Ein verführerischer Blick
„Na toll, jetzt muss ich noch extra zu ihr gehen und ihr sagen, dass ich früher gehen muss bevor ich gehen kann“, dachte sich Lukas genervt. „Warum hab ich ihr das nicht heute Morgen gleich gesagt?“
Er wanderte schnellen Schrittes durch die Flure des alten Schulhauses auf der Suche nach seiner Lehrerin Frau Mayer. „Wo ist die nur?“, fragte er sich, als er sie auch im Lehrerzimmer nicht finden konnte.
„Suchst du die Frau Mayer?“, fragte ihn ein nett aussehendes, junges Mädchen.
„Ja, weißt du wo sie ist?“
„Die ist noch in meiner Klasse, gleich da vorne.“
„Danke, sehr nett von dir“, bedankte er sich und lief fast schon zu dem Klassenzimmer.
Er schritt durch die Tür und sah Frau Mayer mit einem Schüler diskutieren, der anscheinend eine schlechte Note bekommen hatte.
Doch sie waren nicht alleine in der Klasse. Während alle anderen zur Pause hinausgelaufen waren, war noch ein Mädchen an ihrem Platz. Sie blickte zu ihm auf, als er die Klasse betrat und lehnte sich entspannt in ihrem Sessel
zurück. In ihrer linken Hand hatte sie einen Bleistift, der wie ihr Blick auf ihn gerichtet war. Sie lächelte. So ein wunderschönes Lächeln hatte er noch nie gesehen. Mit ihrer freien rechten Hand strich sie sich eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. Er wollte seinen Blick gar nicht von ihr abwenden, doch wurde unweigerlich von seiner Lehrerin dazu gezwungen.
„Lukas, brauchst du etwas von mir?“, fragte Frau Mayer und riss ihn aus seinen Tagträumen mit dem bezaubernden Mädchen.
„Ja“, antwortete Lukas und ging auf Frau Mayer zu. Seine Beine waren so
weich, dass er froh war nicht hinzufallen. Der Blick des Mädchens folgte ihm wie auch der Bleistift in ihrer linken Hand, der die ganze Zeit auf ihn zeigte.
„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich jetzt zum Arzt gehen muss! Deshalb werde ich nicht in Ihrer Stunde sein“, erzählte er Frau Mayer mit zitternder Stimme.
Er spürte den Blick des Mädchens, was ihn sehr nervös machte.
„Ok, du bist entschuldigt. Bis morgen Lukas“, sagte Frau Mayer und verließ das Klassenzimmer.
Nun stand er da. Allein mit ihr in der
Klasse.
„Soll ich etwas sagen? Vielleicht Hallo? Oder Tschüss? Soll ich hierbleiben oder gehen?“, fragte sich Lukas, während er unentschlossen da stand und das Mädchen anstarrte.
Er lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück. Er sah verlegen nach unten. Sie sah verlegen nach unten. Er hielt schüchtern mit der rechten Hand seinen linken Ellbogen. Sie blickte kurz verträumt aus dem Fenster.
Da spürte er sein Handy in seiner Hosentasche vibrieren. Er nahm es heraus.
„Hi, ich komm schon. Bin gleich draußen. Ja, bis gleich“, sagte er seiner
Mutter am Telefon, die draußen im Auto wartete, um ihn zum Arzt zu fahren.
„Bis morgen, Lukas“, sagte das Mädchen und zwinkerte ihm zu.
„Sie ist nicht nur wunderschön, sie hat auch eine wunderschöne Stimme“, dachte sich Lukas.
„Bis morgen“, sagte er und verließ den Klassenraum. „Jetzt aber schnell. Mama, wird sich schon fragen, wo ich so lange bleibe“, dachte er sich. „Hoffentlich sehe ich sie morgen wieder!“