Biografien & Erinnerungen
Schattengestalt

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"Schattengestalt"
Veröffentlicht am 02. September 2008, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen. Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt. In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur ...
Schattengestalt

Schattengestalt


Schattengestalt


Ein weisses von meiner Mutter geerbtes Bettlacken mit handgesticktem B und H hängt als Gardine in meinem Bastelraum. Es ist der einzige liebliche und freundliche Schmuck im sonst sehr nüchtern und zweckmässig eingerichteten Kellerraum. Die unterste Etage ist mein Reich. Manchmal ziert die Eingangstüre auch ein Täfelchen mit der Aufschrift: „Bitte nicht stören.“ Diese Anweisung wird von meinen Familienangehörigen stets befolgt. Hier formen, nähen, lackieren und malen meine Hände kleine

Kunstwerke. Na ja, ich will ganz ehrlich sein, meistens werden sie dann doch dem Müll zugeführt aber nicht desto trotz liebe ich gestalterische Tätigkeiten. In letzter Zeit hat mein über alles geliebtes Atelier seinen Reiz etwas verloren. Es ist viel mehr das Fenster, das mich magisch anzieht. Bei Regenwetter höre ich mich sagen: „Schatz ich bin unten, in meinem Reich.“ Eine Antwort erwarte ich nicht! Ich will allein sein und ungestört. Ich steige mit einem kribbeln im Bauch die Treppe nach unten. Öffne die Tür langsam und ohne Hektik. Beim Eintreten betätige ich nicht den Lichtschalter. Es regnet immer noch und deshalb ist es auch ziemlich düster und

bisweilen auch etwas unheimlich je nach dem was für Pappmachepuppen rumstehen. Heute ist nur das Drahtgestell für die blaue Gans sichtbar aber das bisschen Tageslicht zaubert mit dem Papierstapel eine bucklige Schattengestalt an die Wand. Ich begebe mich gleich an meinen bevorzugten Platz, nah ans Fenster. Ich ahnte es, er ist wieder da. Mein Adrenalinspiegel steigt und trotzdem wird mein Atem flach. Erwartungsvoll aber mit unglaublich stoischer Ruhe sitzt er da. Mit einem kaum merklichen Nicken bestätigt er mein Kommen. Sein gläserner Blick, seine glatte Haut und sein breitspuriges Machogehabe zieht

mich in seinen Bann! Er macht mir Angst und dennoch kann ich nicht von ihm lassen. Fasziniert von seinem Anblick bleibe ich wie hypnotisiert vor ihm stehen. Er hält meinem Blick stand und ich dem seinen. Ein Hundegebell erlöst uns aus der apathischen Starrheit und endlich kann ich wieder klar denken. „Bist du mein Prinz oder bist du es nicht?“
Behutsam öffne ich den Lichtschacht und befreie meinen Frosch, geküsst habe ich ihn nicht!

 

Erna Müller-Rytz 

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Hörbuch

Über den Autor

Coeur
16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt.
In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur schwer ertragen und davon gab es in der Schule und außerhalb mannigfach.
Frauen brauchen keine Bildung, dieser Meinung war damals mein Vater obwohl meine Mutter einem 100% Job nachging.
1970 ziehe ich für einige Zeit zu meiner damals geschiedenen Schwester Irene und in diesem Jahr lernte ich meinen ersten Mann kennen.
1971 wurde unser gemeinsamer Sohn geboren.
Am 26. November 1974 erhängte sich meine Schwester Irene in ihrer Wohnung, am Schlafzimmerfenster. 13 Tage vor ihrem 29. Geburtstag! Mein verzweifelter Versuch eine Logik in den chaotischen Tod von Irene zu bringen, scheiterte. Entsetzen, Wut, Schuld, Enttäuschung und auch Angst der Verantwortung nicht gerecht zu werden.
Plötzlich war ich mit meinen 22 Lenzen die Ersatzmutter vom damals 10-jährigen Jungen, natürlich nicht ohne die Unterstützung meines ehemaligen Mannes, er war in all den schwierigen Zeiten mein fröhlicher und treuer Begleiter, auch wenn sich unsere Wege später getrennt hatten blieben wir jedoch Freunde. Abschied für immer musste ich am 18. Januar 1983 von Bruder Hans nehmen.
Im 33. Lebensjahr wählte er den Freitod. Ein Schnellzug erfasste ihn in Lenzburg.
Im gleichen Jahr starb auch mein Patenkind. Er war im zarten alter von 3 Jahren in ein Desinfektionsbad für Schafe gestürzt.
Der ohnehin schon angeschlagene Gesundheitszustand meines Vaters verschlechterte sich nach dem Todesfall von Hans zusehends, ja sogar schlagartig.
15. Juni 1984 war mein Vater gestorben. Wenigsten blieb ihm die nur ein gutes Jahr später schmerzliche Nachricht von meinem verunglückten Bruder Hugo, die ich meiner Mutter überbringen musste, erspart.
Am 5. Oktober 1985, im 39. Lebensjahr war er bei einem Tauchgang im Zugersee tödlich verunglückt.
Dieser Abschied war sehr, sehr, sehr schwer, dabei hat das Jahr 1985 glücklich angefangen.
Damals lebte ich allein mit meinem Sohn der ein fröhlicher, lieber und sorgloser Teenager war, ja, sicher in der Schule hätte er durchaus mehr leisten können...
Ich war glückliche Kioskleiterin. Durch gute Leistungen sowie Umsatzsteigerungen gewann ich immer wieder traumhafte und einzigartige Motivationsferien im Ausland unter anderem im Piemont, in Florida, Norwegen, Andalusien und vieles mehr. Den Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen war eine Herausforderung die ich gerne annahm. In meinem Team waren Frauen und Männer mit unterschiedlichsten Berufsausbildungen sowohl Hausfrauen, Lehrerinnen, Studenten und Verkäufer auch auf meinen 20jährigen Sohn durfte ich mich eine Zeitlang verlassen. Er war eine super tolle Unterstützung für unser Team. Zu den Kunden gehörte der Designer Luigi Colani oder der bekannte Jan Tinguely ebenso wie Obdachlose und natürlich meine neue große Liebe.
Am 17. Mai 1991 starteten wir mit einem gecharterten Düsenflugzeug im Berner Flughafen Belpmoos um über den Wolken unser Jawort zu besiegeln.
Am 17. Dezember 2003 wurde ich erneut daran erinnert, dass man diese Zeit nicht für immer hat! Mein geliebter Mann erlitt einen Herzinfarkt. Dieses Mal war es glücklicherweise nur eine Warnung. 2004 und 2005 wurde mein Mann erneut am Herzen operiert und konnte so einem erneuten akuten Herzversagen vorbeugen.
Während ich diese Zeilen schreibe genieße ich ein harmonisches und glückliches Leben!



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Coeur Re: Hallo Erna -
Zitat: (Original von Roman am 13.11.2008 - 12:52 Uhr) eine sehr schöne Geschichte,
wenn auch zum Schluss der Kuss fehlte..

gerne gelesen

glg an dich Erna

von Roman


geküsst habe ich ihn nicht....was um alles in der Welt sollte ich mit einem Prinz?
Danke für deinen Kommentar
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur *deleted* - Kommentar vom Autor gelöscht

Begründung: doppelt
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Re: Re: Re: Re: Wie schon gesagt... -
Zitat: (Original von ParadiseKiss am 08.09.2008 - 16:28 Uhr)
Zitat: (Original von Coeur am 05.09.2008 - 16:50 Uhr)
Zitat: (Original von ParadiseKiss am 05.09.2008 - 11:44 Uhr)
Zitat: (Original von Coeur am 04.09.2008 - 16:54 Uhr)
Zitat: (Original von ParadiseKiss am 03.09.2008 - 14:47 Uhr) hat mir gut gefallen, die Story. Dieser Wechsel zwischen Angst und Wohlgefallen... Wartet sie immer noch auf ihren Prinzen?

Kaltblütige Schwester.


Ob du es glaubst oder nicht dieses Viech ist wieder zurück und er beantwortet meine Frage einfach nicht... Ist er oder ist er nicht???
LG, Blaublutschwester





Was ist denn das für ein Vieh?? *angstkrieg*


Trotz meinen wärmsten Liebkosungen (nicht ganz einfach für eine Kaltblütige) hat er sich nicht in einen Prinz verwandelt und deshalb habe ich ihn wieder ausgesetzt. Er ist und bleibt eine Kröte! Sollte er noch einmal zurück kommen bleibt er in meiner Gefangenschaft! Werde für eine angemessene Behandlung besorgt sein......
LG, Erna


Mit Peitsche und Eis!! Go, Sister, GO!


:-))))))))))))))

Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Re: Re: Wie schon gesagt... -
Zitat: (Original von ParadiseKiss am 05.09.2008 - 11:44 Uhr)
Zitat: (Original von Coeur am 04.09.2008 - 16:54 Uhr)
Zitat: (Original von ParadiseKiss am 03.09.2008 - 14:47 Uhr) hat mir gut gefallen, die Story. Dieser Wechsel zwischen Angst und Wohlgefallen... Wartet sie immer noch auf ihren Prinzen?

Kaltblütige Schwester.


Ob du es glaubst oder nicht dieses Viech ist wieder zurück und er beantwortet meine Frage einfach nicht... Ist er oder ist er nicht???
LG, Blaublutschwester





Was ist denn das für ein Vieh?? *angstkrieg*


Trotz meinen wärmsten Liebkosungen (nicht ganz einfach für eine Kaltblütige) hat er sich nicht in einen Prinz verwandelt und deshalb habe ich ihn wieder ausgesetzt. Er ist und bleibt eine Kröte! Sollte er noch einmal zurück kommen bleibt er in meiner Gefangenschaft! Werde für eine angemessene Behandlung besorgt sein......
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Schattengestalt -
Zitat: (Original von PaulG am 04.09.2008 - 20:08 Uhr) Hallo Erna
Schön, deine Geschichte!
Als Kind habe ich mir zum Lesen auch immer ein "Kabäuschen" gemacht, den Stuhl zur Balkontür gestellt und die langen Vorhänge hinter mir geschlossen, dann war ich im meiner Welt...

LG, Paul


Schöne Kindererinnerungen sind wertvoll und unvergesslich und deine ist besonders lieblich. Ein Vorhang trennt die Welt von der Fantasie....
Danke für deinen Kommentar
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Schatten ... -
Zitat: (Original von MarianneK am 04.09.2008 - 20:32 Uhr) Feigling ... warum hast Du ihn nicht geküsst, vielleicht war es doch ein verzauberter Prinz ... lach.

LG Marianne


Man bekommt immer eine zweite Chance! Er sitzt schon wieder an meinem Fenster! *grins*
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Re: Bitte nicht stören - Danke! -
Zitat: (Original von LadyLy am 04.09.2008 - 20:08 Uhr) In dieser Kreidetafel konnte ich mich wohl am Besten wiederfinden. Ich gehe meistens in mein Wohnzimmmer, einen eigenen Atelierraum habe ich nicht. Trotzdem finde ich die Vorstellung wunderschön und dein Text wirkt einfühlsam. Man darf ganz kurz teilhaben am Leben eines anderen, ohne darin wirklich abzutauchen.

Sehr gelungen.
Ly


War kurz in deinem Account unterwegs und bin ganz neugierig auf deine Texte aus Zeitgründen habe ich das Lesen auf später verschoben. Auf meinem Schreibtisch liegt eine Notiz mit LadyLy!
Freue mich sehr über deinen Besuch und bedanke mich herzlichst.
LG, Erna
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