Sommergewitter
Ein kleiner Text der vom Tod handelt. Aber keine Angst, ausnahmsweise ist es mal nichts melodramatisches:)
KApitel 1
Wer kennt es schon nicht? Es ist ein warmer, schöner Tag, die Sonne strahlt und der Himmel ist blau. Dann, ohne dass man es wirklich merkt, kommt der Wind. Und mit ihm die Wolken. Mächtige, schwarze Wolken, riesig und düster, durchzogen von hellen Streifen in einem nicht nachvollziehbaren Muster, die das Gefühl von Lebendigkeit vermitteln. Als wären sie ein riesiges schwarzes Ungetüm, unbesiegbar, ungreifbar, das seine kalten Finger ausstreckt und den Himmel zu bedecken.
Ich stehe auf einem mit Gras bewachsenen Hügel, die Blumen neben
mir wiegen sich im Wind und noch liegt die Luft wie eine Decke warm auf meiner Haut. Meine Hände streifen die langen Halme die sich neben meiner Hüfte wiegen. Hier oben hat mich das nahende Gewitter noch nicht erreicht und die Strahlen der Sonne kitzeln mein Gesicht. Vor mir breitet sich eine kleine Stadt aus, mit unschuldigen, bescheidenen Häusern, eines wie das andere, kaum zu unterscheiden, bis auf die Spitzen der Kirchen, die sich wie eine Mahnung gegen den Himmel strecken. Das Gewitter, das Aufzieht hat eben erst begonnen und voller Vorfreude bin ich hier Hoch geklettert, um mir das Schauspiel anzusehen. Langsam, mit
einer unaufhaltsamen Beständigkeit schiebt sich nun die dunkle Wolkenwand vor, dick und schwerfällig, während der Himmel zu meiner linken noch strahlend und friedlich ist. Die Gewitterfront hat die Stadt erreicht und Schatten zieht über die Häuser wie ein unheilvolles Omen. Fasziniert beobachte ich den Kampf des Lichtes gegen das Dunkle. Immer mehr Häuser werden in den Schatten gezogen, während auf der anderen Seite die Sonne umso stärker scheint, wie um den Wolken Pardon zu bieten, die danach trachten, ihr Licht zu erlöschen. Stück für Stück, Meter für Meter wird das Licht zurückgedrängt. Mit Trauer sehe ich, wie die
Schattenfront zum letzten sonnenbeschienen Fleck vorrückt, während das Licht seinen aussichtslosen Kampf austrägt – und verliert.
In eben diesem Moment grollt der Donner wie eine Lawine über die Ebene, ähnlich einem Triumphgeschrei und ich erschaudere vor Ehrfurcht. Erste Regentropfen fallen zu Boden und überbringen der Erde die Botschaft des Himmels. Ich jedoch bleibe stehen, lege den Kopf in den Nacken und geniesse die vollkommene Stille und das kühle Gefühl auf meiner Haut. Ich denke an das atemberaubende Naturereignisse, dessen Zeuge ich hier werden darf. An den Kampf, den ich gesehen habe. Und auf
einmal muss ich lächeln. Ist es nicht seltsam, das eben das, was uns alle antreibt, auch in einem so grossen Ausmass Bedeutung findet? Der Kampf gegen das Unvermeidliche. Wir allen kämpfen ihn, Tag für Tag, Generation für Generation. Wir beginnen ihn, sobald wir an das Grosse unbekannte denken, dass auf der anderen Seite wartet, und wir verlieren ihn in dem Moment, wenn der letzte Atemzug unsere Lippen verlässt. Aber ist er nicht zu guter Letzt sogar sinnlos, wenn wir ihn egal was wir tun verlieren? Nein, entscheide ich. Wieso geniesse ich den letzten Strahl der Sonne auf meinem Gesicht, wenn nicht in Erwartung an dessen, was danach
kommt. Welchen Wert hätte er, würde er ewig bleiben?
Regentropfen fallen auf mein Gesicht und der Geruch von feuchter Erde dringt mir in die Nase. Das Gewitter bedeutet nicht das Ende, denke ich, es ist nötig für den Anfang, Denn der Regen ist es, der die Pflanzen neu erblühen lässt und wenn er vorüber ist, strahlt alles noch schöner als zuvor. Wieso sollte man sich also fürchten?