Das fahle Licht der Dämmerung fiel durch die hohen Fenster des Schlosses auf polierte Rüstung, die trügerisch glänzte. Ohne ein Klicken oder Klappern ballte die Gestalt die Fäuste. Es war ein Mann mit einem breiten Gesicht und einer harten Linie als Mund, seine Lippen zusammengepresst, während er mit seine bernsteinfarbenen Augen rastlos die Halle absuchten. Es war scheinbar niemand da, bloß ein würdevoller, leerer Saal, von der Hitze des Tages noch aufgewärmt. In seiner Mitte befand sich ein eleganter Tisch aus
Mahagoni, auf dem sich Hügel und Burgen über Pergament erstreckten. Die Karte war höchst detailliert, und als der Unbekannte sich interessiert über sie beugte, fiel ein langer, beeindruckender Schatten auf das Bild... doch der Mann selbst war klein. Der hohe, spitze Helm, den er trug, ließ ihn größer erscheinen, als er war, und trotzdem war er nicht größer als ein Junge von zehn Wintern. Zu klein, um ein Mensch zu sein. Und das war so, weil es keiner war. Dolorian's Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. “Es freut mich, euch wieder zu sehen, Aequs Silberhand. Ich hoffe, dass bedeutet, dass unser Anliegen erfolgreich war”. Sein Besucher fuhr herum, zog zwei fies
aussehende Dolche aus den Innentaschen seines Umhangs und kauerte dort wie eine sprungbereite Katze, bereit, jede Sekunde zuzuschlagen.
Oh, wie sein Kiefer sich verkrampfte und seine Muskeln sich spannten! Sie hielten sich ja für so mächtig, diese Rhaedar, aber sie fürchteten Magie wie die Katzen das Wasser. Dolorian fand es äußert unterhaltsam, sie daran zu erinnern. Erst jetzt, als seine Worte langsam den Verstand des kleinen Kriegers erreicht hatten, biss der Rhaedar lautstark die Zähne zusammen und verstaute seine Waffen lautlos in ihren versteckten Scheiden. „Erzmagier“, grüßte er ihn, und er spuckte das Wort aus wie einen Fluch. „Zeigt euch“.
Es war nicht unbedingt notwendig gewesen, seinen Gast einzuschüchtern, doch es würde ihm bei den Verhandlungen helfen. Langsam lösten sich die Fäden der Magie, die Dolorian umhüllt hielten, und er wurde sichtbar.
Ein Schweißtropfen perlte über die Stirn des Rhaedars, aber seine Gesichtszüge verrieten Erleichterung. Er presste seine große Faust gegen seinen Brustpanzer, die traditionelle Geste des Respekts unter den Mitgliedern seines Volkes.
Sein Brustpanzer war ein beeindruckendes Beispiel für die Fingerfertigkeit der Rhaedar, ganz aus schimmerndem saethas
geschmiedet, ohne Kanten und Makel, fließend und perfekt wie die Schuppen eines Drachen. Ein lidloses Auge war in seiner Mitte eingraviert, bestimmt aus irgendeinem lächerlichen Aberglaube heraus. Und natürlich war es aus filigranem Gold.
Gold war alles, was zählte, wenn man mit den Rhaedar verkehrte. Ihre Gier nach dem glitzernden Metall war größer noch als die der Menschen, es war ihr Instinkt, es zu suchen und zu horten. Es war einer der Gründe, warum Dolorian sie als seine Verbündeten ausgewählt hatte. Doch sie hatten noch andere Vorzüge.
Von kleiner Statur, beweglich wie Bambus und
drahtig wie Kupfer, hatten die Rhaedar nie daran gedacht, Lanzen oder Schwerter zu schwingen. Sie hatten ihre kleinen, geschickten Hände genutzt, um Wurfsterne und Dolche zu schmieden, Pläne zu zeichnen und brillante Maschinen zu bauen, um sich selbst zu den besten Handwerkern und Meuchelmördern der sieben Inseln zu erheben.
Das Versprechen eines stattlichen Vermögens und die Angst vor seiner Macht hatte sie auf seine Seite gezogen, doch sie durften niemals erfahren, wie viel von ihrer Loyalität abhing. Seine Macht war nur ein Spiel von Licht und Schatten, unbeständig und schwach im Vergleich zu der göttlichen
Kraft, die einst durch sein Wesen pulsiert war. Aber es gab keinen Weg zurück. Er war in dieser Welt verankert, durch alte Magie, die in ihren Grundfesten wohnte. Verflucht durch seinesgleichen. Dolorian leckte sich die Lippen. Diese alte Hexe... zu glauben, dass ich den Verstand verlieren würde. Zu glauben, das ich aufgeben würde. Zwei Zeitalter lang hatte er am Rande der Wildnis verbracht, in eisiger Kälte und Trostlosigkeit. Doch er hatte überlebt, und das ewige Hadern hatte nur zu seiner Entschlossenheit beigetragen.
Zwei Zeitalter unter diesen Kreaturen, die sich Menschen nannten und widersprüchlicher
nicht sein konnten, und er konnte immer noch klar denken. Sein Verstand war wie eine flache, bösartige Rhaedarklinge, scharf genug, um Arterien und Venen zu zertrennen. Und in seinen Jahren des Wartens hatte er gelernt, dass diese Welt voller Möglichkeiten steckte. Er nickte höflich in Richtung seines Besuchers, erwiderte den Blick seiner katzenhaften Augen, die mit Gold gefleckt waren. “Was hast du für mich?”. Aequs griff in seinen Gürtel, um ihm einen Ring zu zeigen, klein, aber grazil, kunstvoll aus weißem Gold gearbeitet. Ein Rubin glitzerte in einer silbernen Fassung. Ein altes Kinderlied kam ihm in den Sinn. "Zwei
Schlangen atmen Blut und Gold, so ist ihr ewiges Geschick"... Das war das Motiv, welches er nun erblickte: Es gab keine Zweifel. Er musste sich zusammenreißen, um dem Rhaedar nicht gleich das Schmuckstücke aus den klickenden Stahlfäusten zu reißen. Die zwei Schlangen schimmerten, die letzten Sonnenstrahlen ließen sie fast lebendig erscheinen. "So ist das Glück dir heute hold, denn deinen König du erblickst". Er konnte den Strom der Macht fühlen, der den Ring durchfloss, wie die Wärme eines Kamins. Alles passte.
Dies war der königliche Siegelring des Herzlandes, und das bedeutete, das er unbezahlbar war... und direkt von der Hand
seines königlichen Opfers stammte. Seine Wertschätzung des kleinen Volkes stieg um ein paar weitere Zoll. Sie hatten seine Befehle aufs Genaueste befolgt. Er streckte erwartungsvoll die Hand aus und wartete darauf, das Aequs Silberhand den Ring in seine Handfläche plumpsen ließ. Doch der Rhaedar stand steif da wie ein gefallener Steinbrocken und sah ihn über seine raubtiervogelhafte Hakennase an, sein Blick vorwurfsvoll. „Ihr habt einen Pakt unterzeichnet. Wir müssen die Bezahlung zuerst erhalten“. "Sonst?" fragte sich Dolorian, seltsam versucht, ihm zu widersprechen.
Er wusste, dass Silberhand von seinen Leuten als Großmeister seiner Kunst galt und wahrscheinlich mehr Methoden kannte, ihn umzubringen, als er selber Wachen besaß, und Ravendor war zweihundert Mann stark. Doch er wusste auch, das selbst jetzt, in seiner schwächlichen menschlichen Form, dem Rhaedar binnen eines Augenblicks die Knochen schmelzen konnte.
Ich brauche sie, erinnerte er sich selbst. Es wäre äußerst ungeschickt, jetzt die Clans gegen sich aufzubringen, wo er doch so lang daran gearbeitet hatte, ihr Vertrauen zu erringen. Er riss seinen Blick vom dem glimmenden Rubin los und wandte sich dem Assassinen zu. „Du wirst dein Gold erhalten.
Folge mir“.
Gold, Gold, dreimal verfluchtes Gold. Was war es, im Vergleich zu Brot und Wasser? Sein Körper brauchte es nicht, es nutze nichts, es gab nicht mal eine passable Waffe ab. Er würde nie verstehen, warum Menschen und Rhaedar es so sehr begehrten, dass sie sich in seinem Angesicht zu Monstern verwandelten, die gierig übereinander herfielen, aber es war eine einfache Wahrheit, eine, die er gegen seine Feinde benutzen konnte.
Er ging langsam, doch seine Schritte hallten laut auf dem glatten Marmor wieder, von der Pracht und den hohen Wänden des Saals
verstärkt. Aequs folgte ihm, viel leiser, doch nicht ungehört. Der Boden war so angelegt worden, dass sich kein Mensch auf ihm anschleichen konnte, nicht einmal ein Großmeister der Rhaedar. Ein Feuer züngelte in dem Kamin aus schwarzem Stein am Ende der Halle. Banner längst vergessener Herren waren in abgeblätterter Farbe über den Sims gemalt worden. Seine Hände betasteten den kalten Stein, während er in den Kamin kletterte. Er schien die Flammen, die an seinen Hüften leckten, gar nicht zu bemerken. Sie waren so sanft wie ein Lufthauch, aus seiner eigenen Magie geboren, und als sie ihn erkannten, streichelten sie bloß seine Haut. Er wandte
sich um, um Aequs zu bitten, ihm zu folgen.
Alle Farbe war aus dem breiten Gesicht des Großmeisters gewichen, doch mit zu Schlitzen verengten Bernsteinaugen folgte er, entschlossen, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Während er hineinstieg, starrte er die zischende Glut mit weit geöffnetem Mund an. Gut, dachte Dolorian. Erzähl es deinem Clan. Je mehr sie mich fürchten, desto besser. Sie folgten einem schmalen dunklen Gang, gerade noch groß genug, dass ein ausgewachsener Mann darin stehen konnte. An seinem Ende wartete eine schwere Eichentür.
Dolorian zog einen Schlüssel von seiner
Amtskette und drehte ihn. Gehorsam und ohne das leiseste Geräusch schwang die Tür auf und offenbarte einen sanften Schein. Münzenberge rieselten durcheinander, das Gold floss wie ein einziger süßer, klingender Strom. Zehn Truhen waren bis zum Bersten mit dem kostbaren Material gefüllt, so dass der Raum in ihrem Glanz strahlte. Es wirkte fast wie die Höhle eines Drachens.
Es war Dolorian's erstes Meisterwerk in dieser Welt, die beste Illusion, die er je heraufbeschworen hatte. Jedes Glitzern, jede Spiegelung des Lichts war perfekt. Die Augen des Rhaedar wurden feucht vor Gier bei dem Anblick dieses Schatzes, der das Vermögen eines halben Königreiches aufwog. Aequs
setzte seinen Spitzhelm ab, als ob er es nicht wagte, seinen Augen zu trauen, und berührte zärtlich eine der Münzen. Es schien fast, als wollte er sie küssen, doch er biss in das Metall.
Der Magier hielt den Atem an. Er wusste nicht sicher, ob seine Zauber stark genug waren, um den Großmeister zu täuschen... doch zu seiner unendlichen Erleichterung war seine harte Arbeit nicht umsonst gewesen. Das Gewicht und die Härte der verzauberten Münzen schienen den Rhaedar zu überzeugen. Er hob den Blick mit frischem Respekt in seinen goldgefleckten Augen und verbeugte sich tief. „Ich werde meine Clansleute zusammentrommeln, damit wir
diesen mächtigen Schatz nach Hause bringen können“, kündigte er an. Das Gesicht unter seinem Helm war glatt rasiert, und eine silberne Mähne fiel auf seine Schultern. „Ihr habt euer Wort gehalten. Ich bitte euch nun um die Erlaubnis, zu gehen“. Dolorian wrang ungeduldig die Hände. „Die habt ihr...“, sagte er, „aber...“ , er deutete auf den Ring, „lasst das hier“.
Der Rhaedar schien zu zögern, seine Stirn zerfurchte sich, doch dann öffneten sich seine breiten Fingerknöchel langsam. Der Ring drehte sich, um in den wartenden Handflächen des Magiers zu landen. Er fühlte sich kühl an, doch als Dolorian ihn ansteckte, rauschte ein seltsames, prickelndes Gefühl
durch seine Adern, während die verborgenen Zauber im Rubin über seine Haut fuhren, nach dem Pochen seines Herzens lauschten, sein Blut schmeckten... und ihn verstießen. Ein Schock lief seinen Arm hoch wie tausende zuckende Blitze. Er biss die Zähne zusammen, als die Magie ihn stach, und er fühlte sich wie eine Schlange, die von einer Maus gebissen worden war. Natürlich hatte er gewusst, das so etwas passieren konnte – die Magie, die das Siegel schützte, war alt, nichts von dem schlampigen Pfusch, den die Hofmagier heutzutage fabrizierten.
Die Zauber verstießen alles außer das Blut der Windgeborenen, und nur ihnen war es
erlaubt, es ohne Schmerzen zu tragen. Er war kein Windblut, nicht einmal ein Mensch des Herzlandes, und trotzdem... er war kein halbstarker Zauberlehrling, der noch grün hinter den Ohren war, beim Himmel, er hatte Inseln aus ihren Grundfesten gerissen, und nun weigerte sich dieses kleine, verfluchte Stück Metall, ihm zu gehorchen.
Es war wie eine kleine, schmerzhafte Erinnerung daran, das er nicht mehr so mächtig war wie einst, und es ärgerte ihn. „Ich hatte ohnehin nie vor, es zu behalten“, dachte er selbstgerecht und ließ es in den endlosen Falten seines weichen, dicken Umhangs verschwinden.
Der Rhaedar stemmte die breiten, stolzen Türen von Ravendor auf. Während er mit einem Glitzern in den Augen in den Sonnenuntergang blitzelte, legte Dolorian seinen Umhang auf dem Tisch ab und studierte die Karte.
Das Herzland war in schönsten Farben mit kleinen Pinselstrichen gemalt worden, ein stolzes Gebirge umgebend von endlosen Grasmeeren und Ebenen ... die letzte Insel, das letzte Königreich der Menschen. Dort lag sie, verlassen von den Windblütern, führerlos. Doch das würde nicht mehr lange so bleiben. Bald schon würde sich ein neuer Herrscher
erheben... ein Herrscher nach seinem Geschmack.
Lang Lebe der König, dachte Dolorian, und beendete den Brief, den er just für diesen Augenblick vorbereitet hatte. Zwei Schlangen atmen Blut und Gold, so ist ihr ewiges Geschick... In Seide gehüllt, wog das Stück Metall, das die Welt verändern würde, kaum mehr als ein Gramm. Und als die Nacht anbrach, flog ein Vogel aus dem Krähenhorst von Ravendor, und ein Schatten fiel über das Land.