Es dauerte nicht lange, da hörte ich auch schon die Sirenen.
Dexter hatte sich erfolgreich aus dem Staub gemacht. Wäre er nur etwas länger hier in meinem Auto geblieben, dann müsste ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, wie ich ihn am schnellsten zu fassen bekäme.
Es grenzte schon fast an Schicksal, dass ausgerechnet Lina in die Hände dieses Psychopathen geriet. Dass er aber dann auch noch felsenfest davon überzeugt war, es nicht getan zu haben, brachte das Fass zu überlaufen.
Jonathan und Dexter verband ein Geheimnis, in das ich damals unfreiwillig hinein gezogen und mir heute übler Weise zum Verhängnis wurde.
Ich musste umgehend mit Jon reden, anders ließ sich das nicht klären.
„Steigen Sie bitte aus dem Wagen, Sir, und zwar langsam. Die Hände da, wo ich sie sehen kann.“
Diese Stimme würde ich überall erkennen. Sie gehörte Jeremy Deek.
Ich drehte meinen Kopf herum und unsere Blicke trafen sich. Jeremy stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben, doch es hielt ihn nicht davon ab, die vorgehaltene Waffe immer
noch auf mich zu richten. Es irritierte mich ein wenig. Wir arbeiteten im selben Revier. Warum begrüßte er mich nicht einmal?
„Von mir aus kannst du die Waffe jetzt runter nehmen, Jeremy.“
„Das entscheide immer noch ich, kapiert?“ gab er in einem scharfen Ton zurück.
Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
„Soll das ein Scherz sein?“ fragte ich ihn.
„Seh ich so aus, als ob ich scherze? Steig aus dem Wagen, Mason. Ich wiederhole mich nur ungern.“
Obwohl ich mir keiner Schuld bewusst war, entschied ich mich dafür, seiner
Anweisung zu folgen. Was dachte er denn bloß von mir?
Ich stieg langsam aus dem Wagen. Jeremy ging einen Schritt zurück.
„Umdrehen. Die Hände aufs Dach!“
Das war lächerlich und das ließ ich ihn auch spüren, in dem ich kurz lachte.
„Na los!“ sagte er mit Nachdruck.
Er meinte es tatsächlich ernst. Also legte ich meine Hände auf das Dach. Jeremy durchsuchte mich und nahm mir die Waffe ab. Ich ließ alles über mich ergehen, doch wohl war mir bei der Sache nicht.
Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich erkennen, dass sich uns Jemand näherte. Spielten mir meine Augen gerade einen
Streich, oder war das der Polizeipräsident persönlich?
„Legen Sie ihm Handschellen an, Deek. Dann können Sie den Männern im Haus helfen!“
Jeremy nickte ihm zu.
Nachdem ich nun in Ketten gelegt wurde, warum auch immer, schließlich war ich kein Schwerverbrecher, wandte ich mich nun Gordy McDaven zu. Für mich war er immer ein gutmütiger Mensch, der hin und wieder ein Auge zudrücken konnte, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, knietief in der Scheiße zu sitzen. Seltsamerweise sollte ich Recht behalten.
„Klären Sie mich auf,
McDaven?“
Er musterte mich von oben bis unten.
„Ich mag Sie Jennings. Ich mag ihre Art. Und ich mag ihren Ehrgeiz. Aber ich mag es nicht, wenn man mir wichtige Dinge verschweigt.“
„Was genau meinen Sie damit?“
McDaven verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief durch.
„Rames hat mir von dem Fall erzählt, an dem Sie seit Monaten arbeiten. Ich weiß, dass sie scharf darauf sind, diesen Mistkerl zu kriegen. Aber sind Sie überhaupt noch bei klarem Verstand?“
„Natürlich bin ich das, Sir.“
„Ach ja? Ich denke eher, dass Sie komplett durchdrehen, wenn ich Sie
nicht so schnell wie möglich von diesem Fall abziehe.
Sie haben mir zum Beispiel verschwiegen, dass Sie der Fall persönlich betrifft. Dass Sie hin und wieder kleine Botschaften erhalten. Außerdem verschweigen Sie mir, dass Sie den Verdacht hegen, dass genau dieser Täter in der Schule ihres Sohnes, der ganz nebenbei erwähnt auch noch verschwunden ist, Geiseln genommen hat.
Und jetzt sagen Sie mir bitte, wie ich Ihnen weiterhin vertrauen kann, wenn ich bei Ihnen anrufe und Sie mir jedes Detail verschweigen! Das hier ist nicht irgendein harmloser
Fall.
Außerdem scheint sich Detective Rames Sorgen um Sie zu machen. Und meiner Meinung nach, sind diese Sorgen berechtigt. Sie haben Ihn vorhin angerufen und ihm gesagt, dass Sie etwas Schlimmes getan hätten. Etwas, dass Sie nicht wollten.“
Hatte ich mich soeben verhört? Das war unglaublich. Nein, eigentlich unmöglich. Warum zur Hölle erzählte Jon McDavens solch eine Lüge.
„Ich... habe... was...!?“ Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder zu fassen.
McDaven sah mich mitleidig an.
„Ich habe keinen blassen Schimmer, was
mit Ihnen los ist, Jennings. Aber Sie begleiten mich besser aufs Revier. Ich ziehe Sie von all möglichen Fällen vorläufig ab. Rames wird sich darum kümmern.“
„Nein, nein. Warten Sie. Das ist nicht wahr. Was denken Sie denn von mir? Ich bin doch nicht verrückt. Glauben Sie im Ernst, ich hätte meine eigene Frau umgebracht?“
„Ex!“ korrigierte er mich.
„Lina und ich haben uns prima verstanden, das wissen Sie.“
„Es tut mir leid, Jennings.“
„Es tut Ihnen leid? Ich bin in dieses Haus gegangen, um meine Exfrau zu retten, aber als ich ankam, war es schon
zu spät!“ ging ich ihn an.
McDaven trat näher zu mir heran und packte meinen Hemdkragen.
„Und wenn Sie schlau gewesen wären, dann hätten Sie auf uns gewartet. Denn jetzt sind da im Haus überall Ihre Spuren, Sie Vollidiot.“
„Ich bin noch nicht mal voller Blut.“
„Man kann sich die Hände waschen? Die Klamotten wechseln? Jennings, das war ein scheiß Anfängerfehler. Und ich vermute, um den auszubügeln, brauchen Sie mehr Glück als Verstand.“
Ich starrte ihn an.
Egal, was ich als Nächstes sagen würde, es änderte nichts an der Situation.
„Ich muss Sie jetzt mitnehmen,
Jennings. Und sehen Sie mich nicht so an. Ich würde jetzt auch lieber in einem Café sitzen und einen Cappuccino trinken. Aber verdammt, ich muss mich um Ihren Mist kümmern.
Enttäuschen Sie mich nicht, denn ich will ehrlich gesagt nicht glauben, dass Sie das getan haben. Rames wartet bereits im Revier auf Sie. Ich hoffe, er wird Ihnen beistehen.“
Ich verdrehte die Augen. Ausgerechnet Jon. Warum fiel er mir so in den Rücken? Ich würde eine Erklärung bekommen, dessen war ich mir sicher. Die Frage war nur, ob sie mir gefallen würde.
Hatte ich überhaupt noch eine Wahl?