Kurz etwas in eigener Sache
Diese Geschichte ist Teil der Anthologie "Ein Licht in der Dunkelheit / Dezembergeschichten""
56 Geschichten und Gedichte, bei denen die Autoren und Autorinnen auf ihr Honorar verzichten, so dass der Reinerlös als Spende an die deutsche Lebensbrücke e.V. geht.
mein weihnachtsengel
Ich wollte eine Geschichte schreiben. Eine Weihnachtsgeschichte. Es sollte etwas ganz besonderes werden. Die ultimative Weihnachtsgeschichte, bei der meine Freunde sagen, wow, was für eine Geschichte.
Ich hatte viele Ideen. Doch irgendwie waren es zu viele die sich nicht zu einer Geschichte koordinieren ließen. Ich musste schmunzeln. Ich dachte an eine Geschichte, die ich vor einiger Zeit geschrieben hatte: „Der Gedanken hab ich viele, allein die Worte fehlen mir.“
Jetzt ging es mir wieder so. Ich hatte so
viele Gedanken, dass man locker fünf Geschichten damit beginnen könnte. Mit der Betonung auf „Beginnen“. Aber ich wollte eine Geschichte ja auch zu Ende bringen.
Aber diesmal hatte ich beschlossen anders vor zu gehen. Ich würde zuerst alle meine Gedanken aufschreiben, ohne lange zu überlegen, ob sie einen Sinn ergeben. Dann würde ich das Ganze ausdrucken und die Stellen markieren, die zu einer zusammenhängenden, sinnvollen Geschichte passen würden. Aus diesen Gedankenschnipseln würde ich dann meine Geschichte bauen.
Gedacht, getan. Ich legte los. Meine Finger flogen nur so über die Tastatur.
Wort für Wort, Satz für Satz, Absatz für Absatz erschienen auf dem Bildschirm. Seite um Seite füllte sich.
Dann hörte ich ein Geräusch vor meinem Haus. Das Knirschen von Schritten im Schnee.
Meine Finger verharrten wenige Zentimeter über der Tastatur in der Luft, bereit für das nächste Stakkato. Ich lauschte, hörte aber nichts mehr. Ich sah auf den Bildschirm. Was ich bisher geschrieben hatte. Es ergab keinerlei Sinn. Noch nicht.
Dann hörte ich wieder dieses Geräusch von draußen. Ich ging an die Haustüre und öffnete sie. Ein schneidend kalter Wind schlug mir entgegen. Ich blickte
nach Links und Rechts, sah aber nichts. Dann schloss ich die Türe wieder und ging zurück um an meiner Geschichte weiter zu schreiben.
Ich traute meinen Augen nicht. Da saß ein kleines Mädchen auf meinem Drehstuhl vor meinem Schreibtisch. Sie sah angestrengt auf meinen Bildschirm und tippte irgendetwas in meine Tastaur.
„Wer bist du“, wollte ich wissen. „Und wie bist du hier herein gekommen?“
Sie machte eine abwehrende Handbewegung und sah weiter angestrengt auf den Monitor, während sie immer wieder etwas auf der Tastatur tippte.
„Das ergibt alles keinen Sinn“, sagte sie.
„Was hast du da nur geschrieben?“
Ich trat näher heran, um zu sehen, was sie da machte.
„Du hast überhaupt nicht begriffen, was Weihnachten ist“, schimpfte sie.
„Ach,ja?“,entgegnete ich. „Und du weißt es?“
Sie drehte sich wortlos auf dem Drehstuhl zu mir um und deutete auf den Monitor, auf dem inzwischen ein Film ab lief.
Ich sah wie gebannt auf den Bildschirm. Mir war kalt und ich hatte auf einmal seltsame Klamotten an. Jetzt erst registrierte ich, dass ich irgendwie in diesen Film geraten war. Was passierte hier nur? War das ein Traum?
„Verdammter Portwein“, fluchte ich, mehr zu mir selbst. „Was?“, fragte ein Mann, der neben mir stand und die gleichen seltsamen Klamotten an hatte.
„Wo bin ich hier?“, wollte ich wissen. Der Mann lachte. „Du wirst doch wohl wissen, wo du deine Schafe hin getrieben hast.“ Ich verstand gar nichts mehr. „Welche Schafe... wohin getrieben... was passiert hier, um Himmels Willen?“, stammelte ich der Panik nahe. Denn es war realer, als jeder Traum, den ich je hatte. Trotz Portwein.
„Mein Guter, du scheinst mir ziemlich verwirrt“, versuchte mich der Fremde zu beruhigen. „Aber du hast recht. In des Himmels Willen wird heute Nacht etwas
geschehen. Niemand von uns weiß, was passieren wird. Doch uralte Prophezeiungen werden sich noch in dieser Nacht erfüllen. Es heißt: Ein Stern wird leuchten über euch und es wird kommen der Weltenrichter.“ Er deutete mit seinem Stab auf einen alten Mann. „Siehst du den Mann dort? Er sagt, wenn der Stern erscheint, wird das Ende der Welt besiegelt sein.“
Dann ein Schrei aus hundertfachen Kehlen, der mir fast das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Da ist er... der Stern... wir sind alle verloren:“
Ich sah in die Richtung, in die alle deuteten und sah ihn. Ein strahlend
heller Stern, so groß wie der Mond mit einem funkelnden, glitzernden Schweif. Er stand genau über einer kleinen Stadt.
„Das ist sie“, schrie einer hysterisch. „Das ist die verfluchte Stadt. Von ihr geht alles Unheil aus. Gleich wird der Himmel auf uns stürzen.“ Ich blickte nach oben und sah, dass die Sterne tanzten, wie in einem wilden Reigen. Nur der Stern mit dem Schweif blieb ungerührt über der Ortschaft stehen.
Dann schwebte eine licht durchflutete Gestalt gen Erde.
Ich erkannte das kleine Mädchen wieder, das noch kurz vorher in meinem Drehstuhl gesessen und meine Tastatur benutzt hatte.
„Fürchtet euch nicht“, sagte sie mit glocken heller Stimme. Fast bildete ich mir ein, sie hätte mir zu gezwinkert. „Euch ist heute der Heiland geboren. Ihr werdet ihn finden in Windeln gewickelt in einer Krippe liegend.“ Dann war der Zauber vorbei. Die Hirten machten sich betend auf nach Bethlehem
und ich folgte ihnen andächtig. In einer armseligen Hütte fanden wir ihn dann, den Weltenrichter.
Ein kleines Baby in einer Krippe mit Stroh. Die Mutter war besorgt wegen der vielen Besucher und der Vater stolz und glücklich, die vielen Glückwünsche annehmend.
Ich war gerührt und den Tränen nahe. Ein so kleines Baby sollte die Welt verändern? Der Stern, der die ganze Szenerie in ein mystisches Licht tauchte, tat sein übriges.
Dann entdeckte ich sie in der Menschenmenge. Das kleine Mädchen. „Weißt du jetzt, was Weihnachten ist?“, flüsterte sie mir zu.
Ich saß wieder vor meinem Computer, stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb mir die Schläfen.
Ich sah auf den Bildschirm und wusste, wie ich sie schreiben sollte, die ultimative Weihnachtsgeschichte. ,