Am Fenster III
Unermüdlich arbeiten sich die Sonnenfinger durch die engmaschige Jalousie, um dann feinsinnige Gebilde an die gegenüberliegende Wand zu malen.
Langsam geht er ans Fenster, um die Jalousie zu öffnen.
Als hätte er ins Gesicht Gottes geschaut, hält er plötzlich inne. Setzt sich in seinen einzigen Sessel und bleibt dort wie versteinert sitzen.
Auf der breiten Straße vor seinem Haus wimmelt es von französischen Soldaten.
Sie haben die Tram angehalten, die Fahrgäste heraus gezerrt und sie
gezwungen, mit Steinen sein Haus zu bewerfen. Die Soldaten stehen laut lachend daneben und kippen literweise Wein in sich hinein.
Im Cafe gegenüber sorgt eine hübsche junge Frau für Aufregung. Ihr Kleid ist völlig zerrissen.
Der Kellner versucht, sie zu beruhigen. Aber immer wieder schreit sie, der Typ von gegenüber hätte sie vergewaltigt und zeigt dabei mit einem drohend großen Finger der Anklage auf sein Fenster.
Die Kinder des Nachbarhauses bewerfen seine Scheibe laut kreischend mit Wasserbomben. Streunende Katzen sitzen auf seinem Fensterbrett und
begatten sich.
Ein Panzerwagen hält vor seinem Haus. Fast schon panisch springt eine Anti-Terror-Gruppe in kugelfesten Schutzanzügen heraus.
Sie verbünden sich mit den mittlerweile sturzbetrunkenen französischen Soldaten. Eine Megaphon-Stimme fordert ihn auf, mit erhobenen Händen das Haus zu verlassen.
Aus dem Glockenspiel des alten Rathauses springt Judas heraus und hinunter in die Einsatztruppe.
Gegen eine bekannte Entlohnung bietet er ihnen an, den Delinquenten, also ihn ohne Verwendung von Gewalt heraus zu locken und der Staatsmacht zu
übergeben.
Nein, sagt er nun zu sich mit einer Konsequenz, die ihn selbst überrascht.
Das Fenster bleibt heute zu.
Seine Versteinerung löst sich langsam. Innerlich befreit greift er nach der Fernbedienung und schaltet, gerade rechtzeitig die Tagesthemen des Vorabends ein.
Draußen vor seinem Fenster nimmt ein ruhiger Tag seinen Lauf.