Freitag
Der Freitag war früher als gewollt gekommen und so musste ich nun der Tatsache ins Auge blicken, dass das Treffen mit Sebastian kurz bevor stand. Das hatte ich irgendwie schon ganz verdrängt. Aber jetzt, kurz vor Schulschluss, hatte es mich wieder eingeholt.
Nun, vielleicht war es besser so. Claude hatte schließlich eine Freundin und... Was kann ich schon dagegen tun?
Der Gedanke daran schmerzte bereits genug; jedes Mal, wenn ich daran dachte, tauchte das Bild irgendeiner Schönheit in
meinem Kopf auf. Manchmal sollte man solche Gedanken einfach mit einem Schalter abschalten können. Klick-Klack!
Es gongte und Sebastian und ich ließen uns alle Zeit der Welt, schließlich musste keiner von uns den Bus erwischen. So gut wie als Letzte verließen wir den Saal und gingen die Treppe hinunter.
Draußen blieb Sebastian plötzlich stehen, direkt vor der Tür zog er mich etwas beiseite. "Also...", stammelte er, "Weißt du..."
Irritiert sah ich ihn an. Was bezweckte er damit?
"Lina, du bist echt nett
und..."
"Wie ist das jetzt gemeint...?" So ganz zuordnen konnte ich die ganze Aktion noch nicht.
Sebastian presste die Lippen aufeinander. "Hör zu... Ich... Ich mag dich wirklich gern und... Ich glaube..."
Oh-oh.
"...Ich hab' mich in dich verliebt! So, jetzt ist es raus!"
Oh Gott. Erschieß mich jemand. Nein, lieber doch nicht! War das sein Ernst? Sein voller Ernst? Oh Gott. Erschieß ihn einer. BITTE.
"Herzlichen Glückwunsch, Lina", ertönte es plötzlich hinter uns.
Es möge sich der Boden auftun! Am
besten jetzt.
"Claude!"
"Schönes Wochenende", sagte er und ging wortlos um die Ecke, wo wohl sein Auto geparkt war.
Wie lange hatte er dort gestanden? Wie viel hatte er gehört?
Ich schluckte schwer und überlegte fieberhaft. Was nun? Claude hatte gerade sicherlich Schwierigkeiten wegen des dicken Eises auf den Scheiben seines Wagens, das verschaffte mir Zeit. Vielleicht die nötige Zeit?
Ich holte mein Handy raus und tat, als habe es vibriert, weil jemand angerufen habe. "Hallo? Ah, Oma! Was? Nein... Nein, kein Problem. Wie? Ich soll dich
beim Krankenhaus abholen? Ja geht das denn zu Fuß? Na dann. Bis in 10 Minuten!" Ich steckte mein Handy weg und beendete damit das Pseudo-Telefonat. "Sorry, du hast's gehört. Bis Montag!" Rasch ging ich.
Gott sei Dank lag Sebastian's Heimweg in die andere Richtung!
Claude hatte tatsächlich Schwierigkeiten mit den Scheiben und es fehlte noch ein ganzes Stück, das freigelegt werden musste, auch wenn er Eis kratzte was das Zeug hielt.
"Brauchst du Hilfe?", fragte ich und stellte mich neben ihn.
Erstaunt sah er mich an. "Warum bist du nicht bei
Sebastian?"
"Warum sollte ich denn bei ihm sein?"
"Dann habt ihr das bereits geklärt?", fragte er in einem Tonfall, der eindeutig so gemeint war, dass man wusste, dass er dachte, dass Sebastian und ich nun ein Paar waren. Und nett klang anders. Und angespannt wirkte er auch.
"Was? Wie kommst du darauf? Nein!" Ich sah Claude mit in die Hüften gestemmten Armen an, als plötzlich ein wenig Regen vom Himmel fiel. Es wurde wohl wärmer. Ich sah in den Himmel, als der Regen noch stärker wurde und ehe wir uns versahen schüttete es wie aus Eimern.
"Schnell, setz dich ins Auto", murmelte
Claude und wenige Sekunden später saßen wir auf den beiden vorderen Sitzen. "Nun, fahren kann ich mit DEN Scheiben leider nicht." Er lachte leise.
"Oh man." Ich stimmte ebenso leise mit ein.
"Du sagst es."
Ein Weilchen schwiegen wir und lauschtem dem Prasseln des Regens auf den noch immer gefrorenen Scheiben und dem Autodach.
"Ich und Sebastian, so ein Quatsch."
Auch wenn Claude eine Freundin hatte, das musste klargestellt werden. Wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt!
"Ach ja?" Claude sah mich eindringlich
an.
Auch ich sah ihn an und keiner konnte den Blick vom anderen abwenden und wir versanken in den Augen des anderen.
Claude machte keinerlei Anstalten, das zu ändern, stattdessen kamen wir uns näher.
Ich wurde furchtbar nervös und rief mir die Schönheit von Freundin, die er sicherlich hatte, ins Gedächtnis und zuckte zurück. "Ich... Ich muss gehen."
Ich öffnete die Beifahrertür und wollte aussteigen, als Claude sagte: "Lina! Warte!"
Ich ließ mich zurück in den Sitz fallen und der Regen prasselte durch die offene Tür ein wenig auf den sündhaft teuer
wirkenden Sitz, während kalte Luft durch das Auto blies. "Was?" Ich presste die Lippen kurz aufeinander. Dann wandte ich ihm den Kopf zu.
Ehe ich reagieren konnte, hatte er mein Gesicht in beide Hände genommen und unsere Nasenspitzen waren nur ein paar Millimeter voneinander entfernt, sodass ich seinen warmen Atem spüren konnte. Mein Puls schnellte in die Höhe in einer Geschwindigkeit, in der eine Achterbahn bergab sauste. "Claude..."
Plötzlich drückte er seine Lippen auf meine.
Ich erschrak und er löste sich wieder von mir.
Mein Kopf war, soweit ich das
einschätzen konnte, knallrot und ich sah ihn immer noch an.
"Ich gehe jetzt lieber." Diesmal stieg ich wirklich aus und ging im Regen über den Bürgersteig in Richtung meines Zuhauses. Was war das gerade? Hatte ich mich getäuscht? Hatte Hendrik sich geirrt? Aber er klang so sicher, als er es aussprach!
Ich biss mir auf die Lippe. Das war das absolute Chaos! Claude hatte mich geküsst - obwohl er eine Freundin hatte!
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