Der Kampf mit dem kühlschrank
... oder vom Winde gequält
Sie war gealtert aber nicht verblödet, sie fühlte sich innerlich noch genauso knusper wie früher. Die Alten, die anderen zwei Alten konnten es ihr nicht austreiben. Die schüttelten nur feixend ihre ergrauten Häupter und hielten sie für reichlich meschugge, bloß weil sie eisern und verbissen den täglichen Kampf mit dem Kühlschrank, der stets die herrlichsten Leckerbissen in sich hatte, auf sich nahm.
Sie wohnte in einer so genannten
Alten-WG. Sie hatte sich dazu entschlossen, um nicht gänzlich zu vereinsamen, außerdem war so das Leben noch bezahlbar. Jede der alten Frauen hatte ein eigenes Zimmer, es gab ein großes gemeinschaftliches Wohnzimmer, eine geräumige Küche und ein akzeptables Bad, eine Extratoilette, falls mal zwei gleichzeitig müssen und eine Terrasse, auf der man im Sommer saß, aß und tratschte. Jede wusste von jeder alles und man half sich untereinander so gut es eben ging. Alles schien bestens zu laufen, wenn nicht die Sache mit dem Kühlschrank wäre.
Junge Frauen reden nur zu gerne über
ihre Linie, sie möchten schlank sein und schlank bleiben. Es wird ihnen das ganze Leben suggeriert, dass dieses unglaubliche Bedeutung hätte. Keiner darf daran deuteln, denn die Schönheit, die Gesundheit, der Erfolg, das Ich-Gefühl (was sich auch immer dahinter verbirgt) würde auf der so genannten schlanken Linie basieren. So wird gehungert, Diäten müssen erprobt werden, man verzichtet auf Gutes und ist deshalb manchmal ziemlich sauer. Immerhin schaffen es die Eisernen dann und wann, von ihren Pfunden erlöst zu werden.
Über die hoffnungslos Drallen, die sich
die Chips und Burger reinhauen, die auf kein süßes Teilchen verzichten, soll hier ausnahmsweise nicht gesprochen werden, obwohl man das nicht oft genug thematisieren sollte. Sie würden vermutlich sowieso jede Ampelkennzeichnung, falls die Lebensmittelindustrie-Lobby dieses jemals zulassen würde, ignorieren. Sie würden ihrer Fresslust immer hemmungslos freien Lauf lassen und sich kaum mit Diäten oder vernünftiger Bewegung quälen und bleiben übergewichtig aber trotzdem selbstbewusst.
Sie allerdings war, wenn der Vergleich
gestattet ist, einer Windhundrasse entsprungen. Das sind diese armen Tiere, die gleich einem Wind, spindeldürr durch die Gegend hetzen. Man fragt sich, ob diese wirklich so sein wollen. Keiner weiß das, doch solche Tiere gelten als edel und genießen hohes Ansehen. Das alles ist den Viechern natürlich egal. Sie denken ans Fressen, ans Rennen, manchmal ans Begatten oder Begattetwerden, der Kampf mit einem Kühlschrank ist ihnen fremd.
Mit anderen Worten sie war von Haus aus mit einer schlanken Linie gesegnet und bediente sich aus dem Kühlschrank
nach Lust und Laune. Der Begriff Kalorie spielte für sie keine Rolle, dafür umso mehr die Winde des Lebens, die ihr stets von vorne ins holde Antlitz wehten, zudem brachten diese unsäglichen Winde selten Gutes mit sich. Sie quälten sie und waren quasi bis zum Schluss ein echtes, fieses Hindernis und das in allen Lebenslagen.
Nun war sie alt geworden und etwas völlig Neues ist in ihr Leben getreten. Der Kampf mit dem Kühlschrank. Das heißt, anfangs war es kein Kampf, denn sie bediente sich ganz hemmungslos wie früher. Die anderen Alten hielten sich auch nicht zurück. Sie kochten und
buken, dass kein Auge trocken blieb und sie schmausten, dass es eine Lust war. Der Begriff Kalorie war ihnen fremd, sie meinten, dass man sich das im Alter ruhig leisten könne. Was hat man denn noch vom Leben, sagten sie lachend und riefen, dass der Kaffee fertig wäre. Natürlich gab es dazu ein Stückchen Kuchen, ohne ginge es gar nicht. Warum auch!
Nun stand sie vor dem Spiegel und bekam die Hose nicht zu!!! Sie hatte fünf Kilo zugenommen. Ein Grund zum Unglücklichsein? Die anderen zwei Alten waren rundlich von Haus aus und schienen damit kein Unglück zu
verbinden. Sie genossen alles, was auf den Tisch kam, plünderten den Kühlschrank, wann ihnen der Sinn danach stand und änderten ihre Konfektionsgröße, wenn’s zu sehr kniff. Damit war ihre Welt wieder in Ordnung. So wäre das Leben, meinten sie und lächelten zufrieden. Mit den Winden jeglicher Natur kämen sie gut zurecht und dabei lachten sie frech. Nein, sie fühlten sich absolut nicht gequält.
Der Kühlschrank war nun ihr Feind, denn er war schuld, dass sie die Hose nicht zu bekam. Die Konfektionsgröße zu ändern kam nicht in Frage. So blieb nur der Kampf auf Gedeih oder Verderb.
Sie trank den Kaffee ohne Kuchen und versagte sich ein leckeres Abendbrot, trank nur Wasser und verzichtete auf ein tägliches Gläschen Wein. Mittags aß sie nur die Hälfte, was zur Folge hatte, dass sie hungrig vom Tische aufstand. Ein bescheidenes Frühstück gönnte sie sich, hatte aber selbst hiernach ein schlechtes Gewissen. Kurz: sie fühlte sich ständig mies. Wütend sah sie auf den dicken in sich glucksenden Kühlschrank, der dastand und zu grinsen schien, genauso wie ihre WG-Freundinnen.
Sie meldete sich in einem Fitness-Studio an, doch der Rücken und das Knie
machten ihr einen Strich durch die Rechnung und begannen zu mosern. Sie versuchte es trotzdem, trotz ihres Alters, von dem sie sich immer noch zu distanzieren trachtete. Rotglühend und völlig erschossen kam sie Zuhause an und stieg auf die Waage. Abgenommen hatte sie nichts, dafür aber zunehmende schlechte Laune. Sie war längst nicht so beleibt wie ihre beiden Freundinnen. Nur ihre Sachen? Nichts passte mehr wirklich.
Was tun? Kann man einen Kühlschrank auf Dauer zum Feind haben? Muss man ständig auf alles Gute verzichten? Die quälenden Winde im Leben wollte sie
eigentlich auch nicht mehr länger aushalten. Sie war nun fast achtzig Jahre alt und sollte endlich wissen, was gut für sie war.
Sie beschloss Frieden zu schließen und nicht mehr in das Fitnessstudio zu pilgern, ein täglicher Spaziergang sollte genügen. Sie würde ihr Leben wieder genießen, sich hin und wieder etwas Gutes gönnen und …sie würde ihre gegenwärtige Konfektionsgröße annehmen. Die Garderobe, die nicht mehr passte, steckte sie in einen großen Sack für die Kleiderspende.
Man muss sich mit seiner Lage arrangieren, sagte sie zu den beiden anderen Alten. Sinnlose Kämpfe wären
dumm. Die moppligen Freundinnen lächelten und nickten wissend.