Kurzgeschichte
Jahreszeiten

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"Jahreszeiten"
Veröffentlicht am 14. Dezember 2013, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Jahreszeiten

Jahreszeiten

JAhreszeiten

Darian klopfte sich den Schnee von seinem Mantel. Es war ein guter Tag gewesen. Es schneite zwar stark, aber der bitterkalte Wind war heute ausgeblieben, der ihn die eisigen Temperaturen im Gesicht noch kälter spüren ließ. Seinen achtundzwanzigsten Geburtstag feierte er heute. Er hatte gerade seine Eltern besucht, so wie es der Brauch vorschrieb. Das Kind bedankt sich am Geburtstag bei seinen Eltern dafür, dass sie ihm das Leben geschenkt hatten und so hatte er es auch jedes Jahr getan. Er tat es gerne, es war keine Pflicht für ihn. Er saß mit ihnen dann am Feuer und sie erzählten Begebenheiten aus seiner Jugend und natürlich von der Zeit, als er noch nicht geboren war.


Damals gab es noch Jahreszeiten, der kalte Winter wurde durch den warmen Frühling abgelöst, der selbst dann immer heißer wurde

und schließlich in den Sommer mündete. Es gab Seen, in denen man baden konnte, Flüsse, die mit einem Boot beschifft, auf denen Waren von weit entfernten Städten herangeschafft wurden. Sie erzählten von dem Herbst, der zunächst die Wälder in ein Meer von Farben tauchten, um sie dann karg dem Winter zu überlassen, damit er seine Schneedecke über sie ausbreiten und die Eiszapfen an die Äste heften konnte.


Früher wurden die Kinder immer in das Frühjahr hineingeboren, erzählen sie, doch bei ihm war das nicht so. Damals, als er geboren wurde, blieb der Frühling aus. Etwas hatte sich vor die Sonne geschoben. Seine Eltern erzählten, dass sie es zunächst kaum wahrgenommen hatten. Der Frühling davor war schon viel kühler gewesen, nur mit Mühe hatte er den Winter verdrängen können. Der Sommer brachte nicht mehr die Wärme für eine gute Ernte, es wurde zunehmend dunkler. Das, was

sich vor die Sonne schob, wurde nun deutlich sichtbar. Die Blätter fielen in dem Jahr vor seiner Geburt sehr früh und sie waren noch nicht alle gefallen, da begann es schon zu schneien. Die Nächte wurden länger und die Tage dunkler, die Temperaturen fielen, und stiegen nach dem Winter nicht mehr an. Die Nächte wurden im Frühjahr zwar wieder kürzer und die Tage länger, jedoch nur noch die Hälfte der Sonne war zu sehen. Ihre Kraft reichte nicht mehr aus, um den Schnee wegzuschmelzen, damit das Sonnenlicht wieder das Graß erreichen konnte. In diesem Frühjahr wurde er geboren, seine Eltern glaubten damals noch, dass es bald wieder wärmer werden würde, doch es wurde von Jahr zu Jahr immer kälter, die Schneedecke wurde immer höher. Nach einigen Jahren stabilisierten sich die Temperaturen und die Sonne verfinsterte sich nicht weiter.


Darian gehörte zu den Winterkindern, so

wurden die Kinder, die noch nie einen Sommer gesehen hatten, von ihren Eltern genannt. Das Leben war hart geworden für alle, die in ihrer Welt lebten. Die Temperaturen stiegen in den Sommern nicht über zwanzig Grad unter null, die Flüsse und Seen wurden in ewiges Eis verwandelt. Die Winter waren besonders hart und kalt. Es gab kaum einen Tag, an dem das Thermometer über die minus Fünfziggrad-Grenze kletterte. Das Gemüse wuchs nur noch innerhalb der Häuser. Lediglich in den Sommermonaten konnte der besonders frostresistente Wintersalat angebaut werden. Fische gab es nur noch in den ersten Jahren, dann wurde die Eisschicht auf den Flüssen und Seen so dick, dass sie undurchdringbar wurde.


Doch seit einigen Jahren wurde die Kraft der Sonne wieder stärker, die Tage wurden heller. Nicht sehr viel und nur sehr langsam, aber er konnte es spüren. Es gab nicht sehr viele

Winterkinder, er zählte zu den ältesten, nach ihm wurden noch einige wenige geboren. Dass welche geboren wurden, lag nun schon über zwanzig Jahre zurück, es waren jedoch zu wenige, um das Leben im Dorf zu halten. Zu viele starben und zu wenige wurden geboren. Seine Frau war ebenfalls ein Winterkind, zwei Jahre jünger als er. Darian hatte sie zu sich genommen, als ihre Eltern starben. Jahrelang lebte sie bei ihm, dann wurde mehr daraus. Sie bekundeten vor einem Jahr seinen Eltern, dass sie jetzt ihr Leben gemeinsam verbringen würden. Das ganze Dorf freute sich mit ihnen und zu ihrem Bekenntnis erhielten sie eine bedeutende Menge des seltenen Brennholzes geschenkt. Darian und seine Frau beschlossen, das Holz für einen besonderen Moment, gut aufzubewahren.


Heute war dieser Tag. Darian hatte seine Frau davon überzeugt, dass es bald wieder einen

Frühling geben würde, der die Kraft hatte, das Eis und den Schnee zu schmelzen, der den Flüssen wieder Leben gab, der die Seen öffnete, damit sie im Sommer darin baden konnten, baden gemeinsam mit ihrem Kind. Heute würden sie mit dem aufgesparten Brennholz ihr Schlafzimmer so warm machen, dass sie zum ersten Mal ohne Kleidung nebeneinanderliegen und ein Kind zeugen konnten. Ein Kind, dass im Winter geboren würde, aber bald den Frühling sehen, einen warmen Sommer erleben durfte, das draußen ohne Kleidung spielen und es sich, wenn es ihm zu warm wurde, durch einen Sprung in den See abkühlen konnte. Vielleicht erlebte seine Tochter oder sein Sohn das nicht mehr als Kind, aber Darian und seine Frau hofften, dass sie dem jungen Mann oder der jungen Frau dabei noch zusehen konnten.


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hajo
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