7. Szene
Medusa. Poseidon.
MEDUSA. Alles schön und gut, liebe Schwestern, aber ihr habt den Wert von wahrer Schönheit nie selbst am eigenen Leibe erlebt. Wie schön es ist, von männlichen Wesen umworben zu werden, obwohl man sich der kriegerischen Göttin versprochen hat.
Poseidon erhebt sich aus dem fliessenden Wasser und schreitet auf Medusa zu, die ihn mit ungläubigen Blicken
beschenkt.
MEDUSA. Beim schrecklichen Perseus!
POSEIDON. Noch immer wär‘ es mir lieber, wenn du mich Poseidon nennest. Ich, der Gott des mächtigen Meeres, verachte diesen von Hochmut getriebenen Perseus. Ihm und meiner falschen Nichte ist es anzurechnen, dass du beinahe dein Leben und das deiner beiden Söhne verlorst.
MEDUSA. (nachdem sie ihre Stimme wieder gefunden.) Ach! Jetzt scheinst du dich wieder um mich zu sorgen? Warte! DU warst derjenige, der mich einst in
diese missliche Lage brachte! Dir lege ich genauso viel zur Last wie dieser Schutzgöttin von Athen. DU warst es, der mich vor den Altären der Athene geschändet und sein göttliches Gift in mich gespritzt hat.
DIR habe ich die furchtbaren Schmerzen zu verdanken, die mir der grausame Perseus zugefügte.
POSEIDON. Meine liebe Schreckliche. Trägst du mir dies nach all den Jahren noch nach? Lass mich doch deine zarten Wangen berühren. Ja, sie sind in der Tat die Schönsten, die ich je zu berühren vermochte. Selbst die der Aphrodite lassen sich mit deinen nicht
vergleichen.
MEDUSA. (indem sie zurückweicht.) Lass mich! Nimm deine lüsternen Finger da weg! Oder ich bitte meine Liebsten, dich zu beissen!
POSEIDON. Du würdest es nicht wagen. Selbst wenn ich meinen Dreizack nicht drohend auf dich richtete!
MEDUSA. Oh doch! Was hätte ich schon zu verlieren?
Poseidon schweigt.
MEDUSA. Siehst du! Selbst der Bruder
des Zeus und des Hades vermag nicht alle Fragen zu beantworten.
POSEIDON. Schweig! Andernfalls wird deine gespaltene Zunge bald mein Handgelenk zieren!
MEDUSA. Nichts als leere Drohungen.
POSEIDON. Von wegen!
MEDUSA. Behandle mich nicht wie einen Menschen! Ich bin genauso eine Gottheit wie du, wenn ich auch nicht so viel Macht besitze. (nunmehr traurig) So behandle du mich wenigstens wie eine göttliche Frau, und nicht wie ein
schreckliches Ungeheuer.
POSEIDON. Verlange nicht das Unmögliche von mir!
MEDUSA. Dann also auch du? Lässt auch du mir im Stich wie alle anderen olympischen Götter? Dein abgewandter Blick sagt mir alles. So sei es denn. Lasst mich doch alle allein!
POSEIDON. Medusa…
MEDUSA. Nein, Poseidon! Ich habe es ein für alle Mal satt. Warum werde ich so anders behandelt als die furchterregende Hydra oder das
Meeresungeheuer Skylla? Was unterscheidet die beiden von mir?
POSEIDON. Das vermag ich dir nicht zu sagen, aber…
MEDUSA. Was aber? Ihr Götter seid doch alle gleich! Selbstverliebt, arrogant und euch ist es vollkommen gleichgültig, wenn irdische Wesen schrecklichste Qualen ertragen müssen.
POSEIDON. Bitte weine nicht.
MEDUSA. Ich tue, was mir beliebt. Als nächstes kehre ich dir den Rücken zu und verschwinde im Sumpfwald, wo
bösartige Ungeheuer wie ich wohl hingehören.
Medusa verschwindet im Wald.
POSEIDON. Was habe ich bloss getan?
Auch Poseidon verlässt diesen Ort durch das Wasser.
© by Aquilifer