Freitag
In der letzten Schulstunde hockte ich auf meinem Platz und stellte mich innerlich bereits darauf ein, dass ich die Mittagspause mit Katja und Julienne verbringen würde. Vielleicht auch mit Lynn, wenn ich sie traf. So halb lauschte ich dem Unterricht, während ich gedanklich nach Alternativen suchte. Sollte ich Hendrik fragen, was sie machten? Nein, lieber nicht. Dann wäre Sebastian mit von der Partie, dessen Gesellschaft ich seit letztem Freitag gemieden hatte. Erstaunlicherweise hatte er mich noch nicht auf meine ausstehende Aussage, was sein
Geständnis anging, angesprochen.
Nach kurzer Zeit ertönte der Gong. Scheinbar hatte ich mehr verpasst, als ich mir hatte zugestehen wollen. Ich packte in aller Ruhe meine Sachen. Es war schließlich niemand da, für den ich mich hätte beeilen wollen.
"Da du wohl nicht mitkommst, gehen wir heute in die Stadt", hörte ich Julienne sagen.
"Wie? Meinst du mich?" Verblüfft sah ich sie an.
"Ja. Du macht freitags eh immer was anderes."
Ich presste leicht die Lippen aufeinander und nickte. "Tut das." Ich lächelte sie an, um das Gegenteil von dem zu
symbolisieren, was ich gern symbolisiert hätte.
Die beiden winkten mir im Gehen und als sie weg waren sank ich zurück in meinen Stuhl.
"Lina."
Ruckartig fuhr mein Kopf herum. Außer mir war er die einzige Person, die noch im Saal war.
"Claude." Demonstrativ verschränkte ich die Arme. Durch die Sache mit gestern war noch lange nichts geklärt! Da musste ich hart bleiben.
Einen Moment starrte er mich an. "Wegen neulich..."
"Spar's dir, ich weiß, dass du eine Freundin hast. Und bevor du wegen
gestern irgendetwas sagst: Nein, das ändert gar nichts." Ich stand auf und verließ mit meinem Zeug den Saal.
Ich war gerade in ein abseits gelegenes Treppenhaus gelangt, als ich stehen blieb. Ich hätte mir mein Mathematikbuch vor den Kopf schlagen können!
Die Vernunft hatte mir gesagt, dass ich ihn ausreden lassen sollte, doch meine Emotionen hatten - schon wieder - Ãœberhand genommen.
Konnte mich meine Vernunft nicht nur einmal vor einer solchen Reaktion bewahren oder war ich emotional wirklich so sauer auf ihn?
Doch die Vernunft erlangte ihre Macht
zurück und ich stürmte im Treppenhaus nach unten und entdeckte Claude zufällig ein Stück vor dem Tor.
"Clau...!" Das -de blieb mir im Hals stecken. Für einen Moment vergaß ich komplett wo ich war.
Sie war wunderschön, hatte eine viel bessere Figur als ich, rabenschwarze lange Haare und trug ein Kleid, dass ich allein der Kleidergröße wegen niemals würde tragen können.
Und sie küsste Claude. Oder Claude sie. Wie auch immer, die Beteiligung lag auf beiden Seiten. Und es war keiner dieser zärtlichen 'Küsschen', nein! Sie küssten sich. Also so RICHTIG.
Mein Rucksack rutschte von meiner
Schulter und kam mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf. Ich schleifte meinen Rucksack ein paar Meter mit mir bis zu nächsten Bank und ließ mich kraftlos darauf sinken.
Warum tat er das? Erst machte er einen auf, es tut ihm ja so leid und als nächstes küsste er das Scheinbar-die-Freundin-Mädchen!
Wer macht denn sowas? Sowas ist echt unter aller Kanone! So ein Arsch, echt.
Meine Wut sorgte dafür, dass mein Verstand ihn unterstützte, denn nach aktueller Lage der Fakten, hatte er meine Gedanken mehr als verdient.
Das war's!, dachte ich, Jetzt hat er's versaut! Mir reicht es, soll er mir doch
den Buckel runterrutschen...