Bäume
Es geht natürlich, wen wundert es noch, um die Weihnachtsbäume, die uns alljährlich neu beschäftigen und erstaunen.
Früher waren sie billig und stachelig. Man kannte nur Fichten oder Kiefern, zumindest im Osten. Natürlich hatte jede Familie einen Baum. Ohne ihn? Das ging gar nicht. Der Familienvater musste ihn beschaffen und auch in den Ständer bringen. Bei uns war auch das Schmücken Papas Arbeit, eine undankbare, wie sich oft herausstellte. Er trug es mit Fassung.
Das Angebot der Weihnachtsbäume war, wenn man erst einen Tag vor Weihnachten los ging, etwas begrenzt. Mein Vater war aber ein geübter Baumhersteller und wusste wie man es machte. Er kaufte zwei Bäume! Einer
immer hässlicher als der andere. Dennoch war diese Entscheidung äußerst pfiffig, weil er nämlich aus diesen zwei hässlichen einen weniger hässlichen Baum zauberte. Das geschah am 24. Dezember nach dem Frühstück auf der Terrasse bzw. ganz früher auf dem Balkon. Er sägte mit einem Fuchsschwanz Äste ab und bohrte in den Stamm des erkorenen Mutterweihnachtsbaumes Löcher, die die abgesägten Äste aufnahmen. So wurde manche Lücke geschlossen. Das Monster musste noch in den Ständer operiert werden, was mit diversen Holzkeilen und Flüchen, Splitter in die armen Papahände einreißen, schließlich
mehr oder weniger gerade erreicht wurde.
Papa war inzwischen etwas durchgefroren, brachte aber stolz und zufrieden den Baum ins Zimmer. Der Standort des Baumes wurde bereits vorher mit Mutti ausgehandelt und durch sie präpariert, wegen der Nadeln und der tropfenden Kerzen. Auf der Schachtel stand allerdings „nicht tropfend“, was man besser nicht glaubte. Papa fand den Baum schön, die Familie war skeptisch. Ganz früher durften die Kinder den Baum vorher gar nicht sehen. Man wurde des Weihnachtszimmers verwiesen und musste warten bis abends endlich ein
Glöckchen bimmelte.
Papa brachte nun die Kerzenhalter an und bemühte sich die Kerzen gerade zu montieren. Das war schwer. Es gab verschiedene Halter, einige zwickten in die Äste, andere hatten lange Blechpieker mit Gewinde, die man in den Stamm bohren musste. Das war gefährlich und erschütterte den handgefertigten Baum. Manchmal fiel ein Ast wieder aus seinem Loch, dann fluchte Papa. Einmal fiel der ganze Baum mit Papa um, weil Papa so stark und fest den Kerzenhalter rein drehte. In dem Jahr kam die Bescherung etwas später.
Ein paar Worte noch zum Lametta. Ich
nehme es vorweg: es war die Pest! Schlimmer noch als Osterstroh! Mein Vater war allerdings ein Vertreter pro Lametta. Es war kein Bleilametta, sondern aus Alu und verkrumpelte schon beim Herausnehmen aus der Packung. Es wäre ja symbolischer Schnee, meinte Papa und legte dicke Klumpen auf die Äste, nachdem er total bunte kleine Kugeln überall angebracht hatte. Manche hatten keine Aufhängung mehr, aber da half ein abgebrochenes Streichhölzchen mit einem Zwirnsfaden. Man steckt es ins Loch, es stellt sich quer, und schon kann man die Kugel wieder aufhängen. Und zum Schluss die Krönung: Wunderkerzen! Sie wurden an
die Äste gehängt und wenn es soweit war, dann zündete er sie an. Also nicht die Äste, nur die Kerzen und eben die Wunderkerzen, die so manches kleine Loch in den Teppich fraßen. Der Baum war ein funkensprühendes Wunder. Wir standen davor und waren in dem Augenblick sehr ergriffen. Papa lächelte in seinem schwarzen Anzug und der goldenen Krawatte; glücklich, dass er es wieder erreichte, so einen schönen Baum zu erschaffen.
Die Kerzen tropften, der Baum nadelte schon am ersten Tag, aber es roch nach Weihnachten. Danach kam das Chaos: die Familie im Auspackrausch, dazwischen der Hund nahe am Wahnsinn.
Das war Weihnachten wie es weint und lacht.
Später, als ich das erste Mal verheiratet war und fern der Heimat im Sachsenland lebte, war ich für den Baum zuständig. Natürlich konnte ich es handwerklich nicht so gut wie Papa, aber ich wusste die kahlen Stellen auch gut zu kaschieren. Ich ließ das Lametta lang hängen, denn ich wünschte mir von meiner Westverwandtschaft Bleilametta. Man konnte dieses sogar für das nächste Weihnachten aufbewahren. Ich bügelte auch das schmucke West-Einwickelpapier, um es noch einmal verwenden zu können. Und inzwischen hatte man schon elektrische
Lichter am Baum, das war der Fortschritt. Soweit so gut. Ich platzierte den Baum auf einem Teewagen, damit man ihn, bei Bedarf etwas beiseite schieben konnte, nämlich, wenn Schwiegereltern zum heiligen Abend kamen. Wir hatten wenig Platz und nach der Bescherung begehrten die Männer ein weltliches aber geistiges Getränk. Mein Schwiegervater öffnete sein Weihnachtsgeschenk, weil der angebotene Wein ihm nicht geistig genug erschien. Die Männer tranken auf die Versöhnung, auf das Christkind, den Weihnachtsmann und auch auf das Jesulein, sie tranken auf Josef und Maria
und auf die Könige bis mein Mann und mein Schwiegervater endlich auch einmal einen Wagen schieben wollten, wir waren zu dem Zeitpunkt noch ohne Kinderwagen. Es kamen ja noch keine Kinderlein zu uns. Der Teewagen bot sich an. Der Baum fiel schon nach einem Meter, meine Schwiegermutter hielt sich die Augen zu, ich stürzte zum Baum, um die Kugeln zu retten und hatte stattdessen eine blutige Hand. Die Lichter gingen aus. Damit war der heilige Abend beendet.
In meiner zweiten Ehe, es waren inzwischen auch zwei Kinder dabei, feierten wir den zweiten Weihnachtsfeiertag mit unseren
Freunden, die unter uns wohnten. Die Kinder spielten in ihren Zimmern, gut versorgt mit neuem Spielzeug und einem ansehnlichen bunten Teller.
Der Tisch war reichlich gedeckt, keiner war betrunken, das Gespräch pausierte. Es herrschte eine erholsame, weihnachtliche Stille kann man sagen, bis der Baum quasi geflogen kam. Er war scheinbar leicht übergewichtig, was ja vorkommen kann. Wir saßen alle ziemlich vollgefressen auf dem Sofa und waren nicht fähig, schnell genug den Sturz zu verhindern, so sauste der große Baum in seiner ganzen Pracht mitten ins Zimmer und nahm dabei etliches an Gläsern vom Tische mit.
Unsere Nachbarn lachten herzlich, denn sie hatten viel Humor. Mein Mann meinte, dass er nun erkannt hat, dass man so einen großen Baum besser mit einem kleinen Seil hinten sichern sollte. Ich hatte es vorgeschlagen, als e r den Baum fertig machte. In seiner Familie mache das immer der Mann. Dagegen war ja nichts einzuwenden. Ich solle mich also gefälligst raus halten, was ich bedauerlicherweise auch tat. So kam ein Baum geflogen, ganz zur Erheiterung unseres Besuches und zur Erkenntnisgewinnung meines Mannes.
Heute haben wir eine schöne Nordmanntanne, eine kleine nur, und ich werde sie schmücken. Mein Mann bringt
sie zum sicheren Stehen. Hoffentlich! Falls aber der Baum fällt, dann werde ich auch lachen und ihn in aller Ruhe wieder aufrichten.