Kapitel 1
Na ganz toll, jetzt bin ich mit einer fremden Frau allein. Nicht dass Linn so aussieht als wolle sie mich um die nächste Ecke zerren und dort erschießen, aber ich bin einfach nicht besonders gut in der Knüpfung neuer Kontakte.
„Hallo“, murmle ich leise und starre Linns Füße an. Boah, hat die Frau schöne Schuhe! Nagut, eigentlich nicht weil sie bequeme Dienstschuhe anhat, aber egal…
„Hallo. Ich freue mich dich kennenzulernen.“ Nein, tut sie nicht. Also ich meine nicht dass sie sich nicht
freut, vielleicht freut sie sich wirklich eine verklemmte Teenagerin zu sehen, aber sie lernt mich nicht kennen. Linn kennt mich seitdem ich sieben Jahre alt bin, sie war die Elternvertreterin in meiner Volksschule. Also um genau zu sein kennt sie meine Mutter von einigen Gesprächen und das schweigsame kleine Mädchen dass diese manchmal mitgeschleppt hat. Seit damals hat sich nicht viel geändert.
„Ich freue mich auch.“ Obwohl ich sie schon kannte ist das wohl der erste, vollständige Satz den ich jemals zu ihr gesagt habe. Oh… verdammt.
Irgendwie schaffe ich es die Vorstellungsrunde mit dem
Küchenpersonal zu überstehen, Linn ist dabei eine große Hilfe. Sie ist richtig lieb, ich hoffe nur sie nimmt es mir nicht allzu übel dass ich nicht so viel mit ihr rede. Aber ich weiß nicht was ich ihr sagen soll. Soll ich anfangen über das Wetter zu reden? Hey, heute ist ja ein sonniger Tag! Genau wie die letzten hundert Tage auch… woow… was für ein tolles Gespräch.
Wir sprechen schließlich doch miteinander als Linn mir erklärt wie ich mit Kunden umzuspringen habe, für welche Tische ich zuständig bin und so weiter… Ich bekomme genau dieselben Tische die auch Kristen hatte. Das sind zwar ziemlich viele für den Anfang,
entschuldigt sich Linn, aber so ist es einfacher für sie zu merken, denn letzte Jahr, als sie auch eine Ferialpraktikantin hatten, bekam diese zuerst weniger Tische, aber dann bediente niemand die Kunden, die auf Linns neuen Tischen saßen, weil sie mit dem System nicht zurecht kam, und diese waren dann sehr wütend. Deswegen fragt Linn mich ob es mir etwas ausmacht wenn ich gleich die Hälfte übernehme. Natürlich sage ich dass es mir nichts ausmacht, auch wenn das gelogen ist. Das sind so viele Tische! Wenn alle besetzt wären wüsste ich nicht einmal wo ich anfangen soll. Dann fragt Linn mich noch ob es mir etwa ausmacht wenn ich auch den
Raucherbereich übernehme. Sie hat ein furchtbar schlechtes Gewissen deswegen, weil ich doch noch so jung bin und sie damit meine Lunge zerstört, aber der Bereich gehört auch zu Kristens Bereich, denn Linn hast den Gestank von Zigarettenrauch. Ich willige ein, auch wenn ich den Geruch mindestens genauso eklig finde und meine Vater mir fast jeden Tage einschärft ich solle mich von Rauchern fernhalten. Aber Linn ist so lieb und erklärt mir so viel, da kann ich ihr doch diesen kleinen Gefallen tun! Außerdem wüsste ich gar nicht so recht wie ich ablehnen soll.
Dann ist alles gesagt und plötzlich stehe
ich ohne Arbeit da weil wir keinen einzigen Gast haben. Linn steht vor mir und muss eine Weile überlegen was sie jetzt mit mir anfangen soll.
„Wie läuft es denn in der Schule?“, fragt sie schließlich.
Erleichtert atme ich auf. Schule ist ein Thema über das sich leicht reden lässt. Zum Glück habe ich keine Probleme. Im Laufe dieses Jahres habe ich mich eine Weile mit Latein, der Spreche die neu dazu gekommen ist, geplagt, aber mein Vater hat das Problem natürlich sofort erkannt und einen Nachhilfelehrer angeheuert. Mit dessen Hilfe habe ich es geschafft mich am Ende des Jahres noch zu einer zwei mit einem
unsichtbaren Plus das mir nichts bringt zu mausern und bin zuversichtlich dass ich es auch nächstes Jahr schaffen werde.
„Das ist schön“, nickt Linn. „Du machst deine Eltern bestimmt sehr stolz.“ Ja, ich glaube schon. Keine Ahnung. Eigentlich habe ich nie so direkt darüber nachgedacht. Aber indirekt sicher schon, schließlich haben meine Eltern eine Vorbildfunktion inne und es beeinflusst mich sicher was sie von mir halten und äh… wo war ich?
Jedenfalls habe ich meinen Vater nie gefragt ob ich ihn stolz mache also nicke ich nur vage und schon wieder geht uns der Gesprächsstoff aus. „Wie
geht es Thomas?“, würge ich schließlich heraus. So heißt Linns Sohn mit dem ich in die Volksschule gegangen bin.
Schatten umranden Linns Gesicht.
Mist, hätte ich das jetzt nicht fragen dürfen?!
Am liebsten hätte ich sofort wieder zurück gerudert, aber es ist zu spät um die Frage jetzt noch zurück zu nehmen also warte ich schweigend ab und werde ein wenig nervös.
„In der Schule ging es ihm leider nicht so gut“, erklärt die Mutter mir diplomatisch. „Wir haben mit fünfzehn entschieden dass er für etwas praktischeres eindeutig besser geeignet ist, also haben wir ihn in eine passende
Lehre geschickt.“
„Aha… okay.“ Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Soll ich Linn sagen dass ich mich für sie freue? Dann würde sie mich sicherlich aufspießen. Wenn ich ihr allerdings mein Beileid ausspreche würde sie mir sicher erklären dass eine Lehre auch etwas wert ist und mich nicht minder hassen.
Zum Glück rettet mich in diesem Moment der erste Gast den wir heute haben werden als er die Tür auf schmettert und mit wiegenden Schritten herein geschlendert kommt.