Beschreibung
Die Geschichte eines Königs, dessen gute Vorsätze auf eine harte Probe gestellt werden.
Cover: © Gerd Altmann / Pixelio
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Es war einmal ein König. Wie man sich denken kann, war er der Sohn seines Vaters, dessen Amt er nach dem Tod desselben übernommen hatte. Dies war erst vor wenigen Wochen geschehen, doch wollte der junge König Georg II. sein Volk von Beginn an so gut wie nur möglich regieren.
Das Land, in dem der König herrschte, wurde Akirema genannt. Es war ein großes Königreich und mächtig dazu und im Laufe einiger wechselvoller Jahrhunderte und vieler erbitterter Kriege und Schlachten hatte es an Macht stetig dazugewonnen. Auch war es ein reiches Land, reich an Gütern, Bodenschätzen und der Arbeitskraft der vielen Bauern und Handwerker, die dem König wie schon seinen Vorgängern untertan waren. Und seine Herrscher verstanden es in der langen Zeit den Reichtum zu mehren und auch so ihre Macht weiter auszudehnen. Und nicht zuletzt die Unterstützung, die die lange Ahnenreihe der Könige den fleißigen Gelehrten, Erfindern, Forschern und Wissenschaftlern, ja sogar einigen Zauberern und Hexen zukommen ließ, sorgte dafür, dass die meisten der anderen bekannten Königreiche Akiremas Überlegenheit anerkannten, einige sich sogar unter seinen Schutz stellten und dessen König als Großkönig akzeptierten.
So übernahm unser König Georg mit der Herrschaft über Akirema auch eine außergewöhnlich große Verantwortung. Nicht nur musste er sich um die Angelegenheiten seines eigenen großen und schönen Reiches und seiner eigenen unzähligen Untertanen kümmern – was alleine schon für nicht wenige zuviel gewesen wäre – sein Einfluss und Machtbereich reichte bis weit über die Grenzen Akiremas hinaus.
Doch wollte Georg mehr als der Verantwortung nur gerecht werden. Und vor allem wollte er sein Volk vor dem Leid des Krieges bewahren. Zwar wusste er um die Notwendigkeit, Land und Volk zu schützen, doch hielt er es für unnötig, Grenzen und Macht des Reiches mit kriegerischen Mitteln weiter auszudehnen.
Nachdem Georg sich schon nach kurzer Zeit in die alltäglichen Geschäfte des Königsamtes eingefunden hatte, sah er sich jedoch in einer Konsultation mit seinen Beratern vor ein ernsthaftes Problem gestellt, welches ihm von dem mächtigen Fürsten Raw unterbreitet wurde:
"Majestät, ich weiß, Ihr werdet es nicht gerne hören, doch muss ich Euch von den Schwierigkeiten berichten, die wir mit dem Land Esöb und seiner bösen Königin Eshca haben. Wie Ihr wisst, kam dieses verbrecherische Weib erst vor etwa zehn Jahren und nur durch Lug und Trug an die Macht. Man vermutet sogar, sie habe den rechtmäßigen König, ihren Bruder Ehur, ermorden lassen. Noch nie hatte Akirema ein besonders gutes Verhältnis zu Esöb, denn seine Bewohner gleichen uns weder im Glauben noch in ihrer Kultur, die ich auch kaum als solche bezeichnen möchte. Immer wieder versuchten sie, sich des Einflusses unserer weisen Könige zu entziehen und viele gute Männer Eures Reiches sind in den Kriegen mit Esöb gefallen, um dem Land endlich unseren Frieden zu bringen. Euer Vater schloss endlich mit Ehur zwingende Verträge, die die Ruhe in Esöb herstellen und den Frieden sichern sollten. Doch die machthungrige Eshca hielt sich nicht mehr an unsere Verträge. Euer Vater wollte zunächst nichts unternehmen, denn auch er war den Krieg leid, doch seit dem letzten Jahr mehren sich die Anzeichen, dass Eshca plant weitere friedliche Länder zu erobern. Ich denke, wir müssen uns verteidigen!"
"Seid Ihr sicher, dass die Lage so ernst ist?", fragte der König den breitschultrigen, hochgewachsenen Mann.
"Oh ja, Majestät, außergewöhnlich ernst."
Der König, dem die Situation nicht sonderlich angenehm war, antwortete nach kurzer Bedenkzeit: "Nun, Fürst Raw, Ihr seid ein fähiger Mann in solchen Dingen und ward schon immer der beste Heerführer meines Vaters. Ich betraue Euch damit. Zieht Truppen zusammen, um die Grenzen des Reiches gegen eventuelle Angriffe von Eshca zu schützen!"
Der Fürst schien damit nicht zufrieden. "Majestät, Ihr versteht nicht. Eshca ist eine große Gefahr. Ihr ist alles zuzutrauen. Wir dürfen nicht abwarten, sondern müssen ihr zuvorkommen!"
"Ihr meint, wir sollten sie angreifen? Nein, das ist es, was ich auf keinen Fall will. Warum auch sollten wir das tun? Wir sind doch ein starkes Land und sollten uns ihrer in jedem Fall erwehren können."
"Nun, Majestät, es gibt verschieden Gründe, die für einen Erstschlag sprechen. Zunächst, wie ich bereits sagte, unsere eigene Sicherheit. Wenn Eshca unser Land angreifen will, wären wir natürlich deutlich im Vorteil, kämen wir ihr zuvor. Möglich ist aber auch, dass sie zunächst eines ihrer Nachbarländer überfällt. Keines von ihnen wäre ihr gewachsen und sie könnte ihre Macht ausbauen und dadurch gestärkt uns immer gefährlicher werden. Land für Land könnte sie erobern, bis sie letztlich ebenso mächtig oder gar mächtiger wäre als wir. Nicht wenige dieser Länder haben uns die Treue geschworen, viele sind von uns abhängig. Es wäre nicht richtig, sie allein zu lassen und falsch, die Gefahr zu verkennen. Hinzu kommt, dass Eshca eine grausame Herrscherin ist, die ihr Volk auf die schlimmste Weise unterdrückt. Wie ich von Kundschaftern und anderen vertrauenswürdigen Männern erfahren konnte, sind unter ihren eigenen Untertanen viele, die sich von ihrer Schreckensherrschaft befreien wollen. Manche versuchen die Flucht und die, die es geschafft haben, berichten von Gräueltaten und bitten um die Hilfe anderer Reiche."
Diesmal musste Georg länger nachdenken. Dann fragte er Graf Leo: "Was sagt ihr dazu?"
Der dicke, verschwenderisch gekleidete Mann räusperte sich, bevor er begann: "Auch ich habe Erkundigungen eingeholt, Majestät, und fürchte, die Angaben Fürst Raws nur bestätigen zu können. Und weiteres macht mir Sorgen. Esöb ist zwar kein allzu großes Land, doch wissen wir, dass es über große Vorräte vor allem an Gold, Silber und Eisen verfügt, die uns vollkommen abhanden kommen könnten, sollte Eshcas Macht derart wachsen. Zumindest aber brächte sie das in die Lage, unzumutbare Bedingungen für den Erwerb solcher Waren zu stellen. Stattdessen sollten wir versuchen diese Quellen unter unsere Kontrolle zu bringen, was zu einem großen Vorteil für Euer Volk werden könnte."
"Das erscheint mir kein Argument für einen Krieg zu sein", erwiderte der König. "Akirema ist ein reiches Land und verfügt selbst ausreichend über Vorkommen dieser Art."
"Oh, Majestät, sicher habt Ihr Recht. Für sich allein genommen wäre es wohl nicht Grund genug. Doch bleiben die anderen Gründe bestehen. Und bedenkt, solche Schätze sind nicht unerschöpflich und wir müssen auch an die fernere Zukunft und unsere Nachkommen denken. Es bliebe daher unverzeihlich, wollte man diese Chance ungenutzt lassen."
Wieder schien Georg erst eine Weile abzuwägen, ehe er seinen dritten Ratgeber ansprach, den alten und weisen Baron Esiew.
Der schaute seinem Herrn eine Weile in die Augen, holte tief Luft und antwortete dann: "Mein König, zunächst lasst mich Euch daran erinnern, dass Ihr Euch dem Frieden verschrieben habt. Als König seid Ihr in der Pflicht Euer Volk und sein Land vor Angriffen zu schützen. Doch nun wird von Euch verlangt, auf eine Bedrohung zu reagieren, für deren Existenz hier wohl niemand Beweise vorbringen kann, und einem Angriff zuvorzukommen, den wir vielleicht nur herbeireden. Wie Ihr selbst sagtet, brächte Akirema ein solcher zudem kaum in Schwierigkeiten.
Es mögen trotzdem scheinbar gute Motive vorliegen. Ihr habt es selbst richtig erkannt, wir sind das mächtigste und reichste Land der uns bekannten Welt. Sich weiter zu bereichern scheint mir daher nicht dazuzugehören. Es bliebe aber zum Beispiel, darüber nachzudenken, was in dem Fall geschehen soll, wenn Eshca beginnt andere friedliche Länder mit Krieg zu überziehen. Ich bin mir in einem solchen Fall nicht schlüssig, ob es dann auch an uns ist einzugreifen, doch können wir eine solche Entscheidung getrost vertagen und von Fall zu Fall abwägen, denn bisher fehlen auch hier die Beweise und uns liegt auch nicht ein einziges Gesuch um Hilfe aus einem dieser Länder vor. Ich vermute, nicht wenige von ihnen wären froh, wieder einen größeren Teil der Verantwortung für sich selbst übernehmen zu dürfen.
Sollte es tatsächlich stimmen und Eshca ihrem Volk gegenüber eine so viel grausamere Herrscherin sein, als die vielen anderen, so schiene es angebracht einzugreifen. Doch brächten wir den Unterdrückten nicht die Freiheit. Wir ersetzten nur den einen durch einen anderen Herrscher, sei es ein von uns unterstützter ihres Volkes oder gleich einer der unseren. Und wie vielen der ihren würde ein Krieg das Leben kosten? Ein Krieg, den wir begonnen hätten. Nein, befreien können sie sich nur selber, denn es ist ihr Land, welches sie bestellen und dessen Früchte sie nicht nur ernten, sondern auch verzehren sollten!
"Baron", rief Georg bestürzt. "Ihr erschreckt mich ein wenig. Was sind das für moderne Gedanken? Wenn ich Euch richtig verstehe, wollt Ihr, dass ich den Einfluss und die Macht, die mir durch die Siege und Errungenschaften meiner Vorväter zuteil geworden sind, nicht nur nicht noch weiter ausbaue, sondern eher noch zurücknehme und mehr oder weniger auf mein eigenes Land, auf Akirema beschränke. Ich bekomme dabei ein ungutes Gefühl. Ihr wart immer ein ehrlicher Mann. Sagt mir welche Folgen das für mich haben könnte!"
"Nun, mein König, ich will nicht verschweigen, dass, solltet ihr auch anderen Ländern dieser Erde mehr Souveränität zubilligen und, dem Frieden dienend, Eure militärische Präsenz in diesen Ländern zurücknehmen, Ihr es nicht unbedingt leichter haben werdet. Ihr würdet die eigene Position schwächen und stärkere Partner und Gegner bekommen, was nicht jeden Konflikt erleichtert, wenn Ihr es nur von Eurer Seite aus betrachten wollt. Sollte es dazu kommen und ihr es zulassen, dass sich das Volk Esöbs erhebt und selbst befreit, könnte das gar Euren Thron ins Wanken bringen."
Nun dachte der König nicht mehr weiter nach und befahl den Krieg.