Beschreibung
Mit diesem Buch unternehmen Sie mit dem Autor des Romans "Das Lächeln der Kriegerin" sechs ganz unterschiedlich geartete Reisen in die Fantasywelt.
Mal geht es auf einen Sprung ins Lieblingsbuch des Erzählers, dann in die verschneiten Wälder auf der Suche nach dem Eiswolf.
Erleben Sie die traurige Geschichte der unglücklichen Cwen und lachen Sie bei den verrückten Abenteuern von Simon Feuerlocke.
Diese Sammlung bietet für jeden etwas. Zwei besondere Schmankerl:
Die Kurzgeschichte, die die Basis für Bobrowskis Debütroman bildete, und eine, die gewollten Trash verkörpert.
(Im Buchhandel und Internetbuchhandel erhältlich, Tredition 2008, ISBN: 978-3-940921-60-4)
Inhalt
1. Vorwort
2. Eine Reise in die Geschichte
3. Der Eiswolf
4. Simons Prüfung
5. Der Bote
6. Flucht in den Wald
7. Arnlf und der DracheVorwort
Des Boten Prüfung“ ist eine Sammlung einiger meiner Fantasy-Kurzgeschichten, die in den letzten Jahren entstanden sind. Zum überwiegenden Teil wurden sie bereits früher in Anthologien oder im Internet veröffentlicht, liegen aber nun und in überarbeiteter Form nur noch in dieser Sammlung vor.
Die sechs Reisen in die Fantasy sind sehr unterschiedlich gestaltet, bringen Sie zum Lachen oder in eine eher nachdenkliche Stimmung. Auf zwei von ihnen möchte ich hier näher eingehen:
„Der Bote“ ist die Kurzgeschichte, auf der mein Roman „Das Lächeln der Kriegerin“ basiert. Natürlich ist sie auf dem Weg zum Roman deutlich gewachsen und hat sich auch verändert. Bei der Überarbeitung für „Des Boten Prüfung“ habe ich aber versucht, diese Wandlungen auszublenden. Ich wollte die Geschichte zwar verbessern und lesbarer machen, nicht aber die ursprünglichen Ideen verändern. Wer den Roman kennt oder vielleicht durch die Kurzgeschichte neugierig darauf geworden ist, soll weiterhin den Entwicklungssprung nachvollziehen können.
„Arnlf und der Drache“ ist so etwas wie eine Zugabe. Die Geschichte begreift sich als eine besondere Art der Satire. Während „Simons Prüfung“ auf heitere Art und Weise das Genre und seine Klischees veralbert, habe ich mit „Arnlf und der Drache“ versucht, etwas zu schaffen, das man gemeinhin als Trash bezeichnet. Der Witz der Geschichte besteht nicht darin, dass sie etwas Lustiges erzählt, sondern darin, dass sie etwas Ernstes schlecht erzählt, also ein schlechter Text, der sich selbst ernst nimmt.
Danken möchte ich an dieser Stelle meiner Lektorin und Freundin Johanna Michallik, die mir fast seit Beginn meines Schreibens zur Seite steht und nicht aufhört an mich zu glauben.
Des Weiteren danke ich Konrad Reich, dessen Unterstützung und Vertrauen mich auf meinem schreiberischen Weg in die Richtung gelenkt haben, die mir nun zum Ziel geworden ist.
Philipp Bobrowski, Februar 2008
Simons Prüfung
Die Spelunke sah nicht gerade einladend aus. Über der Tür prangte in großen, grauen Lettern:
„Z m kr hend n H hn“
Simon vermutete, es sei das männliche Tier gemeint, was aber nichts zur Sache tat. Er war auf seiner langen Reise in dutzenden solcher Absteigen … na eben abgestiegen. Und wie kunstvoll deren Namen auch lauten mochten, im Wesentlichen glichen sie sich alle. Da es zu der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, in den wenigsten Ortschaften mehr als eine Auswahlmöglichkeit an gastronomischen Einrichtungen gab und sich, auch wenn es einmal so war, die Unterschiede dennoch in Grenzen hielten, dachte Simon über diese Dinge gar nicht weiter nach. Er suchte eine warme Mahlzeit sowie eine Übernachtungsmöglichkeit und beinahe alles war besser, als an den Fingernägeln zu kauen und im Freien zu schlafen, vor allem wenn man den stürmischen Regen bedachte, der seit dem Mittag herniederging und seine ohnehin ärmliche Kleidung in einen Zustand versetzt hatte, der es einem möglichen Zaungast nicht verwunderlich hätte erscheinen lassen, wäre dem triefenden Wanderer mitsamt seinem Stab sogar der Zutritt zum „Kr hend n H hn“ verwehrt worden. Da aber weder der Zaungast noch ein den Eintritt Verwehrender in der Nähe war, trat Simon ein.
Der „H hn“ bestand in der Hauptsache aus einer großen, nahezu quadratischen Gaststube, die vor lauter Qualm aus dem rußenden Kamin und den vielen Tabakspfeifen nur schwer zu überblicken war. Entlang der Wände und im Raum selbst standen etwa neunzehn mit Bänken und Hockern umstellte Tische, die jetzt, kurz vor Sonnenuntergang, zum großen Teil von allerlei Volk bevölkert waren. Simon nahm mit Recht an, dass sich diese mäßig feine Gesellschaft aus Ansässigen des Ortes – wie hieß er noch gleich … richtig: Ort –, Bauern aus den umliegenden Dörfern und Durchreisenden zusammensetzte, wie sich das eben für ein Gasthaus gehörte, welches in einer Ansiedlung errichtet war, die wiederum an einer der größten Handelsstraßen des Landes lag, das übrigens von seinen Bewohnern häufig liebevoll Unserland genannt wurde, während es offiziell und im internationalen Verkehr den bedeutungsvollen Namen Hintermberg trug, den Historiker und Onomastiker gerne auf des Landes geographische Lage zurückführten.
Der größte Teil der Anwesenden waren Menschen – was der heutige Leser wahrscheinlich als Selbstverständlichkeit erachtet – aber es fand sich auch eine Gruppe Zwerge, die gewichtige Reden schwangen und grimmig dreinschauten, derweil ihre kurzen Beine ein ganzes Stück über dem nicht gerade besenreinen Fußboden baumelten. Gleich rechts neben der Tür saßen zwei edle Elben, deren körperlich bedingte Unverträglichkeit von Bier bei gleichzeitigem Genuss desselben für die bereits auf die Tischplatte gesunkenen zarten Häupter verantwortlich war, wobei das zierlich gespitzte Ohr des kleineren drohte, sich in einer ausgedehnten Bierlache aufzulösen. Die beiden Tische in nächster Nähe zum Eingang der Küche – und wohlgemerkt, ich meine die Tische selbst, nicht etwa die umgestoßenen Hocker drum herum – diese beiden Tische also wurden besetzt von einem riesigen Troll und einem trolligen Riesen, die von jeweils einem weiteren Tisch bergeweise alle möglichen Teile von allen möglichen Tieren in sich hineinschaufelten, hier und da gewürzt durch ein kleines Erbschen, Rübchen oder Köhlchen und angereichert durch den einen oder anderen Laib Brot.
Noch weitere absonderliche Gestalten boten sich dem Auge des Betrachters dar, von denen hier nur noch ein behaarter Tartus, zwei übelriechende Gnarfe, eine Horde umherschwirrender Elfen, ein Wurzelgnom, drei krummschnabelige Bolgs, zwei Molche, ein Scriptor Insanus, eine Rumpelhexe, eine aufgeregte Gruppe japanischer Touristen und ein Einhorn – welches hier allerdings ein wenig deplaziert wirkte – genannt sein sollen. Wir vertrauen hierbei auf die Vorstellungskraft des Lesers, da uns zur genaueren Betrachtung die Zeit fehlt, denn eigentlich interessiert uns ja vor allem, wie es Simon weiter erging.
Dieser, von der ihm vertrauten Szenerie völlig unbeeindruckt, nahm, nachdem sich seine wasserblauen Augen an die eher dunklen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, Kurs auf den letzten freien Tisch, der zu seinem Leidwesen gerade gegenüber des Eingangs, nahe der Küche lag, aus der selbst für Hungrige unappetitliche Gerüche kamen. Dazu bahnte er sich den Weg durch den Gestank und den Lärm der Menge, wobei er beinahe eine der Bedienungen umgestoßen hätte, die ihm mit einem Tablett voller überschwappender Bierkrüge entgegenkam. Sie war die Tochter des Gastwirts, was Simon weder wissen konnte noch musste, denn, wie es das launische Schicksal so wollte, waren die Flüche, die sie ihm trotz seiner Entschuldigungen hinterherwarf, die einzigen Worte, die sie je an Simon richten sollte.
Am Tisch angekommen setzte er sich, wie es Leuten seiner Größenordnung geziemt, auf einen der Hocker. Dort wurden er und sein ungehaltenes Rufen nach nur wenig mehr als einer halben Stunde vom Gastwirt höchstpersönlich entdeckt. Dieser war ein stattlicher Mann von etwa 1,52 m sowohl in der Höhe als auch in Breite und Tiefe, dem es nicht einmal halbwegs gelang, das sich daraus ergebende Körpervolumen hinter der fettig befleckten, ehemals weißen Schürze zu verstecken.
„Was willst du?“, fragte er Simon in seiner ausschweifenden Art.
„Man nennt mich Simon Feuerlocke und ich bin auf dem Weg zur Zauberschule in …“
„Ich meine, was willst du hier in meiner Gaststube?“, unterbrach ihn der Wirt zuvorkommend.
„Oh, ich habe Hunger und suche eine Bleibe für die Nacht.“
„Kannst du zahlen?“ Bei dieser Frage warf der Mann einen zweifelnden Blick auf die durchnässte Kleidung und das ausgesprochen kleine Wanderrucksäckchen seines Gastes.
„Natürlich!“
„Das will ich hoffen! Bettler kann ich nicht brauchen! Solltest du nicht zahlen können, werde ich dich erst verprügeln und dann für mich arbeiten lassen!“
Nach diesem ausgiebigen Redeschwall machte er kehrt und verschwand, ohne die Bestellung abzuwarten, in der Küche.
An dieser Stelle hätten wir uns gewünscht, dass sich, wie es in solchen Geschichten durchaus nicht unüblich ist, in der Gaststube eine Person fände, die Fetzen des Gespräches mitgehört und sich nun zu Simon begeben hätte, um ihn als Weggefährten zu identifizieren, ihm Hilfe anzubieten oder wenigstens irgendeinen hinterhältigen Plan auszuhecken, was zu einer Befragung unseres Helden führen und ihn auch dem Leser näher bringen würde. Da sich aber außer uns in dieser dunklen Schenke niemand für den Jungen zu interessieren schien, müssen wir wieder unseren eitlen Erzähler bemühen, der sich ja leider bisher schon kaum zurückgehalten hat.
Wir wissen also bereits, wie Simon hieß und ein wenig über seine ärmliche Kleidung. Auch haben wir erfahren, wo er sich zur erzählten Zeit aufhielt – inzwischen löffelte er ein leckeres Süppchen, welches im Wesentlichen aus leidlich warmem, mit drei Erbsen, riesigen Fettaugen und wenigen Fäden trockenen Fleisches angereichertem Wasser bestand, und prüfte seine Zähne an einer Scheibe steinalten dunklen Brotes. Wo aber kam er her und wo wollte er hin? Und was hatte es mit dem geheimnisvollen Namen Feuerlocke auf sich?
Nun, diesen Namen hatte man dem schmächtigen Sechzehnjährigen in seinem kleinen Heimatdorf Hìrn’Lôs gegeben und spielte damit auf die langen, aus dem blonden Schopf hervortretenden, leuchtend roten Haarspitzen an, die sich über seiner Stirn zu einer Art warnendem Hinweispfeil verbanden, der direkt auf die etwas platte Nase des Jünglings zielte und für Simon im letzten Winter eine völlig neue Bedeutung bekommen hatte. Nachdem seine Eltern direkt nach seiner Geburt verschwunden waren, wuchs der Junge bei seinen Großeltern auf, die ihn mit wenig Essen und viel Arbeit auf ihrem Hof versorgten. Niemand im Dorf konnte die eigentümliche Färbung des Haares erklären, die in Simons Familie bisher noch nie aufgetreten war. Daher wurde er für sonderbar gehalten und ebenso behandelt, was zur Folge hatte, dass er sich bald auch so verhielt und bei der Feldarbeit oder beim Erbsenzählen über die besondere Bedeutung seiner Locke und seiner Person nachgrübelte.
Im letzten Winter aber, sieben Tage nach dem Neujahrsfest, geschah etwas, das Simon für die Antwort auf seine Fragen hielt. Man hatte ihn zum Holzsammeln in den verschneiten Wald nahe dem Dorf geschickt, wo er von einem Rudel grimmiger schwarzgescheckter Waldköter gestellt und eingekreist wurde. Im letzten – oder vorletzten – Moment trat jedoch ein alter Mann zwischen den Bäumen hervor. Er trug einen weiten grauen Umhang, einen Wanderstab, einen kleinen Wanderrucksack und eine lange rote Bommelmütze. In aller Ruhe stellte er sich als der Zauberer Chappi vor – ein Name, der nur dem heutigen Leser seltsam erscheinen mag – und nahm selbstlos den Kampf gegen die wilden Köter auf, während sich Simon auf einen Baum rettete und dankbar dem Schauspiel folgte. Nachdem die Bestien gesättigt und abgezogen waren, griff sich der Junge den verschonten Wanderstab und den Rucksack, in dem sich zu seiner Freude ein echtes Zauberbuch befand, und kehrte fröhlich und sowohl dem Zauberer als auch den Waldkötern dankend zum Dorf zurück. Den Rest des Winters und das ganze Frühjahr übte er sich heimlich in der Zauberei – was zu kleineren und größeren ungeklärten Katastrophen in Hìrn’Lôs führte – und war bald überzeugt, seine Locke sei ein Beweis für sein magisches Talent. Auch beschloss er, seine Fähigkeiten müssten auf der großen Zauberschule nahe Ûnî vèr Cìtî geprüft und geschult werden.
So machte er sich am ersten Mai auf, um zunächst den Sparstrumpf seines ungeliebten Großvaters zu stehlen – der nicht gerade unglaubliche Schätze barg, doch reichte es um in den Gasthäusern unterwegs Mahlzeit und Schlafstatt zu begleichen – und dann mitsamt Zauberbuch, Stab, Rucksack und den gelegentlichen Katastrophen in Richtung Ûnî vèr Cìtî aufzubrechen ...
Flucht in den Wald
Cwen lief und lief. Kaum war ihr bewusst, dass sie auf den Dernwald zulief. Tränen strömten über ihre erröteten Wangen. Stoßweise bildete ihr Atem kleine Wölkchen in der eisigen Luft. Sie spürte die Kälte nicht. Im Laufen befreite sie sich von dem schwarzen Band, das ihr volles Haar in einen geflochtenen Zopf zwang. Wut und Verzweiflung trieben sie voran.
Längst hatte sie das Dorf hinter sich gelassen. Das Dorf und Ceorl. Keinen Tag länger wollte sie bei dem Mann verweilen, der sie im Frühjahr zur Frau genommen hatte. Wenig hatte sie sich von der Ehe mit dem Schmied versprochen und doch nicht geahnt, welche Qual sie würde erdulden müssen. Des Vaters Schuld hatte sie begleichen wollen und ihn damit ihres eigenen Leids schuldig gemacht.
Eard, ihr Vater, hatte erst seine Frau verloren, dann nach einer Missernte sein Land an Ceorl verkaufen und es in seinem Auftrag bestellen müssen. Die Ochsen des Schmieds waren im darauffolgenden Winter in Eards Obhut eingegangen, wofür der herzlose Mann den armen Bauern verantwortlich machte. Weil der die geforderte Entschädigung nicht hatte zahlen können, forderte Ceorl Cwen zur Frau. Nie wäre Eard darauf eingegangen, kannte er doch den jähzornigen und bösen Charakter des Schmieds, aber Cwen, in Sorge um ihren Vater, hatte dem schließlich zugestimmt, obgleich sie sich vor dem grimmigen Manne fürchtete und beim Anblick seiner fetten Arme und des aufgedunsenen Gesichts Ekel empfand.
Und dennoch war Ceorl nicht zufrieden. Nun, da er ihren Leib und ihre Schönheit sein eigen nennen konnte, waren ihre Hoffnungen und Bedürfnisse ohne Bedeutung für ihn. Mit kalter Verachtung vergalt er ihr das Gelöbnis, welches er nur ihrer Liebe zum Vater verdankte. Und noch immer sah er seine Forderungen nicht als erfüllt an. Beinahe jede Nacht ließ er sie durch die Hölle gehen, wenn sie gegen Abneigung und Übelkeit ankämpfte, während er, als stünde er noch am Amboss, seinen Sohneswunsch in ihren verpfändeten Leib hämmerte. Und beinahe täglich verfluchte er sie, wenn er ihr die Schuld am Misslingen all seiner Mühen gab.
So auch an diesem Abend, an dem es Cwen schließlich aus dem Haus getrieben hatte, seinen verletzenden Worten und gewalttätigen Drohungen zu entfliehen. „Es wird Zeit, dass du deine Pflichten erfüllst, Weib!“, hatte ihr der grobe Schmied vorgehalten. „Halte dich heute Abend bereit, denn unendlich ist meine Geduld nicht! Deines Vaters Schuld ist nicht mit einer Frau beglichen, die mir keinen Sohn schenkt. Bis Ende des Jahres sollte ich meine Frucht in deinem Leib heranwachsen sehen, sonst weiß ich nicht, was ich dir antue!“
Da hatte Cwen die Furcht gepackt, denn sie kannte Ceorl und wusste um die Ernsthaftigkeit seiner Drohungen. Sie haderte mit ihrem Schicksal, das ihr, selbst noch fast ein Kind von gerade fünfzehn Jahren, noch immer keinen Sohn beschert hatte und sei es nur zur Befriedigung ihres rücksichtslosen Mannes.
Doch je weiter sie sich von Coomb und der verhassten Schmiede entfernte, desto mehr verwandelte sich ihre Furcht. Jetzt waren es Tränen des Trotzes und der Wut, die ihre heißen Wangen herunterliefen und sich dabei mit den schmelzenden Schneeflocken vermischten, die hier ihre letzte Ruhe fanden.
Cwen stoppte nicht, als sie den Waldrand erreichte. Heute schien ihr der Dernwald nicht abschreckend und gefährlich, sondern eine sichere Zuflucht zu sein. Er wirkte auf die junge Frau, als wolle er sie einladen, in den abendlichen Schatten seiner mächtigen Bäume Schutz zu suchen. Und so ging sie nun nur noch leise schluchzend und trotz der zunehmenden Dunkelheit immer tiefer in den Wald hinein und betrachtete seine Wunder.
Selbst hier unter den Bäumen lag eine dicke Schneeschicht, wenn auch die Flocken nicht ganz so dicht fielen wie im Freiland. Cwen wunderte sich über den frühen Winter. Nur die ältesten in Coomb hatten je erlebt, dass so zeitig im Jahr Schnee fiel, denn es war erst der zweiundzwanzigste September und obwohl das Dorf eine der nördlichsten Siedlungen im Königreich war, begannen die Winter meist frühestens Ende Oktober. Sollte es so kalt bleiben, würden die Bewohner bald schon Hunger leiden müssen.
Doch obwohl nun, da sie ihre Schritte verlangsamte, auch die junge Frau die Kälte zu spüren begann, fühlte sie sich durch das glitzernde Weiß in der Stille Derns merkwürdig beruhigt, und während sie sich ziellos vorwärtsbewegte, vergaß sie die Zeit. Hier folgte sie der Fährte eines Rehs, da beobachtete sie ein flinkes Eichhörnchen. Sie sang mit den zwitschernden Vögeln, die dem Winter trotzten, tanzte durch des Waldes Weiß und grub unter der Schneedecke nach Anzeichen, die an wärmere Tage erinnerten. Schlafende Pflänzchen fand sie, Eicheln und Nüsse.
Aber bald schon wurde es um sie so finster, dass Cwen endlich doch an den Heimweg dachte. Und so sehr sie ihr Heim und den, der sie dort erwartete, auch hasste, die Nacht wollte sie keinesfalls im Dernwald verbringen. Denn die Dunkelheit brachte ihr die Erinnerung, warum die Bewohner Coombs und der umliegenden Dörfer den Wald fürchteten und warum auch sie ihn bisher gemieden hatte. Von wilden Tieren erzählte man sich, Wölfen und Bären, die es gefährlich machten, tiefer als nötig in den Forst einzudringen. Schlimmeres erwarte einen in seinen unbekannten Schatten, Geister, Hexen, Gnome und Alben, die den Menschen fremd und selten freundlich gesinnt seien. Doch als sich Cwen dieser Geschichten besann, wusste sie nicht mehr die Richtung, aus der sie gekommen war. Und als sie nach oben schaute, wurde ihr gewahr, dass die Bäume hier zu dicht standen, um sich am Sternenhimmel zu orientieren ...