Meine Geschichte handelt von einem kleinen Mädchen. Ein Mädchen namens Jaqueline.
Doch da aber auch alle(!) Schackeline zu ihr sagten, (und zwar genau so, wie es hier geschrieben steht!) wollen auch wir sie so nennen.
Schackeline war klein und mager, meist etwas blass um die Nase, aber das soll uns nicht stören. Schackeline konnte nämlich etwas ganz besonderes, und davon möchte ich heute erzählen.
Gemeinsam mit ihrer Oma Lolle, also eigentlich Oma Isolde, aber alle nannten sie stets Oma Lolle, begab sie sich in einen Konsumtempel, wie er märchenhafter nicht hätte glitzern und leuchten können.
Das Mädchen wusste nicht so recht, was sie hier wollten, doch als sie die vielen Menschen sah, die scheinbar alle das gleiche suchten wie sie und ihre Oma Lolle, wurde sie sich der Wichtigkeit dieser Aktion bewusst.
Eigentlich wäre sie viel lieber mit Oma auf der Couch sitzen geblieben und hätte eine Bommel nach der anderen gepuzzelt, während Oma Lolle hübsche Strümpfe für sie strickte. Doch es war, wie es sein musste und gemeinsam würden sie auch dieses Abenteuer überstehen.
Ein rotes Gewand schwebte auf die beiden zu. Zwischen Mütze und Mantel starrten zwei stechende Augen durch die Löcher einer gruseligen Maske zu Schackeline hinunter.
Der rotbetuchte bärtige Mann drückte dem verängstigten Mädchen eine Broschüre in die Hand. In seinem Schatten befand sich ein unscheinbarer
und ungepflegter Knecht, der scheinbar nicht viel gegen den roten Riesen ausrichten konnte.
Zur Sicherheit trug er eine Rute bei sich, von der er aber keinen Gebrauch machte.
Ehe sich die Kleine von ihrem Schreck erholen konnte, waren die beiden Männer auch schon in dem Getümmel verschwunden.
Oma Lolle nahm die Broschüre in die Hand, setzte ihre Brille auf und las, gerade so laut, dass Schackeline sie hören konnte, vor, was auf diesem sehr bunten Zettel stand.
Es ging um drei goldene Haselnüsse, die sie und ihre Oma finden sollten.
Wenn ihnen das gelänge, und zwar bis die große Sanduhr am Eingang Süd dreimal durchgelaufen sei, hätten sie einen Preis gewonnen.
Doch wann war das? Schackeline sah ihre Oma fragend an. Die alte Dame zuckte mit den Schultern. Es stand wohl in dem Kleingedruckten. Doch dafür war Oma Lolles Brille zu schwach.
Die beiden entschlossen sich, die Augen offen zu halten. Und wenn es ihnen gelang, würden sie sich sehr freuen.
Etwas zischte an ihren Köpfen vorbei. Erschreckt zog Oma Lolle den Kopf ein. „Huch!“, entfuhr es ihr. Da flogen kleine Spatzen durch die Menschenmassen. Sie überwinterten wohl hier.
Schackeline fand sie sehr hübsch, auch wenn es keine Tauben waren.
Wohl ein wenig aufgeregt flatterte eines dieser Tierchen gegen die große Schaufensterscheibe.
Schackeline folgte dem lauten Knall und da schaute sie ungläubig genauer hin.
Goldene Sterne prangten in dem Fenster. Und zwischen kleinen Kartönchen und
hübschen Flacons lagen sie: die drei goldenen Haselnüsse!
Das kleine Mädchen zupfte an ihrer Oma und zeigte aufgeregt mit dem Finger darauf.
Eine Frau, die ihr schreiendes Töchterchen hinter sich her zog, übersah Oma Lolle und rannte sie geradewegs um.
Schackeline versuchte noch, ihre Oma zu stützen, doch die landete auf ihrem Hosenboden.
Wie durch ein Wunder hörte das Töchterchen auf zu schreien.
Stumm und schockiert sahen die beiden auf Oma Lolle hinunter.
Die rückte erstmal ihre Brille gerade.
Die rotbemantelte Maske eilte zur Hilfe. Der Mann lüftete sein Gesicht und sah garnicht mehr zum Fürchten aus.
Er half Oma Lolle auf die Füße und erkundigte sich nach ihrem Befinden.
Mutter und Töchterchen waren derweil weiter gerannt.
Oma Lolle beteuerte, dass sie mit dem Schrecken davon gekommen sei und fragte außerdem noch nach dem Eingang Süd.
Der befände sich am anderen Ende, meinte der Mann mit gedämpfter Stimme, denn er hatte die gruselige Maske wieder über sein freundliches Gesicht geschoben.
Liebliche Kinderstimmen sangen glockengleich Weihnachtslieder durch die Lautsprecheranlage.
Doch niemand schien das in diesem Wirrwarr von Geräuschen mitzubekommen.
Durch die Hektik der Eiligen sah Oma Lolle ihre Enkelin aufmerksam an:
„Wollen wir uns den Gewinn abholen?“
Schakeline sah sich um.
Sie hatten bisher nur wenige Schritte zurückgelegt und sie fühlte sich bereits so müde. Resigniert zuckte sie mit den Schultern.
„Lass uns erst einmal neue Wolle kaufen, dafür sind wir schließlich hierher gefahren“, meinte die Oma zu dem Mädchen, nahm die Kleine bei der Hand und arbeitete sich mühsam durch die Menge.
Bei den Worten „neue Wolle“ schöpfte Schackeline erneut Energie und nahm sich
vor, nicht quengelig und auch nicht müde zu sein.
Große Taschen und eilige Leute stießen sie an. Schackeline hätte schreien mögen, doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie wusste, dass es Oma Lolle nicht besser ging und war sehr erleichtert, als ihre Oma sie in einen Laden zog.
Hier war es ruhig und leer. Niemand schien Wolle kaufen zu wollen, außer ihnen beiden. Und das war gut so.
Zumindest für Schackeline und ihre Oma. Die Frau Verkäuferin hatte vielleicht andere Wünsche.
Dennoch freute sie sich über ihre neuen Kunden und gab sich die tollste Mühe, die schönsten und buntesten Knäule hervorzuholen.
Und dann sah Schackeline unter der Glasscheibe etwas leuchten.
Aufgeregt zupfte sie an ihrer Oma und deutete auf die drei goldenen Bommeln. Glitzernd und schön, so ebenmäßig wie sie es selbst noch nie hinbekommen hatte.
„Die sind ja wunderschön!“, meinte Oma Lolle zu Schackeline gewandt. Die Kleine nickte mit leuchtenden Augen.
Die Frau Verkäuferin beobachtete die beiden still.
Oma suchte Wolle aus.
Und Schackeline suchte ebenfalls Wolle aus.
Der Weg und der Aufwand sollte sich schließlich lohnen.
Als dann sämtliche Knäule in der Tüte verschwunden waren, zwinkerte die Frau Verkäuferin der Kleinen zu und steckte die drei goldenen Bommel ebenfalls in eine sehr kleine Tüte.
Ordentlich faltete sie die Öffnung zweimal um und reichte sie dem kleinen Mädchen.
Oma Lolle strich ihrer Kleinen mit breitem Lächeln und funkelnden Augen über die Haare.
Schackeline sagte ganz schüchtern und leise, aber sehr glücklich: „Dankeschön.“
In ihr stieg eine große Hitze auf und sie merkte, wie ihre Wangen glühten. So sehr freute sie sich.
Als sie vor der Ladentür standen fragte Oma Lolle ihre Enkelin: „Und jetzt?“
„Am besten nach Hause“, antwortete Schackeline aufgeregt, die kleine Tüte an ihre Brust gepresst und steuerte schon auf den Ausgang zu.
Nichts war mehr so schlimm wie vorher. Es war geschafft und die wunderschönen goldenen Bommeln schienen das Mädchen verzaubert zu haben.
Wie in einem endlosen Reigen flitzten die Leute um sie herum.
Die Lautsprecher schienen zu beben unter den durchdringenden Durchsagen, die Falschparker dazu aufrief, bitte zu ihren Autos zu kommen.
Sie freute sich bereits auf das beruhigende Klappern von Oma Lolles Stricknadeln und vergaß so alles um sich herum.
Als die beiden den Konsumtempel verließen hob die rotbetuchte Maske zum Gruß die Hand und verschwand schnell wieder in der Menge.
Schackeline fühlte sich großartig. Sie durfte mit Oma nach Hause fahren.
Die eiligen Leute mussten weiter über die Gänge jagen und der Mann mit der gruseligen Maske verteilte weiterhin seine bunten Zettel.
Ja, unsere Schackeline war schon etwas ganz besonderes.
Niemand - aber auch garniemand konnte sich so sehr freuen wie sie.