Es klingelte, mit Besuch hatte er eigentlich nicht gerechnet, obwohl sein Geburtstag war.
Er rückte seine schwarze, riesige Brille zurecht, von der alle sagten, es wäre eine Nerd-Brille und sie würde ihm so gut stehen.
Was er sich dann heimlich fragte, interessierte sie nicht. Ein Nerd, dachte er oft, ist unbeliebt und hat keine Freunde.
So rechnete er auch nicht wirklich mit Besuch für ihn, seine beste Freundin hatte sich ein halbes Jahr nicht gemeldet und es würde wohl eher Besuch für seine Mutter sein, die regen Kontakt zu den Nachbarn
pflegte.
Er schlich mehr, als er ging zur Tür und öffnete sie langsam, so als hoffe er doch noch insgeheim auf einen seiner großtönigen Freunde, die ihn dann doch nicht heute besucht hatten.
Es war schon spät und draußen dunkel. Fast hätte er sie nicht erkannt, was aber nicht nur an der rabenschwarzen Nacht lag.
Sie hatte eine neue Frisur und die kürzeren Locken ließen sie noch unschuldiger und zerbrechlicher wirken. Sie hatte leichte Pausbacken bekommen und ihre braunen Augen schimmerten etwas glasig. Ihm schien es als sei sie noch schöner
geworden.
„Tabea?“, er wunderte sich selber darüber, dass er die ersten Worte fand.
„Ja, ich. Ich wollte dir gratulieren.“
„Komm rein“, seine Worte klingen hohl und irgendwie kann er es nicht glauben, dass sie wieder da ist. Nach über einem halben Jahr.
„Wir haben uns lange nicht gesehen“, schneidet er vorsichtig an, als sie schließlich in seinem Zimmer sitzen.
Die ganze obere Etage gehört ihm. Niemand wird uns stören, denkt er, und sofort ist er verschämt darüber was dieser Gedanke in seinem Kopf soll. Nicht noch einmal der gleiche Fehler. Ganz fern kann er die Mutter in der
Küche spülen hören, so leise ist es.
„Du hast mich verletzt“, sagt sie schließlich.
Ja, das hatte er. Auf den Kopf hatte er ihr zugesagt sie würde sich verstellen. Dieses aufgesetzte Lächeln, als sie noch Arbeitskollegen waren, konnte er nicht mehr ertragen. Er wollte, dass sie ehrlich zu sich selber war. Zu ihren Gefühlen stand und niemandem, schon gar nicht sich selber etwas vormachte.
Schauspieler! So hatte er sie genannt. Er hätte wissen müssen, das diese Worte zu hart für sie waren.
Die Wahrheit muss man schön in Geschenkpapier verpacken, damit wenigstens etwas schönes an ihr ist.
Dieser schrecklichen hässlichen Wahrheit.
„Ich weiß“, ist das einzige was er jetzt sagt. Schnell schiebt er „ Entschuldige bitte“ hinterher.
„Mir tut es auch leid, mich so lange nicht gemeldet zu haben.“ Ihre Stimme ist sanft, er weiß, dass sie schnell kippen kann. Er weiß, wie zart sie ist, wie empfindlich. Zart besaitet eben, denkt er liebevoll und streicht etwas gedankenverloren mit der Hand über das weiche Sofa.
„Kilian?“, reißt sie ihn aus seinen Gedanken. „Warum lächelst du?“
„Ich freue mich, dass du wieder zu mir gefunden hast. Wir sind seit drei Jahren
befreundet. Wir sollten wieder Freunde werden. Was hehlst du davon? Die ganze Sache einfach vergessen.“
„Ja“, antwortet sie und legt ihren Kopf auf seine Schulter.
Lange sitzen sie so da und er weiß nicht was er tun soll. Beinahe ist es unangenehm, aber das liegt an den Gedanken.
Den Gedanken daran, wie es weiter gehen soll.
Den Gedanken daran, was passiert wenn Freunde im Bett landen.
Und den Gedanken, wie man eine Beziehung, ja selbst eine Freundschaft mit jemandem führen soll, dem man nicht alles sagen kann, selbst wenn es
schön verpackt ist.
