Das Lied der Maus
Es war kalt. Bitterkalt. Die kleine Maus tapste ĂŒber den hart gefrorenen Boden. Sie fand nichts zu essen. In die HĂ€user und Keller der Menschen traute sie sich nicht, wegen der fiesen Katzen.
Das einzige GebÀude, in dem sie ab und zu Unterschlupf suchte, war die kleine Kirche des Dorfes.
Dort war sie geschĂŒtzt, vor dem eisigen, schneidenden Wind. Ab und zu stellte ihr der Organist, der gleichzeitig auch Dorfschullehrer war, ein SchĂ€lchen Milch mit einigen harten Brotkrusten hin. Das durfte aber keiner wissen. Wie wĂŒrden da die Frauen des Dorfes
reagieren. Eine Maus in einer Kirche.
Die Maus suchte also das SchĂ€lchen Milch. Sie hatte so einen Hunger. Aber, so sehr sie auch suchte. Sie fand weder Milch, noch Brot. Alles, was sie fand, war dieses komische Ding, hinter der Orgel. Sie wusste nicht, was es war. Es roch aber irgendwie tierisch. Es war braun und weich. Die Maus fing an, daran zu knappern. Es schmeckte zwar nach nichts, stillte aber den Hunger. MĂŒde schlich sich die kleine Maus schlieĂlich nach Hause. Sie hatte sich im HolzstoĂ vor dem Pfarrhaus ein kleines Nest gebaut, wo sie wenigstens vor dem schneidend kaltem Wind etwas geschĂŒtzt war.
Am nĂ€chsten Morgen wurde sie durch laute Stimmen geweckt, die aus der Kirche zu ihr drangen. Und da MĂ€use nun mal von Natur aus neugierig sind, trippelte sie im Eiltempo zur Kirche. Dort waren der Pfarrer und der Organist, die sich ĂŒber etwas furchtbar aufregten. â Der Blasebalg ist kaputt, da ist nichts mehr zu machen. Und ohne Blasebalg keine Musik.â Der Pfarrer, der Organist und die Maus begutachteten das braune Ding, in das die Maus ein Loch gebissen hatte. Sie hatte schon oft dem Organisten gelauscht, wie er aus dem groĂen Kasten mit den schwarzen und weiĂen Tasten Musik hervor gezaubert
hat, aber dass das komische Ding etwas damit zu tun hatte, wusste sie nicht. Die beiden MĂ€nner waren sehr verzweifelt, denn bald war Heiligabend. Und eine Christmette ohne Orgel und Gesang, war einfach nicht dasselbe. Die Maus konnte sich an das Weihnachtsfest im letzten Jahr erinnern. Der festliche Tannenbaum, die fröhlichen Menschen und die ergreifende Musik des Organisten. Es war wie ein StĂŒck Himmel auf Erden, mitten im kalten Winter. Und dieser Zauber sollte wegen ihr jetzt vorbei sein?
Am Abend konnte die Maus nicht schlafen, weil sie sich so viele Gedanken machte. Ausgerechnet ihrem
Freund, dem Organisten musste sie so etwas antun. Sie beschloss, zu seinem Haus zu gehen, um zu sehen, wie es ihm ging. Es kostete sie sehr viel Ăberwindung, da sie noch nie zuvor im Haus eines Menschen war. Man muss dazu sagen, dass die HĂ€user damals in dieser Gegend sehr einfach gebaute HolzhĂ€user waren, bei denen eine Maus immer ein Schlupfloch finden konnte, um hinein zu gelangen. Die Maus schaffte es schlieĂlich bis ins Schlafzimmer ihres Freundes. Und der hatte auch einen ziemlich unruhigen Schlaf. Er wĂ€lzte sich, sorgen geplagt, hin und her. Die Maus kletterte auf den Nachttisch, um so nah, wie möglich bei
ihm zu sein. âEs tut mir so Leidâ, piepste sie. Doch er hörte sie nicht. Da fiel der Maus ein Lied ein, das ihre Mutter immer gesungen hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. Und die Maus fing an zu singen: âLahh la la lahh. Lahh la la lahh...â SchlieĂlich zeigte sich ein LĂ€cheln auf dem Gesicht des Organisten und er schlief friedlich und fest.
Am nÀchsten Morgen waren der Organist und der Pfarrer wieder in der Kirche und auch die Maus wollte wissen, ob sie inzwischen schon eine Idee hatten , wie sie das Weihnachtsfest retten konnten.
âFĂŒr eine Reparatur fehlt uns das Geld. AuĂerdem wĂŒrden wir jetzt sowieso niemanden mehr bekommen, der es
reparieren könnteâ, sagte der Pfarrer. Der Organist stimmte ihm stumm nickend zu. âDas wird eine stille Nacht, diese heilige Nachtâ, seufzte der Pfarrer. Da erhellte sich die Mine des Organisten. â Ich hab da eine Idee!â, rief er. âIch krieg da seit gestern diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf.â Der Pfarrer sah ihn fragend an. âAlso ob, gestern Nacht, ein Engel sie mir vorgesungen hĂ€tteâ, versuchte er zu erklĂ€ren. âKomm einfach mit und ich erklĂ€r es dir..â
Die Maus kam fast um, vor Neugierde. Sie konnte es kaum erwarten bis es Heiligabend war.
Endlich war es so weit. Die Glocken der
Kirche riefen zur Christmette. Die Maus schlich sich in die voll besetzte Kirche. Sie musste acht geben, dass sie ja niemand sah. Und dann sah sie den Pfarrer und den Organisten neben dem mit zahlreichen Kerzen beleuchteten Baum. Der Pfarrer spielte auf einer Blockflöte und der Organist saĂ neben ihm und hatte eine Gitarre auf dem SchoĂ, auf der er spielte. Plötzlich strahlten die Ăuglein der Maus, denn sie erkannte ihre Melodie. Die Melodie, die sie ihrem Freund vorgesungen hatte, weil der vor Sorgen nicht schlafen konnte. Und dann sang der Organist und die ganze Gemeinde. Sie sangen das Lied der
Maus.
â Stille Nacht, heilige Nacht.
Alles schlÀft, einsam wacht.
Nur das traute, hoch heilige, Paar.
Holder Knabe, im lockigen Haar.
Schlaf in himmlischer Ruh.
Schlaf in himmlischer Ruh.
Stille Nacht, heilige Nacht.
Gottes Sohn, o wie lacht.
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
da und schlÀgt die rettende Stund.
Christ in deiner Geburt.
Christ in deiner Geburt.
Stille Nacht, heilige Nacht.
Hirten erst, kund
gemacht,
durch der Engel Halleluja.
Tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da.
Christ, der Retter ist da.â
epilog
Das Lied, â Stille Nachtâ, ist eines der wenigen, alten Weihnachtslieder, von denen man weiĂ, wer es getextet und komponiert hat.
UraufgefĂŒhrt wurde es 1818 von Dorfschullehrer und Organist Gruber und Hilfspfarrer Mohr in Oberndorf bei Salzburg.
Anders, als in der Geschichte, fiel den beiden der Text nicht erst kurz vor der UrauffĂŒhrung ein, wo der Pfarrer sagt: â Das wird eine stille Nacht, diese heilige Nacht.â In Wirklichkeit schrieb Mohr den Text als Gedicht bereits zwei Jahre frĂŒher.
Organist Gruber komponierte dann kurz vor Heiligabend 1818 eine Melodie zu diesem Gedicht weil, wie in der Geschichte, die Orgel nicht bespielbar war und man ein möglichst einfaches und dennoch festliches Lied brauchte, das man nur mit Gitarren
Begleitung vortragen konnte.
Die Blockflöte habe ich dann, wegen der noch festlicheren Stimmung dazu gedichtet.
Ob die Orgel damals tatsĂ€chlich wegen SchĂ€den, die durch MĂ€use verursacht wurden lahm gelegt wurde, ist nicht ĂŒberliefert, aber sehr wahrscheinlich.
Und ob dann tatsÀchlich eine kleine Maus dem Dorfschullehrer Gruber die Melodie ins Ohr gesummt haben soll, die dann zum beliebtesten und meist gespielten Weihnachtslied der Welt werden sollte, wer wei�