend und die Wohnung war relativ klein. Sehr schnell stand die
Luft. Ankippen des Fensters half absolut nichts. Wenige Minuten später wurde der Kuchen auf den Tisch gestellt. Als sie gefragt wurde, ob sie ein Stück haben möchte, erwiderte sie höflich: „Es ist sonst nicht meine Art, aber unter diesen Umständen, fühle ich mich gezwungen zu gehen. Die verrauchte Luft erschwert mir das Atmen. Mir ist auch schon ein wenig schwindlig. Verzeihen sie mir bitte meine Unhöflichkeit. Aber bevor sie meinetwegen einen Rettungsdienst rufen müssen, werde ich mich verabschieden. Es hat mich sehr gefreut, ihre Bekanntschaft zu
machen.“ Höflich, wie sie war, würgte sie ihren Ekel runter und gab jedem die Hand zum Abschied. Ihr Freund brachte sie nach Hause. Sicherheitshalber. Denn ihr war wirklich schlecht gewesen. Sie hakte sich bei ihm ein und lief mit ihm schweigend nach Hause. Der Weg zog sich. Aber sie brauchte frische Luft. Viel frische Luft. Daher machten sie auch einen Umweg und liefen durch den nahegelegenen Wald. Es war spät am Abend. Sie waren frisch geduscht, gesättigt und erholt. Gemütlich lagen sie auf dem Sofa. Da griff sie plötzlich zum Telefon. „Würden sie für mich bitte die Nummer
ihrer Großmutter wählen?“ Wortlos gehorchte er. „Ich danke ihnen. Ihre Großeltern scheinen wirklich nette Menschen zu sein. Ich verstehe einfach nicht, warum sie … Guten Abend. Und entschuldigen sie bitte die späte Störung. Ich wollte mich noch einmal persönlich bei ihnen entschuldigen, das wir so früh wieder gegangen waren. Aber die Luft war mir zu dick. Ich hätte kein Stück von ihrem köstlich aussehenden Kuchen herunter bekommen. Entschuldigen sie bitte, wenn ich ihnen zu Nahe trete. Aber wie können sie es zulassen, das in einem Raum, wo sich Kinder aufhalten, geraucht und Alkohol
konsumiert wird? Es ist für mich unverständlich und auch nicht verzeihlich...“ Er klinkte sich aus. Wollte nicht hören, was sie zu seiner Großmutter sagte. Was sie ihr alles vorhielt. Irgendwann würde er es erfahren. Oder sie wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Was ihm gar nicht so sehr missfiel. Nichts gegen seine Großeltern. Im Grunde waren es liebe Menschen. Rauchten nicht. Tranken nur selten. Aber der Rest seiner Familie war... Er fand keine Worte dafür. Schon seit Jahren fühlte er sich nicht dazugehörig. Wollte anders sein, als sie. Durch seine Freundin hatte er es geschafft. Wenn er sich zwischen den
beiden entscheiden musste, würde er sie wählen. „Entschuldigen sie bitte meine forsche Art. Aber ich konnte es nicht für mich behalten.“ „Ich verstehe sie. Wie oft habe ich ihr es gesagt. Bei fast jeder Feier wurde mir übel, weil ich den ganzen Qualm nicht ertrug. Dennoch ließ sie es immer wieder zu, das geraucht wurde...Bitte bleiben sie bei mir. Durch sie bin ich ein ganz anderer Mensch geworden. Habe Ziele. Das Gefühl, das ich wer bin...“ „Sie können nichts für ihre Verwandten. Solange sie nicht so werden, wie sie, ist alles in bester Ordnung.“, beruhigte sie
ihn. „Ich möchte, das wir bei dem Sie bleiben. Ganz egal, wie es klingt und wie andere darauf reagieren. Es hebt uns von den anderen ab. Zeigt mir, das ich nicht Die bin. Hilft mir dabei, nicht so zu werden.“ „Wenn sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern zu Bett gehen. Es war ein harter Tag. Im Übrigen habe ich mich an das Sie gewöhnt. Es wäre für mich seltsam, wenn wir uns plötzlich duzen würden.“ „Eine Frage hätte ich noch, bevor wir zu Bett gehen...Warum ich? Es waren so viele Männer anwesend gewesen, die viel besser zu ihnen gepasst hätten. Sie
sahen besser aus, hatten höheres Einkommen, waren...“ „Ich weiß es nicht genau.“, unterbrach sie ihn, „Aber da war etwas, das mir sagte, das sie Hilfe benötigten. Das sie sich gern aus ihren Fängen befreien würden. Eine innere Stimme sagte mir, das ich diejenige sein sollte, die ihnen hilft, sich aus den Umfeld zu befreien. Höhere Ziele zu stecken. Ich bereue nicht, sie kennengelernt zu haben. Es freut mich, das ich sie dazu gebracht habe, aus sich heraus zu kommen. Herausgeholt zu haben, aus dem Dreck, in dem sie sich befanden. Ich hatte eine Menge Spaß mit ihnen. Sie zeigten mir die andere Seite. Die kannte ich nicht.
Wusste nicht, das es sie gab. Unter welchen Bedingungen manche Kinder aufwachsen...“ „Themawechsel? Wir möchten doch keine Alpträume haben, diese Nacht. Ich liebe sie, Liz.“ „Ich liebe sie, Erik. Lassen sie uns zu Bett gehen. Morgen erwartet uns ein arbeitsreicher Tag.“ „Schon komisch. Aber ich freue mich schon darauf. Das wird uns auf andere Gedanken bringen.“ Erik stand beizeiten auf. Er wollte nicht mehr schlafen. Die ganze Zeit über hatte er von seiner Kindheit geträumt. Wenn er nicht gerade Blödsinn gebaut hatte,
wurde er nicht beachtet. Seine Ladendiebstähle waren stille Schreie nach Aufmerksamkeit. Doch niemand hörte sie. Stattdessen wurde er bestraft, durch noch mehr Stunden voller Einsamkeit, die er in seinem Zimmer verbringen durfte. In der Zeit platzte noch nicht einmal seine Schwester ungefragt zu ihm rein. Oder ihr freund, der des öfteren bei ihnen schlief. Erik mochte ihn nicht besonders, da er mit diversen Straftaten angab, die er begangen hatte und das er im Gefängnis saß. Es stimmte ihn nachdenklich. Wollte er auch so enden? Im Gefängnis? Nein. Ganz sicher nicht. Er musste raus, aus dem Elend. Nie wieder Diebstahl.
Keine anderen Straftaten. Ehrlich wehrte am längsten. Nur war es nicht immer leicht, ehrlich zu sein, wenn einem niemand richtig zuhörte. Die Wahrheit wissen wollte. Oder weil man dafür bestraft wurde, weil man die Wahrheit sprach. Ist es ein Fehler, jemanden anzuzeigen, weil man ihn dabei erwischte, wie er eine Straftat beging? Oft wurde er deshalb als Petze betitelt und bestraft. Wie man es macht, macht man es falsch. Das hatte er gelernt. Er hatte sich damals auf die Party geschlichen, in der Hoffnung, er würde jemanden finden, der ihn aufhielt. Damit er aus seinem Umfeld herauskam. Das einer ihm half aufzuhören, sich stetig im
Kreis zu drehen. Es war nicht leicht gewesen. Und auch nicht billig. Der Anzug, den er damals trug, kostete ihn fast sein ganzes Vermögen. Erik hatte nie viel gehabt. Von seinen Eltern durfte er nichts erwarten. Viel Geld floss in Alkohol und Tabak. Seine Großeltern steckten ihnen immer wieder was zu. Dennoch kämpften sie jeden Monat. Liehen sie noch von Bekannten Geld. Oft hatte er sich gefragt, was sie mit all dem Geld machten. Als er noch Kind war, gingen beide Vollzeit arbeiten. „Drei Uhr. Keine fünf Stunden her, das ich ins Bett ging. Aber wenigsten war es kein Traum, das ich eine wunderschöne Freundin habe. Ihr schlanker Körper
schmiegt sich jeden Abend an meinen. Oh Herr, bitte lass nicht zu, das es sich ändert. Ich liebe sie wirklich. Von ganzem Herzen. Ich weiß, das ich in meinem Leben viel scheiß gebaut habe. Aber sind wir doch mal ehrlich. Habe ich nicht schon genug gebüßt dafür? Denken wir doch nur mal an all die Schläge, die ich einstecken durfte, nur weil ich nicht sofort reagierte. Manchmal brauchte ich eben ein wenig länger, um zu registrieren, wenn Phase ist. Wie oft hat man mich belogen? Meine Geburtstage!? Die Alten haben gesoffen und sich dann gestritten. Ich wurde doch nicht wirklich beachtet. Keinen einzigen Freund durfte ich
einladen. Du schenktest mir diesen Engel. Nimm ihn mir bitte nicht wieder weg. Sonst bin ich eher bei dir, als dir lieb ist.“ Erik schlenderte in die Küche und kochte Kaffee. Sah dabei zu, wie sich die Kanne langsam füllte. Er war hellwach. Hatte Gänsehaut. War zu faul, sich was drüberzuziehen. Lieber schaute er zu, wie die braune Flüssigkeit in die Kanne floss. Dachte dabei über sein Leben nach. An all den scheiß, den er gebaut hatte. Dachte an den Umgang, den er einst hatte. Für einen kurzen Augenblick flackerte das Gesicht seiner Schwester auf. Was sie wohl tat, fragte er sich. Ob sie sich immer noch mit
Knastbrüdern abgab? Gestern hatte er sie nur kurz gesehen. Da war sie allein gewesen. Draußen erhellten die Straßenlaternen die Wege. Seit kurzem hatte alle LED. Das war stromsparend. Brachte aber das gleiche Ergebnis, wie die alten Lampen. In dem Schein, der Laternen, glitzerte der Reif. Es hatte etwas romantisches. Wenn jetzt Liz wach wäre und das sehen würde... Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und stellte sich ans Fenster. Um diese Zeit war kaum was los, auf der Straße. Ein einzelnes Auto vielleicht, welches seinen Herrn von seiner Geliebten zu seiner Frau fuhr. Um diese Zeit war die
Welt noch in Ordnung. Konnte sie nicht so bleiben? Auf Samtpfötchen hatte sie sich ihm genähert. Schmiegte nun ihren nackten Leib an seinen. Küsste zärtlich seinen Hals. „Warum bist du so früh schon auf? Es ist doch noch dunkel draußen?“, fragte sie ihn verschlafen. „Wollten...Ich konnte nicht mehr schlafen. - Sehen sie den glitzernden Reif? Es hat etwas Romantisches, finde ich. Sie auch?“ „Tut mir leid. Ich bin noch nicht da. Kommst du wieder ins Bett? Ich meinte, kommen sie wieder ins Bett?“, verbesserte sie sich.
„Ich glaube nicht. Für heute hatte ich genug Alpträume. Ich werde mich gleich an die Arbeit setzen. Je früher ich damit anfange, desto eher bin ich damit fertig. Und wir hätten etwas mehr Zeit für einander. Ich werde so frei sein und ihre Arbeit gleich mit erledigen. In der Zwischenzeit beherrsche ich es aus dem FF. Legen sie sich wieder hin und gönnen sie sich noch ein paar Stunden Schlaf.“ „Okay.“ Zu mehr, war sie nicht in der Lage. Sie war zu müde, um ihn dazu zu bringen, ihr ins Bett zu folgen, ihm zu widersprechen und zu schwach, ihn
hinter sich herzuziehen. Doch kaum lag sie wieder im Bett, war sie hellwach. Sein Körper fehlte. Das Gefühl seiner Haut an ihrer Haut. Sie konnte nur einschlafen, wenn er neben ihr lag. Etwa eine halbe Stunde später saß sie neben ihm. Frisch geduscht und gekleidet. Beobachtete, wie er über den Papieren saß. Bewunderte seine Geduld. Die Freude, die er mit den Zahlen hatte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihm diesen Job zu vermitteln. Ihn damals angesprochen zu haben. Ihr Gefühl hatte sie nicht betrogen. Das sich daraus, und vor allem so schnell, eine Beziehung ergibt, hätte sie nicht erwartet. Aber sie bereute es nicht. Denn
er war zuvorkommend. Leidenschaftlich und zärtlich zugleich. Trank nicht. Rauchte nicht. Von seinem Umgang hatte er sich trennen können. Wahrscheinlich würde er sich auch von seiner Familie verabschieden. Er hatte seinen Blick gesehen. Jener Blick, den sie auch hatte. Der Ekel ausdrückte. Angewidert von dem Anblick der einem geboten wurde, sobald man das Wohnzimmer betrat. Von den Menschen, die sich in dem Dreck wohlfühlten. Der Flur sah sauber aus. So viel sie von der Küche sehen konnte, war sie auch sauber gewesen. Sie glaubte auch daran, das es ordentliche Menschen waren. Zumindest seine Großeltern. Einiges
hatte er ihr auch über sich und seine Familie berichtet. Sie wollte es nicht so recht glauben. Es kam ihr unwahrscheinlich vor. Aber nachdem sie den vollen Tisch gesehen und in der dicken Luft gesessen hatte, musste sie ihm glauben. Sie wollte nicht so lange warten, bis der Stunk losging. Wer weiß, ob sie dann noch bei ihm geblieben wäre. „Ich mache uns ein kleines Frühstück.“, bemerkte sie. Stand auf und ging in die Küche. Erik strahlte eine bemerkenswerte Ruhe aus. Ganz egal, wie viel Stress war, er blieb ruhig. Meistens. So richtig ausflippen, hatte sie ihn noch nicht
gesehen. Vielleicht tat er es, wenn sie nicht in seiner Nähe war. Mehrmals hatte sie Scherben im Mülleimer gefunden. Angeblich war ihm der Teller, die Tasse oder ähnliches aus der Hand gefallen. Sie hatte nie etwas dazu gesagt. Es hingenommen und gut war. Warum darüber noch diskutieren und einen Streit riskieren. Sollte er heimlich Teller gegen die wand schmeißen, um seinen Frust abzulassen. Wenn sie nach Hause kam, nach einem stressigen Tag, brauchte sie einen Ruhepol. Ihn. Seit etwa einem Jahr waren sie offiziell ein Paar. Davor kannten sie sich knapp zwei Jahre. Verliebt hatte sie sich...Das wusste sie nicht mehr. Lange hatten sie
sich noch nicht gekannt. Sie hatte ihm eben den Job vermittelt. Kurz darauf bemerkte sie die ersten Anzeichen von verliebt sein. Wann es wohl bei ihm begann? Anfangs unterdrückte sie ihre Gefühle zu ihm. Er war nicht ihre Klasse. Außerdem wollte sie die Karriereleiter hinauf. Da störte eine Beziehung. Doch irgendwann konnte sie die Gefühle nicht mehr unterdrücken. Sie suchte Ausreden, um in seine Nähe zu kommen. Getraute sich aber nicht, ihm ihre Gefühle zu ihm zu offenbaren. Erst, als sie sah, das sie Konkurrenz bekam. Das ihn ihr jemand wegnehmen will. Da fasste sie allen Mut zusammen, den sie
hatte, sprach ihn an und lud ihn zu einem Geschäftsessen ein. Sie wollte nicht direkt angreifen. Zu erst wollte sie in Erfahrung bringen, ob er auch etwas für sie empfand. Das Essen verlief hervorragend. Schnell hatte er erkannt, das es kein Geschäftsessen, sondern ein Date war. Und bedankte sich bei ihr. Denn auch er hatte sich in sie verliebt und war zu ängstlich gewesen, um es ihr zu gestehen. Zwei Monate vergingen. Erst dann waren sie ein Paar geworden. Und damit es nicht so schnell die Runde machte und jeder über sie redete, sprachen sie sich nur mit sie an. Als es irgendwann
doch herauskam, das sie zusammen sind, behielten sie das Sie aus Gewohnheit bei.
Es fiel ihr nicht immer leicht, sie, statt du, zu sagen. Schließlich kannten sie sich schon ein paar Jahre und sie waren ein Paar.
Es war ein komisches Gefühl. Erik wusste nicht, wie er es einordnen sollte. Einerseits empfand er tiefe Trauer. Schließlich war seine Großmutter jahrelang seine Bezugsperson gewesen. Bei ihr war er zum größten Teil aufgewachsen. Zu ihr hatte er aufgeschaut. Eine innige Bindung gehabt. Es war nicht Liz ihre Schuld. Seine Großmutter war alt gewesen. Hatte vieles durchgemacht. Den Krieg. Sie war kurz vor der Gründung des dritten Reiches geboren. Hatte den Krieg voll mitbekommen. Die Nachkriegszeit mit
den Trümmerfrauen und der Hungersnot. Mauerbau und Mauerabriss. Nun war sie tot. Es war schon traurig, zu wissen, das man nicht mehr mit ihr reden konnte. Sein letzter Besuch war nicht der Schönste gewesen. Natürlich könnte er Liz dafür die Schuld geben. Aber was hatte sie schon getan? Sie hatte doch recht gehabt. Er hatte sich damals auch nicht wohl gefühlt, als Kind, in einer verqualmten Bude. Ihm war regelmäßig schlecht geworden. Vor vielen Jahren war er eines Nachts durch das Geschrei seiner Mutter aufgewacht. Erschrocken war er aus dem Bett gestiegen, rannte zu ihr hin und sah, wie sein Vater sie schlug. Die
ganzen Jahre über hatte er das Bild verdrängt. Plötzlich kam es wieder. Warum hatte er sie im Treppenhaus geschlagen? Wieso kam es ihm gerade eben in den Sinn? Wenn das Thema über die Scheidung seiner Eltern aufkam, schob jeder die Schuld auf den anderen. Die Wahrheit würde Erik nie erfahren, das wusste er. In der Zwischenzeit war es ihm auch egal geworden. Er führte eine harmonische Beziehung. Aufgebaut auf Vertrauen. Ehrlichkeit. Respekt. Sein Vater hatte ihm so einige Stiefmütter vor die Nase gesetzt. Die Beziehungen hielten nie lange. Mancher Stiefmutter trauerte Erik hinterher. Denn
die brachten die Familie zusammen. Schlossen ihn, Erik, mit ein. Gingen zu seinen Elternabenden. Und ausgerechnet die Frauen gingen am Frühesten. Machten beizeiten die Biege. Ließen ihn allein zurück. Hinterließen eine unausgefüllte Leere in ihm. „Es tut mir leid, wegen ihrer Großmutter...“, sprach Liz. „Für sie ist es das Beste. Sie musste viel durchmachen. - Mir vielen gerade wieder die Jahre ein, die ich verdrängt hatte. Die, nach der Scheidung, bis zu unserm Kennenlernen. Ich hatte sie vollkommen verdrängt. Als hätte es sie nie gegeben. Die ganzen Stiefmütter, zum Beispiel. Einige von ihnen hatte ich
auf Anhieb sehr lieb gehabt. Leider war mein Vater ein Arsch. Warum sind sie sonst so schnell wieder weg? Weil ich so sehr an ihnen hing und ihnen zeigte, wie lieb ich sie habe? Oder meine Schwester?...“ Erik liefen Tränen über die Wange. Er stand am Fenster und starrte blicklos hinaus. Liz stand neben ihn. Wusste nicht was sie tun sollte. Was sie sagen könnte, um ihn zu trösten. „Erik...“, fing sie an. Aber zu mehr war sie nicht in der Lage. Irgendwie fühlte sie sich schuldig, am Tot seiner Großmutter. Schließlich hatte sie ihr Vorwürfe gemacht. Und das nicht zu
knapp. „Zu mir braucht er nicht zu kommen. Ich habe kein Geld. Soll er weniger rauchen und trinken. In Freudenhäusern hält er sich auch gern auf. Er hat es mal erzählt, das er drin war. Sein kumpel hat mir gesagt, das er nicht nur in dem Einen war. Dafür hat er Geld. Aber um seinen Kindern leckeres Essen zu kaufen, oder neue Anziehsachen, dafür war ihm das Geld anscheinend zu schade. Hauptsache er. Ist es falsch, seine Eltern zu hassen? Ich meine, da gibt’s doch dieses Gebot aus der Thora: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ Aber was ist, wenn
die einem nicht lieb haben? Wenn man nur Luft für sie ist? Nur dann bemerken, das es einen gibt, wenn man scheiße baut? Gilt dann das Gebot immer noch, oder gibt es da Ausnahmen. Wie viele Kinder werden von ihren eigenen Eltern vergewaltigt, geschlagen, bis sie fast schon tot sind, angeschrien, weil sie Kinder sind...“ Liz kamen nun auch die Tränen. Sie legte ihren Arm um Eriks Taille und und ihren Kopf auf seine Schulter. So standen sie lange da. Blickten hinaus. Versuchten, an nichts zu denken. „Es ist nicht ihre Schuld, Liz. Klar, sie haben ihr Vorwürfe gemacht. Das Problem, das meine Großmutter hatte,
war, sie wollte stets die ganze Familie um sich haben. Dafür ging sie Kompromisse ein. Sie dachte zuerst an andere. Wollte es anderen recht machen. Und mein Großvater? Der machte, was seine Frau sagte. Es war stets unverantwortlich von ihr gewesen, wenn sie es zuließ, das meine Eltern sich betranken und dann mit uns Kindern nach Hause liefen. Von meinen Eltern verlange ich nicht, das sie denken. Wer glaubt, das Schläge das richtige Mittel sind, um seine Kinder ordentlich zu erziehen, anstatt sie richtig aufzuklären, von dem erwarte ich Nichts. Hat ein Klatsch auf meinen Arsch
geholfen, das ich trocken werde? Ganz im Gegenteil. Ich habe Jahre dafür gebraucht. Das einzige, was es gebracht hat, war, das sie mich gegen sich aufbrachten und mir das Gefühl gaben, ich bin ein böser Junge, der keine Liebe verdient hat.“ Vor kurzem wollte sie ihm sagen, das sie bereit für ein Kind ist. Wollte ihn fragen, ob er es auch wäre. Aber sie hatte sich nicht getraut. Wusste nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Nun hatte sie den Mut dazu endgültig verloren. „Wie wäre es mit einem Tee?“, fragte sie leise. „Ja, bitte. Ein Beruhigungstee wäre mir recht, falls wir den dahaben sollten.
Ansonsten nehme ich einen ganz normalen Kräutertee.“ „Ich glaube, das einzige, was wir dahaben, ist Kamille.“, stellte sie verwundert fest. Dabei hatte sie erst letztens neuen Tee gekauft. Oder hatte sie es sich nur vorgenommen und am Ende doch nicht gemacht? „Kamille. Das erinnert mich - an Nichts. Ja, Kamille klingt gut.“ Er beobachtete die Nachbarskinder, die vor dem Haus spielten. Himmel und Hölle. Das kannte er noch. Verdammt lange her, als er es das letzte mal gespielt hatte. Es war im Kindergarten gewesen. Besonders gut war er darin nicht gewesen. Gern sprang er daneben,
oder verlor das Gleichgewicht. Dennoch hatte er es sehr gern mit den anderen Kindern gespielt. Und keinem hatte es gestört, wenn er umfiel oder daneben sprang. Niemand hatte ihm deswegen Vorwürfe gemacht, ausgelacht oder auf ihn geschimpft. „Es stimmt mich traurig, wenn ich an meinem alten Kindergarten vorbeigehe Vor ein paar Jahren haben sie ihn abgerissen. An der Stelle steht jetzt ein Hotel. Über die Straße, vielleicht hundert Meter entfernt, war unser Spielplatz. Davon steht auch nichts mehr. Die Fläche ist verwildert und zugemüllt.“ „Und wo mein Kindergarten stand, steht
jetzt ein Supermarkt, mit riesigen Parkplatz. Kein Zipfelchen grün mehr. Wie gern habe ich im Gras gelegen und den Wolken nachgeschaut, während die anderen Kinder im Sandkasten gespielt und herumgetobt haben. - Da wir gerade bei dem Thema sind...“ Es war jetzt vielleicht ein günstiger Augenblick gewesen, ihn darauf anzusprechen. Denn wenn nicht jetzt, wann dann? Er hatte mit dem Thema angefangen. Irgendwie, jedenfalls. „Wie denken sie über Kinder?“ „Aus Kindern werden eines Tages Erwachsene. Mörder. Räuber. Lügner. Schläger. Kinderficker - Oh, tut mir leid. Ich war gerade mit meinen
Gedanken ganz woanders. Schule. In meine Klasse ging ein Typ, der soll gern Automaten knacken und sich des öfteren im Gefängnis aufhalten. Weiß auch nicht, warum mir das eben in den Sinn kam. - Wollten sie mir eben einen dezenten Hinweis geben, das sie schwanger sind? Wenn es so sein sollte, denken sie wegen meiner Aussage bitte nicht ans Abtreiben. Es tut mir wirklich leid, das...wie...“ „Ich bin nicht schwanger.“, beruhigte sie ihn. „Aber sie denken darüber nach, schwanger zu werden? Verstehe ich das richtig?“ „Ich hätte schon ganz gern ein Kind.
Nur...“ „Liz, ich liebe sie. Wenn sie ein Kind haben wollen, so werde ich ihnen diesen Wunsch nicht nehmen, sondern alles dafür tun, um ihn ihnen zu erfüllen. In mir drängt sich nämlich auch der Wunsch nach einem Kind. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe, es zu erziehen. Ob ich die Geduld für so ein unschuldiges Wesen habe. Vor allem jetzt, wo so einige Erinnerungen wieder kamen, habe ich Angst, das ich genauso bin, wie meine Eltern. Das mir schnell die Hand ausrutscht.“ Liz nahm ihn in ihre Arme. Drückte ihn fest an sich. „Meine Freundin Lisa hat zwei Kinder.
Sie sind zwar schon aus dem Windelalter raus, aber das macht ja nichts. Es sind immer noch Kinder. Sie hätte sicherlich nichts dagegen, wenn wir mal auf die Beiden aufpassen. Ganz im Gegenteil.“, schlug Liz vor. „Sie meinen also, wir sollten die Kinder ihrer Freundin Lisa als Versuchsobjekte nehmen und testen, ob wir in der Lage sind, mit Kindern umzugehen. Der Gedanke klingt mir sehr überlegt und vernünftig.“ Dennoch hatte Erik bedenken. Aber er wollte Liz nicht enttäuschen. Deshalb behielt er sie für sich. Verriet ihr nicht, das es in seiner Familie normal war, das schnell drauf los gemeckert wurde und es
nur selten Einsicht gab. Seine Schwester hatte ihn oft geschlagen, wenn er etwas getan hatte, was ihr nicht ganz gefiel. Und auch ihr Kind musste sehr häufig Schläge einstecken. Kleckern reichte aus, um sie in Rage zu bringen. So wollte er nicht sein. Aber ihn bedrückte das Gefühl, das es in ihm steckte. Das es eines Tages aus ihm herauskommen würde. Ohne Vorwarnung. Er musste mit Liz darüber reden, bevor es zu spät war.
Enttäuscht kamen sie nach Hause. Ihre Laune war nicht die Beste. Ganz im Gegenteil. Liz konnte nicht fassen, wie sehr sich ihre Freundin Lisa verändert hatte. Ihr war auch neu gewesen, das sie sich von Manuel getrennt hatte. Das wäre ja nicht so wild gewesen, wenn sie nicht diesen Andreas jetzt hätte. Irgendwie war er...Er passte ganz und gar nicht zu ihr. Was war mit Manuel? Sie waren ein so eingespieltes und glückliches Paar gewesen. Liz hatte ihre Freundin oft deswegen beneidet. Darum verstand sie es nicht, das sie jetzt mit diesem Andres zusammen
war. „Liz, sie sind eine wunderbare Frau. Und ich glaube ihnen, wenn sie mir versichern, das Lisa eine anständige Freundin war. Leider habe ich das Gegenteil erleben dürfen. Zugegeben, ich habe mich verändert. Für sie und weil ich es so wollte. Vielleicht bin ich zu spießig geworden. Aber was mich da heute – Oh Gott. Der Typ gehört hinter Gitter. Liz, - ich möchte mich bei ihnen entschuldigen. Normalerweise trinke ich ja nicht. Vielleicht mal ein kleines Glas Sekt zum Anstoßen. Oder wir teilen uns eine kleine Piccolo. Mein atem muss fürchterlich
sein...“ „Reden sie nicht weiter, Erik. Von meinen Eltern habe ich noch eine Flasche Wein. Die werde ich jetzt öffnen. Ich weiß, es ist nicht unsere Art. Es ist auch ein Fehler, wenn wir die Flasche jetzt öffnen und austrinken. Aber ich bin zu aufgewühlt und verschreckt, um vernünftig zu sein. Würden sie mir die Ehre erweisen und mit mir mittrinken?“ „Unter diesen Umständen...Haben sie sich Andreas genau angesehen und ihm zugehört? Dies war früher mein regulärer Umgang gewesen. Stolz im Knast gewesen zu sein. Menschen überfallen und ausgeraubt zu haben.
Schlägereien und so weiter. Erschreckend, was ich damals zu meinen Freundeskreis zählte. Klar, ich fühlte mich dadurch sicher. Ich brauchte keine Angst zu haben, das sie mich überfallen. Ganz im Gegenteil. Sie haben mich beschützt. So gesehen, hat es auch Vorteile, solche Freunde zu haben. Aber wenn man auch noch leicht Beeinflussbar ist und jeden scheiß mitmacht...“ „Die Zeiten sind ja vorbei. Und ich gehe jede Wette ein, das sie ein besserer Vater werden, als es ihrer je war. Meine Eltern werden uns jederzeit unterstützen. Da bin ich mir sicher. Bei den letzten Besuchen, hatten sie ja einen
guten Eindruck hinterlassen.“ Ihre Eltern waren wirklich zufrieden mit Erik. Er hatte sich auch sehr gut mit ihnen unterhalten. Was auch daran lag, das er viele Meinungen mit ihnen teilte. Er hörte ihnen zu und wartete, bis sie ausgesprochen hatten. Wenn er etwas im Mund hatte, kaute er erst hinter, bevor er antwortete. Seine Großmutter steckte sich erst etwas in den Mund, bevor sie antwortete. Nicht selten kam es vor, das es in die falsche Röhre kam und sie husten musste. Sie wollte nie hören und es auch nie lernen. Als die Flasche Wein leer war, holte Liz noch eine Flasche aus der Küche. Die
war ganz verstaubt. Seit Jahren war sie schon in der Familie. So weit Liz wusste, hatte ihre Urgroßmutter sie einst von einem Verehrer geschenkt bekommen und ihrer Tochter zum Hochzeitstag geschenkt. Jene schenkte die Flasche an ihre Tochter. Und die an Liz. Eigentlich war es schade darum. Schließlich war die Flasche schon so lange in Familienbesitz. Liz entschied sich dagegen, die Flasche zu öffnen. Irgendwann würde sie auch eine Tochter bekommen. Und dann sollte jene die Flasche erhalten und weitervererben. So lange, wie diese Flasche schon in Familienbesitz war, wäre es viel zu schade, um sie einfach
nur zum Ärger runterspülen zu benutzen. Eines Tages würde sie viel Geld wert sein. Ihre Kinder würden es ihr danken, wenn sie so was wertvolles bekämen. Bestimmt. Liz sah noch eine Flasche. Diese hatte sie zu irgendeinem Geburtstag bekommen. Wahrscheinlich zu ihrem Letzten. Die konnte sie getrost öffnen, ohne Gewissensbisse zu bekommen. Liz wusste, das dies kein wertvoller Wein war. Der stand regelmäßig im Angebot. Mindestens dreimal im Jahr. Den konnten sie vernichten. Ebenso gut wegkippen. „Lieber Erik. Ich möchte sie darauf hinweisen, das in der Küche noch eine
Flasche Wein steht. Sie ist aber nicht zum trinken da. Ich habe sie vor einiger Zeit von meiner Mutter bekommen. Jene hatte sie von ihrer Mutter. Und jene, wiederrum, von ihrer Mutter. Meine Urgroßmutter hatte sie einst von einem Verehrer bekommen. Seine Eltern, so weit ich erfahren habe, besaßen ein Weingut. Durch den Krieg hatten sie es verloren. Wahrscheinlich ist es eine, wenn nicht gar die letzte, Abfüllung. Bitte rühren sie die Flasche nicht an. Ich möchte sie eines Tages unseren Kindern schenken.“ „Ich verspreche ihnen, das ich jene Flasche nicht anrühren werde. - Darf ich sie darum bitten, mit mir einen schönen
Film anzusehen, während wir diese billige Flasche Wein trinken und nebenbei kuscheln?“
„Und danach machen wir es uns im Bett gemütlich.“
„Oder ich stelle den Fernseher in unser Schlafzimmer. Wir schauen im Bett fern.“
„Liz, ich möchte kurz mit ihnen reden. Hätten sie eine Minute für mich?“ Angespannt lief Erik im Wohnzimmer hin und her. Wie sollte er das Thema anschneiden? Er wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Aber auch nicht zu lange um den heißen Brei herum reden. Es war ja nichts weltbewegendes. „Was haben sie auf dem Herzen?“ „Wir hatten doch neulich das Thema Kinder. - Ich habe mir ausführlich Gedanken darüber gemacht. Wie meine Eltern, will ich nicht sein. Das heißt, unser Kind nicht schlagen, wenn es in die Hose gemacht hat. Es kann jedem
passieren. Kinder haben es eben noch nicht unter Kontrolle. Auch möchte ich nicht, das ich bei jeder Kleinigkeit aus der Haut fahre. Gleich meckere, anstatt...Um es kurz zu machen, ich möchte mit ihnen einen Elternkurs besuchen. Es wäre mir ein Bedürfnis, wenn sich mich dabei unterstützen würden. Direkt.“ „Sie wollen also, das ich mit zum Elternkurs komme?“ „Ja.“ „Natürlich werde ich mit dabei sein. Es freut mich sogar sehr, das sie Eigeninitiative ergriffen haben. Mir wieder zeigen, das sie nicht wie ihre Familie werden wollen. Viel zu gut ist
mir der Geburtstag ihrer Großmutter in Erinnerung geblieben.“ Liz war anders aufgewachsen. Mit Eltern, die nur gelegentlich tranken. Spezielle Geburtstage und Silvester. Und selbst da hielten sie sich zurück. Ein Glas Sekt oder Wein. Mehr tranken sie nie. Rauchen war für sie absolutes Tabu. Vor allem, wenn Kinder in der Nähe waren. Da Tabak zu viel schädliche Inhaltsstoffe hatte. Ihre Eltern gehörten nicht zu denjenigen Personen, die ihren Kindern verboten, sich dreckig zu machen und alles desinfizierten. Natürlicher Schmutz stärkte das Immunsystem. Mit Wasser und Seife bekam man den Dreck
schließlich wieder ab. „Ich mir noch was überlegt.“, sagte Erik, „Es ist ja so, das sehr viel für die Kleinen getan wird. Kindergärten werden neu gebaut. Die alten werden in neue Gewänder gehüllt. Spielplätze haben wir in der Zwischenzeit auch genügend. Aber was ist mit den Jugendlichen? Wer denkt an sie? Die paar Jugendclubs, bringen es nicht. Meiner Meinung nach fehlt es deutlich an Freizeitaktivitäten, die nichts kosten. Wir haben zwar ein gutes Einkommen. Aber viele Eltern leben von Staat. Können sich nichts leisten. Ihre Teenager sehen keine Perspektive. Lungern auf der Straße und versetzen uns
in angst und Schrecken. Tauchen ab in eine andere Welt. Ihre Instrumente liegen dann verstreut im Sandkasten, wo unsere Kinder spielen. Das Ergebnis...? Man müsste ihnen eine sinnvolle Beschäftigung geben, die sie daran hindert, an dumme Dinge zu denken. Vielleicht als Vorbereitung auf ihre berufliche Zukunft. Ich finde sowieso, das heutzutage zu sehr auf die Noten geschaut wird. Bei meinem damaligen Umgang gab es viele, die miese schulische Leistungen hatten. Sie wollten lieber arbeiten gehen. Und warum nicht lassen? Bevor sie die anderen Mitschüler stören und vielleicht noch mit ihrer Unlust anstecken, sollte
man ihnen die Chance geben, sich praktisch zu beweisen. Es steht jetzt nur die Frage, wohin wendet man sich mit dieser Idee und wo findet man Sponsoren dafür. Denn wie wir wissen, kostet heutzutage alles Geld. Und das nicht zu knapp. Eines Tages werden unsere Kinder auch in das Alter kommen. Natürlich dauert es noch ein paar Jahre, bis dahin. Aber ehe meine Idee Gehör findet und ehe sich jemand findet, der mitmacht, bei der Realisierung, dauert auch ein paar Jährchen.“ „Ich finde ihre Idee sehr gut. Daher werde ich sie bei dem Vorhaben
unterstützen.“ „Danke, Liz. Es bedeutet mir wirklich sehr viel.“ Er ist ein großartiger Mann, dachte Liz. Sie fand, das er recht hatte. Das zu wenig für die Jugend getan wurde. Auch fand sie, das die Klassen zu sehr gemischt waren. Schüler aus mehreren verschiedenen Ländern in einem Klassenrum. Jeder hatte eine andere Muttersprache. Konnte kaum deutsch. Einige wollten auch kein deutsch lernen. Sahen es nicht ein. Manche waren nur da, weil sich ihre Eltern hier eine bessere Zukunft erhofften. Für sich und ihre Kinder. Rissen ihre Kinder einfach aus ihrer gewohnten Umgebung. Von
ihren Freunden. Andere waren Flüchtlinge. Entweder wurden sie in ihrem Land gesucht, oder dort war Krieg. Auch dafür musste eine Lösung her. Vielleicht würde dies die Gewalt an Schulen mindern.
Erik besuchte seine alte Gegend. Es hatte sich nicht viel verändert. Ruhiger war es geworden. Oder kam es ihm nur so vor? Früher hatten doch mehr Kinder auf der Straße gespielt. Aber da gab es auch weniger Verkehr. Und die Autofahrer nahmen auch mehr Rücksicht auf spielende Kinder. „Erik?“ Gerade eben hatte er sich in seine Kindheit zurück versetzt. Sah die grünenden Sträucher vor sich. Bäume. Spielende Kinder. Sich selbst. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Erik? Bist du es
wirklich?“ „Benno?“ „Eben dieser. Was verschlägt dich in deine alte Heimat? Und dann noch in einem schnieke Anzug.“ „Ich weiß nicht...Wo sind die anderen? Es ist so ruhig hier. Völlig ungewohnt.“ „Tja. Ich bin der letzte, von uns. Alle anderen sind weggezogen. Haben es nicht mehr ausgehalten. In ungefähr zwei Stunden kommen die neuen Bewohner. Allesamt Migranten. Ein paar sind ganz nett. Man kann sich ganz gut mit denen unterhalten. Aber die meisten sind einfach nur das Letzte. Kriminell. Die Bullen meiden diese Gegend. Haben angst. Schließlich ist es schon alltäglich,
das hier Schlägereien sind. Manche enden sogar tödlich. Ich habe es nicht geschafft, was aus zu mir zu machen. Du weißt sicherlich noch, wie ich mich für die Schule begeisterte. Fataler Fehler. Kein Arbeitgeber will mich. Naja. Was soll ich da noch sagen. Ich lebe vom Amt. Am Tage halte ich mich draußen auf. Ab Nachmittag verkrieche ich mich. Damals war ich vielleicht der King gewesen. Aber jetzt...“ „Wenn du willst, horch ich mich mal um. Vielleicht findet sich ja doch noch jemand, der dich einstellt.“ „Das wäre cool. Ich würde gern arbeiten gehen. Aus dieser Gegend ziehen. Eine
Frau finden und mit ihr eine Familie gründen. Ich bin nicht mehr der Typ von damals. In der Zwischenzeit habe ich dazugelernt. Weiß, das Gewalt keine Lösung ist. Schule wichtig.“ „Ich unterbreche dich nur ungern. Aber was ist mit deiner Familie. Du hattest, so weit ich mich erinnere, eine Schwester gehabt. Etwa in mein Alter.“ „Sie ist im Ausland. Und nachdem ich ihrem Freund in die Fresse gehauen habe, will sie nichts mehr mit mir zu tun haben.“ „Was war denn los gewesen?“ „Er gab an, wie gut sie im Bett sei. Da war es mit mir durchgegangen. Ausgeholt und getroffen. Nase
gebrochen. Irgendwie tut´s mir schon leid. Aber andererseits...“ „Ich versteh das. Es gibt Grenzen. Und er hatte sie eindeutig überschritten.“ Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile über Gott und die Welt. Dann machte sich Erik auf den Rückweg. Überlegte, wo er Benno unterbringen konnte. Früher hatte Benno ihm das Leben nicht gerade leicht gemacht. Aber wenn er heute die Nachrichten sah, war Benno mehr als harmlos gewesen. Und er bleib stets fair. Schlug keinen, der am Boden lag. Benutzte nie Waffen. Das musste man ihm lassen. Und allem Anschein nach, hatte er sich zum Besseren gewendet. Erik fand, er hatte
eine Chance verdient. Er würde sich wirklich nach einem Job für ihn umschauen. Versprochen war versprochen. Liz würde ihm bestimmt dabei helfen, was passendes für Benno zu finden. Für ihn hatte sie schließlich auch einen Job gefunden. Wobei er ja ein ganz anderer Typ war. Schon allein äußerlich. Benno war größer und breiter. Kein Anzugtyp. Seine Zeugnisse sprachen für sich. Erik glaubte schon, das Benno nicht dumm war. Er gehörte eben zu den Menschen, deren Qualitäten in der Praxis liegen. Kaum war Erik zu Hause, fragte er Liz. „...im Grunde ist er ein netter Typ. Ich habe mich mit ihm seriös unterhalten. Er
möchte raus aus dem Ghetto. Sich verändern. Zum Positiven. So wie ich es damals wollte. Bei mir haben sie es geschafft. Nun würde ich sie darum bitten, auch ihm zu helfen.“
„Lassen sie mich überlegen. Wenn ich mich recht erinnere, sucht unser Hausmeister eine Hand. Wir könnten ihn fragen, ob er immer noch Bedarf hat. Und wenn ja, dann stellen wir ihm deinen Benno vor.“
„Ich danke ihnen Liz. Sie sind einfach die Beste. Und zum Dank, lade ich sie heute Abend zu einem Candlelightdinner ein.“
„Meister!“, rief Erik dem Hausmeister hinterher, „Kurze Frage.“ „Was los, mein Junge.“ Hausmeister Lutz nannte alle Mein Junge. Zu den Frauen sagte er: Meine Hübsche. Niemand nahm ihn das übel. Selbst der Geschäftsführer nicht. Lutz war ein gerngesehener und wichtiger Mann. Alt, aber immer noch rüstig. Obwohl er schon in Rente gehen dürfte, hatte er kein Interesse daran. Denn zu Hause hatte er nichts zu tun. Da fühlte er sich allein und nutzlos. Seine Frau war vor Jahren gestorben. Kinder hatten sie keine bekommen können. Adoptieren
durften sie keine. „Ich wollte mich wegen Benno erkundigen. Der ist ja schon ein paar Tage unter ihre Fittiche...“ „Der Benno ist ein großartiger Junge. Könnte glatt meiner sein. Er unterschreibt gerade seinen Arbeitsvertrag. Danke übrigens, das ihr ihn zu mir gebracht habt. Er kapiert schnell und ist flink. Er erinnert mich ein wenig an mich selbst. Als ich in seinem Alter war. Ja, ja. Lange ist es her. Naja. Ich muss weitermachen.“ Erik war zufrieden mit sich selbst. Benno hatte er zu einem Job verholfen. Und Lutz hatte nun einen Partner an seiner Seite, mit dem er sich blendend
verstand. Besser konnte es nicht laufen. Nun konnte er nur noch hoffen, das es auch so blieb. Wenn das kein rund zum Feiern war. Liz war gar nicht zum Feiern zu Mute. Ganz im Gegenteil. Anderseits war es doch ein freudiges Ereignis. Bis vor Kurzem wollte sie es unbedingt. Nun kamen ihr aber Zweifel. Und wie sollte sie es Erik sagen? „Oh Liz, wie ich sie liebe. Sie überraschen mich doch immer wieder. Ein heißes Bad im Kerzenschein. Dazu ein Glas Sekt. Ihren Andeutungen nach, habe ich auch Grund zur Vorfreude auf
unser heimisches Schlafzimmer. Was habe ich getan, das sie mich so sehr verwöhnen? Ich meine, das Essen war erstklassig. Wenn das ein Traum sein sollte, wünsche ich nicht geweckt zu werden. Verschieben wir lieber das, was wir im Bett tun werden, in diese Wanne. Mein Wecker hasst mich und würde mich mittendrin aufwecken.“ „Es ist kein Traum. Sie können ganz entspannt bleiben. Ich versuche nur, auf ein bestimmtes Thema zu sprechen zu kommen. Mir fällt es nicht leicht, es anzusprechen. Auch wenn wir vor einiger Zeit darüber gesprochen hatten. Dennoch weiß ich nicht, wie sie darauf reagieren werden. Ich möchte das, was
wir haben, nicht kaputt machen...“ „Liebe Liz,“, unterbrach er sie, „Bezaubernde Liz. Wie lange kennen sie ich schon!? Sie wissen doch ganz genau, das sie mit mir offen über alles reden können. Wenn sie ein Kind erwarten, dann sagen sie es einfach frei heraus...“ Verwundert sah sie ihn an. Ihr stockte der Atem. Sie war sprachlos. Woher wusste er es? Sie hatte es auch erst vor ein paar Stunden von ihrem Frauenarzt erfahren. „Oh mein Gott. Ich habe recht. Das passiert mir nur selten. - Ich weiß nicht, was ich sagen soll. In mir wuseln gerade sämtliche Gefühle hin und her. - Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Ich
kann es nur noch nicht richtig...Also...Lassen sie mir bitte ein wenig Zeit, bis ich es begriffen habe. Es kam eben so unerwartet. Ich habe nur was dahergeredet. Ohne darüber nachzudenken, was ich da sage. - Ich glaube, es wäre besser, wenn sie mir eine Weile nicht zuhören. Nicht, das sie was Falsches von mir denken. Ich stammle gerade zusammenhangloses Zeug zusammen. Geben sie mir ein paar Minuten, bis ich wieder klar denken kann.“ Erik war durch den Wind. Liz sah sein erhelltes Gesicht. Wusste aber trotzdem nicht, ob er darüber erfreut, oder erbost war. Sein Gestammel trieb sie halb in
den Wahnsinn. Wann hört er endlich damit auf? „Ich kann es nicht glauben. Werde ich tatsächlich Vater? Ein männliches Vorbild für ein Kind?“ „Laut meinem Frauenarzt.“ „Wir werden eine richtige Familie. Bitte kneifen sie mich. Ich möchte nicht, das dies nur ein Traum ist.“ Liz fiel ein Stein vom Herzen. Erik freute sich also über das Kind. Und sie? Sie war sich unsicher. War sie wirklich bereit für ein Kind? Ihre Karriere würde auf dem Spiel stehen. Wer wusste schon, ob ihre Stelle noch frei war, wenn sie aus dem Mutterschutz wiederkam. Und so lange war sie mit Erik nun auch
wieder nicht zusammen. Natürlich liebte sie ihn. Aber liebte sie ihn ausreichend? Und reicht ihre Liebe auch für das Kind? Umziehen müssten sie auch. In ihrer Wohnung war kein Platz für ein Kind. Wie würden ihre Eltern auf diese Nachricht reagieren? Und wie seine Familie? Sie hatten ja ein Recht darauf, das Kind zu sehen. Aber sie wollte es nicht. Nicht nachdem, was sie gesehen und was Erik ihr über sie erzählt hatte.
Silbenfaeller Ein Anker und ein Seil um nicht im eigenen Unglück zu ertrinken. Das kann bei jedem anders funktionieren, die Idee mit dem siezen, die erst am Ende ganz aufgelöst wird, ist plausibel integriert - hat mir gut gefallen. Einzig - durch die weiblichen Handlungsträger kombiniert mit dem siezen, war ich einige male nicht sicher, um wen es beim aktuellen "sie" gerade geht. lg SF |