Es war schlicht und einfach gesagt nicht mein Tag. Nicht nur dass Jonathan mir Rätsel aufgab mit seinem Verhalten, nein, ich glaubte sogar schon selbst, dass etwas mit mir nicht stimmen musste.
Denn jetzt war ich es, der hier in einem Polizeiwagen auf der Rückbank saß und wie ein Schwerverbrecher behandelt wurde. Dabei wollte ich nur helfen. So schnell konnte sich das Blatt also wenden. Mir gefiel es nicht, aber es musste eine Erklärung geben.
Man brachte mich in einen der vielen
Verhörräume, in denen ich schon selbst unzählige Verdächtige unter die Lupe nahm. Aber jetzt war es anders herum. Hier war ich der Angeklagte.
Ich saß allein an einem Tisch, vor mir ein Spiegel, hinter dem sicher einzelne Kollegen standen, um sich ja nicht entgehen zu lassen, wie ich auseinander genommen wurde. Aber ich war selbst ein Detective, also wusste ich, wo der Hase lang lief. Und mit Sicherheit ließ ich mich nicht einschüchtern. Warum auch? Ich hatte mir nichts vorzuwerfen.
Endlich öffnete sich die Tür und Jonathan sah mich besorgt an.
„Okay, ich habe ungefähr zehn Minuten allein mit dir. Die Kameras sind
aus.“
„Was ist mit dem Spiegel?“ fragte ich wie auf Kommando.
Er schüttelte den Kopf.
„Der Raum dahinter ist abgeschlossen.“
Er wedelte mit dem Schlüssel vor meinen Augen.
Ehe Jon sich setzen konnte, stieß ich meinen Stuhl nach hinten um. Ich brauchte zwei Schritte, um ihn mit beiden Händen am Kragen zu packen und ihn gegen die Wand zu befördern. Das war mein Überraschungsmoment und Jon hatte nicht die geringste Chance, sich zu wehren.
Er griff ständig nach meinen Armen, um mich loszuwerden, aber ich ließ nicht
locker.
Ich drückte Jon noch fester gegen die Wand.
„Was bist du nur für ein mieser Hund! Warum hast du den Polizeipräsidenten belogen? Und ich will zum Teufel jetzt nicht hören, dass ich das alles falsch verstehe, kapiert?“
„Mason, bitte.“
„Nein, nicht Mason bitte. Spuck's aus. Was hast du vor?“
„Es ist nicht so wie du denkst!“
„Das ist noch schlimmer, Jon. Raus mit der Sprache, oder ich überlege mir, ob du hier noch allein raus läufst oder doch eher kriechen musst. Du bist mein Freund. Das dachte ich zumindest
immer, aber dass du mich in so eine Scheiße rein reitest, das werd ich dir nicht so schnell verzeihen. Es sei denn du redest endlich Klartext.“
„Es tut mir leid, okay?“ presste er hervor. „Ich musste das tun. Du gefährdest alles. Verstehst du das denn nicht?“
Ich runzelte die Stirn. Was für ein Schwachsinn.
„Ich bin ein Tatverdächtiger, Jon. Ist das irgendwie bei dir angekommen?“
„Ja, aber du warst es nicht, ich weiß. Das war nur eine Kurzschlussreaktion, okay? Du wirst sicher wieder frei kommen. Man kann dir doch sowieso nichts nachweisen. Glaub mir, das hier
ist alles nur eine Sicherheitsmaßnahme. Warum warst du auch so blöd und bist in dieses Haus gegangen?“
„Und warum warst du so blöd und hast McDaven gesagt, ich hätte etwas Schlimmes getan? Was hast du dir dabei gedacht?“
Jons Blick ging nach unten. Also war etwas dran an der Sache. Umsonst hatte er es nicht getan.
„Ich will es wissen und zwar auf der Stelle!“ schrie ich ihn an.
Jon schaute mir jetzt wieder in die Augen und in seinem Gesicht breitete sich ein hämisches Lächeln aus. Ich erkannte ihn kaum wieder. Das war nicht der Freund, der seit über zehn Jahren an
meiner Seite war.
„Erin Dexter muss verschwinden!“ sagte er nur.
Ich lockerte meinen Griff, ließ ihn aber noch nicht gehen.
„Was ist nur los mit dir?“ fragte ich ihn.
Verzweiflung stand ihm plötzlich ins Gesicht geschrieben.
„Ich löse für uns nur ein Problem, Mason. Und du stehst mir dabei im Weg. Das war die beste Gelegenheit, um dich erst einmal außer Gefecht zu setzen. Ehe du aus der Haft entlassen wirst, hab ich Erin Dexter gefunden und ihn ins Jenseits befördert.“
Ganz ehrlich, in dem Moment fragte ich mich tatsächlich, wer hier verrückt war.
Jon schien jegliche Moral verloren zu haben. Erin Dexter war sein Ziel und er würde alles daran setzen, es auszuschalten.
„Ich dachte immer, du wärst der Vernünftigere von uns beiden!“ sagte ich enttäuscht.
„Nicht wenn es um diesen Mistkerl geht, Mason. Verdammt, mach endlich die Augen auf. Er hat deine Exfrau umgebracht. Meine Frau hat er vergewaltigt und wurde frei gesprochen. Wir hatten damals keine andere Wahl, als ihn reinzulegen. Mason! Versteh doch. Wenn wir ihn jetzt nicht aufhalten, dann passieren noch schlimmere Dinge.
Taylor ist auch noch nicht aufgetaucht.
Willst du ihn etwa auch noch verlieren?
Ich bitte dich, lass mich diese Sache erledigen. Ich weiß, dass du mir nicht zustimmen und mich auch nicht unterstützen wirst. Und genau aus diesem Grund bist du jetzt hier.
Es tut mir leid wegen Lina, ehrlich, und es tut mir auch leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe, aber ich konnte nicht anders. Du hast mir keine andere Wahl gelassen.“
„Das ist Wahnsinn!“ war alles was mir dazu einfiel.
Ich ließ ihn los und fuhr mir durchs Haar. Dann hob ich den Stuhl auf, den ich um geschmissen hatte.
Dieser Albtraum nahm tatsächlich kein
Ende.
Auf der einen Seite verstand ich Jonathan. Erin Dexter war ein Schwein und er hatte damals seine gerechte Strafe bekommen. Zehn Jahre saß er ein, für etwas, dass er diesmal wirklich nicht getan hatte. Aber wie sonst hätten wir ihn kriegen können? Es war nicht richtig, aber gerecht.
Jons Frau bekam immer noch nachts Alpträume von Erin Dexter. Und damals hatte ihr niemand geglaubt. Die Beweise reichten nicht aus. Aber das Schicksal wollte es eben so. Wir erhielten die Möglichkeit, Dexter wegzusperren und das für eine sehr lange Zeit.
„Hör zu, ich weiß, wo sich Dexter herum
treibt. Es dauert nicht lange und er weiht nicht mehr unter uns. Du musst nur die Füße still halten. Bitte. Mason. Ich bitte dich als Freund.“
Ich atmete tief durch.
„Jon. Du solltest diesen Dexter nicht unterschätzen. Er ist nicht so dumm, wie du glaubst.“
„Ich hab das im Griff, glaub mir.“
Jemand klopfte an der Tür.
Jon nickte mir zu und legte seine Hand auf meine Schulter.
„Danke.“
Er wusste, dass ich ihn nicht verraten würde. Vermutlich hatte er Recht. Ich würde ihm nur im Weg stehen. Ich war befangen, das begriff ich so langsam. In
das Haus allein zu gehen war ein Fehler.
„Guten Tag! Ich bin Emma Kingsley, Ihre Anwältin!“ begrüßte mich eine schlanke, schwarzhaarige Frau.
Ich stutzte kurz. Ein Anwalt? Ich hatte noch nicht mal nach einem verlangt.
„Ich muss los, Mason. Ich halte dich auf dem Laufenden!“ sagte Jon und verließ den Raum.
Emma schloss die Tür hinter sich und nahm auf einem der Stühle am Tisch Platz.
Ich stand immer noch und fragte mich, ob das mit rechten Dingen zuging.
„Kommen Sie. Ich beiße nicht.“ lächelte sie mich an.
Zögernd zog ich den Stuhl vom Tisch
weg und setzte mich.
Emma stellte ihre Tasche ab und holte ein paar Akten heraus.
„Okay, dann wollen wir mal beginnen!“
„Moment, Moment. Was soll das werden? Ich kann mich nicht erinnern, je einen Anwalt angefordert zu haben. Außerdem kenne ich sie nicht einmal.“
„Sie kennen meinen Namen und ich kenne Ihr Problem. Erin Dexter sieht es nicht gern, wenn ich mich zu lange an einem Fall aufhalte. Also fangen wir damit an, Sie so schnell wie möglich in die Freiheit zu entlassen.“
Mir verschlug es fast die Sprache. Was waren Dexters Worte bei unserem Gespräch? Er hatte Verbindungen.
Verbindungen, die zum Beispiel dazu führten, dass er die Namen aller Geschworenen heraus bekam.
In meiner Magengegend breitete sich ein Gefühl der Übelkeit aus.