vorwort
Dies sind die Weihnachtserinnerungen einer Teilnehmerin an unserem Ikonenmalkurs 1984. Sie stammte aus diesem kleinen Dorf. Leider konnte ich den Kontakt zu ihr nicht halten, doch diese Geschichte habe ich mir aufgehoben.
Ich veröffentliche diesen Text hier, verbunden mit den allerschönsten Erinnerungen an unsere vielen Weihnachtsfeiern im Ikonenmalkurs der VHS Emmendingen, an die netten Teilnehmer und besonders an unsere verehrte Mallehrerin .
Es war einmal ...
Eine Weihnachtsgeschichte
Es fängt an wie alle Geschichten und Märchen: Es war einmal…
Es war einmal ein kleines Dorf in der östlichsten Ecke der Tschechoslowakei. Berghügel der Karpaten umrahmten es wie eine Kette. Die Häuschen waren niedrig gebaut, und ihre kleinen Fenster ruhten in geschnitzten Holzrahmen.
Unser Haus beherbergte unter seinem Strohdach vorne die Wohn- und Wirtschaftsräume, dann die Vorratsräume und anschließend den Stall mit Kühen und Pferden. Im großen Obstgarten, der das Haus
umgab, stand der Hühner- und der Schweinestall. Im Dezember lag meistens schon Schnee, das freute uns Kinder, aber es erschwerte die Arbeit der Erwachsenen, wenn sie die Tiere versorgten.
Weihnachten! Wir Kinder konnten den schönsten Tag des Jahres kaum erwarten. Für uns war das der „Heilige Abend“, so heißt er in Deutschland, aber in der Tschechoslowakei heißt er „Gabenreicher Abend“. Überall roch es nach frischem Brot, Weihnachtskuchen und Vanille.
Die Großmutter und die Mutter hatten mit Kochen und Backen alle Hände voll zu tun.
Der Vater ging in den Wald um dafür zu sorgen, dass auch die Futterstellen der Tiere reichlich gefüllt seien und um eine Tanne als
Weihnachtsbaum aus zu suchen – das war für uns Kinder das Allerwichtigste.
Der Großvater war mit geheimnisvollen Dingen beschäftigt: er nahm einen Rest vom Kuchenteig, ging in den Obstgarten und malte auf jeden Obstbaum ein Kreuz. Dies tat er, damit die Obsternte auch im neuen Jahr „gabenreich“ sei.
War der Weihnachtskuchen fertig gebacken und abgekühlt, brach der Großvater ein Stück davon ab, ging in den Stall und gab jedem Tier ein kleines Stückchen. So erbat er für alles Lebende den himmlischen Segen.
Als am Nachmittag der Tannenbaum im Ständer befestigt war, durften wir Kinder ihn schmücken mit bunten Nüssen, Äpfeln, Strohsternen und mit in Seidenpapier
eingewickelten Zuckerstückchen. Die Mutter und die Großmutter deckten den Tisch mit allerlei Leckereien.
Unter den Tisch stellte der Großvater Schüsseln mit verschiedenen Getreidesorten, damit auch die Kornernte gabenreich ausfiele.
Nach dem Gebet aßen wir das Abendbrot und freuten uns auf die Bescherung. Endlich durften wir Kinder aufstehen und die Geschenke holen, die der Vater in einem unbemerkten Augenblick hingelegt hatte. Das waren keine gekauften Geschenke, und sie waren auch nicht in Geschenkpapier verpackt, trotzdem waren es die schönsten Geschenke der Welt. Für meine Schwester und mich waren es Puppen aus einem
Stückchen Holz geschnitzt, mit roten Bäckchen und großen Punktaugen, eingewickelt in ein Dreiecktuch. Für meinen Bruder ein kleines Holzpferd vor einem Holzwagen. Die Puppen lachten uns gleich an, und das Pferd nickte fröhlich.
Nachdem wir unsere Schätze fest in den Armen hielten, setzten wir uns wieder an den Tisch und beobachteten neugierig die Großmutter. Sie nahm einen Apfel und erklärte feierlich, dass sie jetzt schauen werde, ob wir auch im nächsten Jahr gesund und zusammen bleiben würden. Sie teilte den Apfel quer durch und legte die beiden Hälften so auseinander, dass das Kerngehäuse sichtbar wurde. Mit strahlendem Gesicht sagte sie, wir würden wohl zusammen
bleiben, weil die Apfelkerne einen Stern und kein Kreuz gebildet hätten.
So beruhigt sangen wir Weihnachtslieder und schliefen dann zufrieden ein.