Janine
Es war mal ein Mädchen. Es war erst vierzehn Jahre alt. Mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater lebte sie im schlimmsten Viertel der Stadt. Straftaten wie Körperverletzung oder Diebstahl standen dort auf der Tagesordnung.
Und nun steht sie hier. Sie blickt in die Tiefe und beobachtet die vorbeifahrenden Autos. Sie sieht keinen Ausweg mehr. Ihr Stiefvater war ein geldloser, aggressiver, alter Penner, in ihren Augen, wie jeder Mann, mit dem ihre Mutter zusammen war. Von ihm war
sie viel gewohnt, aber das, was an ihrem vierzehnten Geburtstag geschah, glaubte sie selber nicht.
Am Abend ihres Geburtstags kam er, als ihre Mutter schon schlief, in ihr Zimmer. Sie hört noch seine Worte in ihrem Kopf: „Ich bin jetzt nicht mehr zu alt für dich!“ Dann legte er sich zu ihr ins Bett und vergewaltigte sie. Janine betete und hoffte, es würde bald vorbei sein und er würde nie mehr kommen. Doch er kam daraufhin jede Nacht. Als sie ihn fragte warum, antwortete er nur: „Du musst mir geben, was mir deine Mama nicht mehr geben kann.“
Bald darauf merkte sie, dass sie
schwanger war. Und zwar von ihrem Stiefvater. Ein anderer kam nicht in Frage. Das durfte aber keiner mitbekommen. Wie hätte sie ihrer Mutter das erklären sollen? Wie hätte sie die Schläge des Stiefvaters aushalten sollen? Er hätte sie rausgeschmissen! Und wo hätte sie denn hin sollen? Eigentlich sind Freunde dafür da, einem zuzuhören und zu helfen, doch sie hatte keine zu dieser Zeit.
Als sie im neunten Monat schwanger war, stand sie gerade vorm Haus ihrer Mutter, als die Wehen begannen. Schnell rannte sie die Treppe hinunter, in den Keller ihrer Mutter. Zwischen Spinnweben und Kartons brachte sie
einen wunderschönen Jungen auf die Welt. Das Baby auf ihrem Schoß, dachte sie nach, was sie machen sollte. Sie wusste es nicht. Tränen der Freude rannten über ihre Wangen, weil der Kleine so süß war und sie ihn sehr liebte, andererseits weinte sie, denn sie wusste, sie konnte ihn nicht behalten. Nicht einmal nach Hause gehen konnte sie. Die Angst vor ihrem Stiefvater war zu groß, deshalb blieb sie erst einmal einen Moment draußen stehen. Doch dann kam ihr eine Idee. Sie legte das Baby vor die Kirche. Dann lief sie weg. Ein paar Meter entfernt, drehte sie sich um und schaute ein letztes Mal zu ihrem Kind. Unter Tränen ging sie nach Hause.
Und nun steht sie hier, weinend. Sie bereut es, ihr Baby weggegeben zu haben. Glücklich konnte sie nicht werden, denn sie schämte sich für ihre Vergangenheit. Immer wieder dachte sie, ihr Leben sei verkackt. Weil sie damals vergewaltigt wurde, kam sie nicht klar. Ihr Stiefvater hat sie entehrt. Ihr Leben war für Janine nicht mal mehr einen Cent wert.
Sie kämpfte bis zum Schluss, doch sie wusste, dass sie all dem jetzt ein Ende setzen muss. Und dann erinnert sie sich zurück an ihr Kind. Sie weiß nicht weiter, stellt sich einfach auf die Brücke und...