Edda ist müde, zuviel hat sie heute erlebt. Sie sucht Robert und wird in seinem Abeitszimmer fündig. Ganz versunken sitzt er vor seinem Pc und scheint mit irgendjemanden zu kommunizieren.
Wie magisch angezogen, begibt sich Edda zu Roberts Arbeitsplatz. Sie will ihn überraschen, bleibt aber wie angewurzelt stehen.
Was treibt Robert denn dort?
Gerade schaut er sich auf einer Seite mit Brautsträußen um, um schon bald zu
einer Seite eines Hotels zu wechseln. Es folgten eine Seite mit Leuchtturm und einem kleinen festlich geschmückten Raum, eine ander wirbt für Oldtimer- und Kutschfahrten. Dann wechselt Robert zu einer E-Mailadresse und schreibt ein paar Zeilen.
Edda schleicht sich leise zurück in den Flur und ruft seinen Namen.
Robert kommt sofort aus seinem Arbeitszimmer und umarmt seine Edda, scheint allerdings etwas überrascht, bittet aber Edda in die Essecke. Erstaunt schaut Edda zu ihm auf.
"Essecke?", fragt sie ihn erstaunt.
Diese wurde bei Robert nur zu Feiern
oder besonderen Anlässen genutzt.
Beide begaben sich in den Wohnbereich, wo schon ein schön gedeckter Tisch auf beide wartete. Das schöne Geschirr stand auf dem Tisch, die schönen Römer und ein schöner großer Kerzenleuchter, den Robert gerade zum Erstrahlen brachte. Kerze für Kerze wurde angezündet. Eddas Augen begannen vor Freude zu leuchten.
Aber noch immer wusste sie nicht, was Robert da mit ihr spielte.
Noch mehr erstaunte Edda, dass Robert für sie gekocht hat. Emsig trägt er alles auf den Tisch. Es riecht zwar nicht so gut, aber Edda schätzt seine Arbeit. Noch
ein guter teurer Wein und Edda harrt dem was nun kommen würde.
Sie spür förmlich, wie Roberts Gehirn arbeitet und nach den richtigen Worten sucht.
Dann irgendwann während des Essens beginnt Robert zu reden.
"Edda, wir haben ja noch eine Reise zu meinem Freund offen! Und ich habe mir Gedanken über unsere Hochzeit gemacht!
Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten und ich möchte dieses Fest gemeinsam mit Dir in aller Ruhe begehen. Daher habe ich meinen Freund gebeten mir Informationen zukommen zu lassen. Heute nun habe ich die Gelgenheit
genutzt und seine Mail gecheckt.", nun schaut er Edda fragend an.
Edda bekommt ihren Mund vor staunen nicht mehr zu.
Das war es also - das Geheimnis von Robert.
Aber Edda hatte auch so ihre Vorstellungen. Das ruhige Begehen der Feierlichkeiten kam ihr ganz und gar entgegen. Aber diese Reise zu seinem Freund, dass gefiel ihr nicht so sehr. Sie wünschte sich doch so sehr eine Hochzeitsreise und das nicht nur an die See. Sie wollte sich ihren langen Traum
erfüllen. Eine Reise mit dem Schiff durch Norwegens Fjorde.
Edda sagt nichts, aber Robert merkt, dass sie etwas bewegt.
"Ich habe schon immer von einer Hochzeit an einem außergewöhnlichen Ort geträumt. Jetzt hätte ich die Gelegenheit. Nicht viele können von sich behaupten sich in einem Leuchtturm getraut zu haben.", meint er.
Edda nickt nur stumm.
"Komm lass uns alles gemeinsam planen unsere Unterlagen zusammen suchen, zur Standesbeamten schicken und dann
auf das nächste Frühjahr warten.", fährt er fort.
"Aber hier zählen nicht nur meine Wünsche, auch Deine Träume sollen hier berücksichtigt werden." erwähnt er ganz nebenbei mit einem zwinkernden Auge.
Edda ihre Augen beginnen zu strahlen und sie will gerade etwas sagen, da kann Robert nicht mehr an sich halten und redet einfach weiter: "Ich habe mich schon im Internet umgeschaut. Was hältst Du von einer Reise mit dem Schiff durch Norwegens Fjorde mit einem kleinen Abstecher nach Schottland und Irland?"
Edda würde ihm am liebsten um den Hals fallen, aber es macht sie wütend, das Robert wie schon die ganze Zeit alles in die eigene Hand nimmt.
Wie soll sie ihm das nur beibringen?
Aber sie kennt nun auch seine Träume.
Eine Reise nach Schottland und Irland spricht sie auch sehr an, nur hat sie nie mit ihm darüber gesprochen. Nur Norwegen hat sie so ganz nebenbei immer mal wieder erwähnt.
Edda hält sich zurück, bevor sie wieder
einen Streit herauf beschwört. Dafür hat sie ja eine besondere Gabe. Wie oft sind sie schon zerstritten ins Bett gegangen, was ihnen den Schlaf so gründlich versaute, dass sie gar nicht daran denken mag. Edda kann sich nun mal nicht zurück halten. Sie muss sagen was sie denkt. Sie bringt es Robert auch immer schonend bei, nur er bekommt es immer in die falsche Kehle. Daher schweigt sie nun lieber und wird mit ihm morgen alles klären und planen. Sie hofft so sehr, dass einmal genügend Zeit für sie beide und ihr großes Ziel, am Ende des Tages übrigbleibt.
Bei einem Gläschen Wein lassen sie den Abend ausklingen und begeben sich zu Bett.
Als Edda und Robert am anderen Morgen aus dem Bett gekrochen kamen, fühlten sie sich wie gerädert. Robert hatte am Vorabend die Spannungen zwischen sich und Edda gespürt.
Was auch immer da wieder zwischen ihnen stand?
Er ist sich keiner Schuld bewussst!
Er hat es doch nur gut gemeint, er wollte Edda schonen und sie mit dem Fest der Zweisamkeit überraschen.
Wollte sie lieber ein rauschendes Fest mit all ihren Lieben um sich herum?
Sein Gesicht war starr und sein Blick nach unten gesenkt.
Edda hat nur wenig geschlafen. In der Nacht ist sie aufgestanden, weil sie einfach keinen Schlaf fand. Sie hat zu Papier und Stift gegriffen und endlich mal die Spinne für Miss Punk gemalt. Immer wieder hat sie sich so ein Tier angesehen und jetzt setzte sie ganz perfekt Härchen für Härchen an seine Stelle. Sie malte das Gesicht der Mutter hinein, dass es einem ganz warm ums Herz wurde. Die Angst um das Kind, ganz viel Fürsorge und Liebe sprachen aus ihm. Dann schlich Edda zurück ins Schlafzimmer und wälzte sich noch eine Weile hin und her, bevor sie endlich wieder einschlief. Dann sah sie wieder
diese Bilder, die sie schon so lange vermisst hatte.
Sie sah sich und Robert in seinem roten Flitzer durch die Gegend brausen. In einem kleinen Hafen fuhren sie auf eine Fähre. Um sie rum nur noch Wasser. Es dauert lange eh sie wieder das Grün der Natur erblicken können. Im Gepäck haben sie nur eine Kamera, einen Reiseführer, einige warme Sachen und ganz viel Geld.
Endlich an Land, fahren sie eine sich lang ziehende Küstenstraße entlang, bis sie einen Hafen in einem schön gelegenen Fjord Norwegens erreichen. Ein kleines Postschiff wartet dort auf sie. Kaum bestiegen, setzt sich dieses in Richtung
Norden in Bewegung. Sie fahren entlang der Fjorde bis hinauf zum Nordkap.
Die Reise geht weiter nach Westen, entlang der Eisberge. Robert und Edda beobachten die Wale im Eismeer und erfreuen sich an ihrem Gesang. Sie beobachten wie sie abtauchen und dann gleich wieder aus dem Wasser schießen.
Sind sie in der Ferne unter Wasser, dann verraten sie sich durch riesige Wasserfontänen. Keiner weiß was sie sagen wollen, wenn sie mit ihren Schwanzflossen das Wasser peitschen und aufspritzen lassen. Wunderwerk Natur.
Nun nähern sie sich einem weiteren
Traumziel. Es geht entlang der zerklüfteten Steilküste Schottlands. An Land werden alte Herrenhäuser besichtigt um am Ende des Tages in einem Cottege zu übernachten. Am anderen Morgen genießen sie den Duft der Rosen im Bauerngarten. Eine Rose schneiden sie ab. Diese geht als Andenken mit, fein säuberlich gepresst in ihrem Reiseführer. Und die Reise geht weiter.
Es geht weiter westwärts, bis wir die Insel Irland erreichen. Mit einem Ausritt über die weiten grünen Flächen der Insel werden sie empfangen, um schon bald auf einer Schafsfarm zu landen. Hier wohnen sie einer Schafschur bei. Schnell
noch einen Sack voll Wolle kaufen, um schon bald die Heimreise anzutreten. Bei dieser Kaufaktion, wechselt ein riesen Bündel Geld seinen Besitzer. Ohne einen Pfennig kehren sie zurück.
Während des Geldtauschs durchdringt Edda ein schrilles Geräusch. Ihr Hand tastet sich zum Nachtisch, aber sie kann diesen verdammten Wecker nicht finden. Nur mühsam kann sie ihre Augen öffnen.
Total übermüdet torkelt sie ins Badezimmer. Aus dem Badspiegel schaut sie ein Monster mit wirrem Haar und ganz ganz kleinen Augen an.
Sie ist nicht im Stande sich frisch zu machen.
Sie kann diesen Anblick nicht ertragen.
Daher schleppt sie sich mühsam in die Küche.
Schweigend sitzt sie Robert am Frühstückstisch gegenüber. Sie bringt kaum einen Bissen herrunter, da sie sich seit Tagen so matt wie nie fühlt.
Die heiße Tasse Tee, welche ihr Robert schweigend reicht, haucht ihr etwas Leben ein und genügt ihr auch vollkommen.
Dann schleicht sie zurück ins Bad und ihr erster Weg führt sie auf die Waage.
Schon wieder sind die Pfunde gepurzelt. Sicher kann sie es gebrauchen, aber sie fängt an sich zu ängstigen. Bisher ist es noch keinem aufgefallen - aber wenn es so weitergeht.
Nachdem sie sich fertig gemacht hat, schleicht sie wortlos in den Flur, zieht sich an und verlässt die Wohnung.
Sie verschwendet keinen Gedanken daran, wie es Robert gerade geht - wie er sich fühlt.
Sie denkt an den Tag, der heute vor ihr liegt. Es wird ein langer Tag werden.
Edda weiß - Melanie möchte keinen sehen und doch zieht sie ihr erster Weg im Krankenhaus in ihr Zimmer. Zu gut kennt Edda das Gefühl, welches Melanie so ganz leise aber doch immer mehr ergreifen wird - das Gefühl keine Frau mehr zu sein, keine Kinder mehr bekommen zu können. Ihre Schritte werden immer langsamer und ein banges Gefühl beschleicht sie bevor sie das Zimmer betritt.
Melanie liegt einfach so da und schaut an die Decke, bemerkt nicht einmal, dass Edda ihr Zimmer betreten hat. Auch dieses Gefühl kennt Edda von
ihrem letzten Krankenhausaufenthalt, wo sie sich einfach nur verloren vorkam und den Sturz ins tiefe schwarze Loch überlebt hat, was sie damals am liebsten nicht getan hat. Nur durch den Beistand vieler hat sie das alles wieder in den Griff bekommen. Energisch schreitet sie auf Melanies Bett zu - das Gefühl der Hilfe, welches sie Melanie angedeien möchte, zieht sie dorthin.
Melanie jedoch dreht ihren Kopf einfach weg.
Warum kann nur keiner ihre Wünsche respektieren?
Sie will einfach in Ruhe gelassen werden - über sich und ihre jetzige Situation nachdenken, allein einen
Ausweg finden. Obwohl dieser noch ziemlich fern liegt. Aber sie will es ganz alleine schaffen.
Auch sie hat einen Vertrauensarzt - Herr Doktor Engel, der ihr in der schweren Situaution zur Seite steht.
Ein ihr sehr bekannter Duft schwebt in diesem Raum, welcher Edda in die Nase steigt.
Der Duft von Lavendel.
Das beruhigt Edda, denn sie weiß - auch Melanie hat Psychologische Hilfe.
Sie atmet diesen Duft tief ein und setzt sich ganz ruhig neben Melanies Bett. Sie greift nach ihrer Hand und streichelt sie sanft, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
In Melanie breitet sich ein Gefühl der Liebe und Wärme aus. Das kannte sie nur zu genau - das tat ihr Mutter auch immer mit ihr als sie krank war, so klein und verloren.
Genau dieses Gefühl schenkte ihr Edda wieder.
Sie drehte ihren Kopf zu Edda und griff ihre Hand. So schauten sie sich eine kleine Weile an aber sagten kein Wort.
Dieser Moment sprach Worte genug.
Dann stand Edda auf lächelte Melanie ein letztes Mal an, verlässt das Zimmer und begibt sich zu ihrem nächsten Patienten.
Keine dreiviertel Stunde ist bisher vergangen, seitdem Edda im Krankenhaus ist. Und es zieht sie wie magisch zu Iwan hin. Sie will wissen wie es weiter mit seiner Geschichte geht. Aber als sie sein Zimmer betritt, hat sie nicht viel Hoffnung. Innerhalb eines Tages setzte bei Iwan so ein Verfall ein, dass es sie erstarren ließ. Er war angeschlossen an Schläuche, die sie das schlimmste befürchten ließen. Es wurde ihm ein Katheter gelegt und er wurde künstlich beatmet.
Müde starrte er an die Decke und zeigte keine Reaktion als Edda an ihn herran
trat. Heute wollte sie ihm die Wärme schenken, die er ihr immer schenkte, wenn sie ihn besucht hat.
Wortlos ging sie hinaus und besorgte sich eine Schüssel. Heute konnte sie ihn mal nur mit waschen verwöhnen. Sie rieb ihn mit dem Lappen ab und pflegte seinen durchgelegenen Rücken und hielt ihm seine Hand und streichelte ihm seine Wange.
Plötzlich drückt Iwan ihre Hand und gebietet Ihr, indem er mit seinem Zeigefinger winkt, sich zu ihm herab zu beugen. Leise, ganz leise beginnt er zu reden.
Er bittet Edda an seinen Schrank zu gehen. In seiner rechten Manteltasche sei
ein Schlüssel, den möge sie ihm bitte bringen. Das tut Edda und findet einen Schlüssel mit einer Zahl drauf. Verwundert bringt sie diesen zurück zu Iwan.
Sie gibt ihn Iwan und dieser überreicht diesen Edda mit den Worten:
"Ich habe noch einen Koffer auf dem Bahnhof im Schließfach. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, dann wird dieses Fach geöffnet. Ich konnte diesen Koffer nicht in die Pension holen, da mir der Betreiber nicht so geheuer war. Bitte hole den Koffer und nimm ihn mit nach Hause - er gehört Dir."
Edda starrt ihn an und kann keine Worte finden.
"Edda - schau nicht so. Du weißt es und ich weiß es. Es wird zu Ende gehen.", flüstert ihr Iwan zu.
Edda kullern dicke Tränen über das Gesicht.
"Und ich wollte doch noch soviel über Dich erfahren!", sagt Edda ganz weinerlich.
Sie nimmt Iwan in den Arm und er lächelt sie an, aus seinen leeren dunkel umrandeten Augen.
Leise spricht er zu Edda:
"Das Reden strengt mich allzusehr an. Wenn Du den Koffer hast, suche nach einem Brief und meinem Tagebuch - da erfährst Du alles über mich und mein Leben und wie es mit Dir weitergehen
wird."
Dann schläft er wieder ein - direkt in ihren Armen.
Edda atmet tief durch und verlässt Iwans Zimmer.
Edda begibt sich mit rotgeweinten Augen zur U-Bahnstation - arbeiten mochte sie heute nicht. Zu viele emotionale Momente sind heute über sie hereingebrochen. In der U-Bahn nimmt sie garnichts wahr, sie lauscht einfach nur den Fahrgeräuschen und versucht irgendwie zur Ruhe zu kommen.
Am Bahnhof angekommen begibt sie sich direkt zu den Schließfächern. Schließfach 203, schießt es ihr durch den Kopf und sie beginnt zu suchen. Einige Gänge muss sie schon passieren, ehe sie fündig wird. Mit dem Schlüssel öffnet sie das Fach und befördert einen
so schäbigen Lederkoffer ans Tageslicht, das sie sich etwas schämt sich mit diesem durch die Straßen zu quälen. Abgestossene Ecken, die Schlösser schließen nicht mehr, daher hat Iwan den Koffer mit kräftigen Ledergurten zusammengehalten.
Als Edda den Bahnhof verlässt, entschließt sie sich mit dem Taxi nach Hause zu fahren, den der Koffer hatte ein ganz schönes Gewicht. Es war für sie rätselhaft, wie Iwan dieses Gewicht bewältigt hat, erkam ja noch dazu mit einigen Gepäckstücken mehr hier an. So bugzierte sie den Koffer vor die Türen des Bahnhofs und erwischte auch gleich ein Taxi. Der Taxifahrer schaute sie an,
als er den Koffer in seinem Kofferraum verstaute, als ob er Mitleid mit ihr hatte und sie bekam sogleich einen hochroten Kopf.
Was mochte der Taxifahrer wohl über sie denken?
Verlegen sitzt sie neben ihm und wagt sich nicht zu ihm zu sehen, denn geschweige ein Gespräch mit ihm zu beginnen. 10 Minuten sitzt sie schweigend neben ihm und dann erreichen sie endlich ihr Ziel. Edda atmet auf, zahlt den Fahrpreis, springt geschwind aus dem Wagen und hätte beinahe den Halt verloren.
"Verdammt-schon wieder so eine Peinlichkeit. Nimmt das denn heute
garkein Ende", denkt Edda bei sich.
Der Taxifahrer schenkt ihr ein warmes Lächeln, was sie so garnicht wahrnimmt.
Er hebt ihr dieses veraltete Prachtstück aus dem Kofferraum und stellt ihn auf den Bürgersteig. Edda nimmt diesen wortlos und stiefelt wortlos zum Hauseingang.
Ein Nachbar, der gerade des Weges kommt, nimmt ihr den Koffer ab und trägt ihr diesen bis vor ihre Wohnungstür. Edda atmet förmlich auf und bedankt sich bei dem jungen Mann, dann verschwindet sie mit diesem Ungetüm hinter ihrer Wohnungstür.
Sie bugsiert den Koffer in das Wohnzimmer und stellt ihn auf dem
großen runden Teppich in der Leseecke ab.
Später will sie sich seinem Inhalt widmen, aber jetzt muss sie ersteinmal zur Ruhe kommen. Im Schaukelstuhl lässt sie sich nieder und schließt ihre Augen. Vor ihr laufen die Bilder des Tages ab und schon bald schreckt sie wieder auf.
Genau in ihrem Blickfeld steht der Koffer.
Neugierde macht sich in ihr breit.
Zögerlich schleicht sie auf dieses Monstrum zu.
Was wird sie wohl erwarten?
Sie beginnt die Gurte um dem Koffer zu lösen und die Spannung steigt in ihr.
Doch was war das?
Aus dem Koffer befördert sie ein Papierbündel nach dem anderen. Urkunden über Urkunden - Auszeichnungen über Auszeichnungen.
Wie bitte soll dieser Krempel ihr Leben verändern?
Edda schaut ratlos in die Gegend.
Nur eines hat sie herausgefunden - Iwan war ein guter Saatgutforscher der viele Auszeichnungen in seinem Leben eingeheimst hat.
Ein kleines Büchlein erregt nun ihre Aufmerksamkeit.
Als sie es aufschlägt liest sie gleich auf der ersten Seite - "Mein Tagebuch".
Faziniert nimmt sie das Büchlein an sich
und begibt sich zum Schaukelstuhl.
Jetzt wird sie mehr über Iwans Leben erfahren.
Sie zieht sich in die Leseecke zurück und schlägt das kleine Büchlein auf. Genauso wie er spricht schreibt Iwan hier auch - etwas gebrochen. Am Anfang hat Edda etwas Schwierigkeiten mit der Schrift, langsam aber ganz langsam gewöhnt sie sich daran und irgendwann fließt der Text wie selbstverständlich vor ihrem Auge ab. Wort für Wort zeichnet sich hier sein Leben ab.
"Mein Leben begann in den Weiten der Taiga. Mit meinen Eltern und Großeltern lebte ich in einem kleinen Holzhaus direkt am Baikalsee. Die Familie fristete
als Fischer ihr Leben. Hart und erbarmungslos, war die Winterzeit. Die Kälte zog durch jede Ritze des Hauses. Wir kannten sie noch, die Blumen die an unseren Fenstern wuchsen. -30° bis -40° waren keine Seltenheit. Manchmal Auf einem Schlitten dick eingepackt in Fellen, nahm mich mein Vater immer mit auf den See zum Eisangeln. Ein hartes Los, was so ein Fischer hatte. Ich liebte den kurzen Frühling und Sommer sowie die Pflanzen, welche sie hervorbrachten. Niemand konnte es verstehen. Wasser gab es nur aus einer Pumpe die draußen auf einem zentralen Platz stand. Im Winter schlugen die Männer
Eisblöcke aus dem See, die dann in großen Kesseln über dem Feuer aufgetaut wurden.
Strom kannten wir nicht. Durch harte Arbeit waren die Tage eh sehr kurz. Wenn die Tage kürzer wurden, zündete man sich Öllampen an. Alles was die karge Vegetation hergab, wurde gesammelt und konserviert oder anders haltbar gemacht. Wir hatten auch Tiere und bauten etwas Gemüse in einem kleinen Garten an. Hier fühlte ich mich wohl. Als der zweite Weltkrieg ausbrach, veränderte dies nicht nur die Welt, nein er zerstörte auch unsere Familie - unser Leben. Ich habe meinen Vater nie wieder
gesehen. Meine Mutter blieb ihr Leben lang allein.
In meiner Schulzeit erbrachte ich sehr gute Noten, obwohl wir in sehr großen Klassenverbänden unterrichtet wurden.
Groß und Klein munter zusammengewürfelt. Im Alter von 14 Jahren wechselte ich aufs Gynasium nach Moskau. Dort wurde ich von Verwandten aufgenommen, die sich selbst immer ein Kind gewünscht haben, sich nun ihren Wunsch mit mir erfüllten. Manchmal sah ich meine Mutter über Monate nicht. Meinen Abschluss machte ich mit der Note Sehr gut.
Schon bald begann ich ein Studium der Agrawissenschaften an der Uni in
Moskau. In dieser Zeit lernte ich meine erste Frau kennen. Wir verlebten 7 gemeinsame schöne Jahre, dann wurde sie mir von einer Krebserkrankung genommen.
Mein Studium hatte ich schon eine Weile beendet und arbeitete in einem Saatzuchtbetrieb.
Meine zweite Frau hat Kernphysik studiert und ich kannte sie schon aus der Zeit mit meiner ersten Frau. Sie waren beste Freundinnen. Nachdem meine erste Ehe kinderlos blieb, legten wir alles daran ein Kind zu bekommen. Nach zwei Jahren war uns das Glück hold. Ein Sohn erblickte das Licht der Welt.
Wir schwebten im Glück. Doch im
zehnten Lebnsjahr verloren wir ihn an eine schwere Krankheit. Wir verloren den Halt und lebten nur noch nebeneinander her. Doch irgendwann wendete sich das Lebensblatt und wir fanden wieder zueinander. Unser ständiger Zusammenhalt brachte uns das Glück zurück. Aber ein Kind wurde uns nicht mehr vergönnt. Wie Ärzte uns sagten, lag es wohl am Beruf meiner Frau - an den ewigen Strahlungen, auch wenn sie nur minimal waren. Wir fügten uns in das Schicksal. Wir vergruben uns in unsere Arbeit. Zu dieser Zeit heimste ich viele Auszeichnungen ein und mein Aufstieg begann.
Mein Leben schien perfekt. Ich verdiente
und war stolz auf mein erreichtest, bis mich das Schicksal wieder einholte. Meine Frau besuchte ihre Familie, die zu einem Großteil aus Kernphysikern bestand und in einem großen Kernkarftwerk in Tschernobyl tätig waren, zu einem falschen Zeitpunkt. Bei einem Reaktorunfall verlor ich dann meine zweite Frau. Zu groß war die Strahlung um sie überleben zu können. Seitdem fristete ich mein Dasein allein. Ich war ein gebrochener Mensch.
Später habe ich den Chefsessel des Saatgutzuchtbetriebes eingenommen. Ich stürzte mich noch mehr in die Arbeit, bekam Auszeichnungen und verdiente gutes Geld, aber das Glück ließ auf sich
warten. Nicht das Glück mit einer anderen Frau ich lief einem anderen Glück hinterher und konnte es nie erreichen, weil ich nicht wusste, wonach ich eigentlich suchte. Mein Lebensinhalt hieß weiter Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.
Als die Perestroika das Land überrollte, stand das Überleben unseres Betriebes auf dem Spiel. Ich das Arbeitstier und zwei Freunde erklärten uns bereit diesen Betrieb in Eigenregie zu führen. Wir waren im Land und auch international bekannt so das es keinen Abbruch bei unseren Umsätzen gab. Wir vergruben uns in unsere Arbeit und führten das Unternehmen zu einem noch größerem
Ansehen und dies brachte mir und meinen Freunden ein riesiges Vermögen ein.
Bis vor vier Jahren führte ich das Unternehmen, dann holte mich eine Krankheit ein, die bis heute als unbesiegbar gilt. Freunde halfen mir Verwante zu finden, die ich in Russland nicht mehr hatte. Die Hälfte meines Vermögens ließ ich im Topf des
Unternehmens, die andere erhält derjenige, welchem ich den Schlüssel zu seinem Glück übergebe.
Ps: Wenn dieser Glückspilz dieses Buch liest, werde ich nicht mehr lange leben oder auch schon tot sein. Suche nach
Deinem Glück - es ist nicht weit."
Auch wenn Edda nur Teile des Tagebuchs gelesen hat, so konnte sie sich nun doch ein besseres Bild über Iwan machen. Irgendwann einmal wird sie sich das ganze Tagebuch zu Gemüte ziehen. Sie legte das Buch auf ihrem Schoss nieder und schlief ein.