Der Kannibale
Es ist Montag Nachmittag. Ich sitze nach einem langen und nervigen Schultag in meinem Zimmer vor meinem ganzen Stolz: Einem riesigen 60 Zoll Fernseher, für den ich ein ganzes Jahr lang gespart hatte. Ich gucke Nachrichten. Gerade wurde wiedereinmal von den Koaltionsverhandlungen gesprochen. Als ich dann vor Langeweile umschalten will, wechseln sie das Thema:
"Heute um 13 Uhr deutsche Zeit griff eine Frau mittleren Alters einen jungen Mann an und aß Teile seines Gesichts und Körpers. Es wurden mehrere Polizisten benötigt um die hochagressive Frau von ihrem Opfer zu entfernen, laut Polizei wollte sie auch die
Polizisten und Ärzte anfallen. Man vermutet eine neue Droge.
Der Mann fiel kurz nach seiner Rettung in eine Art Wachkoma und liegt zurzeit im Krankenhaus. Die Frau wird von Verhaltensforschern und Ärzten in einer speziellen Einrichtung beobachtet."
Oh mein Gott! Ich will mir gar nicht vorstellen wie schrecklich es ist, bei lebendigen Leib gefressen zu werden!
Der arme Mann, kein Wunder, dass er in ein Wachkoma gefallen ist, er hat wahrscheinlich einen extremen Schock….
Was das wohl für eine Droge ist, hoffentlich kann man sie aufhalten bevor sie überall verbreitet ist. Ein wenig gruselig ist die Vorstellung ja schon, fast schon wie bei The
Walking Dead….
Heute schaue ich auch die Abendnachrichten, ich will sehen, ob es etwas neues von dem Mann oder von der Droge gibt. Und tatsächlich: "Seit heute Mittag sind unglaubliche zehn weitere Fälle von Kannibalismus rund um LA bekannt gegeben wurden. Alle Opfer verfielen kurz darauf in ein Wachkoma. Der Mann von heute Mittag ist nach ca. 6 Stunden in ein richtiges Koma gefallen, die Ärzte haben keine Ahnung, was mit ihm, den anderen Opfern und den Tätern los ist. Vor einer Stunde wurden allen, sowohl Opfern als auch den Kannibalen, Blut abgenommen, morgen früh sollten wir von den Ergebnissen der Tests berichten können.
Bis jetzt kann aber gesagt werden: Die Kannibalen weisen eine vollkommen veränderte Persönlichkeit und ein kaum noch menschliches Verhalten auf, sie greifen jeden Menschen in der Nähe an und weisen einen verbesserten Geruchs - und Hörsinn auf. Mehr erfahren sie morgen früh. Und nun das Wett…"
Ich schalte aus, so langsam wird das schon ein wenig gruselig, ich meine: "kaum noch menschliches Verhalten" und warum liegt der Mann im Koma, so schwere Verletzungen hatte er doch gar nicht…
"Mila, essen kommen", rufen meine Eltern von unten, mal schauen ob die auch schon davon gehört
haben…
Ja haben sie, aber sie tun das alles mit den Worten "extrem starker Schock" und "Teufelsdroge" ab… Mich haben sie mit meinen Befürchtungen ausgelacht und gesagt, dass ich endlich aus meiner Traumwelt aufwachen und erwachsen werden soll… Typisch Eltern halt, aber hoffentlich haben sie Recht, ich werde morgen früh auf jeden Fall früher aufstehen, damit ich noch die Nachrichte sehen kann.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass da etwas nicht stimmt…
Schlechte Nachrichten
Ich sitze mit meiner Familie am Frühstückstisch und warte angespannt darauf, dass endlich die Nachrichten im Radio anfangen und endlich: "Schockierende Ergebnisse bei den Blutproben der Kannibalen und ihrer Opfer: Das Blutbild der Kannibalen hat sich völlig verändert und die Stellen im Gehirn, die zum Denken und Fühlen da sind, werden kaum noch mit Sauerstoff versorgt, Muskeln, Gehör und Geruchssinn dafür umso mehr. Ihr Nervensystem ist wie betäubt, weswegen sie nicht den geringsten Schmerz spüren. Ihre Opfer weisen schon nach wenigen
Minuten nach dem Angriff die selben eigenartigen Blutpartikel auf, wie Kannibalen, die sich sehr schnell im gesamten Körper verbreiten. Wenn die Partikel im ganzen Körper verteilt sind, fallen die Betroffenen in ein Wachkoma, jetzt wird der Blutkreislauf verändert, die Teile, die wichtig für die Jagd sind werden mit überdurchschnittlich viel Blut versorgt, "unwichtige" Teile, wie Geschmackssinn und die oben genannten Bereichen zum Denken und Fühlen, fast gar nicht mehr. Anschließend fallen sie dann in ein richtiges Koma, nun werden die Nervensysteme betäubt und der Körper wird resistent gegen jegliche Art von Krankheiten, außerdem werden
Verletzungen, wie die Bisswunden, mit einer unbekannten durchsichtige Flüssigkeit überzogen, die die Verletzungen sozusagen "heilt" ohne sie zu heilen, dass heißt, dass der Film eine Art Ersatzhaut ist, da bei den Zombies keine Wundheiling mehr stattfindet.
Der gesamte Vorgang kann je nach Grad und Ort der Verletzungen zwischen zehn Minuten und vermutlich ca. drei Tage dauern.
Und nun das Unfassbare: Heute Nacht um 3:00 Uhr deutsche Zeit wachte der erste Infizierte, der Mann von gestern Mittag, auf und griff das Pflegepersonal auf dem Gang an, nachdem die Polizei angerückt und der Mann eingesperrt war,
wurde über Gebissene und bereits "Verwandelte" Quarantäne verhangen, um weitere "Verwandlungen" zu Verhindern und die Infizierten zu erforschen.
Forscher und Ärzte sind sich einig: Es handelt sich hier nicht um eine Droge, sondern um einen Virus. Viele vermuten den gefürchteten "Zombievirus", über den es so viele Filme gibt.
Aber an Alle: Brecht jetzt nicht in Panik aus, zu fast 100% befinden sich alle Infizierten in von der S.W.A.T. bewachter Quarantäne."
Meine Mutter schaltete das Radio aus.
Am Frühstückstisch war es still geworden, niemand aß oder trank mehr, man hatte fast den Eindruck, dass wir
alle vor Schreck aufgehört hatten zu atmen, so still war es.
Ich fand als erste meine Stimme wieder: "Ich habe es euch doch gesagt, ich habe von Anfang an gewusst, dass da was nicht stimmt! Und jetzt das!! Oh mein Gott Zombies! Ich glaube es einfach nicht, ich…." Meine Stimme versagte. Paps schaute kurz zu meiner Mutter, die zustimmend nickte und sagte dann, dass ich ja gehört habe, was die Nachrichtensprecherin gesagt hatte: wir sollen nicht in Panik ausbrechen und, dass die dort alles im Griff hätten. Abschließend von seiner "tollen" Rede sagte er dann sogar tatsächlich noch: "Und du gehst jetzt in die Schule Mila,
du kommst sonst noch zu spät, ich bringe jetzt auch deine Schwester zum Kindergarten."
Ich schaue ihn fassungslos an, aber statt mich jetzt mit meinen Eltern zu streiten stehe ich auf, ziehe meine Schuhe an, schnappe mir meinen Rucksack und knalle demonstrativ die Tür zu. Wütend mache ich mich auf den Weg zum Gymnasium, was denken die sich eigentlich, das hier ist wahrscheinlich der Anfang einer Zombieapokalypse und meine Eltern vertrauen blind auf die Nachrichten und darauf, dass auch wirklich JEDER Infizierte eingefangen ist, was ich ganz sicher nicht glaube…
Schon stehe ich vor meiner Schule, mal
schauen was meine Mitschüler zu dem Ganzen zu sagen haben denke ich und betrete das Klassenzimmer der 9b.
Verzweiflung
Das Klassenzimmer ist ungewohnt leer, nur etwas mehr als die Hälfte ist da, obwohl es in drei Minuten klingelt..
Alle stehen zusammen in der Mitte des Zimmers, was sehr ungewöhnlich für unsere Klasse ist, aber was sagt man so schön? Not verbindet?
Ich geselle mich einfach mal zu ihnen, wie erwartet reden alle nur noch von den Zombies, wie sie sie nennen, sehr beruhigend……..
Toms Familie hat vor, morgen auszuwandern, "nach Finnland oder so, irgendwohin wo es viel Wald und wenig Menschen hat, dort wird es am
wenigsten von denen geben".
Ich erzähle, dass meine Eltern das gar nicht ernst nehmen und nicht einmal vorsichtshalber ein paar Konserven oder Waffen zusammenlegen. Sie schauen mich alle mitleidig an, als ob ich Krebs hätte und in ein paar Tagen sterben würde. Ich bekomme langsam echt Panik!! Was wenn sie Recht haben und ich und meine ganze Familie wirklich in ein paar Tagen tot oder solche "Dinger" sind?!
Bevor ich diesen Gedanken zu ende denken kann kommt glücklicherweise unser Mathelehrer herein, sein Lächeln sieht aus wie festgefroren, als würde er sich zwingen zu lächeln, aber eigentlich
viel lieber wo anders sein würde, anscheinend macht auch er sich Sorgen…
Die Mathestunde und auch alle anderen an diesem Tag laufen normaler ab, als ich dachte, auch wenn alle Lehrer bemüht fröhlich und gut gelaunt wirken und wir in zwei Stunden Vertretung hatten, weil unsere Lehrerin "fehlte"…
Wieder zuhause fragen meine Eltern mich nach meinem Tag, ich erzähle ihnen von Tom, doch sie erwidern nur, dass man wegen ein paar Viren nicht sofort durchdrehen und nach Finnland auswandern muss. Ich schaue sie nur kopfschüttelnd und mit Tränen der
Enttäuschung und der Verzweiflung in den Augen an und gehe auf mein Zimmer.
Heute Abend bleiben der Fernseher und das Radio aus, bringt doch sowieso nichts….. bei meinen Eltern!
Der Ausbruch
Nervös und aufgeregt renne ich zur Schule, in der letzten Nacht konnte ich fast nicht schlafen, weshalb ich heute morgen total verschlafen habe… Nicht einmal die Nachrichen konnte ich mehr hören!
Als ich endlich im Klassenzimmer ankomme, bin ich schockiert: Außer mir sind nur noch drei meiner Klassenkameraden da…. Julian und die Zwillinge Max und Becci.
Bestürzt frage ich sie, warum alle weg sind "Hast du heute nicht die Nachrichten angehört?", fragt Max mich. Auf mein Kopfschütteln hin antwortet
Becci: "Die Zombies sind jetzt auch in Europa! Heute Nacht war der erste Fall, in Spanien, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier sind…."
"Und warum seid ihr dann noch hier?!" frage ich, vielleicht bin ich nicht die einzige mit so leichtgläubigen und naiven Eltern…..
"Unsere Eltern packen gerade alles zusammen und gehen noch "einkaufen", falls man das noch so nennen kann, wohl eher kämpfen sie sich gerade durch einen völlig überfüllten Supermarkt, schnappe das, was sie kriegen können, gehen zum nächsten Supermarkt uns so weiter … Danach hauen wir auch ab, irgendwo an den Arsch der Welt, meine Mutter will in
die Mongolei. Sie holen uns in ein paar Stunden ab."
"Oh mein Gott ich muss nach Hause!" ist das einzige, an das ich denken kann, wenigstens zum Kindergarten und Hanna retten!
Hastig wähle ich die Handynummer meiner Mutter, während dem Tuten schaue ich aus dem Fenster, als mir plötzlich eiskalt vor Schreck wird: Auf dem Schulhof herrscht ein regelrechtes Massaker, überall liegen Infizierte herum, werden Kindern und Erwachsene angegriffen und gebissen…. Es ist schrecklich.
Endlich kann ich mich aus meiner Schockstarre lösen, ich beende den
Anruf, bei dem inzwischen die Mailbox spricht, rufe den Anderen noch etwas unverständliches zu und schnappe mir dann meinen Rucksack und renne die Truppe runter, durch die Hintertür, nach draußen.
Hier ist es nicht ganz so schlimm, nur ein paar Zombies. Und die sind zur Zeit mit anderen Schülern, die fliehen wollten beschäftigt, so grausam das jetzt auch klingen mag: Tief in meinem Inneren bin ich froh darüber.
Ich schlage den schnellsten Weg zu unserem Haus ein, vielleicht haben meine Eltern Hanna ja schon vom Kindergarten abgeholt und alles für die Abfahrt
vorbereitet…
Doch schon als ich nach zwei Minuten um eine Kurve schlittere, muss ich einsehen, dass es aussichtslos ist: Die gesamte Straße ist voller Zombies, man kann nicht mal mehr das andere Ende erkenne, so voll ist sie.
Ich habe eine Sekunde zu lange gezögert, schon sind einige der Zombies auf mich aufmerksam geworden. Ich mache auf dem Absatz kehrt und renne um mein Leben, blindlings stolpere ich nach der nächsten Kurve in die nächstbeste offene Tür. Drinnen verriegele ich die Tür, indem ich einen Stuhl unter die Klinge stelle, schnell verstecke ich mich hinter dem
Tresen.
Ich habe das Gefühl, dass die Zeit still steht, es kommt mir vor wie Stunden, in denen ich die Zombies am Haus vorbeirennen höre, obwohl es in Wahrheit wahrscheinlich weniger als eine Minute war…
Erst nach weiteren gefühlten zehn Stunden traue ich mich, vorsichtig an dem Tresen vorbei zu lucken, zu meinem Erstaunen sehe ich keine Zombies mehr! Unglaublich ich bin entkommen!!
Als ich langsam wieder klar denken kann, wird mir bewusst, dass ich keine Plan habe, wo ich hier bin, vorsichtig stehe ich auf und sehe mich um.
Ich kann mein Glück kaum
fassen…