Thomas saß am Kamin. Es war sehr kalt, obwohl das Feuer loderte. Sein Vater schaute ihn an. Die beiden waren allein in dem kahlen, zugigen Haus. Sie waren schon lange allein dort. Es war das Haus seines Großvaters gewesen, doch irgendwann musste sein Vater es bekommen haben, bevor er „verschwand“, wie Thomas' Vater es immer ausdrückte. Es war der Weihnachtsabend. Es hatte keine Geschenke gegeben, dafür gab es kein Geld. Die beiden kuschelten sich aber dennoch aneinander. Der 11-jährige Junge wollte seinen Vater nicht loslassen, wenn es kalt wurde. „Man muss jemanden haben, der einen warm
hält – jeder muss das.“ Dann setzte Thomas' Vater an, ihm eine Geschichte zu erzählen: „Es war ein Mal ein Mann – ein sehr alter und armer Mann. Er war obdachlos. Er hatte nichts als das, was er mit sich herumtrug. Im Winter eines Jahres ging es ihm sehr schlecht, denn er war fürchterlich kränklich. Die Kälte draußen machte ihm zusätzlich zu schaffen. Auch seine Freunde wussten, dass jeder Tag in der Kälte sein Leben verkürzen würde. Doch wohin sollte er auch gehen? Er hatte weder einen Ort, noch eine Person, zu der er gehen konnte, um der Kälte zu entgehen. Eines Abends wollte er sich in eine dunkle Gasse legen, um zu schlafen, da fiel ihm
ein Haufen Kartons an der gegenüberliegenden Wand auf. Er bewegte sich zaghaft auf den Haufen zu. Er suchte nach etwas Essbarem, oder gar etwas Wärmendem. Seine Hände zitterten – nicht nur wegen der Kälte. Dann, in dem untersten Karton fand er eine große Tasche. Sie war weder dreckig, noch war sie alt. Er öffnete die Tasche, doch wollte seinen Augen kaum glauben. In ihr waren mehrere Geldbündel – nein, ganze dutzend Geldbündel. So viel Geld hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Er berührte das Geld, er roch daran, er spürte es. Doch ihm wurde klar: Geld war kein Heilmittel. Es war weder wärmend, noch
war es ein Mittel gegen seine Krankheit. Es war nur Papier. Also entschloss er sich, die Tasche zu nehmen und ging in Richtung Polizei.
Dort gab es direkt Aufruhr. Der alte Mann konnte nicht verstehen, warum eine Tasche voller Papier so eine Aufregung erzeugen konnte. Er bekam eine Tasse Kaffee und die Tasche wurde ins Büro des Bezirkschefs gebracht. Dann klärte man ihn auf: Vor wenigen Tagen hatte es einen Bankraub gegeben. Die Täter waren direkt geschnappt worden, das Geld jedoch hatte man noch nicht finden können. Er hatte ihnen und der Bank sehr geholfen. Doch mehr als das Dankeschön des Bezirkschefs gab es
für ihn nicht. Er wurde dankend gebeten, zu gehen, man wolle ja schließlich auch Feierabend machen am Weihnachtsabend. Er ging hustend hinaus in die Kälte. An ihm vorbei lief einer der Polizisten. Er sprang in sein Auto und fuhr davon. Vermutlich zu seiner Familie, wo es in der Wärme des Kaminfeuers ein Weihnachtsessen geben würde. Der alte Mann jedoch blieb allein. Er ging dorthin, wo er herkam. Doch er wurde schwächer und schwächer. Mit jedem Meter, den er ging, schwanden nicht nur seine Kräfte, sondern auch sein Wille, weiter zu gehen. Er war am Ende. Das Verhalten der Polizisten hatte ihn verstört. Alle waren sie in heller
Aufregung gewesen wegen des Geldes, was er mitgebracht hatte, doch er wurde kaum beachtet. Das kalte, unnatürliche Papier hatte man mit Wärme empfangen, doch den unterkühlten Menschen hatte man nicht einmal in das Büro gebeten. Man hatte ihn aufgefordert, zu gehen. Er setzte sich hin – er wusste nicht, wieso er das tat, doch er hatte kein Gefühl mehr in den Beinen. Er war doch auch ein Mensch, wie die anderen auch. Warum hatte man ihn immer links liegen gelassen? Warum hatten seine Kinder sich von ihm losgesagt, als er alles verloren hatte? Warum hatte ihn niemand bei sich aufgenommen, als er es gebraucht hätte?
Die Gedanken wurden allmählich langsamer, sein Körper hing immer mehr zur Seite. Seine Augen schlossen sich und sackte weg. Er überlebte die Nacht nicht. Doch in der Zeitung fand sich eine kleine Randnotiz über seinen Tod – direkt neben dem Titel: „Geld nach Bankraub wieder aufgetaucht!“