Biografien & Erinnerungen
Weiß das Christkind, dass ich hier bin?

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"... und noch eine weihnachtliche Kindheitserinnerung"
Veröffentlicht am 09. Dezember 2013, 14 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

1953 wurde ich in Husum geboren. Ich bin an der Nordsee und in Frankfurt aufgewachsen. Meine große Leidenschaft sind die Literatur und das Schreiben. Zahlreiche Gedichte und Geschichten von mir haben in Anthologien und Gemeinschaftsbüchern ihren Platz gefunden. Seit zehn Jahren schreibe ich Romane, von denen bislang sieben veröffentlicht wurden. In meinen Büchern zeichne ich menschliche Grenzsituationen, die immer von einem Funken Hoffnung ...
... und noch eine weihnachtliche Kindheitserinnerung

Weiß das Christkind, dass ich hier bin?

Weiß das Christkind, dass ich hier bin?

Am 24.12.1960 stand abends ein kleines Mädchen draußen im Schnee. Sie hatte ihre Hand ausgestreckt und Schneeflocken fielen sacht hernieder und schmolzen in der warmen Handfläche... Liebe Mama Wie get es dir? Mir get es gut Manchmal auch nicht.Ich vamiss dich. Ich will lieber heim. Es ist kalt hier. Aber du musst nicht traurik sein. Weis das Chriskind das ich hier bin? Viele Grüße deine Enya Dieses Briefchen schrieb ich kurz vor

Weihnachten an meine Mama, wissend, dass ich diesmal beim Fest nicht zu Hause bei ihr sein würde. Ich erinnere nicht mehr allzu viel von dieser Weihnacht, dennoch haben sich Spuren davon – Bilder, Gerüche, Gefühle – in mein Gedächtnis gegraben und tauchen immer wieder auf. Ich war sieben Jahre alt und nach langer schwerer Krankheit und wegen einer nicht heilenden Neurodermitis zur Erholung in ein Kinderheim ins Kleinwalsertal verschickt worden. Damals gab es keine Mutter- und Kindkuren, wie auch die Eltern nicht mit ihren Kindern im Krankenhaus

aufgenommen wurden. Man maß der Trennung keine so große Bedeutung bei wie heute. Für eine vollständige Genesung war mein Aufenthalt für drei Monate geplant, eine lange Zeit für eine Siebenjährige. Ich war das Alleinsein gewohnt, lebte ich doch nur mit meiner Mutter zusammen, die wegen ihrer Arbeit oft lange außer Haus weilte. Schon im ersten Schuljahr war ich nach Schulschluss für mich selbst verantwortlich – eine Art Freiheit, um die mich andere Kinder beneideten, die aber Spuren hinterlassen hat, die nicht so einfach zu bewältigen waren. Weihnachten allerdings hatte ich immer mit Mama gefeiert, auch meine

Großeltern waren oft dabei und es war für mich einfach das schönste Erlebnis im Jahr. Schon die Vorweihnachtszeit bedeutete mir viel. Trotz Arbeit nahm sich meine Mutter jeden Abend Zeit für unser Adventstündchen mit Kerzen, Plätzchen, Gedichten, Geschichten oder Basteln. Nun saß ich in diesem Kindererholungsheim, sollte vernünftig sein – etwas, das meine Kindheit begleitet hat in unterschiedlichster Ausprägung. Richtigen Advent gab es hier nicht. Man hatte im Gemeinschaftsraum einen großen Kranz aufgehängt, abends brannten auch die

Kerzen und wir sangen wohl manchmal, aber mir fehlten natürlich die heimelige Atmosphäre und meine Mama. Es roch nicht weihnachtlich, sondern nach Essen, Küche, saurer Milch, das hat sich mir eingeprägt und ich meine diesen Geruch noch heute herbeiführen zu können. Am meisten freute ich mich an Weihnachten immer auf den Weihnachtsbaum und ich glaubte fest, dass das Christkind ihn bringen und wunderschön schmücken würde. Jetzt hatte ich große Sorge, dass es dieses Jahr auch damit nichts würde. Am Morgen des 24. Dezembers, daran erinnere ich mich noch, hätte ich so gern

mein graues Röckchen und die weiße Spitzenbluse angezogen, aber ich durfte es nicht. Stattdessen steckte ich in der rauen karierten Wollhose. Ich war sehr betrübt und musste immer die Tränen hinunterschlucken. Dabei war mein Aufenthalt in dem Kinderheim nicht nur traurig, es gab auch so viele schöne Momente, die ich tief in mir drin noch erahne, der Schnee, die Berge, das Skifahren, das ich dort lernen durfte, die Gemeinschaft mit den anderen Kindern. Aber das Heimweh spürte ich doch immer wieder. Meine Mutter hatte vorher mit mir darüber gesprochen und wir hatten

beraten, wie ich mit dem Heimweh umgehen solle. „Weißt du Enya“, hatte sie gesagt, „nimm eine Handvoll Schnee und wenn er dann taut, schickst du die Traurigkeit und die Tränen damit weg.“ Es mag ab und an geholfen haben für kleine Momente, aber so oft hätte ich lieber richtig geweint. Doch immer wieder schluckte ich meine Tränen hinunter. Am Heiligen Abend gab es doch einen Weihnachtsbaum, er stand draußen, war groß und viele Kerzen leuchteten und tauchten den Garten in ein schönes Licht. Der Schnee funkelte. Wir Kinder, es

waren an Weihnachten nur noch wenige hier, versammelten uns um diesen Baum und sangen. Es war aber nicht mein Baum und wir alle hatten mitbekommen, dass junge Männer die Kerzen montiert hatten und mein weihnachtlicher Glaube geriet mächtig ins Wanken. Das Christkind wusste eben doch nicht, wo ich war, hatte mich vergessen oder war nicht existent. Später bekamen wir alle einen bunten Teller und ein Päckchen. Von meiner Mutter erfuhr ich viel später, dass den Eltern nur erlaubt war, ein Geschenk zu schicken, damit es keinen Neid und keine Komplikationen gab. Mama hatte mir das

Buch „Die Wurzelkinder“ von Sibylle von Olfers geschickt und ich wurde nicht müde, es anzuschauen und zu lesen. Viel mehr ist mir nicht von diesem Weihnachtsfest in Erinnerung, nur das Gefühl der Traurigkeit, der Einsamkeit, das kann ich bis heute nachfühlen. Zum Glück folgten so viele wunderbare Weihnachtsfeste, die dieses – nicht ganz zwar – aber beinahe ungeschehen machten. Damals am 24.12 1960 schlich sich die kleine Enya abends heimlich hinaus, streckte ihre warme Hand aus. Schneeflocken ließen sich darauf nieder und schmolzen

sofort. Jede so verschwundene Schneeflocke war für Enya ein Stück Traurigkeit, die sie versuchte wegzuschicken. An diesem Abend hätte sie wohl Stunden dort stehen müssen.

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Text und Cover: Enya Kummer

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Über den Autor

Enya2853
1953 wurde ich in Husum geboren. Ich bin an der Nordsee und in Frankfurt aufgewachsen. Meine große Leidenschaft sind die Literatur und das Schreiben. Zahlreiche Gedichte und Geschichten von mir haben in Anthologien und Gemeinschaftsbüchern ihren Platz gefunden. Seit zehn Jahren schreibe ich Romane, von denen bislang sieben veröffentlicht wurden. In meinen Büchern zeichne ich menschliche Grenzsituationen, die immer von einem Funken Hoffnung begleitet werden. Letztes Jahr wurde mein erstes autobiografisches Werk veröffentlicht: Wenn der Raps blüht.
Zurzeit arbeite ich an der Fortsetzung. Arbeitstitel: Storchenjahre.
Ich habe Mathematik, Psychologie und Pädagogik studiert und war im Bildungsbereich tätig.
Inzwischen genieße ich das Rentendasein und die Beschäftigung mit meinen Enkelkindern. Ich bin außerdem als Lektorin und Korrektorin tätig.

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Trollmops Sehr schön geschrieben. Und diese Erinnerung wird auch niemals verblassen.
Ich wünsche dir ein frohes Fest und ein glückliches neues Jahr. Und wenn es wieder schneit, ist jede Schneeflocke ein Stück Zeit, die dir die glücklichen Stunden in Erinnerung bringt, denn die Traurigkeit ist damals mit den anderen geschmolzen.

LG Det
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Guten Morgen, lieber Det,
ganz herzlichen Dank fürs Lesen und deine so lieben Worte.
Ja, du hast recht, die Traurigkeit ist geschmolzen und es gab so viele wunderschöne Weihnachtsfeste. Aber all das gehört zu unseren Erinnerungen, die schönen wie auch die traurigen Momente.
Dir von Herzen schöne Feiertage und alles Gute fürs kommende Jahr.
Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Liebe Enya,
zum Glück gibt es heutzutage andere Erkenntnisse. Dennoch traurig wieviele Menschen solche Erfahrungen machen mussten bis es ein Ende nahm.

Herzliche Grüße
Mari
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Ganz herzlichen Dank, liebe Mari.
Ja, es ist traurig, dies reichte bei uns bis weit in die Siebziger Jahre und es ist inzwischen erwiesen, dass diese "Verschickens-Praktiken" und die Krankenhausaufenthalte ohne Eltern sehr oft seelische, teils körperliche Folgeschäden hatten.

Liebe Grüße und einen schönen Tag.
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
matzetino Ups da war ich ausgeloggt.
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer Liebe Enya
Vieles wurde früher falsch gemacht , aber wir kannten es nicht anders ,
Und das früher, es ist auch heute , der Mensch lernt
Ich kann mitfühlen wie es dir erging , und ich hoffe, du hast dieses gut
Überstanden

Lieben Gruß zu dir Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Lieber Rainer,
die Erinnerungen sind ja Fragmente, es gab auch schöne Momente in dem Heim. Ich habe es gut überstanden. Leider war ich das folgende Jahr Weihnachten im Krankenhaus, das habe ich fast völlig verdrängt.
Ich denke, aus diesen gründen war es mir wichtig, immer ein rundum schönes Fest zu haben.

Herzlichen Dank für alles an dich.
Habe mich über deinenBbesuch gefreut.
Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Entsetzlich traurige Erinnerung, liebe Enya. Diesmal kann ich dir ein paar Trosttaler dalassen. Musste auch diesmal beim Lesen an meinen Krankenhausaufenthalt denken.
Lieben Gruß
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Fleur,
es war schon schlimm, wie man damals mit den Gefühlen der Kinder umging. Heute undenkbar. Deine Krankenhauserfahrung war ja noch heftiger, weil es dir auch noch schkecht ging.
Wir haben es irgendwie weggesteckt, ich weiß nicht, ob ganz versteckt irgendwas geblieben ist - so was wie Verlustangst.
Zum Glück sind diese Erinnerungen seltene. Ich glaube, wenn man es geballlt erlebt hätte, wäre Ausschneiden und Verdrängen die einzige Möglichkeit gewesen.

Danke dir, liebe Fleur.
Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Liebe Enya,

*schnief* Ist das eine traurige Geschichte. Um so trauriger wird sie, weil sie wahr ist.
Auch wenn du die Kur offensichtlich gestärkt überstanden hast, hinterlässt sie bei mir eine tiefe Traurigkeit. Kein Kind sollte so etwas erleben müssen.
Wie gut haben es doch heutzutage die Kinder (und Mütter). Niemand muss allein bleiben, in Situationen, die ohnehin schon traumatisch sind.
Ich war immer gesund, aber mein Bruder musste auch mal zu so einer Kur. Als er wieder abgeholt wurde, hat er vier Tage keine einziges Wort gesprochen. Er war damals vier, heute mit 62 erinnert er sich an nichts mehr (sagte er).

Schade, dass die "jungen" Menschen in unserer Gesellschaft so wenig schätzen, wie gut sie es alle haben.
Ganz liebe ♥Grüße zu dir
Sabine

Vor langer Zeit - Antworten
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