Anfang der 1970er Jahre, Galopprennen an einem Sonntag. Ich war Hindernisjockey
und hatte einen Ritt in einem Jagdrennen, das in Dortmund gelaufen wurde. Nach
einem ausgiebigen Frühstück - ausnahmsweise musste ich mein Gewicht für diesen
Ritt nicht reduzieren - bekam ich einen Anruf des Trainers, für den ich reiten sollte.
Er teilte mir mit, dass sein Pferd nicht starten kann. Es hätte Fieber und mache einen
müden Eindruck. Vorsichtshalber werde
er den Tierarzt anrufen und das Pferd in
jedem Fall im Stall belassen.
“In Ordnung“, sagte ich zu ihm, “dann wollen wir mal hoffen, dass der alte Kämpfer
bald wieder auf dem Damm ist “.
Eigentlich war ich an diesem Tag mit einem Kollegen in Dortmund verabredet, aber
jetzt, wo ich keine Rittverpflichtung hatte, wollte ich auch nicht unbedingt auf die
Rennbahn fahren. Gut, Köln Dortmund ist jetzt keine Weltreise, aber da ich keine
große Lust hatte mich auf den Weg zu machen, fuhr ich auch nicht hin.
Eine Woche später habe ich mich mit meinem Kollegen erneut verabredet. Dieses mal
in Krefeld, nur das ich an dem Tag kein Rennen zu reiten hatte, zumindest hatte ich
für diesen Sonntag keinen Ritt angenommen.
An diesem Tag war ich es diesmal, der Fieber hatte. Ich fühlte mich schlapp und
hätte mich nach dem duschen am liebsten wieder ins Bett gelegt, denn ich hatte mir
eine fiebrige Erkältung eingefangen und hing körperlich ziemlich durch.
Allerdings quälte mich mein Gewissen,
denn zweimal hintereinander eine
Verabredung platzen zu lassen, wäre mir doch ziemlich peinlich gewesen. Also nahm
ich mich zusammen und fuhr auf die Galopprennbahn nach Krefeld, um meinen
Kollegen zu treffen.
Dort angekommen führte mich mein erster Weg ins Waagegebäude. Ich ging auf die
Tür zu, auf der “Sekretariat“ stand, da ich mir dort ein Rennprogramm besorgen
wollte. Ich fühlte mich wirklich mies und habe vielleicht auch deswegen nicht
bemerkt, dass der damalige Jockeydiener Michel Schmitz und
Trainer Willi Schütz,
nur wenige Meter neben mir, angeregt miteinander über einen Reiterwechsel
diskutierten.
Der Grund für dieses Gespräch war Jockey Klaus Grube, der in Krefeld eigentlich für
Trainer Willi Schütz reiten sollte. Allerdings war er einen Tag zuvor in Düsseldorf in
einem Hürdenrennen gefallen und konnte heute verletzungsbedingt seinen Ritt nicht
ausführen.
Kurz bevor ich das Sekretariat betreten
konnte, wurde ich vom Jockeydiener
ausgebremst.
“Hee, Tölle, kommens her, los, loß jon“, rief Michel Schmitz in seiner Kölschen
Mundart, die keinen Widerspruch erlaubte und winkte mich zu sich heran. Dann
drehte er sich um und sagte zu Willi Schütz
“Dä Tölle hätt nix zu rigge, dä is frei“.
Bevor ich begriff um was es eigentlich ging, stand ich auch schon auf der Waage und
Willi Schütz stellte fest, dass mein Gewicht genau richtig war, um sein Pferd Assur
mit einem etwas größeren Sattel reiten
zu können.
“Hätte ich doch meinen Kollegen am letzten Sonntag nicht in Dortmund versetzt,
dann wäre ich heute gar nicht hier. Dann würde ich jetzt noch im warmen Bett liegen
und schlafen können“, so meine Gedanken.
Durch meinen vom Fieber bestimmten etwas benebelten Zustand und der
ungebrochenen Redseeligkeit vom Jockeydiener Schmitz und Trainer Willi Schütz, ist
es mir nicht gelungen, den beiden zu erklären, dass ich gesundheitlich nicht so ganz
auf der Höhe war und lieber nicht reiten wollte. Ich bin einfach nicht zu Wort
gekommen. Na ja, jeder, der diese Herren noch Life miterlebt hat, weiß was ich
meine. Da gab es kaum ein durchkommen.
Also beugte ich mich der - auf mich niederprasselnden Dynamik und nahm den
Kistenritt an so nannte man es, wenn man unerwartet für einen Kollegen
einsprang. Ich ging in die Jockeystube, nahm die Rennsachen die Michel Schmitz mir
in die Hand drückte, zog mich für das Jagdrennen um und griff mir einen
passenden
Sattel, um das zu reitende Gewicht auszuwiegen.
Danach sah ich mir die Grundstückskarte an, die im Waagegebäude an der Wand
hing und die Krefelder Rennbahn im Detail wieder gab.
Ich wusste nicht welchen Kurs wir reiten mussten, denn ich hatte in Krefeld noch
nicht über Sprünge geritten. Drei Hürdenrennen hatte ich bis dahin erst gewonnen
und ein einziges Jagdrennen - in Mülheim
an der Ruhr - geritten, war also noch
relativ neu in diesem Metier.
Ich sah mir die Kursführung an, prägte sie mir ein und hoffte, dass ich nicht vorne
gehen musste. Einfach den führenden Pferden hinterher, dann geht das schon, war
ich überzeugt.
Nachdem Willi Schütz mir geholfen hatte auf Assur Platz zu nehmen, führte er mich
persönlich zum Geläuf. Auf dem Weg dahin musste ich mir noch mehrfach die
Reitorder anhören. Mitbekommen habe ich nicht viel, denn mir war ein wenig
schwindelig und ich hoffte, nicht aus
Schwäche vom Pferd zu fallen.
Allerdings war Assur ein Top-Springer, der zwar über die gesamte Renndistanz
gefordert werden wollte, aber praktisch keine Fehler machte, worüber ich natürlich
sehr froh war.
Der Start klappte für alle Beteiligten gut und die acht Sprünge, die es in der ersten
Runde zu bewältigen galt, nahmen alle Pferde und Reiter problemlos.
Als wir in der Gegenseite den Wassergraben genommen hatten und es auf den
nächsten Sprung zu ging, wusste ich nicht mehr, ob wir nach diesem nächsten
Sprung nach rechts abbiegen mussten, weil die „Kleine Bahn“ zum Ziel führte oder ob
wir Außen herum die „Große Bahn“ nehmen mussten.
Ich hatte zwei Gegner vor mir, als wir auf der anderen Seite des Jagdsprunges
landeten. Ich wäre sicher geradeaus weiter geritten, wenn die beiden führenden
Pferde nicht nach rechts abgebogen wären. Ich schloss mich Ihnen an, sprang den
Bogensprung noch knapp hinter ihnen und war am letzten Hindernis zur Stelle.
Letztendlich habe ich gewonnen, weil es mir - sicher das Adrenalin - doch
deutlich
besser ging und ich während des Rennens und im Endkampf relativ konzentriert
reiten konnte.
Als mein Pferd jedoch nach dem Ziel ausgaloppierte und die Anspannung von mir
wich, fühlte ich mich leer und müde.
Zurück in der Jockeystube kam Michel Schmitz auf mich zu und sagte : “ Siesse, han
ich dir doch jesaaht, Kistenritte sin immer jud, da hässe immer`ne Schanks “.
An diesem Tag hat er von mir das doppelte Entgelt für seine Leistung verlangt,
“Schließlich han ich dir dä Ritt besorcht“, so seine Argumentation für den gestiegenen
Preis. Natürlich hatte er recht, auch wenn ich das vor dem Rennen ganz anders sah.
Bevor ich mich wieder umziehen wollte, setzte ich mich in der Jockeystube auf den
mir zugewiesenen Platz, um erst einmal ein wenig Kraft zu tanken und meinem
Kreislauf die Chance zu geben sich zu regenerieren. Kaum saß ich, kam der damalige
Spitzenjockey Uwe Mathony zu mir. Er schlug mir anerkennend auf die Schulter,
gratulierte zum Sieg und meinte, ziemlich beeindruckt :
“Du hast aber die Ruhe weg. Mein lieber Mann, ich hätte nicht so lange gewartet wie
du, hätte die führenden Pferde eher angegriffen. Das hast du aber gut im Griff
gehabt, alle Achtung“.
“Na ja, so doll ist das ja auch nicht. Im Rennen hast du die Pferde doch genau vor dir
und kannst schon in etwa einschätzen, ob deren Reserven ausreichend sind oder dein
eigenes Pferd besser geht“, habe ich geantwortet.
“Nur nicht so bescheiden“, sagte er, klopfte mir nochmals auf die Schulter und ging
wieder.
Ehrlich gesagt hört man so ein Lob nicht gerade ungern, zumal von einem wahren
Sattelkünstler, und so habe ich ihm nicht erzählt das ich nur so lange gewartet habe
die führenden Pferde anzugreifen, weil ich die Kursführung nicht genau kannte, also
abwarten musste, bis mir klar war, welchen Weg wir ins Ziel nehmen
müssen.
Ich freute mich einfach über den Sieg und das Lob von Uwe Mathony für meine
“eisernen Nerven“, grinste vor mich hin und entschloss mich, mein Wissen für mich
zu behalten.
Etwa ein Dreiviertel Jahr darauf stürzte ich Sonntags in einem Hürdenrennen in
Frankfurt/Main.
Nach dem ich aus dem Krankenhaus zurück auf die Rennbahn kam, fragte mich der
französische Trainer M. Lutz, für den ich auch an diesem Tag geritten hatte, ob
ich
am nächsten Mittwoch in Köln für ihn Banacek reiten könnte.
Natürlich habe ich zugesagt, denn die paar Prellungen und Blutergüsse sind nicht der
Rede wert und bis Mittwoch wieder verschwunden, so meine Aussage. Den strammen
Verband, den man mir angelegt hatte um zwei angebrochene Rippen zu stützen,
verschwieg ich ihm.
Trotz schmerzstillender Spritzen konnte ich an dem besagten Mittwoch jedoch nicht
reiten. Die Verletzungen waren insgesamt doch umfangreicher als
zunächst
befürchtet. Die angebrochenen Rippen erschwerten mir das atmen und der linke
Arm war kaum zu bewegen. Es ging beim besten Willen nicht.
Am morgen des Renntages rief ich in Frankreich an und informierte Herrn Lutz über
die aktuelle Situation.
Da der Trainer an diesem Kölner Renntag ohnehin nicht anwesend gewesen wäre,
weil er in Frankreich noch Pferde laufen hatte und sich um diese kümmern wollte,
überließ er es mir einen anderen Jockey zu verpflichten.
Es haben sich gleich mehrere Reiter
angeboten. Teilweise haben sie sich regelrecht
aufgedrängt, weil sie Banacek gerne reiten wollten, aber ich wählte Klaus Grube aus.
So wie ich mit Assur in Krefeld für ihn, machte er es mit Banacek in Köln für mich.
Banacek gewann und so habe ich dem Kollegen Klaus Grube auf diesem Weg einen
Sieg zurück gegeben. Mit diesem “Tauschgeschäft“ der siegreichen - Kistenritte
waren wir beide zufrieden, und das kleine Bier, das wir uns anschließend gegönnt
haben, hat uns auch geschmeckt.