"spannede, skurrile und alltägliche Beobachtungen im Hauptbahnof"
Veröffentlicht am 02. Januar 2014, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen http://www.mystorys.de
Über den Autor:
16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt.
In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur ...
spannede, skurrile und alltägliche Beobachtungen im Hauptbahnof
Glasklar
Glasklar
Glasklar, unsichtbar, stumm und unbeweglich stehen wir in Reih und Glied und trennen die Menschenmassen vor den von ihnen begehrten farbenfrohen Waren. Oft stehen sie vor uns, diskutieren, bewundern und begutachten die gefragten Dinge. Der kleine Junge mit der modischen Jeans, die das Windelpack trotzdem erahnen lässt hat ganz glänzende Äuglein und sagt: „Auto!“ Seine Begleitung lächelt stolz und bestätigt seine Aussage. Ach ja, ich sollte mich erst einmal vorstellen: Ich bin ein Schaufenster, das letzte von einer ganzen Reihe bevor der
dunkle Gang beginnt. Um meinen Standort im Hauptbahnhof werde ich von meinen Artgenossen meistens beneidet. Nur meine Nachbarin weiss wie dreckig und hilflos ich manchmal bin. In dem kaum benutzten Durchgang zum Treppenhaus verweilen oft nur die etwas übermütigen und düsteren Gestallten. Ich stehe immer da ob Sommer oder Winter und beobachte dieses Treiben. Nein, ich will mich nicht beklagen das verbannt die Langeweile. Sicherlich es gibt auch ganz Erfreuliches zu berichten, wie letzte Nacht, da kam ein junges Paar, sie kuschelten sich in ihren Schlafsack und wünschten sich gegenseitig schöne
Träume. In Gedanken wünschte ich ihnen einen ruhigen und ungestörten Schlaf. Die Bahnhofsaufseher offensichtlich auch, denn sie hatten die jungen friedlich schlafenden Leute gekonnt übersehen.
Einmal musste ich schon um mein Leben bangen. Nein, glauben sie es mir, ich hatte riesiges Glück! Mit einem Vorschlaghammer schlug ein Idiot auf meine glänzende Front. Leider konnte ich der Gewalt nicht standhalten und musste klirrend und scheppernd eine Wand von meiner Doppelverglasung opfern, aber die Rückseite blieb unversehrt. Die rasiermesserscharfen Zacken wurden am nächsten Morgen
behutsam weggeräumt und ich wurde vorübergehend mit einer hässlichen Holzwand eingekleidet. Die hämischen Blicke der übrigen Schaufenster ertrug ich mit stoischer Ruhe. Die erfolgreiche Renovation bescherte mir erneut den glasklaren Blick auf die dunkle Ecke. Ich strahle und spiegle im neuen Glanz und präsentiere mit Erfolg die zum Kauf angebotenen Objekte.
Ein schwankendes, stolperndes verwahrlostes Mannsbild kommt lallend auf mich zu, seine Hosen sind fleckig und nass. Hoppla, ohne meine Standhaftigkeit wäre er jetzt hingefallen. An meiner blanken Frontseite bleibt er angelehnt stehen,
würgt und übergibt sich. Angewidert ertrage ich diese Pein bis eine liebevolle Hand mich davon befreite. Ach, fast hätte ichs vergessen, gepisst wird täglich in dieser Ecke. Links nach mir ist die Personaleingangstür, davor wurde auch schon mal ein Haufen deponiert ohne Klopapier. Ein gut bürgerlicher Familienvater, der hat sich gewiss verirrt, nein, er kommt zielstrebig zu mir und klebt ein Fotostreifen aus einem dieser vielen Billigfotoautomaten an mein frisch poliertes Glas. Ach so, er will die im Laden arbeitenden Verkäuferinnen beglücken. Freuen sich die Frauen über dieses gut gebaute erigierende Glied in seiner, mit dem
Ehering beringten Hand?
Dealer und Käufer treffen sich in aller Eile. Die Polizei schaut einfach nicht hin und umgeht so den lästigen Schreibkram, denn ändern würden sie an der Sachlage nichts solange es Konsumenten gibt!
Ein Fremder kommt zu später Stunde, schaut, geht hin und her bleibt stehen und geht auch wieder weg. Zur vorgerückter Stunde kommt dieser Fremde erneut zurück. Er benimmt sich eigenartig und hantiert mit einem Eisen. Er schaut durch mich hindurch, was will er eigentlich?
„Guten Tag, Schreiner und Glaswerkstatt Hofer, was kann ich für sie tun?“
„Shoppingkiosk Bahnhof Bern, wir brauchen ihre Hilfe, letzte Nacht wurde in ein Schaufenster geschossen, ein glatter Durchschuss!“
16. Oktober 1952 erblickte ich das Licht der Welt in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Als Nesthäkchen wurde ich von meinen zwei Schwestern, zwei Brüdern und meinen liebevollen Eltern umsorgt.
In meinen Erinnerungen ist die alte Hütte noch sehr präsent. Um das elterliche Bett vor Regen und Schnee zu schützen spannte mein Vater eine Plane an die Decke. Meine Schulzeit war alles andere als glücklich. Ungerechtigkeiten konnte und kann ich nur schwer ertragen und davon gab es in der Schule und außerhalb mannigfach.
Frauen brauchen keine Bildung, dieser Meinung war damals mein Vater obwohl meine Mutter einem 100% Job nachging.
1970 ziehe ich für einige Zeit zu meiner damals geschiedenen Schwester Irene und in diesem Jahr lernte ich meinen ersten Mann kennen.
1971 wurde unser gemeinsamer Sohn geboren.
Am 26. November 1974 erhängte sich meine Schwester Irene in ihrer Wohnung, am Schlafzimmerfenster. 13 Tage vor ihrem 29. Geburtstag! Mein verzweifelter Versuch eine Logik in den chaotischen Tod von Irene zu bringen, scheiterte. Entsetzen, Wut, Schuld, Enttäuschung und auch Angst der Verantwortung nicht gerecht zu werden.
Plötzlich war ich mit meinen 22 Lenzen die Ersatzmutter vom damals 10-jährigen Jungen, natürlich nicht ohne die Unterstützung meines ehemaligen Mannes, er war in all den schwierigen Zeiten mein fröhlicher und treuer Begleiter, auch wenn sich unsere Wege später getrennt hatten blieben wir jedoch Freunde. Abschied für immer musste ich am 18. Januar 1983 von Bruder Hans nehmen.
Im 33. Lebensjahr wählte er den Freitod. Ein Schnellzug erfasste ihn in Lenzburg.
Im gleichen Jahr starb auch mein Patenkind. Er war im zarten alter von 3 Jahren in ein Desinfektionsbad für Schafe gestürzt.
Der ohnehin schon angeschlagene Gesundheitszustand meines Vaters verschlechterte sich nach dem Todesfall von Hans zusehends, ja sogar schlagartig.
15. Juni 1984 war mein Vater gestorben. Wenigsten blieb ihm die nur ein gutes Jahr später schmerzliche Nachricht von meinem verunglückten Bruder Hugo, die ich meiner Mutter überbringen musste, erspart.
Am 5. Oktober 1985, im 39. Lebensjahr war er bei einem Tauchgang im Zugersee tödlich verunglückt.
Dieser Abschied war sehr, sehr, sehr schwer, dabei hat das Jahr 1985 glücklich angefangen.
Damals lebte ich allein mit meinem Sohn der ein fröhlicher, lieber und sorgloser Teenager war, ja, sicher in der Schule hätte er durchaus mehr leisten können...
Ich war glückliche Kioskleiterin. Durch gute Leistungen sowie Umsatzsteigerungen gewann ich immer wieder traumhafte und einzigartige Motivationsferien im Ausland unter anderem im Piemont, in Florida, Norwegen, Andalusien und vieles mehr. Den Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen war eine Herausforderung die ich gerne annahm. In meinem Team waren Frauen und Männer mit unterschiedlichsten Berufsausbildungen sowohl Hausfrauen, Lehrerinnen, Studenten und Verkäufer auch auf meinen 20jährigen Sohn durfte ich mich eine Zeitlang verlassen. Er war eine super tolle Unterstützung für unser Team. Zu den Kunden gehörte der Designer Luigi Colani oder der bekannte Jan Tinguely ebenso wie Obdachlose und natürlich meine neue große Liebe.
Am 17. Mai 1991 starteten wir mit einem gecharterten Düsenflugzeug im Berner Flughafen Belpmoos um über den Wolken unser Jawort zu besiegeln.
Am 17. Dezember 2003 wurde ich erneut daran erinnert, dass man diese Zeit nicht für immer hat! Mein geliebter Mann erlitt einen Herzinfarkt. Dieses Mal war es glücklicherweise nur eine Warnung. 2004 und 2005 wurde mein Mann erneut am Herzen operiert und konnte so einem erneuten akuten Herzversagen vorbeugen.
Während ich diese Zeilen schreibe genieße ich ein harmonisches und glückliches Leben!