Als Hailey Downing an ihrem 18. Geburtstag die Ruhestätte der Eltern besucht, erweckt ein flackerndes Licht ihre Aufmerksamkeit. Sie findet einen mit Moos bedeckten Grabstein, auf dem nur der Name Kane und das Jahr 1899 gemeißelt wurde. Da der Friedhof erst viel später entstand, wird Hailey neugierig und beginnt mit der Suche nach dem unbekannten Kane. Ihre flippige Mitbewohnerin, Kristen Brandon, steht ihr hilfreich zur Seite, und schnell häufen sich die Ungereimtheiten. In der Bibliothek von Manhattan finden sie einen blutgetränkten Zeitungsartikel von 1899, und im Central Park wird Kristen von einer fremdartigen
Erscheinung angegriffen, die weder Mensch noch Tier zu sein scheint.
Und auch Hailey hat immer öfter Träume von Wesen, die im Schatten lauern und ihren Namen rufen.
Es lag der Gestank von Abwasser in der Luft, der an heißen Tagen wie diesen aus der Kanalisation nach oben drang. Der modrige Geruch vermischte sich mit der schwülen Hitze des Julis und staute sich zwischen den gewaltigen Hochhäusern und Wohnblöcken. Der Asphalt glühte, als würde er zerreißen, und an den glattschwarzen Fronten unzähliger Tower spiegelte sich das grelle Licht der Sonne wider. An solchen Tagen hörte man viel öfter das Heulen der Sirenen: das Heulen der Rettungswagen und Feuerwehren. Auch Hailey Downing horchte auf, obwohl es das vierte Mal in einer Stunde war. Sie hockte neben dem Grab ihrer Eltern und
pflückte Unkraut heraus. Der Friedhof lag im Schatten alter Buchen und Eichen, die Hailey die Grabpflege nicht unbedingt erleichterten, im Sommer aber mit ihrem gewaltigen Blätterdach vor der unerträglichen Hitze schützten. Hailey wurde der Pflege nie überdrüssig; weder als elternloses Kind, das sie gewesen war, noch als heranwachsender Teenager. Und heute, an ihrem 18. Geburtstag, war es der einzige Ort, an dem sie sein wollte. „So einen heißen Sommer hatten wir schon lange nicht mehr“, murmelte sie den Grabsteinen zu. Sie wischte sich den Sand von den Händen und strich wehmütig über die Inschriften. So viele Jahre waren schon vergangen, der Schmerz aber immer
der gleiche geblieben. Er fraß sie weder auf, noch nahm er ihr die Freude am Leben; doch er begleitete sie stets wie ein beharrlicher Gefährte, der nicht bereit war, ihr endlich Frieden zu schenken. Hailey seufzte leise. Nachdenklich verweilte sie in den wenigen gemeinsamen Erinnerungen, die sie im Herzen trug. Manchmal saß sie stundenlang unter den Bäumen, ohne die Zeit zu bemerken. Und auch jetzt hatte die Dämmerung längst eingesetzt. Erst, als der laue Wind durch Haileys Haare wehte, beendete sie ihre Reise in die Vergangenheit. „Ich hab euch so lieb“, flüsterte sie, und obwohl sie zerbrechlich wie Porzellan schien, strahlte sie doch eine
außergewöhnliche Stärke aus. Sie mochte in ihrem Leben Schlimmes erlebt haben, aber nicht ein einziges Mal hatte sie ans Aufgeben gedacht. Mit der Tasche in der Hand stand sie auf und atmete tief durch. „Ich komme morgen wieder.“ Als sie die Gräber ihrer Eltern verließ, führte sie ihr Weg an vielen anderen Ruhestätten vorbei, die im untergehenden Licht der Sonne noch trauriger wirkten. Sie erreichte das eiserne Schmiedetor, wurde aber von einem eigenartigen Flackern aufgehalten, das sie verwirrte. Hailey drehte sich noch einmal um und sah hinüber zu einem Grabhügel, den schon seit Jahren niemand mehr besucht hatte. Sie ging zurück und wunderte sich über das
züngelnde Grablicht, das inmitten der moosbedeckten und verwilderten Begräbnisstätte stand. Der Name des Verstorbenen war unleserlich, und so musste sie mit ihrem Taschenmesser das Moos abkratzen, um ihn lesen zu können. „Kane. 1899?“ Die Grabinschrift aus geschwungenen, altertümlichen Lettern war irritierend. Sie kniff die Augen zusammen, um im Dämmerlicht besser zu sehen, und riss etwas vom herabhängenden Efeu hinunter. Eine gemeißelte Rose zierte den oberen Rand des Steins. Sie war wunderschön und gleichzeitig unheimlich, denn die einzelnen Dornen schienen voller Ruß. Hailey stellte das Grablicht in den
geschützten Windschatten und schaute auf die Uhr. Nun musste sie sich doch sputen, um die Fähre nach Manhattan zu erwischen. Eilends verließ sie das Friedhofsgelände und vergaß, dass sie eigentlich auf das Eingangsschild schauen wollte. Es war nur ein Gefühl gewesen, mehr nicht. Doch hätte Hailey nachgesehen, hätte sie sich zu recht gewundert, denn der Friedhof existierte erst seit 1931. Und ein Verstorbener aus dem Jahre 1899 konnte hier überhaupt nicht liegen. *** „Kane?“ Kristen Brandon, Haileys kesse
Mitbewohnerin, lugte neugierig auf den Laptop. „Suchst du dir einen Mann im Internet?“ „Quatsch! Ich suche einen Kane, der 1899 auf Staten Island starb.“ Hailey stöhnte frustriert. Sie hätte sich denken können, dass es eine aussichtslose Suche war, doch der Name hatte sie nicht losgelassen. Es war sicher lächerlich, doch wollte sie eine Erklärung haben. Kristen dagegen schien amüsiert. Sie hatte neben ihrer Freundin Platz genommen, die langen, schlanken Beine überschlagen, und blickte nun gespannt auf den Bildschirm. Als Hailey die Suche enttäuscht abbrach, schob Kristen ihre flippige Brille zurecht und kräuselte die
Stirn. „Gibst du schon auf? Warum suchst du überhaupt nach einem Toten?“ Hailey fuhr den Computer runter und lehnte sich grübelnd zurück. „Er liegt auf dem gleichen Friedhof wie meine Eltern. Sein Grab ist schon seit Jahren verwildert, aber heute brannte dort eine Kerze. Irgendjemand muss sie angezündet haben; zum ersten Mal, da bin ich mir sicher. Ich hätte es doch sonst schon viel eher bemerkt, immerhin muss ich an seinem Grab vorbei. Außerdem habe ich nachgelesen: Den Friedhof gibt‘s erst seit 1931. Auf Kanes Grabstein stand aber 1899. Ich bin mir sicher.“ „Vielleicht hat jemand falsch gemeißelt?
Oder die Teenies haben sich einen Spaß erlaubt. Es kann dafür alle möglichen Gründe geben. Erklärbare Gründe.“ Kristen grinste breit. Sie wusste bestens, wie sich ihre Freundin in mysteriöse Dinge hineinsteigern konnte. Mürrisch wich Hailey ihren vielsagenden Blicken aus. „Willst du mir sagen, dass ich ein Spinner bin?“ „Nein, ganz bestimmt nicht, also sei nicht gleich eingeschnappt. Aber als wir letztens von Tishs Party nach Hause gelaufen sind, hast du auch schon gedacht, uns würde jemand verfolgen. Und da ist nun mal niemand gewesen, Süße. Ich will damit nur sagen, dass du in letzter Zeit viel zu angespannt bist. Als würdest du überall
Gefahr wittern.“ „Ich bin mir sicher, dass da jemand war.“ Hailey strich sich eine einzelne Strähne aus dem Gesicht. Noch immer fröstelte sie, wenn sie an die unheimlichen Geräusche dachte. Kristen hatte sie nur nicht gehört, weil sie sturzbetrunken gewesen war. „Dann gehen wir morgen zusammen zum Friedhof“, schlug Kristen vor. „Ich gebe zu, dass es wirklich spannend wäre. Aber vielleicht hast du dich auch nur verlesen, zieh das auch in Betracht, ja?“ Doch Hailey hatte sich nicht verlesen, da war sie sich
sicher. *** Gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen fuhren die Freundinnen zum Friedhof auf Staten Island. Kristen erinnerte sich noch gut an Haileys Eltern, denn die beiden Mädchen waren zusammen in Brooklyn aufgewachsen und seit der Grundschule befreundet gewesen. Heute arbeiteten sie sogar in der gleichen Bar als Kellnerinnen und teilten sich die WG in Manhattan. Nur vom Charakter konnten sie nicht unterschiedlicher sein: Während Hailey zufrieden war mit ihrem Job, wollte Kristen unbedingt Journalismus studieren.
Von Kindesbeinen an besaß sie eine unstillbare Neugierde, die Hailey nicht teilte. Hailey war eine stille Natur, die ihre Ruhe wollte, und die lieber davonlief, als sich Hürden zu stellen. „Das ist das Grab?“, fragte Kristen, als sie vor dem Grabstein kniete. Sie schob den Efeu beiseite und schreckte jäh zurück. „William Prestner?“ Kristen lächelte milde. „Du hast dich aber ganz schön verlesen, Hailey. Bist du sicher, dass das hier das Grab war? Prestner ist erst 1999 gestorben.“ „Ich bin sicher“, erwiderte Hailey verwirrt. „Das verstehe ich nicht. Es stand wirklich hier!“ Doch sie konnte hören, wie Kristen vor ihr
gluckste. „Lass uns abhauen. Unsere Schicht fängt bald an.“ „Du hältst mich für verrückt, oder?“ „Na, auch nicht mehr als sonst. Aber komm schon, wir beide sind manchmal verrückt. Du hast dich verlesen, mehr steckt nicht dahinter.“ „Wenn du meinst. Mehr steckt nicht dahinter …“, murmelte Hailey betroffen. Doch Hailey, auch wenn sie es vor Kristen nicht zugeben wollte, wusste es mit Sicherheit. Auf diesem Grabstein hatte Kane gestanden. Vielleicht war es verrückt, aber es war die Wahrheit. Ganz gleich, was ihre Freundin dachte. Ein unbestimmtes Gefühl, wie eine
flüsternde Stimme in ihrem Kopf, nagte an ihrem Verstand. Es befiel ihre Gedanken und ließ keinen Platz für Zweifel.
Vielleicht werde ich wahnsinnig, dachte Hailey Downing aufgewühlt. Doch sie hätte es nicht gedacht, wäre ihr das bleiche Gesicht, verborgen im Schatten aufgefallen, das sie und Kristen beobachtete und nicht mehr aus den Augen ließ.
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