,,Ach komm! Du Spinner!'', rief Elly lachend und schlug ihrem Verlobten, Dave, spielerisch auf den Oberschenkel.
,,Was? Ich bin wirklich der Ansicht, wir sollten deine Tante nicht zur Hochzeit einladen. Ihre Meinung dazu, dass wir uns verlobt haben, hat sie uns sehr verdeutlicht.'' Elly lehnte sich wieder zurück in den weichen Sitz von Daves Combi. ,,Sie .. ist davon überzeugt, vor fünfundzwanzig zu heiraten sei Sünde. Aber wenn sie sich erst mal an dich gewöhnt hat, akzeptiert sie unsere Entscheidung'', besänftigte sie ihn.
,,Eleonore, die Frau ist eine Furie, dass hat nichts mit ihrem Glauben zu tun. Aber ich will darüber jetzt nicht diskutieren. Wir sind auf dem Weg zu einem Konzert, das lasse ich mir nicht vermiesen'', erwiderte Dave und schaute sie sanft an. Elly verdrehte die Augen und sah wieder aus der Windschutzscheibe. ,,Dave! Guck auf die Straße!'', kreischte sie keine Sekunde später. Dave gehorchte und hatte nicht einmal mehr die Zeit zu reagieren, da rammten sie auch schon die Gestalt, die auf der Straße stand. Der Wagen kam schlitternd zum Stehen.
Zwei Sekunden war es still, dann kroch Panik in ihnen auf. ,,Wir haben jemanden überfahren, scheiße!'', rief Elly und riss die Tür auf. Doch ehe sie hinausgehen konnte, hielt Dave sie zurück. ,,Ruf den Krankenwagen! Ich sehe nach!'' Elly schloss die Tür und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Währenddessen stieg Dave aus und schaute sich nach der Gestalt um. Sie lag etwa zehn Meter vom Auto entfernt, seltsam entstellt und reglos. Draußen war es dunkel und es regnete Bindfäden. ,,Hey, Sie!'', rief Dave und wartete einige Sekunden. Als sich nichts regte
trat er noch dichter heran und kniete sich vor den Körper. Es war ein junger Mann. ,,Gott ...'' Dave berührte ihn leicht an der Schulter und rollte ihn auf den Rücken. Dann stand er auf, drehte sich zum Auto um und überlegte, was er nun am besten tun sollte. Als er es hinter sich knacken hörte und sich wieder umdrehte, erschrak er. Der Typ war weg. Dort wo eben noch sein verdrehter Körper gelegen hatte, war nun nichts mehr. ,,Suchst du mich?'', sagte da eine tiefe Stimme hinter ihm. Langsam drehte Dave sich um seine eigene Achse. Vor ihm stand der Mann.
Sein Gesicht unter der Kapuze seines schwarzen Sweatshirts verborgen. Lässig stand er da, die Hände in den Hosentaschen.
,,Aber .. Sie ..'' Der Kerl kam blitzschnell näher und umfasste seinen Hals mit einer Hand. Keuchend rang Dave nach Luft.
Der Mann lachte kehlig und schlug ihm seine Zähne in den Hals.
Irgendjemand warf sich über meinen Kopf hinweg den Ball zu und ich duckte mich weg. Luv neben mir kicherte, als ich meinen Haarreif richtete. Ich grinste und atmete tief ein. Unser erstes Jahr als Seniors. Das fantastischste Jahr überhaupt – jedenfalls was Schule betraf. Erstens gab es dieses Jahr für uns die Parade – nicht, das es sie nicht vorher schon gegeben hatte, doch dieses Jahr würden wir Darsteller auf den Wagen sein – Yeah! Versteht mich nicht falsch, ich liebte die Parade, doch es war mir unangenehm, wenn ich im Mittelpunkt stand. Jedes Jahr gab es
einen Wagen, der unsere Geschichte repräsentierte und da Luv wahrscheinlich alles dafür geben würde, dass sie und ich auf den Wagen kamen, der die Salem witch trials darstellen sollte, klang es eigentlich ganz interessant. ,,Sorry, Evasco! Troll hier kann einfach nicht richtig werfen'', rief jemand hinter uns. Wir drehten uns gleichzeitig um. Karl Collins kam mit Luca Davids an seiner Seite auf uns zu gelaufen. Pah, von wegen. Luca und ich kamen nicht gerade gut miteinander aus. Na ja, ich zumindest fand ihn nervig, er aber hasste mich. Den Grund verrate mir mal einer. ,,Hi!'', rief Luv den beiden zu. ,,Hey'', murmelte ich
nur. ,,Tut mir Leid, dass ich dich beinahe getroffen habe. War keine Absicht'', sagte Luca, zeigte mir das Peace-Zeichen und verschwand dann grinsend mit seinem Kumpel ins Schulgebäude. ,,Irgendwann da werde ich ihn mal so rich - '', begann Luv, doch ich hob die Hand und Schnitt ihr das Wort ab. ,,Ist doch egal, er ist einfach totaler Mistkerl.'' ,Heilige Maria, ja! Und das lässt du dir einfach so gefallen?'', fragte Luv leicht empört. ,,Ganz ehrlich, was soll ich schon tun? Ihn verpetzten, nein danke.'' ,,Wäre einen Versuch
wert..'' ,,Äh-äh'', widersprach ich, ,,Nö.'' Ich bewegte mich aufs Gebäude zu. Irgendjemand hatte sich ein Spaß gemacht und groß SCHOOL SUCKS an die Wand gesprüht. Luv kicherte und Schüttelte den Kopf. ,,Curk!'', riefen wir beide unisono und fingen an zu lachen. Curk D.C – er war berühmt fürs Sprayen. ,,Eindeutig seine Handschrift!'', sagte ich und wir betraten das Schulgebäude. ,,Mal ganz ehrlich, so langsam nerven seine Aktionen.'' Luv seufzte. ,,Er tut es jedes Jahr, etwas anderes wäre schon angebracht!'' ,,Das ist doch der Gag. Er will uns allen
damit auf die Nerven gehen!'', antwortete ich ihr. ,,Das ist doch ... blöd!'' ,,Jupp, aber was willst du tun? Im Alleingang etwas an die Wände sprayen? Viel Spaß beim wieder sauber machen, denn bei deinem Glück wirst du garantiert erwischt!'', witzelte ich. Luv war absolut positiv – was bedeutete, dass sie alles Negative praktisch anzog. ,,Zudem wäre es absolut kontraproduktiv, denn Dad würde das nicht gerade gefallen'', fügte sie hinzu. ,,Na, siehst du.'' Nach der Schule ging ich ein wenig spazieren. Der Weg zum Friedhof war lang und führte durch einen kleinen
Wald, in dem auch der Friedhof und die Kapelle lagen. Hierher kam ich früher immer, um Grams zu besuchen, die vor einigen Jahren an Krebs starb. Heute komme ich um sie und meinen Dad zu besuchen. Er ist vor etwa einem Monat bei einem Arbeitsunfall gestorben. Er war Cop, ein sehr geachteter und guter Cop. Ich war immer stolz auf ihn gewesen, wenn er von seinen aufregenden Arbeitstagen erzählt hatte. An manchen Tagen war er zwar 20 von 24 möglichen Stunden im Einsatz und ich hatte ihn nicht gesehen und vermisst, aber er war der beste Dad auf der ganzen Welt gewesen. Und jetzt war er fort. Es wurde ein riesen- Trarrar um seinen Tod
gemacht. Beerdigung und Leichenschmaus. Alles ganz groß und das Essen vom feinsten. Als würde uns das alle glücklicher machen.
Ich öffnete das kleine, rostige Tor zum Friedhof und betrat ihn. Ich legte neue Lilien an ihre Gräber und stand dann auf. Ich sah mich um und bemerkte, dass es schon dämmerte. Gerade als ich wieder gehen wollte, entdeckte ich ein weiteres kleines Tor. Es führte noch tiefer in den Wald hinein. Ich lies meine Tasche fallen und ging hindurch. Sofort fühlte ich mich irgendwie komisch. Aber meine Neugier war groß, also ging ich weiter. Kein Weg oder Trampelpfad, nichts als Moos und Stein und Wurzeln. Nach einer
Weile kam ich an eine Stelle, an der Dornen Wuchsen. ,,Mist'', fluchte ich, als ich mit der Hose leicht in ihnen hängen Blieb. Als ich mich dann vollends verankert hatte, riss ich kreischend die Arme in die Höhe. ,,Was zur Hölle ist denn das für ein Mist?'', murmelte ich wütend und trampelte wie wild auf dem Dornenbusch herum, als ich es mit Mühe und Not endlich geschafft hatte, das Zeug loszuwerden. Dann stapfte ich nach rechts und machte einen kleinen Bogen um das Gestrüpp. Mit der Zeit wurde es dunkel und ich schaltete die Taschenlampe an meinem Handy an. Ich weiß, total cool. Es summte und Jeans
SMS wies mich zum hundertsten Mal an diesem Tag auf die Party morgen hin. Ich würde wohl oder übel dort aufkreuzen müssen. So wie es schien, war ich dazu gezwungen. Als ich etwa einhundert Meter weiter einen alten Stein sah, ließ ich mich erleichtert auf ihm nieder. Endlich sitzen. Warum war ich hier noch einmal hineingegangen? Die Frage konnte ich mir irgendwie nicht beantworten. Aber etwas hatte mich hierhergezogen. Etwas sehr anziehendes. Es war mir unmöglich gewesen, nicht hineinzugehen. Im Licht meiner improvisierten Taschenlampe, konnte ich sehen, wie Nebel aufzog. ,,Okay, nicht witzig'', murmelte ich.
Zudem merkte ich, wie es langsam immer kälter wurde. Ich sprang auf und rieb mir meine Arme. ,,Shit..'' Wir hatten zwar Sommer, doch ich hatte vollkommen vergessen, wie kühl es hier Abends auf einmal werden konnte. Ich schaute auf die Uhr, die mein Handydisplay anzeigte. 17.56. Mom würde ausflippen, ich war schon zu lange weg. Scheiße, scheiße, scheiße... Ich hielt zitternd die Taschenlampe in der Hand und stolperte trotzdem über eine der Baumwurzeln. Mein Handy flog irgendwo hin und ich rappelte mich mühsam auf. Mein Knie pochte vor Schmerz und Blut sickerte durch den dünnen Stoff meiner
Jeans. ,,Großartig, wirklich Grandios, Lexie!'', zischte ich wütend. Meine Hände waren zerschrammt und ich sah wo ich gelandet war: Der Dornenbusch, oder sollte ich lieber sagen Hecke? ,,Okay, keine Panik, finde erst mal dein Handy.'' Das einzige, was mir ein bisschen Licht bot, war der große runde Vollmond, der direkt über mir hing. Ich schaute mich um und hoffte, es irgendwo leuchten zu sehen. Vergebens. Gerade,als ich die Hoffnung aufgegeben und ich mich mit der Tatsache, im Dunkeln den Weg finden zu müssen, abgefunden hatte, hörte ich es leise
Summen. ,,Danke, heiliger Gott, Scheiße!'', rief ich und tastete mich langsam zu dem Summen vor. Als ich sah wer mich anrief, atmete ich erleichtert auf. ,,Hey, Mom. Ja, bin unterwegs ... ich war noch auf dem Friedhof .. '' Zuhause angekommen, umarmte Mom mich einmal. ,,Huch, was ist denn passiert?'' ,Komm rein. Schnell, sie sagen es gerade im Radio'', erwiderte Mom und zog mich in die Küche. ,, ... fand gestern Abend die Leiche des jungen Dave Daniels, nahe der Highland Ave am King Forest. Die Todesursache
ist weiterhin unbekannt, doch die Person wies Verletzungen an Hals und Handgelenk auf. Ebenso wie das vor zwei Tagen aufgefundene Mädchen Baily Danson. Ein Wiederholungstäter bleibt nicht auszuschlie...“
Mom drehte das Radio leiser. ,,Verstehst du, warum ich mir sorgen gemacht habe?'', fragte sie und lehnte sich gegen die Anrichte. Ich nickte langsam. ,,Passiert nie wieder, ehrlich, Indianer Ehrenwort! '' Ich kreuzte einen meiner Finger mit ihrem kleinen. ,,Danke'', flüsterte sie. ,,Haben wir Pflaster oder ähnliches?'', fragte ich und deutete auf mein
Knie. ,,Oh, was hast du denn angestellt. Zeig mal her. Dein Knie! Mensch, hast du in spitzen Steinen gebadet, das sieht ja schlimm aus!'' Mom war völlig außer sich. ,,Mom, als ich damals in die Scherben getreten bin, war es schlimmer. Das hier ist doch nur ein kleiner Schnitt'', beruhigte ich sie. Mom säuberte die Wunde mit einem feuchten Tuch, sprühte mir Desinfektionsmittel auf die Wunde – was höllisch brannte –, schmierte Salbe drauf und machte ein Hautfarbendes Pflaster drauf. Ein durchsichtiges hätte es auch getan. Na ja, besser als eins mit Dinos.
,,Danke, Mom. Ich geh mal hoch, bin müde. Gute Nacht, hab dich lieb!'' Und dann war ich auch schon aus der Küche verschwunden. Wo war eigentlich Liam? Seid Dads Tod ließ er sich immer seltener blicken. ,,Mom?'', rief ich. ,,Wo steckt L?'' ,,In seinem Zimmer, Schätzchen!'', kam es von unten zurück. Ich ging an meiner Zimmertür vorbei zu seinem Raum und klopfte an die massive Holztür. ,,Liam?'' Ruckartig wurde die Tür aufgerissen und ein ziemlich mies aussehender Liam blickte mir entgegen. Er war für seine fast sechzehn Jahre schon echt riesig. Fast zwei Köpfe größer als ich. Er und
Dad waren sich sehr ähnlich. Die breiten Schultern, das dichte, Straßenköterblone Haar, die eisblauen Augen und das Strahlen, wenn sie lachten, die Gesichtszüge. Es war, als würde mir mein zwanzig Jahre jüngerer Vater gegenüber stehen. ,,Du warst heute noch gar nicht bei Dads Grab .. du hast die Lilien nicht gewechselt'', sagte ich und lehnte mich gegen den Türrahmen. ,,Ja, ich .. mach ich morgen nach der Schule, ok? Ich – ich habs vergessen'', brachte er sichtlich mühsam heraus. Sein Tonfall verriet ihn. ,,Hey ... mir fällt es genauso schwer, sein Grab zu besuchen. Ich kann es
ebenso wenig wie du begreifen. Aber wir müssen stark sein, L. Dad hätte es so gewollt'', sagte ich sanft. In meinen Augen brannten Tränen und ich schniefte. ,,Es ist nur so .. anders, seitdem er weg ist. Er .. fehlt mir, Lex, er fehlt mir'', stotterte Liam. Seine Lippen bebten. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ich hatte das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, doch ich ließ es sein. Liam würde es nicht wollen. ,,Es ist okay. Wir müssen alle trauern, Liam, wir dürfen das. Es ist okay', sagte ich und meine Stimme zitterte. ,,Es ist überhaupt nicht okay! Nichts ist okay!'' Mit der geschlossenen Faust
schlug L gegen den Türrahmen. Sein Atem ging in schweren Stößen. Er bemühte sich, nicht zu weinen. Er tat mir so leid. Er war noch so jung ... ich wünschte, er müsste das alles nicht erleben. Wünschte mir, Dad wieder hier zu haben. Ihn in den Arm nehmen zu können und ihm sagen zu können, wie sehr ich ihn liebe. Doch all das war mir nicht gewährt. Er war fort und ich würde ihm all die unausgesprochenen Dinge nie sagen können. Ich legte Liam eine Hand auf den Oberarm und sah ihm in die Augen. Es lag so viel in den seinen. Wut. Trauer. Schmerz. ,,Hey .. es ist schon spät. Du solltest
dich hinlegen'', sagte ich. Irgendwie verspürte ich beim ihm immer so eine Art mütterliche Pflicht. Nicht, dass meine Mom eine schlechte Mutter wäre, es war nur so, das ich meinen Bruder unheimlich liebte. Meine Aktion heute war Sau gefährlich gewesen! Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich das nicht großartig davon abhalten würde, noch einmal in den Wald zu gehen. Ich ließ mich auf mein Bett plumpsen und starrte sie Wand an, da fiel mir auf das ich noch immer meinen Rucksack auf hatte. Ich schmiss ihn in die hinterste Ecke meines Zimmers und zog mich aus, schnappte mir meinen
Bademantel und sauste ins Badezimmer. Die Dusche tat gut und glücklicherweise war Moms Pflaster wasserfest. Der Dreck des Tages versank in den Abfluss und hinterließ ein leises, schluckendes Geräusch. Ich stieg hinaus und stellte mich vor den beschlagenen Spiegel, wickelt mir ein Handtuch um und wischte mit der Hand eine freie Fläche auf den Spiegel, schaute hinein und sah mich, das echte Ich. Nicht das mit dem gekünsteltem Lachen und der gespielten Fröhlichkeit, sondern das, mit den traurigen und leeren Augen, das, welches vor einem Monat ihren Dad verloren hatte. Ich schüttelte den Kopf und ging zurück in
mein Zimmer. Mein Nachthemd klebte an meiner noch feuchten Haut, und auch meine Haare waren noch nass und ungekämmt, doch ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon nach elf Uhr war und ich war so erschöpft, das ich geradezu ins Bett torkelte. Außerdem war morgen Jeans Party. Hieß: Morgen noch einmal ordentlich ausschlafen, bevor das Nachtleben startete. Ich deckte mich zu und kuschelte mich in meine großen Kissen. Es war mir egal, ob das Nachtlicht noch brannte, ich konnte meine Augen einfach nicht mehr offen halten und so schlief ich irgendwann ein.
Als sie aufwachte, befand sie sich nicht in ihrem Haus. Sie befand sich nicht einmal in ihrem Zimmer, geschweige denn in ihrem Bett. Sie befand sich in überhaupt keinem Bett. Sie lag auf etwas kratzigem. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass sie auf einer kleinen Lichtung inmitten von getrocknetem Gras, Stöcken, Kieferzapfen und Moos lag. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie, dass sie nichts anderes trug, als ihre Shorts und ihr dünnes, lila Top mit Spaghettiträgern. Es war dunkel hier, und kalt. Eine Gänsehaut überzog ihren gesamten
Körper und sie erzitterte. Leichter Nebel überzog die kleine Lichtung, auf der sie sich befand. Rechts von ihr sah sie einen kleinen Schotterweg, welcher geradeaus in den Wald führte. Wo zum Teufel war sie? Es fühlte sich nicht an wie ein Traum. Alles war klar und sie war bei vollem Bewusstsein. Sie sah sich um. Sollte sie ein Stück gehen? Was sollte schon passieren? Also entschied sie sich, dem Weg zu folgen. Zunächst schmerzten ihre nackten Füße ein wenig von den Steinen, doch nach den ersten Metern gewöhnten sie sich an die ungleichmäßige Oberfläche. ,,Hier entlang! Immer weiter! Nicht stehen bleiben!'', rief eine tiefe
Männerstimme zornig, gefolgt von einer weiteren, sanfteren. Sie bat um Gnade. Luv drehte sich eiligst um und versteckte sich hinter einer großen Weide am Waldrand. Von weitem erkannte sie den hellen Schein einer Fackel, welche ein kleiner Mann in der linken Hand hielt. In seiner rechten befand sich das Ende eines Sticks, welcher zu einer jungen Frau hinter ihm führte. Ihre Hände wahren zusammengebunden und sie ging gekrümmt, da der Mann erbarmungslos an dem Seil zog. Sie hatte es wohl aufgegeben, sich zu wehren. Hinter den beiden kamen ein paar andere Leute dazu. Frauen und Kinder. Sie
allesamt trugen Kleider aus früheren Zeiten. Verwirrt betrachtete Luv die Szenerie. Wenn sie so überlegte, kam ihr die Möglichkeit, dass dies ein Traum war, doch echt logisch vor. ,,Lasst sie gehen!'', schrie eines der Mädchen. ,,Mama! Mama!'' Ihre verzweifelten Schreie hallten in Luvs Kopf wider. Sie schlug die Augen auf und befand sich wieder in ihrem Haus. Nur ein Traum, redete sie sich ein, nur ein Traum. Langsam setzte sie sich auf und schob die Bettdecke zurück. Vor Schreck wäre sie beinahe vom Bett gefallen. An ihren Füßen befand sich Gras. Zudem hatte sie Schrammen am Knöchel. Wie konnte das
angehen? Sie stand auf und tapste ins Bad. Als sie sich den Dreck von den Füßen waschen wollte, waren sie schon längst sauber. Luv schüttelte den Kopf. Anscheinen spielte ihr Gehirn ihr schon Streiche. ,,Na, Ladys! Auch 'n Schluck?'', lallte mir irgend so ein Typ zu. ,,Na klar!'', brüllte Luv über die laute Musik hinweg und nahm die Wodkaflasche entgegen. ,,Ähm, Luv! Meinst du nicht, du hast genug getrunken? '', fragte sie Luv unsicher und nahm ihr die Flasche ab. ,,Nuschle ich?'', fragte diese und grinste. Verwirrt schaute Ich sie an.
Dann begriff ich. ,,Nein ... noch nicht!'' ,,Siehst, dann geht noch was!'', gab Luv zurück und fing an zu lachen. Ich schüttelte den Kopf, wieso, wieso hatte ich mich zu dieser dämlichen Party überreden lassen? Luv hatte aus der langweiligen Spießerküche einen richtigen Tresen gezaubert und bediente nun alle mit reichlich viel Alkohol. Alle waren betrunken, alle außer mir. Mindestens Zehn Leute waren schon vor zwei Stunden gegangen, also um eins. Ich hatte Mom gesagt, um 2 wäre ich wieder zurück. Und sie vertraute darauf, dass ich schon nicht zu lange bleiben würde, und jetzt das! Als dann auch noch das Lied Stripper von den Soho
Dolls gespielt wurde, drehte Luv völlig ab. Sie nahm mich an der Hand und zog mich auf die 'Tanzfläche', wo normalerweise die Couch und der riesige Tisch standen. Die aufgehängte Discokugel verteilte ihre glitzernden Strahlen im ganzen Raum und ließ so alles noch viel cooler wirken, als es eh schon war. ,,Luv. nein, ich will das nicht!'', protestierte ich und zog an meinem Arm. War sie noch ganz bei Sinnen? Ich würde doch nicht tanzen! Schon gar nicht vor diesen ganzen Leuten. ,,Komm schon Alexandria!'', schrie sie mich an und schleifte mich mit sich. ,,Nenn mich nicht Alexandria! '', zischte
ich. Ich hasste diesen Namen. Abgrundtief. ,,Sorry!'' Bei der Tanzfläche angekommen ließ sie mich los, ich wollte gerade gehen, als ich hinter mir eine Stimme hörte. ,,Wohin so eilig, Lex?'‘ Luca. Er war das Schwein in Person. Er hasste mich, und ich ihn, ganz einfach. Ja, schön wär's! ,,Hau ab!'', fauchte ich und ging. Oder versuchte es zumindest. Er hielt mein Handgelenk fest und zog mich zu sich. Ich konnte seinen Atem riechen. Es roch nach Alkohol. Er war betrunken, hundert pro. ,,Lass mich los, bitte '', flüsterte ich, ja ich hatte Schiss.
Wieso hatte Jean Luca eingeladen? Hätte ich das gewusst, wäre ich nie hergekommen. Er drängte mich in den Leeren Flur, der zu dem Bad und dem Schlafzimmer führten. Scheiße. Bitte … ,,Komm schon, Evasco. Du hasst mich doch gar nicht. Nein, eigentlich bist du doch total scharf auf mich!'', flüsterte Luca dicht an meinem Ohr. ,,Hey!'', ertönte da eine Stimme hinter uns. Ich schaute mich nach der Person um. Es war Luv ,,Luca! Lasse in Ruh, dafür hab ich dich nisch eingeladen - hicks – lasse los!'', rief sie und stützte sich mühsam an der Wand ab.
,,Alles cool, Mann!'', Luca hob abwehrend die Hände und ließ mich los. ,,Verschwinde, aber dalli! '', zischte Luv und zeigte auf die Haustür. Luca schüttelte genervt den Kopf und torkelte nach draußen. ,,Sorry, süße!'', lallte Jean. ,,Schon gut'', antwortete ich. ,,Dann lasch uns feiern!'', rief sie und sprang wie ein Kleinkind auf und ab. ,,Na gut, bringt ja eh nichts! '', seufzte ich und nahm ihr ihren Pappbecher aus der Hand. Ich exte ihn und was auch immer sich darin befand .. es hatte es in sich. ,,Oh, Snoop Dogg! '', stellte ich fest als Sweat
erklang. ,,Ich liebe diesen Song!'' Luv bewegte sich, und wie sie das tat! Sie kreise ihre Hüften und die Leute bildeten einen Kreis um sie. ,,Wuuuhh! '', grölten einige, andere brüllten: ,,Yeeaahh! '', und überstimmten so die anderen. Bei International Love von Pitbull konnte mich auch nichts mehr halten, ich hechte zu der bereits voll aufgedrehten Jean und tanzte mit ihr. So weit weg von der Stadt zu wohnen hatte schon so seine Vorteile. Zumal es keine Nachbarn gab, die die Party sprengten, indem sie Bullen riefen. Kopfschüttelnd beobachtete er den
Betrunkenen, der aus der Haustür von Sheriff Lorence Villa trat. Der beißende Geruch von Hundertprozentigem stieg ihm in die Nase und er hielt angewidert die Luft an. Er wusste, dass es kein anderer je so offensichtlich machen würde, doch er machte sich nie die Mühe seine Taten zu verstecken, wozu auch? Niemand wusste das es ihn gab, oder was er war. Er war vollkommen sicher. Er hatte nicht einmal vorgehabt, hierher zu kommen, aber ihm war nach etwas Abwechslung gewesen. Eine Party – so etwas hatte er noch nicht oft gehabt. Und der Alkohol verstärkte den Genuss und die Berauschung des Blutes noch mehr.Der Mann torkelte die Auffahrt
entlang und lehnte sich dann gegen den Streifenwagen.Blitzschnell stand er vor ihm. ,,Hallo! '',sagte er und lächelte böse. ,,Hey, Mann, ich bin Luca'', lallte er, Luca, und hielt ihm seinen Flachmann hin. Der Typ würde Morgen einen ziemlichen Kater haben. Ach, nein, dachte er böse lächelnd, morgen bist du ja schon tot! ,,Gerne '', antwortete er und nahm einen Schluck. Er grinste. Whiskey. ,,Danke!'' Er schmiss das kleine Metallgefäß zur Seite und sagte: ,,Das hier tut mir jetzt wirklich unglaublich Leid – obwohl, wenn ich es mir noch mal überlege - nein tut es nicht.'' Und
dann sprang er sein Opfer an. Es schrie und werte sich, doch er war stärker. Irgendwann ließ er von ihm ab und sagte: ,,Deinen kleinen Freunden sei Dank, dass du noch lebst! '' Und dann verschwand er. Um vier Uhr morgens verschwanden dann die meisten, alle nacheinander verabschiedeten sich von Luv Diese stand an der Haustür und dankte allen fürs Kommen. Das sie es in ihrem Koma-Sauf-Zustand noch schaffte, vernünftig zu reden, war ein Wunder. Ich habe höchstens zwei Gläser Wodka getrunken und fühlte mich leicht benebelt. Ich war froh, dass ich statt meiner schwarzen
Prada High-Heels einfache Ballerinas angezogen hatte. Wirklich. - auf diesen Mörderabsätzen hätte ich es nicht geschafft, diese Party irgendwie zu überstehen. So viel wie wir getanzt hatten. Meine Füße wären total hinüber gewesen. Ich saß neben Dan Martins – einem ziemlich coolen Typen. Er hatte von uns allen am wenigsten getrunken. Er hatte sich auf der Couch ausgebreitet, die etwas abseits von allem stand, und ich hatte mich neben ihn fallen lassen. Dan und ich hatten zusammen Spanisch und waren beide im Kunstkurs. Er hatte eine echte Begabung – wie zum Beispiel das Gesicht einer Person - die sich dafür nicht einmal zur Schau stellt – zu malen.
In diesem Fall: ich. Ich hatte neben ihm gesessen in der ersten Stunde nach den Herbstferien und wir hatten zum Anfang irgendetwas zeichnen dürfen. Ich hatte Loch Ness gemalt – mit einem guten Ergebnis, besser als befürchtet – während Dan neben mir immer wieder zu mir geschaut hatte und ich mich gefragt habe, warum zum Teufel er so glotzte. Tja, Freunde, ich muss sagen, ich war gerührt. Ich war wunderschön! - Jedenfalls die gezeichnete Version von mir. Stilecht und – leider Gottes – Sommersprossen genau. ,,Bist du mit dem Auto hier?'' fragte Dan mich auf einmal. Seine Stimme war ein wenig rau, aber tief und melodisch. Ich
sah ihn an. Zum ersten Mal fiel mir die ungewöhnliche Farbe seiner Augen auf - Gelblich, fast grün, umrandet von einem breiten Streifen türkis. ,,Ja, allerdings weiß ich noch nicht, ob ich heute noch fahre'', ich hielt meinen mittlerweile leeren Becher hoch – okay, drei Wodka. Ich bezweifelte, dass ich würde fahren können. Ich war nicht sturzbetrunken, doch ich traute mich nicht, nachts und mit Alkohol im Körper zu fahren. ,,Wenn du willst, kann ich ja fahren. Ich wohne in der selben Straße wie du'', erklärte er. Tatsächlich? Ich war ein wenig überrascht. Er wohnte in der Apple Street? Das wusste ich ja gar
nicht. ,,Ähm, meinetwegen. Wäre lieb von dir'', sagte ich und lächelte ihn an. ,,Dann wäre es schön, wenn wir uns noch eben schnell von Jean verabschieden könnten. Ich glaube, sie hält nicht mehr lange durch.'' Ich hievte mich hoch und stellte meinen Becher auf den Boden – unter den Hundert anderen zerknüllten Pappdingern fiel meiner schon nicht zu sehr auf. Wir gingen zu Jean, beziehungsweise stellten uns an der Verabschiedungsschlange an. Ich seufzte und verlagerte mein Gewicht auf das linke Bein. Die Arme vor der Brust verschränkt wartete ich darauf, dass Jean fertig wurde. Gerade war sie bei
sich Jill angekommen. Deren kurze strubbelige Haare standen ihr kreuz und quer – aber schick – vom Kopf ab. Sie trug ein mit Pailletten besetztes Tanktop und eine enganliegende Röhrenjeans, dazu rosa Pumps. Noch fünf Personen, dann war ich endlich dran. Jean umarmte gerade Thessa Blind – ich weiß, lustiger Name – als ein schriller Schrei ertönte. Zuerst standen wir alle wie erstarrt da, dann platzte plötzlich Jella in den Raum und rief: ,,Kommt schon, Leute. Ruft den Krankenwagen, ruft die Polizei, er braucht Hilfe! Schnell! '' Jean sprintete in die Küche, ich konnte sie leise telefonieren hören. ,,Hey, was ist denn passiert!'', fragte
Jill. Jella schüttelte den Kopf und zeigte nach draußen, sie bedeutete uns, ihr zu folgen.Draußen auf der Auffahrt hatten sich alle zu einem Halbkreis aufgestellt und jemand schrie erneut auf. Sie standen an einer der verstecktesten Ecken der Auffahrt. Die Hecke mit den Steinen.Jean platzte aus der Haustür und sprintete zu der Menge. Langsam bahnte sie sich einen Weg durch sie.Und dann schrie auch sie. Ich hielt das nicht mehr aus und lief zu ihr, stoppte aber sofort, als ich sah wozu der Aufstand. Mit blutverschmierten Klamotten und einer Klaffenden Wunde am Hals lag er da, vollkommen reglos. Luca. ,,Oh Gott! '', keuchte ich und hielt mir die Hand vor
den Mund. ,,L-Lebt er noch?'', presste Jill hervor, die ihre Hände in Jellas Schultern krallte. ,,Der Notarzt ist unterwegs '', flüsterte Jean. Sie legte eine Hand auf Lucas Brust, ungefähr dort, wo sich sein Herz befand. ,,Sein Herz schlägt noch, aber er verliert sehr viel Blut... Lexie, auf der Toilette hängt ein Verbandskasten! Hol irgendwas raus, so wie ein Verbannt, zur Not nimm Klopapier! '', wies sie mich lallend an. Ihr Gehirn hatte wohl noch nicht ganz so ausgeschaltet wie vermutet. Gesagt getan. Als ich das Haus betrat war es stockdunkel. Toll, Stromausfall. Welche Ironie … jemand wird verletzt, es gibt Gekreische und
Geschreie, und dann ... Stromausfall. Wie in so einem Horrorstreifen. Vorsichtig tastete ich mich durch die Wohnung, bis ich das Klo fand. Durch das kleine Badezimmerfenster kam ein bisschen licht in den Raum und ich konnte den weißen Kasten, der an der Wand hing, gut sehen. Ich tastete nach dem Henkel und riss die Schranktür Auf. Mit einer fetten Rolle Verband kehrte ich nach draußen zurück. Irgendjemand drückte mir sein blaues T-shirt in die Hand. Im ersten Moment fragte ich mich, was zum Teufel ich damit sollte, dann machte es Klick. ,,Danke!'', hauchte Jean als ich es ihr reichte. Sie Presste Das T-shirt gegen Lucas Hals
und wickelte leichten verband darum. ,,Halt bitte durch!'', flüsterte sie energisch. Keine fünf Minuten später hörten wir auch schon die lauten Sirenen des Krankenwagens. Die Sanitäter drückten uns zur Seite, und wir sahen zu wie das größte Schwein der Welt tödlich verletzt weg getragen wurde. Die Auffahrt lehrte sich, nur ein paar der Zeuginnen, das heißt, Jella, Jill, Karl, Jean und ich, wurden von der Polizei da behalten, um aus zusagen. Jeder machte seine Aussage und ging. Ich verabschiedete mich von Jean und versprach ihr morgen beim Aufräumen zu helfen. ,,Komm'', sagte Dan und hielt mir die Beifahrertür
auf. Im Auto telefonierte ich mit Mom, mindestens tausend Mal fragte sie, ob mir auch ganz sicher nichts passiert sei. Als ich dann bei ihr ankam war sie total hektisch. Ich sagte nur noch schnell: ,,Gute Nacht '', und verschwand in mein Zimmer. Die Sache heute mit Luca kam der Sache beim Forest gefährlich nahe, oder? Ich schaute in den Spiegel; mein Gesicht sah fahl aus und es war noch weißer, als sonst. Ich zog mich um und legte mich ins Bett, doch an Schlaf war nicht zu denken. Immer wieder zuckten die Bilder von einem blutverschmiertem Luca, einer kreischenden Jella und der Polizei, sowie den Sanitätern durch den
Kopf. Die letzte Ziffer die meine Digitaluhr anzeigte war: 5:30.
Tief durch atmen, Lexie. Wird schon nicht so schlimm sein.
,,Bitte, Lexie, kannst du nicht mal still sitzen?'' Luv rammte mir ihren Ellenbogen im die Rippen und augenblicklich hörte ich auf zu zappeln. ,,Gut! Miss Winns guckt nämlich schon so komisch! Ungefähr so!'', zischte sie und schnitt eine ziemlich dämliche Grimasse ,,Miss Lorence, Miss Evasco! Könnten sie bitte damit aufhören und dem Unterricht weiter folgen! Vielen Dank!'', rief unsere Biologie Lehrerin von vorne. Sofort zog Luv ihre Hand zurück und schnappte sich ihren Kuli, höchstwahrscheinlich, um den Anschein zu erwecken, sie würde ab sofort
alles mitschreiben. ,,Super gemacht!'', flüsterte ich als ich sah, was Mrs-passen-sie-bitte-auf-sonst-werde-ich-so-rot-wie-eine-Tomate-Winns aufschrieb. Nein, natürlich sah ich nicht genau, was sie aufschrieb, aber ich konnte es mir sehr gut denken. ,,Sorry '', murmelte Jean. ,,So, keine Hausaufgaben heute, für alle, außer euch beiden!'', sagte Mrs Winns, als die Schulklingel gongte, und schaute zu uns.
,,Oh, Mann!'', stöhnte ich und packte langsam, wirklich langsam, meine Schulsachen ein. ,,Würden Sie bitte nach vorne kommen? '', fragte Miss Winns zuckersüß. Oh,
natürlich liebend gerne, dachte ich sarkastisch. Ich fand sie von Anfang an komisch, was nicht unbedingt an ihrem super Style - oh ja - liegen musste und auch nicht an der – wow - super tollen Frisur - ! - sondern an ihrer Ausstrahlung. Oder erst mal ihre ganze Persönlichkeit! Zum. Kotzen. Sie wartete, bis alle aus dem Klassenraum verschwunden waren, dann endlich sprach sie: ,,Sie machen bitte auf der Seite siebenunddreißig die Aufgaben eins, zwei, drei, fünf, sechs, acht, und neun, zu Mittwoch.'' Mir blieb der Mund offen stehen, ähm, wie bitte? Hatte ich mich vielleicht verhört? Also ich hab bei der ja schon vieles gesehen, aber das hier!Auch
Luv bekam den Mund nicht wieder zu. ,,Guckt nicht so! Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben.'' Oder jemand hat es mir zugeschrieben!, dachte ich und schaute dabei demonstrativ zu Luv. ,,Sie können gehen, Miss Evasco ... Miss Lorence! Sie bleiben hier!'', bellte sie, als Luv mir aus dem Klassenzimmer folgte. Ich achtete gar nicht mehr darauf, sondern verschwand einfach. Jetzt hatten wir Französisch, was bedeutete, dass ich mich gleich, wohl bemerkt unfreiwillig, dem Neuen stellen musste. Gott, ich wollte das nicht, es viel mir damals schon schwer mich wieder an meine alten Freunde/Feinde zu gewöhnen, wie sollte es dann mit ihm sein? Ich fragte mich
außerdem, wieso Miss Winns noch mit Luv sprechen wollte Hatte sie etwas Schlimmes gemacht? Nein, so jemand war Luv nicht, das wusste ich. Ich kam bei meinem Spind an und öffnete ihn, es quietschte laut. Ich hatte jedes Mal das Gefühl jeder würde es hören, dank Gott das es nicht so war!Ich pfefferte meine Bücher ganz nach hinten und schnappte mir mein Französischbuch. Warum, warum musste genau ich mich damit beschaffen? Ich meine, es hätte doch auch jemand anderes das machen können, Jella zum Beispiel Ich wette, sie würde sich freuen, sich bei jemand neuem einschleimen zu können. Hatte Mr. Mirta Spaß dran, mich leiden zu sehen? Wütend donnerte ich die Tür wieder zu, es knallte.
Ich schaute mich um und sah, dass niemand etwas mitbekommen hatte - waren die denn alle schwerhörig, oder was? Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, dass ich noch fast eine Viertelstunde Zeit hatte, mich, sowohl innerlich als auch äußerlich, darauf vorzubereiten, in einen der kleinsten Klassenräume des ganzen Gebäudes zu gehen, den neuen zu treffen und die Bestätigung, ich solle ihn herum führen, nochmal zu bekommen. Und dann wäre da noch das Fach selbst. Na, wenn das nicht genug Gründe waren, endlos genervt zu sein! Ich kramte meinen IPod aus meiner Jackentasche und ging nach draußen (warum ging ich nach draußen!?), ließ
mich von der Musik leiten und vergaß alles um mich herum. Nach einiger Zeit setzte ich mich kurzerhand einfach auf den bloßen Boden. Wie gut, dass es heute noch nicht geregnet hatte. Das Gras unter mir fühlte sich rau und unecht an, was man bei so viel Müll, der hier herum lag, auch nicht anders erwarten konnte.
Jemand berührte mich an der Schulter, genervt zog ich mir einen der Stöpsel aus dem Ohr.
,,Was?'', fauchte ich und stand auf. Sofort bereute ich meinen Ton. Es war Luv.
,,Oh, hey'', lächelte ich und stellte die Musik aus. ,,Hi, sorry, daas ich so lange weg war, hab' dich überall gesucht'', antwortete sie und
wendete sich zum Gehen, ich folge ihr. ,,Was wollte die denn noch von dir?'', fragte ich sie und sie schaute mich überrascht an.Ihre Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, dann lächelte sie. ,,Ach nichts, das übliche halt, was Lehrer so reden. Das ich besser aufpassen sollte, sonst würde ich es ja nie lernen ... bla, bla, bla.'' Im Gehen streifte sie sich ihre Kapuze über und ihr roter Schopf verschwand. Im ersten Moment war ich verwirrt, dann bemerkte ich den Regen und ging schneller. So viel zu 'wie gut dass es heute noch nicht geregnet hat.' Als wir wieder im Gebäude waren hörte ich sie etwas murmeln. Englisch war das garantiert nicht, Französisch auch
nicht. ,,Hast du was gesagt?'', fragte ich sie und sie blickte auf. ,,Nein'', antwortete sie und schaute wieder weg., ,Du kannst die hier wieder abnehmen! '', rief ich und zog ihr die Kapuze vom Kopf, ihre Haare kräuselten sich in alle Richtungen. ,,Hey!'', beschwerte sie sich und versuchte, mir durch meine Locken zu wuscheln. Aber daraus wurde nichts, ich duckte mich und stolperte nach vorne. Auf allen Vieren landete ich und blickte auf ein Paar schwarzer Motorradstiefel. Langsam hob ich den Kopf. Zwei blitzende schwarze Augen schauten mich belustigt
an. ,,Glotz nicht so blöd ...'', murmelte ich kaum hörbar. ,,Vielen Dank'', sagte ich lautlos zu Luv. Gott, war das wieder peinlich, erst das mit Frau Winns, und jetzt stolperte ich auch noch vor die Füße eines unglaublich gut aussehenden Typens. Toll gemacht, lobte ich mich, klopfte mir meine Hände an meiner schwarzen Strumpfhose ab und könnte mich kurz danach dafür Ohrfeigen, denn durch all den Staub, der sich mittlerweile auf dem Schulboden angesammelt, und sich durch meinen katastrophalen Sturz an meine Hände gebackt hatte, entstanden dort zwei riesige, eher weiße Handabdrücke. Super.
Verzweifelt versuchte ich sie unbemerkt dort weg zu bekommen, doch alles, was ich tun konnte, war lediglich meine Hotpants etwas tiefer zu ziehen. Luv räusperte sich und ich blickte auf. ,,Was?'', fragte ich und zog meine Augenbrauen hoch. Luv nickte und deutete auf etwas hinter mir. Ich drehte mich um und sah, dass er noch immer da stand. Er grinste schief und blickte immer wieder von mir zu Luv.
,,Was?'', fragte ich.
,,Gar nichts! '', antwortete er und grinste noch breiter. Ich konnte einfach nicht anders und musste auch lächeln - allerdings aus einem anderen Grund als er. Vermutlich tat er es, weil er mich oder uns
beide, Luv und mich, so belustigend fand, während ich es tat, weil er dabei einfach so furchtbar dämlich aussah, aber gleichzeitig auch so gut. Ich hatte ihn hier noch nie gesehen, unsere Schule war schon klein, da war es undenkbar, ein Gesicht noch nie gesehen zu haben, was wenn er der ...Doch bevor ich mir auch nur ansatzweise irgendwelche gruselige Phantombilder ausdenken konnte, riss mich der Typ aus meinen Gedanken: ,,Ich bin 'der Neue … wäre also ganz nett, eure Namen zu kennen! '' Bei den Worten 'der Neue ', machte er deutliche Anführungszeichen. ,,Olivia ... Lorence.'' Bei ihrem Nachnamen stockte sie kurz, es musste ja
nicht jeder wissen, dass ihr Vater hier Sheriff war, obwohl das doch sehr praktisch sein konnte wenn...
Jemand boxte mir leicht in die Rippen. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann reichte ich dem - leider Gottes - Neuen die Hand und sagte: ,,Lexie! '', mehr brauchte er nicht zu wissen. Er ergriff meine Hand und ich zuckte zusammen, es war wie ein elektrischer Schlag, es schmerzte mir in den Gliedern, schlich sich rasend schnell durch meinen gesamten Körper. Doch ich ließ mir nichts anmerken sondern hielt stand.
,,Hunter'', antwortete er, wobei er mir direkt in die Augen sah. Sie waren schwarz, Kohlrabenschwarz - schnell zog
ich meine Hand zurück und steckte sie in meine Hosentasche, mit der anderen zupfte ich an meiner grauen Mütze herum. Er schaute mir forschend in die Augen, hatte er das eben auch bemerkt? Es klingelte.
,,Der Unterricht beginnt, wenn du willst, zeigen wir dir wo alles ist, du hast doch jetzt Französisch, oder?'' ,,Ja, woher...?'' ,,Mirta'', unterbrach ich ihn und somit auch unseren Blickkontakt. ,,Warte, er hat gesagt du musst ihn herumführen, also ... bis gleich! '', trällerte Luv und verschwand. Ungläubig schaute ich ihr hinterher. ,,Dann komm!'', sagte ich und wir machten uns auf den Weg zum Klassenraum. Auf
dem Weg trafen wir Jills Clique. ,,Hey Lexie!'', rief sie. ,,Hey, Jill'', entgegnete ich und schob mich an ihrer Gruppe vorbei. ,,Wer ist denn das?'', fragte mich Jill. ,,Das'' , ich nickte zu ihm, ,,ist Hunter. '' Ja, entweder sie oder Jella, einer von den beiden würde in nächster Zeit versuchen ,sich an ihn heran zu machen. Mir soll's recht sein, das Problem dabei war nur, das ich beide nicht ausstehen konnte und es ihnen einfach nicht gönnte. ,,Was ist jetzt? Kommst du oder gehst du mit denen?'', fragte ich genervt. ,,Macht's gut, Mädels '', sagte Hunter und entschlüpfte ihnen.
,,Sind die immer so?'', fragte Hunter und
ich musste schmunzeln.
,,Gewöhn dich dran!'' Der Wind peitschte uns um die Ohren und ich zog meine Weste enger um mich. Auch Luv streifte sich ihre Kapuze über.
,,Hey, soll ich dich noch mitnehmen?'', fragte sie und drehte sich zu mir um. Wir traten durch das Schultor. .,,Klar, danke!'', rief ich zurück. Der Wind war nicht nur unheimlich stark, sondern auch ziemlich laut, man verstand kaum etwas. Mit gesenktem Kopf hastete ich zur Beifahrertür von ihrem rotem Käfer und schlüpfte in die wohlige Wärme. Auch Luv ließ sich in das Auto gleiten und schloss die
Tür. ,,Was ist denn das für ein Wetter da draußen!'', klagte sie und drehte den Schlüssel im Zündschloss um.
Sie startete den Wagen und fuhr über den großen Parkplatz auf die Hauptstraße.Bei der Ampel angekommen, schaltete sich diese sofort auf Rot. ,,Hallo??'', murmelte Luv und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Dann,endlich, schaltete sie wieder von Rot auf dieses matte Ampel-Grün zurück. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah, dass sich kein Lüftchen regte. Aber das konnte doch gar nicht sein, eben wäre man doch fast von dem Wind durch die Luft getragen wurden und nun? Funkstille.
''Da hätte ich auch zu Fuß gehen können‘‘, murmelte ich kaum hörbar. Das hätte ich wirklich, denn von der Schule aus bis zu mir nach Hause waren es nur knapp zehn Minuten. ,,Hast du was gesagt?'', fragte Luv.
Ich schüttelte den Kopf und öffnete das Handschuhfach, welches natürlich von oben bis unten mit CDs vollgestopft war. Ich holte mir ein paar hinaus und betrachtete sie, ohne richtig darauf zu achten, was es war.
Irgendwie schweiften meine Gedanken wieder zu Hunter. Heute Morgen, als ich ihn berührt hatte, da hatte es sich so gefühlt, als hätte ich einen Stromzaun angefasst. Doch nur ganz kurz und dann
war es wieder verschwunden. Ich fragte mich, was das war. Hatte er es denn gar nicht gespürt? Wenn ja, dann hatte er sich das nicht anmerken lassen. Hunter war komisch, er verhielt sich anders, als die anderen Typen, die ich kannte und er sprach auch anders, war höflicher. Man könnte leicht auf ihn herein fallen, denn er war nett, charmant und sogar etwas humorvoll, und doch hatte ich das Gefühl, dass man sich auf ihn nicht einlassen sollte, sich gar nicht erst mit ihm anfreunden sollte. Er kam mir so furchtbar ernst und abweisend vor, dass ich ihm leicht misstrauen könnte. Mein Blick glitt zur Windschutzscheibe und blieb an meinem schwachen Spiegelbild hängen. Es
fiel mir schwer, den Blick von der Autofensterscheibe zu lösen, doch ich schaffte es.
Plötzlich tauchte eine Hand vor meinem Gesicht aus und sie bewegte sich hoch und runter.
,,Ähm, Lexie? Hörst du mir noch zu?'', hörte ich Luv fragen, schüttelte den Kopf und schaute sie an.
,,Ich habe gefragt, ob ich noch mit zu dir kann?'', fuhr sie fort und schaute mich herausfordernd an .Das hatte sie mich noch nie gefragt, ebenso wie sie mich noch nie nach der Schule mitgenommen hatte.
,,Ja, klar. Ich denke, Mom wird nichts dagegen haben und mit etwas Glück ist noch bei der Arbeit.'', antwortete ich. Mir
vielen die CDs ein, die ich noch immer in der Hand hielt und ich legte sie zurück. ,,Wo hast du so gut kochen gelernt?'' , fragte ich staunend und schob mir ein weiteres Stück Ratatouille in den Mund. ,,Von meiner Mom, früher habe ich ihr immer zugesehen oder geholfen. '', gab sie zur Antwort und goss sich Cola ein. ,,Schmeckt gut!'', lobte ich sie. Als ich fertig war, sammelte ich unsere Teller ein und stellte sie in die Spülmaschine, die Messer und Gabeln wusch ich mit einem Lappen und Luv trocknete ab. ,,Gehen wir in dein Zimmer?'', fragte sie und packte die letzte Gabel in die Schublade.
,,Ja!'', sagte ich und schmiss meinen Lappen auf die Anrichte. In meinem Zimmer angekommen ließ Luv sich auf meinen Sesselsack plumpsen und machte es sich gemütlich. Ich setzte mich auf den großen Teppich vor meinem Bett und lehnte mich gegen das Fußende. ,,Wie läuft es eigentlich so mit Cory?'', fragte ich neugierig. Luv schwieg lange, und das einzige, was sie zustande brachte, war ein: ,,Ach, der!'' ,,Ja, der!'', hakte ich nach. ,,Habt ihr euch gestritten?'' ,,Ich ... nein, nein haben wir nicht!'', antwortete sie. Na gut, dann musste ich es ihr eben aus der Nase ziehen. Einerseits
tat sie mir leid, aber sie sagte ja auch andauernd zu mir, ich solle reden und nicht ewig Trübsal blasen. ,,Was ist es dann, komm ich bin deine beste Freundin!'' ,,Es ist jetzt endgültig Schluss, aus und vorbei!'', flüsterte sie. Damit hatte ich nicht gerechnet. ,,Oh.'' Wirklich sehr geistreich! Oh schaut mal, der Sarkasmus winkt! ,,Das komische daran ist, dass ich es nicht einmal schlimm finde! Ich fühle mich eher ... frei!'', sie fing an zu kichern.
Irgendwie war sie in letzter Zeit anders als sonst, sie hatte sich sehr verändert, bloß was sich verändert hatte, dass wusste ich nicht.
,,Und jetzt haben wir ja den 'Neuen', mein neues Ziel!'', meinte sie. Ziel? War sie jetzt auch sie eine Kerl-auf-Zeit-Tussie geworden? Denen es nur um das Aussehen ging oder um den Ruf? Marke: Männchen wechsle dich? Außerdem fand ich es sowieso nicht so gut, dass sie sich Hunter als Ziel ausgesucht hatte, ich hatte die Befürchtung, dass da irgendetwas passieren könnte. Aber vielleicht lag das ganze ja gar nicht an Hunter oder irgendwem anderes, vielleicht war ich einfach nur verrückt? Verfolgt von der ständigen Paranoia? ,,Ist dir das vorhin eigentlich auch aufgefallen?'', fragte ich sie und wechselte somit das
Thema. ,,Was aufgefallen?'' Sie drehte sich in meinem Sitzsack zu mir um und schaute mich erwartungsvoll an. ,,Na, das mit dem Wind vorhin. Bei der High-School war es total windig und in der Innenstadt – die nebenbei gesagt nur ungefähr zwei Minuten davon entfernt ist - war die totale Windstille. Ist doch komisch oder?''
,,Ja'', sie zog das Wort in die Länge und wandte das Gesicht ab. Ich stand auf und ging zu meinem Fenster. Ungläubig riss ich die Augen auf, als ich sah wie der Wind draußen durch die Straßen toste. ,,Da!'', rief ich und drehte mich zu Jean um. Mit dem Finger zeigte ich nach
draußen. ,,Siehst du, schon wieder!''
,,Ja, ähm, du ich muss jetzt los! Genau genommen hab ich ja Hausarrest, ich dürfte gar nicht hier sein'', sagte Luv und ehe ich antworten konnte, war sie auch schon zur Tür hinaus. Ich lief ihr hinterher, doch unten angekommen, hörte ich schon, wie die Haustür zu fiel.
Liebes Tagebuch, das Leben ist ständig in Bewegung, so wie auch die Erde. Sie dreht und dreht und dreht sich, immer und immer weiter, hört niemals auf. Das weiß ich, doch wie ist es mit schlimmen Dingen, dreht es sich dort auch unendlich weiter? Werden sie jemals vergehen? Dinge passieren einfach. Menschen kommen und gehen. Wir machen Fehler, die wir nie wieder werden beheben können. Das kann man nicht ändern, wie auch. Wie schön wäre es einfach einen Schalter umlegen zu können, der die Zeit anhält, immer dann, wenn die schönen Dinge im Leben passieren. Doch jedes Mal ist alles einfach ... blubb und weg
Und dann wäre da noch Hunter, ja der, der seltsame Typ, der neue, der Unscheinbare, der mit den blonden Haaren und den dunklen Augen. Der, dem ich praktisch vor die Füße gefallen bin - nein es war sogar genauso! Ich habe ihm bloß die Hand gereicht und ... wumm? Ja, so konnte man es nennen. Es war wie ein Blitz, ganz kurz nur. Trotzdem, echt gruselig. Ich schreib dir morgen wieder! Lexie Ich sah zum Fenster hinaus und stockte. Wie, bitteschön, konnte das denn nun wieder sein?Totaler Null-Wind!Aber das war unmöglich, oder? Innerlich ärgerte ich mich über meine Unwissenheit. Ich habe
es schon immer schrecklich gefunden, nichts zu wissen oder zu verstehen, klar, dass ich jetzt genervt war.
Ich klappte mein Tagebuch zusammen, steckte meinen Stift in die Spirale an der Seite und ließ es neben mich auf den Boden fallen. Mit der Hand fuhr ich mir durch die Haare dann stand ich auf und ging ins Badezimmer. Dort stellte ich mich vor den Spiegel.
,,Hallo Spiegelbild!'', rief ich gespielt fröhlich und lächelte gequält.
,,Weißt du was?'‘, fragte ich meinen imaginären Freund und legte den Kopf schief. Als natürlich keine Antwort kam stellte ich den Wasserhahn an und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, dann
schaute ich wieder hoch und sagte mit triefnassem Gesicht: ,,Ja, ich auch nicht.'' Meine eine Hand tastete nach einem Handtuch, mit der anderen stützte ich mich am Waschbecken ab. Ich trocknete mir mein Gesicht ab und verwischte mir damit leider meine ganze Schminke, heute war ich aber auch wieder schlau! Seufzend schnappte ich mir ein paar Abschminktücher und ließ alle schwarzen Mascaraspuren verschwinden.Gerade trat ich aus dem Badezimmer als ich hörte, wie sich die Haustür öffnete. ,,Hallo, Schätzchen! Bist du da?'', kam es von unten. Mom. ,,Ja!'', antwortete ich und lief die Treppe hinab.
,,Woah, Mom! Weihnachten ist noch lange hin!'', rief ich als ich die Einkaufstüten sah, die sich in ihren Armen türmten. Stumm zählte ich sie, eins, zwei, drei... ,,Wozu das alles?'', fragte ich und zeigte auf die braunen Papptüten. Sie ging in die Küche, ich nahm ihr eine der Tüten ab und kam ihr hinterher. Sie stellte die Tüten auf den Küchentresen und ich tat es ihr gleich. Dann lehnte ich mich gegen die Anrichte und beobachtete sie beim Tüten auspacken. ,,Die...'', begann sie als sie Eier in den Kühlschrank räumte, ,, ...sind für morgen Abend'', schloss sie und fuhr mit dem einpacken fort. Fragend schaute ich sie
an. ,,Also, naja...'', schüchtern schaute sie zu Boden – warte, Mom und schüchtern? ,,Komm schon! Wie schlimm kann es denn sein?'', hakte ich nach und nahm mir eine Packung Salatdressing aus einer der Tüten. ,,Ich … habe jemanden ... kennen gelernt '', murmelte sie.Ich hielt inne, die Packung noch immer auf halber Höhe drehte ich mich zu ihr um. Erwartend blickte sie mich an. Ich war unfähig etwas zu erwidern. Meinte sie etwa einen ... Kerl? Nach so kurzer Zeit, war ihr Dad so egal? ,,Kennen gelernt …. '', wisperte ich und meine Stimme klang piepsiger, als beabsichtigt .,,Ja...'', war ihre Antwort. ,,Er kommt morgen hier her, ich habe ihn zum Essen
eingeladen.''Das hieß ja, dass das ganze schon länger laufen musste.,,Mom ... '', flüsterte ich gequält, ließ die Dressing - Packung auf den Tresen fallen und lehnte mich nach hinten gegen den Kühlschrank.,,Ist das ... okay für dich, Lexie? I-Ich kann ihm auch sagen das ich das Essen verschieben muss!'', beschwichtigte sie mich.Okay? Nein, gar nichts war hier okay. Trotzdem nickte ich, da ich sehen konnte, wie schwer ihr es fallen würde, das Essen zu verschieben.Ich hörte, wie sie erleichtert ausatmete.Ich schluckte bevor ich zu sprechen begann: ,,Wie heißt er?'' Mom ließ sich zeit mit ihrer Antwort: ,,Henry, Henry Barker. Er arbeitet an
einer Uni, hier ganz in der Nähe. '' An einer Uni. Vor mir tauchte ein Bild von einem Mann im Anzug auf, mit Brille und Halbglatze. Bekanntlich waren die ja Spießer.,,Er ist wirklich nett, kaum älter als ich. Und er bringt jemanden mit. Einen Schüler von ihm, den Namen habe ich leider vergessen … Sie werden morgen um acht da sein.'' Morgen um acht, das hieß ich und Jean mussten früh los mussten, um lange genug bei Luca zu sein. Wir brauchten Zeit, es könnte sein das er noch gar nicht wieder wach war oder was weiß ich.,,Okay ... gut'', meine Stimme klang stumpf, aber ich versuchte fest zu klingen. ,,Ich mach uns was Schönes zu Essen und dann gucken wir einen Film!'' Lächelnd
machte sie sich an die Arbeit. ,,Mom, ich hab morgen Schule!'', sagte ich und kratzt mich am Hinterkopf. ,,Ach .. sind wir heute Abend wieder widerspenstig! Zieht es auch nicht wenn ich sage wir gucken 'The Notebook'?'', fragte sie und lächelte mich an.,,Na gut, du hast mich!'', antwortete ich lächelnd. ,,Kleines? Ich möchte, dass du morgen mit dem Auto zur Schule fährst'', sagte meine Mom als der Film geendet hatte. ,,Was, wieso?'', wollte ich wissen. Ich wollte nur noch ins Bett, denn ich war unendlich müde.Nach dem ich mir Unmengen von Essen in den Rachen gestopft hatte, literweise Tee in mich
hineingeschüttet und mir mit Mom 'The Notebook' angesehen habe, konnte ich vor Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten. ,,Man kann doch kaum noch gehen bei diesem Wetter! Naja, jetzt ist es zwar nicht mehr so windig, aber ich will nur sicher gehen das dir nichts passiert!'', antwortete sie und sammelte alle Tassen und Teller von dem Couchtisch.Ihr war es auch aufgefallen! Ich bildete mir das ganze also nicht nur ein. ,,Mom, die Wahrscheinlichkeit das ich mit dem Auto einen Unfall baue, als zu Fuß ist wesentlich größer.'' Auch Kleinvieh macht Mist! Außerdem fand ich es schön zu Fuß zu gehen, dabei nervte mich wenigstens
niemand. ,,Schon aber...okay, eigentlich will ich nur das du so schnell wie möglich wieder hier zu Hause bist und ein bisschen beim Aufräumen Hilfst!'', antwortete sie und huschte aus dem Raum.Ich hievte mich aus unserem Ohrensessel hoch und folgte ihr.,,Wieso? Ich dachte sie kommen erst abends. Ich und Luv wollten eigentlich Luca besuchen'', entgegnete ich und öffnete den Kühlschrank, nur um ihn gleich darauf wieder zu verschließen.
,,Luca? Der Junge der angegriffen wurde?", fragte sie nach. ,,Ja." ,,Sie kommen ja auch erst um acht ... wie wäre es wenn du so um fünf wieder hier
wärst? Dann könntest du dich auch noch fertig machen'', schlug sie vor. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und blies die Wangen auf.
Manchmal hatte ich es wirklich schwer, aber eigentlich war ich froh überhaupt etwas Zeit zu haben, geschweige denn, zu Luca fahren zu dürfen. ,,Okay!'', seufzte ich.,,Nacht, Schatz!'', sagte sie und lächelte. ,,Bis Morgen, Mom'', antwortete ich.Der Weg von der Küche bis zu meinem Zimmer kam mir unglaublich lang vor. Da fiel mir ein, das ich mir noch die Zähne putzen musste und ich machte auf dem Absatz kehrt, um in Richtung Badezimmer zu verschwinden. Im Halbschlaf putzte ich
mir die Zähne, ab und zu schweiften meine Gedanken zu Hunter und dann zu Luv. Immer wieder, hin und her, hin und her.Ich beugte mich über das Waschbecken, um auszuspülen. Als ich wieder hoch sah hielt ich erschrocken inne; aus den Augenwinkeln konnte ich eine Silhouette erkennen, und das war definitiv nicht Mom. Ich hielt den Atem an, wagte es nicht mich zu bewegen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich sah wie sich die Gestalt bewegte. Das war unmöglich, ich hatte abgeschlossen! Niemand hätte hier, ohne jegliches Geräusch verursacht zu haben, hineinkommen können. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein? Vielleicht hatte ich Halluzinationen und sah
Gespenster?Ich blinzelte, kaum, dass ich die Augen wieder aufgeschlagen hatte atmete ich erleichtert aus; kein Schatten war mehr zu sehen. Ich war mir sicher das das daran liegen musste, das ich schon so müde war - kurz vorm Einschlafen. Ich schminkte mich ab und ging zurück in mein Zimmer. Von da aus ging ich zu Liams Zimmer und klopfte an seine Tür.
,,He,warst du eben in meinem Bad?'', fragte ich, als ein verschlafen aussehender L mir öffnete.
,,Ali, was zum Teufel sollte ich in deinem Bad?'' Er blinzele gegen das helle Licht aus dem Flur an.
,Hmm . hast Recht. Entschuldige die Störung'', murmelte ich und zog Leine.
In meinem Zimmer war es, im vergleich zum Flur, schön war und ich ließ mich sogleich auf mein Bett fallen und kuschelte mich in die Kissen.
Als ich etwas kaltes spürte, dass sich über meine Haut schlich, öffnete ich die Augen. Suchend blickte ich mich im Raum um und sah, dass das Fenster offen stand. Seltsam. Ich hatte es doch gar nicht geöffnet. Seufzend stand ich stand auf und erschrak, als eins der Holzbretter meines Laminates knarrte. Am Fenster angekommen schüttelte ich kurz den Kopf, aber hey! Vielleicht war das alles nur Zufall! Wahrscheinlich war mein Fenster wegen dem Wind heute aufgegangen und ich hatte es nur nicht bemerkt. Leise
schloss ich es wieder und merkte, wie wach ich mittlerweile schon wieder war. Also schnappte ich mir eine Wolldecke von der Fensterbank und wickelte sie um meinen Körper, dann ging zu meiner Balkontür und öffnete sie. Sofort strömte mir die eisige Nachtluft entgegen und ich erzitterte. Trotzdem ging ich weiter, bis ich zu dem Geländer kam, lehnte mich gegen die Brüstung und schaute in den Himmel.